Die Mutterschaftsstrafe
Kommt das erste Kind, brechen die Löhne von Frauen ein: Das zeigen neue Daten für die Schweiz. Die Ursache liegt auf der Hand.
Von Olivia Kühni, 17.12.2018
Die Fakten sind schnell erzählt, und sie überraschen kaum: Frauen verdienen nach der Geburt eines Kindes deutlich weniger als vergleichbar qualifizierte Männer, die ebenfalls Nachwuchs bekamen.
Der Graben vertieft sich ausserdem mit der Zeit. Im Jahr der Geburt liegt das Einkommen der Neumütter um 20 Prozent tiefer als jenes der Neuväter; im darauffolgenden Jahr sind es bereits 39 Prozent und im übernächsten Jahr 40 Prozent.
Bei einem mittleren Lohn summiert sich diese Differenz auf jährlich rund 20’000 Franken. Im Total über sechs Jahre, also etwa bis das Kind zur Schule geht, macht dies insgesamt 120’000 Franken aus.
Plötzlich geht die Schere auf
Diese beachtliche Einkommenseinbusse oder wage penalty, die Frauen für ihre Elternschaft bezahlen, haben Ökonomen auch für andere Länder belegt, zuletzt prominent ein Team um Princeton-Forscher Henrik Kleven für Dänemark.
Der Ökonom Lucas Tschan von der Universität Luzern hat nun Klevens viel zitierte Methodik auf die Schweiz angewandt. Er verglich dabei – und das ist wichtig zu erwähnen, denn nicht alle Lohnanalysen tun dies – die Einkommen von Frauen und Männern in ähnlichem Alter, mit ähnlicher Ausbildung und Berufserfahrung, also in vergleichbaren Situationen.
Das Fazit seiner Arbeit: Kurz vor der Elternschaft sind die Löhne von Frauen und Männern heute fast gleich – danach öffnet sich eine Schere, die sich oft ein Berufsleben lang nicht mehr schliesst.
Frauen arbeiten Teilzeit, Männer Vollzeit
Die Hauptursache für den Einbruch liegt auf der Hand: die Arbeitsteilung innerhalb von Familien. Nach der Geburt des ersten Kindes stecken Frauen in traditionellen heterosexuellen Partnerschaften im Beruf üblicherweise zugunsten der unbezahlten Arbeit zu Hause zurück, Männer tun dies in der Regel in geringerem Mass.
In der Schweiz – eine der Teilzeit-Hochburgen der Welt, nur in den Niederlanden ist Teilzeit noch verbreiteter als hier – geschieht dies hauptsächlich über das Jobpensum. Rund 53 Prozent der Neumütter mit Partner und Kind(ern) sind höchstens halbtags oder gar nicht erwerbstätig. Das ändert sich auch kaum, wenn das jüngste Kind in die Primarschule geht (51 Prozent aller Mütter). Bei den Vätern sind es knapp 6 Prozent.
Tatsächlich reduzierten die für die Studie beobachteten Neumütter ihre geleisteten Wochenstunden Erwerbsarbeit nach dem Mutterschaftsurlaub von durchschnittlich 40 auf rund 20 Stunden – jene der Neuväter blieben bei rund 42 Stunden. Selbst Jahre nach der Geburt arbeiteten die Mütter noch immer deutlich weniger gegen Geld als die Väter.
Der überwiegende Teil der Lohnunterschiede lässt sich hierzulande also durch die verbreitete Teilzeitarbeit von Frauen erklären. Doch auch Mütter, die Vollzeit arbeiten, stecken im Beruf zurück. Auch sie verdienen nach der Geburt des ersten Kindes über die Jahre weniger als Männer mit ähnlicher Ausgangslage – wenn auch längst nicht so viel weniger.
Für die Schweiz sind die entsprechenden Fallzahlen zu gering, als dass dabei zu den Ursachen eine repräsentative Aussage möglich wäre.
