Was vom Börsenrausch am Ende übrig bleibt
2018 wird als schlechtes Börsenjahr in die Geschichte eingehen. Wie schlimm ist das? Wir machen den langfristigen Vergleich – über 3 Anlageklassen, 8 Länder und 93 Jahre.
Von Mark Dittli, 31.12.2018
Es ist bekannt: Donald Trump prahlt gerne. Über seine Intelligenz, sein Verhandlungsgeschick, seine Haare. Zu den Lieblingsobjekten seines Stolzes zählte lange Zeit der Aktienmarkt; jeden Höchststand der heimischen Börsenindizes nahm der US-Präsident zum Anlass, über Twitter den Sieg Amerikas zu verkünden.
Doch seit gut zwei Monaten äussert sich Trump nicht mehr über den Aktienmarkt. Mit gutem Grund: Seit Anfang Oktober ist die amerikanische Börse, gemessen am S&P-500-Index, zwischenzeitlich um fast 20 Prozent eingebrochen.
Beschleunigt hat sich der Kurssturz kurz vor Weihnachten, als Trump darüber sinnierte, den Notenbankchef Jerome Powell zu feuern. Finanzminister Steven Mnuchin versuchte die Situation mit einem geradezu grotesk hilflosen Tweet zu beruhigen, in dem er der Welt versicherte, die grössten Banken des Landes besässen genügend Liquidität.
Über das ganze Jahr betrachtet werden die Märkte tiefrot abschliessen. Das muss bitter sein für Trump: Nach 24 Monaten im Amt kann er ein Börsenplus von insgesamt klar weniger als 10 Prozent vorweisen. Sein Vorgänger Barack Obama kam im gleichen Zeitraum auf mehr als 40 Prozent:
Der Vergleich ist freilich nicht ganz fair, denn Obama übernahm die amerikanische Wirtschaft Anfang 2009 im Tiefpunkt einer heftigen Rezession, während Trump Anfang 2017 eine bereits reife, gefestigte Konjunktur erbte. Doch genau so, wie Trump zuvor jedes Börsenhoch für sich beansprucht hatte, wird es jetzt auch «sein» Einbruch sein.
Wir massen uns nicht an, eine Prognose abzugeben, wohin sich die Aktienkurse im nächsten Jahr bewegen werden. Kurzfristige Prognosen sind Unfug. Ebenso wenig wollen wir mutmassen, was genau die Ursache für den Einbruch seit Oktober war. Es war eine Mischung aus vielem: Trumps Handelsdisput mit China, ein bereits in die Jahre gekommener Konjunkturzyklus, die hohe Bewertung der Börsen, Rezessionsängste, Trumps Angriff auf die Unabhängigkeit der Zentralbank, das kurzfristige «Zuckerhoch», das die Republikanische Partei der heimischen Wirtschaft mit ihrer Steuersenkung vor einem Jahr verabreicht hat. Und unzählige Faktoren mehr.
Uns interessiert vielmehr die lange Sicht: die Frage, wie das Börsenjahr 2018 jenseits des kurzfristigen Lärms im historischen Vergleich einzuordnen ist.
93 Börsenjahre im Vergleich
Die nachfolgenden fünf Grafiken helfen uns dabei.
Bleiben wir zunächst in den USA. Das Handelsjahr ist noch nicht ganz vorbei, denn heute Montag, 31. Dezember, sind die Börsen in New York noch geöffnet. Unsere Betrachtungen beziehen sich daher auf die Schlusskurse vom Freitag, 28. Dezember.
Der S&P-500-Index – er enthält die 500 grössten Unternehmen der USA – hat 2018 insgesamt 7 Prozent verloren. Wer Ende 2017 also 1000 Dollar in den S&P 500 investiert hat, besitzt heute, vereinfacht gesagt, nur noch 930 Dollar. Allerdings haben die Unternehmen im Jahresverlauf auch Dividenden ausgeschüttet; diese Erträge müssen korrekterweise berücksichtigt werden, um die effektiven Anlagegewinne oder -verluste zu eruieren. Inklusive Dividenden – man spricht dabei vom total return – hat der S&P-500-Index nur 5,2 Prozent verloren.
Die folgende Grafik zeigt den in Prozenten ausgedrückten total return des S&P-500-Index für jedes Jahr seit 1926:
Insgesamt gab es im beobachteten Zeitraum 25 Jahre, in denen der US-Aktienmarkt mit einem Minus abschloss. 2018 ist das erste Jahr seit 2008 mit einem Verlust. In 68 Jahren hingegen resultierte am Ende des Börsenjahres in den USA ein Gewinn. Das beste Jahr war 1933 mit einem Plus von 54 Prozent, das schlechteste 1931 mit einem Verlust von etwas mehr als 43 Prozent.
Mit einem Minus von 5,2 Prozent in den USA steht das Jahr 2018 auf der Liste der Verlustjahre auf Rang 20.
Ebenso deutlich ersichtlich ist aus der Grafik, dass der US-Aktienmarkt soeben eine unüblich lange Zeit ohne einen Jahresverlust durchlaufen hat: insgesamt neun Jahre, von 2009 bis und mit 2017. Das gab es im beobachteten Zeitraum zuvor nur einmal, nämlich im langen Boom von 1991 bis 1999. So gesehen war ein Verlustjahr überfällig.
