Mutlosigkeit, live aus dem Bundeshaus

Die Aussenpolitische Kommission hält ihre Sitzung zum Rahmen­abkommen heute vor laufenden Kameras ab. Sie verschleiert damit das Versagen des politischen Betriebs.

Eine Einordnung von Urs Bruderer, 15.01.2019

Not macht erfinderisch. Aber nicht jede Erfindung ist nötig oder gar gut.

Zu sagen, das Rahmenabkommen mit der EU sei unbeliebt, wäre untertrieben: Es ist – ausser bei den Grün­liberalen und der BDP – überall verhasst. Dass es nicht schon längst zu den Akten gelegt wurde, hat zwei Gründe: Da ist erstens der leise, aber hartnäckige Verdacht, dass das Verhandlungs­ergebnis die beste aller schlechten Lösungen sein könnte für ein Problem, für das es keine Wunsch­lösung gibt. Und zweitens die Mutlosigkeit der politischen Verantwortlichen, diesem Verdacht nachzugehen und sich dann für oder gegen das Abkommen zu entscheiden.

In dieser Notlage kaprizieren sich unsere Politikerinnen und Politiker auf neue und exotische Formate.

Der Bundesrat drückt sich vor einer Beurteilung des Abkommens und schickt es stattdessen in eine öffentliche Konsultation. Ein neues Format, angesiedelt in der direkt­demokratischen Grauzone zwischen Vernehmlassung, Verhandlung und Lobbyisten­gespräch. Wer da wie konsultiert wird, soll diese Woche endlich bekannt werden.

Die von der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats angesetzte öffentliche Anhörung ist ungewöhnlich. Die Kommission suggeriert zwar das Gegenteil mit dem Verweis auf Artikel 47 des Parlaments­gesetzes, der öffentliche Anhörungen vorsieht. Doch die letzte liegt fünfzehn Jahre zurück. Damals wurden die Spitzen von SRG und Verlags­häusern zum Radio- und Fernseh­gesetz öffentlich angehört.

Öffentliche Anhörungen finden kaum statt, und das hat einen guten Grund: Laufende Kameras bedeuten für die Kommissions­arbeit fast nur Nachteile.

Die Kommission ist der Ort der Beweglichkeit im starren Geschäft der Politik. Hier sollen Parlamentarier ohne öffentlichen Druck diskutieren – also nicht nur behaupten, sondern auch differenzieren, sich irren und auch mal nachgeben können. Die Live­übertragung zerstört diesen Ort, weil eine Kamera auf Politikerinnen wirkt wie eine mentale Zwangsjacke.

Das wird man auch heute ab 13.30 Uhr beobachten können. Sechs Expertinnen und Experten hat die Aussen­politische Kommission eingeladen. Doch selbst wenn der SVP-Nationalrat sich für die Arbeit des Zürcher Rechts­professors Matthias Oesch interessieren sollte, der aufzeigte, dass die Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unabhängig und professionell arbeiten und für die Schweiz keine Gefahr darstellen: Zeigen wird Köppel das öffentlich niemals. Und FDP-Nationalrätin Christa Markwalder wird live keinesfalls in Nach­denklichkeit verfallen, wenn derselbe Professor es für problematisch hielte, dass die Schweiz Gesetze von der EU dynamisch übernimmt, die sie nicht mitgestalten kann.

So wird heute wohl öffentlichkeits­wirksam eine Chance vertan.

Die öffentliche Anhörung geht auf den EU-freundlichen SP-Nationalrat Eric Nussbaumer zurück. Er sieht darin einen Akt der Transparenz: Die Kommission lanciere damit auch die Debatte über die Beziehung der Schweiz zur EU. Nur: Diese Debatte läuft seit Jahren. Die Analysen und Stand­punkte der sechs eingeladenen Expertinnen und Experten sind längst bekannt.

Heute geht es nicht um die Sache, sondern um das Ereignis im Youtube-Stream. Das Parlament inszeniert sich, wie es live und in Echtzeit an der härtesten politischen Nuss des Landes arbeitet, und das Schweizer Radio und Fernsehen feiert den Moment mit einer Live­übertragung. Nur eins weiss die Öffentlichkeit nicht: ob derzeit auch jene Gespräche stattfinden, die eigentlich geführt werden müssten – die zwischen den Sozial­partnern, moderiert von der Regierung.

In diesen Gesprächen müsste es um die Ziele allfälliger Nach­verhandlungen mit der EU gehen. Man müsste darüber nachdenken, wie die von den Gewerkschaften aufgezeigte Gefahr einer Aushebelung des Lohn­schutzes beseitigt werden könnte. Etwa über eine Zusicherung seitens der EU, dass die Schweiz die Lohn­kontrollen weiterhin den bewährten paritätischen Kommissionen überlassen darf. Und über eine Garantie, dass die Schweiz so viele Lohn­kontrollen durchführen darf, wie sie für nötig hält.

Solche Gespräche müssten hinter geschlossenen Türen geführt werden. Stattdessen suchen Bundesrat und Parlament die Öffentlichkeit und verschleiern damit das Versagen des politischen Betriebes.

Zugleich hört man im Bundeshaus bereits lautes Nachdenken darüber, wie man das Abkommen am besten los wird. Wenn der Bundesrat das Ergebnis jahrelanger Gespräche und Verhandlungen als inakzeptabel ablehnen würde, wäre der aussen­politische Schaden sehr gross. Weniger unangenehm wäre es für die Regierung, wenn das Nein vom Parlament käme. Und geradezu komfortabel wäre es, wenn das Abkommen von der Bevölkerung abgelehnt würde.

Darum sucht der Bundesrat die Öffentlichkeit, darum inszeniert das Parlament Expertinnen und versteckt sich hinter ihnen: um den Schwarzen Peter langsam, aber sicher dem Volk zuzuschieben. Das ist nur scheinbar demokratisch. In wichtigen Fragen müssen die politischen Verantwortlichen Position beziehen, auch in einem Wahljahr, auch wenn die Partei­basis gespalten ist. Das wäre der von ihnen zu erwartende Beitrag zur öffentlichen Debatte.

Hinweis: Sie können die Konsultation zwischen 13.30 und 16.30 Uhr auf Youtube mitverfolgen. Sagen Sie uns, was Sie davon halten – auf unserer Dialogseite (siehe Box unten).