Für Dänemark jedoch stellten Kleven und sein Team fest: Mütter wählen öfter als Väter Arbeitsstellen, die mehr zeitliche Flexibilität, dafür aber einen geringeren Lohn bieten. So arbeiten sie beispielsweise zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes mit einer um 10 Prozent grösseren Wahrscheinlichkeit im öffentlichen Sektor als ähnlich qualifizierte Männer.
Schon seit Jahren gibt es ausserdem Hinweise, dass Frauen bereits bei ihrer Studienwahl in viel grösserem Masse auf die spätere Möglichkeit von Teilzeitarbeit, Berufspausen und geregelten Arbeitszeiten achten – und somit oft von Anfang an oder mit der Zeit in Branchen und auf Stellen landen, die dafür weniger gut bezahlt sind.
«Mutterschaftsstrafe statt Gender Pay Gap»
Die neu aufbereiteten Zahlen belegen empirisch, was aus Alltagserfahrung längst bekannt ist: Die Beiträge von Frauen und Männern an eine gemeinsame Familie unterscheiden sich in der Regel. Frauen übernehmen deutlich mehr unbezahlte Arbeit, oft auf Kosten ihres Erwerbslebens. Männer steuern dafür mehr Einkommen bei. Und beide Geschlechter nehmen auf diese Realität oft schon bei ihrer Zukunftsplanung Rücksicht.
Und: Frau zu sein, ist möglicherweise im Arbeitsmarkt längst nicht so sehr das Thema – sondern Mutter zu sein. Oder, auch als Mann, andere gesellschaftliche Verpflichtungen zu übernehmen, die eine in vielen Jobs allzu oft gewünschte ständige Einsatzbereitschaft erschweren (oft vergessen geht etwa auch die Pflege alter oder kranker Angehöriger). Allein schon die verbreitete Vorstellung, eine geringere zeitliche Flexibilität bedeute mangelnde Leistungsbereitschaft, ist denn auch einer der vielen Faktoren, die Mütter in der Arbeitswelt entmutigen.
«Der sogenannte gender wage gap müsste eigentlich eher Gebärstrafe oder Mutterschaftsstrafe heissen», kommentierte das US-Magazin Vox damals die Erkenntnisse aus Dänemark – und verwies darauf, dass die Situation in den USA trotz anderem politischen Umfeld sehr ähnlich aussieht.
Das ist ein gar vereinfachtes Fazit. Doch je mehr traditionelle Hürden für Frauen in der öffentlichen Arena fallen, desto wichtiger wird die motherhood wage penalty in der Debatte um Berufschancen für Frauen. Einer Debatte, die sich vor allem um den Wert möglichst vieler Perspektiven, kreativer Ideen und Leistung dreht, unabhängig von ständiger Erreichbarkeit.
PS: Als Anschauungsbeispiel, ohne Anspruch auf Repräsentativität und Objektivität, hier die Schilderung einer deutschen Ingenieurin auf Twitter:
So, kann dann losgehen, wer mal einen Einblick haben will was in der deutschen Arbeitswelt passiert wenn frau schwanger wird, möge sich ein bissel Zeit mitbringen und lesen (Thread). Vorgeschichte: War schon ein paar Jahre im Unternehmen, bin Ingenieurin, hab Berufserfahrung,
Die gesamte Arbeit von Lucas Tschan finden Sie hier. Die ihr zugrunde liegenden Daten stammen aus dem Schweizer Haushalt-Panel, einer vom Nationalfonds mitfinanzierten, seit 1999 jährlich durchgeführten Befragung. Sie ist eine der umfassendsten sozialwissenschaftlichen Erhebungen des Landes. Insgesamt umfasst der Datensatz Informationen von 226’117 Haushalten von 1999 bis 2016. Für die vorliegende Fragestellung wurden die Angaben von Frauen und Männern berücksichtigt, die zum ersten Mal Mutter oder Vater wurden, fünf Jahre vor bis zehn Jahre nach der Geburt des Kindes. Es handelt sich um 8887 Daten von insgesamt 911 Personen (420 Frauen, 491 Männer).
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