Verleger ohne falsche Scham
Der Schweizer Verlegerverband wehrt sich gegen «Marktverzerrungen». Aber jetzt fordert er Subventionen in dreistelliger Millionenhöhe.
Von Daniel Binswanger, 12.01.2019
Manchmal hat man Frühlingsgefühle im tiefsten Winter, manchmal herrscht Feierstimmung im Januarloch. Und manchmal will die richtige Weihnachtsbescherung erst am Dreikönigstag kommen.
Das jedenfalls müssen sich die Schweizer Verleger gesagt haben. Denn für ihre diesjährige Dreikönigstagung haben sie sich einen Gabentisch ausgedacht, dass sich die Balken biegen. 70 Millionen Franken indirekte Medienförderung wollen die Verleger auf die heute bereits fliessenden 30 Millionen draufsatteln, mit denen Lokal- und Regionalmedien die Postzustellung vergünstigt wird. 100 Millionen Franken für eine Vertriebsvergünstigung, die künftig von den Schweizer Bürgerinnen an die Medienhäuser entrichtet werden soll? An falscher Bescheidenheit leiden die Herren Verleger nicht.
Man vergleiche den Betrag mit den 81 Millionen Franken, mit denen gemäss dem Entwurf für das neue Mediengesetz die privaten Radio- und Fernsehstationen sowie Onlineangebote mit audiovisuellem Content unterstützt werden dürften. Bisher wehren sich die Verleger mit letzter Entschlossenheit gegen jede «Marktverzerrung», sprich staatliche Eingriffe in ihr Geschäftsfeld. Weil aus den erwähnten 81 Millionen ein Teil der Mittel auch dazu verwendet werden könnte, Onlineanbieter zu fördern, die mit ihnen in Konkurrenz stehen, bekämpfen die Verleger das Mediengesetz vehement. Das hindert sie jedoch nicht im Geringsten daran, die Forderung nach den indirekten Luxussubventionen zu erheben.
Sicher: Die Printmedien sind in der Krise, Abonnenten springen ab, die Werbeumsätze sind im freien Fall, Redaktionen werden geschlossen, fusioniert, kaputtgespart. Die Geschäftsmodelle sind nicht mehr tragfähig, es muss etwas geschehen. Was den immensen Vorteil hat – so werden sich unsere Verleger gesagt haben –, dass man mit etwas Glück auch dafür sorgen kann, dass exakt das Falsche geschieht. Dass plötzlich fette Subventionen fliessen könnten, die zwar an der Strukturkrise rein gar nichts ändern, aber eine erkleckliche Renditequelle darstellen.
Der Skandal im Zusammenhang mit den 100 Millionen Franken indirekter Förderung, die Tamedia-Verwaltungsrats- und Verlegerpräsident Pietro Supino in seiner Ansprache forderte, liegt nicht einmal primär in der Höhe des Betrags. Er liegt darin, wo das Geld hinfliessen soll, nämlich ganz überproportional zu den grössten Medienkonzernen. Und das heisst selbstredend: am allermeisten zu Tamedia.
Wenn es ein gravierendes Problem gibt, das der Strukturwandel in der Medienindustrie provoziert, dann ist es die Zentralisierung, der Untergang der Medienvielfalt, der Niedergang der Regionalpresse. Im vergangenen Jahr ist es zum heftigsten Fusionierungsschub der helvetischen Pressegeschichte gekommen.
Die bisherige Zustellungsförderung war auf ebendiese bedrohte Lokal- und Regionalpresse beschränkt – und hat deren Marktstellung gegenüber den Grossmonopolisten ein ganz klein wenig verbessert. Die 100 Millionen Franken jedoch sollen neu an alle Bezahlzeitungen und -zeitschriften gehen, unabhängig von ihrem Einzugsgebiet, unabhängig von ihrer Auflagenstärke. Bisher wurden nur Titel mit einer Auflage von unter 40’000 Exemplaren subventioniert. Neu würde der Löwenanteil des Subventionssegens deshalb an die Grossmonopolisten gehen, allen voran Tamedia, gefolgt von CH Media, Ringier und der NZZ-Gruppe. Medienkonzentration soll nach dem Willen der Verleger jetzt offensichtlich bekämpft werden durch Medienkonzentrationssubventionierung. So viel Chuzpe muss man eigentlich schon fast bewundern.
Natürlich haben auch die grossen Verlage mit dem Strukturwandel zu kämpfen. Aber um noch einmal das Beispiel Tamedia zu bemühen: Ist wirklich davon auszugehen, dass ein Haus, das 2017 (die Zahlen für 2018 sind noch nicht öffentlich) das stolze Ergebnis von 170 Millionen Franken erwirtschaftet hat, aufgrund von staatlicher Zustellungsunterstützung seine langfristige Entwicklungsstrategie ändert – auch wenn die Subventionen in diesem Fall zweifelsohne einen satten zweistelligen Millionenbetrag erreichen würden? Und wie soll man den Irrsinn rechtfertigen, dass die Schweizer Presse dort, wo der Rückgang unausweichlich ist – nämlich im Print –, mit grosszügigen öffentlichen Mitteln ihre Strukturen erhalten soll, und dort, wo die Formate der Zukunft entstehen – nämlich online –, nicht mit einer Kopeke gefördert werden darf?
Das sind rätselhafte Fragen. Aber zu einer richtigen Weihnachtsfeier – auch an einem Dreikönigstag – gehört nun einmal ein Weihnachtsmann mit einem prallen Sack. Der Weihnachtsmann war Gerhard Pfister. Er hielt eine lange Rede voll gebildeter Zitate, die allerdings nur eine einzige Botschaft enthielt: Der CVP-Präsident wird die 100-Millionen-Forderung der Verleger unterstützen. Das Publikum war begeistert. So ein kultivierter Mensch!
Es wäre an der Zeit, dass die Schweiz eine Medienförderungspolitik entwickelte, die diesen Namen auch verdient. Schliesslich geht es um hohe Einsätze. In der Tat, Ladies and Gentlemen, es geht um die Demokratie. Der einzige Weg zu einer vernünftigen Presseförderung – das zeigen die Debatten um das Mediengesetz – führt über einen Medienartikel in der Verfassung. Selbst die grossen Schweizer Verleger senden jetzt das Signal aus, dass es ohne den massiven Einsatz öffentliche Gelder nicht mehr geht. Das überführt ihre panische Ablehnung von «öffentlichen Eingriffen in den Markt» definitiv der Heuchelei.
Sie mögen vermuten, dass ich pro domo argumentiere, dass ich mir eine Förderungspolitik wünsche, von der auch die Republik profitieren kann. Da vermuten Sie nicht ganz falsch: Ich fände die Förderung von unabhängigen Onlineplattformen sinnvoller und zukunftsgewandter als Postsubventionen für schrumpfende Massenprodukte im Print. Aber dass ich im eigenen Interesse argumentiere, muss ich leider zurückweisen. Der Medienartikel wird uns kaum etwas nützen.
Die Republik ist mitten in ihrer Abonnementserneuerungskampagne, wir kämpfen um jede Leserin. Der politische Prozess, der die öffentliche Förderung von Onlinepublikationen möglich machen würde, wird auch im besten Fall sehr langwierig sein. Bis es so weit ist, wird die Republik ihre Finanzierung schon lange aus dem Lesermarkt und mit privatem Risikokapital oder Spenden gesichert haben – oder nicht mehr existieren.
Illustration: Alex Solman
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