Hier eine etwas andere Darstellung des gleichen Sachverhalts:
Einige Erklärungen dazu: Jeder Punkt in der Grafik steht für ein Jahr im beobachteten Zeitraum seit 1926, insgesamt also 93 Jahre. Rechts der Nulllinie stehen die 68 Jahre mit positiver Rendite, links die 25 Verlustjahre.
Sie sind in Intervallen von jeweils 5 Prozentpunkten gruppiert: Die höchste Säule umfasst 11 Punkte im Renditenband von 17,5 Prozent, das heisst, es gab 11 Jahre, in denen der US-Aktienmarkt eine Jahresrendite zwischen 15 und 20 Prozent abwarf.
Zwei Dinge sind in der Grafik deutlich zu sehen: erstens die insgesamt positive Neigung der Verteilung, und zweitens die grosse Anzahl extremer Ausreisser, sogenannter fat tails. In insgesamt 6 Jahren erlitten Investoren an den US-Börsen Jahresverluste von mehr als 20 Prozent (links in der Grafik), und in insgesamt 34 Jahren fuhren sie einen Gewinn von mindestens 20 Prozent ein (rechts in der Grafik).
In nur gerade 14 von 93 Jahren lag die Jahresrendite zwischen 0 und 10 Prozent. Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal davon lesen, dass die Chefstrategin X von der Bank Y für das kommende Jahr eine Aktienmarktrendite im «einstelligen Prozentbereich» erwartet. Sie können Ihren Banker dann darauf hinweisen, dass diese Prognose historisch betrachtet bloss in 15 Prozent aller Jahre auch tatsächlich eintritt.
So sieht es in den USA aus. Und in der Schweiz?
Ganz ähnlich, wie die folgende Grafik zeigt:
Der Swiss-Performance-Index (SPI) – er umfasst nahezu alle an der Schweizer Börse gehandelten inländischen Aktien und ist als Total-Return-Index konstruiert – hat 2018 knapp 8,6 Prozent verloren. Damit ist 2018 das 28. Jahr seit 1926, in dem der Schweizer Aktienmarkt einen Verlust erlitten hat. 65 Jahre schlossen mit einem Gewinn.
In Bezug auf die Schweiz steht das Jahr 2018 auf der Liste der schlechtesten Börsenjahre auf Rang 16. Das beste Jahr war 1985 mit einem Plus von 61,4 Prozent, das schlechteste war 2008 mit einem Minus von 34 Prozent.
Auch für den Schweizer Aktienmarkt noch die Betrachtung im Histogramm:
In 16 Jahren lag die Anlagerendite des Schweizer Aktienmarktes im Bereich zwischen 5 und 10 Prozent. Die zweitmeisten Zählungen, insgesamt 11, liegen im Renditenband zwischen 20 und 25 Prozent.
Warum sich Aktien langfristig lohnen
Als Nächstes noch zwei weitere Betrachtungen, diesmal über den längsten möglichen Beobachtungszeitraum zu diesem Thema, von 1900 bis 2017: erstens der Vergleich zwischen der Schweiz und anderen Ländern, und zweitens der Vergleich zwischen den drei Anlageklassen Aktien, Obligationen (Bonds) und Geldmarkt-Konten (der Geldmarkt ist das kurzfristigste Segment des Kreditmarktes; für die Zwecke dieses Beitrags dient die Geldmarkt-Rendite als Annäherungswert für die Verzinsung von Spareinlagen):
Der Schweizer Aktienmarkt hat seit 1900 im Mittel jedes Jahr real, das heisst unter Berücksichtigung der Inflation, eine Rendite von 4,5 Prozent abgeworfen. Das ist etwas weniger als der Weltdurchschnitt, aber klar besser als die Rendite in Frankreich, Deutschland und Italien.
Aufschlussreich ist schliesslich der Vergleich mit den Anlagealternativen: In der langen Frist schneiden Aktien klar am besten ab. Sie sind die einzige Anlageklasse, die in den beobachteten 8 Ländern nach Abzug der Inflation eine durchweg positive Rendite abgeworfen hat.
Wer also langfristig denken kann und sich von – bisweilen heftigen, auch mehrjährigen – Kursrückschlägen nicht aus der Ruhe bringen lässt, kann getrost weiterhin in Aktien investieren. Und sollte dann am besten den Tageslärm ignorieren. Inklusive Donald Trumps Tweets.
Historische Datenreihen zu den Finanzmärkten sind oft kostenpflichtig, da Indexanbieter und Börsenbetreiber eine Monopolstellung besitzen. Der Republik fehlt leider das Budget, um teure Daten einzukaufen. Eine gute verfügbare Quelle für Langzeitvergleiche ist das jährlich erscheinende Global Investment Returns Yearbook, das von Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton im Auftrag des Credit Suisse Research Institute publiziert wird. Die umfangreichste frei verfügbare Datenquelle zum Schweizer Aktien- und Bondmarkt ist eine jährlich aufdatierte Studie der Genfer Privatbank Pictet. Die in diesem Beitrag verwendeten Daten zum US-Aktienmarkt in den ersten drei Grafiken stammen aus zwei Blogs, multpl.com und slickcharts.com, und wurden über mehrere Drittquellen auf ihre Richtigkeit überprüft. Eine sehr umfangreiche Quelle mit langen Datenreihen bietet der an der Yale-Universität lehrende Ökonom Robert Shiller auf seiner Website an.
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