Die massgeschneiderte Projektionsfigur für Reaktionäre weltweit: George Soros im Garten seines Hauses in den Hamptons. Damon Winter/NYT/Redux

Der Staatsmann auf eigene Faust

Seine Feinde unterstellen George Soros Allmacht, aber der milliardenschwere Philanthrop sieht sein politisches Erbe stärker gefährdet denn je. Wie viel Verantwortung trägt er selbst dafür? Begegnung mit einer Hassfigur.

Von Michael Steinberger (Text) und Bernhard Schmid (Übersetzung), 15.12.2018

Ein kalter Dienstagvormittag Ende Mai in Paris. Der New Yorker Milliardär George Soros hält eine Rede vor dem European Council on Foreign Relations, einer Organisation, bei deren Gründung er ein Jahrzehnt zuvor geholfen hat. Der gebürtige Ungar, der sein Vermögen als Chef eines Hedgefonds gemacht hat, ist heute in erster Linie Philanthrop, politischer Aktivist und Staatsmann auf eigene Faust. Und er ist, neben Donald Trump, der weltweit zweitmeist geschmähte New Yorker Milliardär (allerdings ist Soros um einiges reicher). Angekündigt wurde er vor seiner Rede als «Europäer im Grunde seines Herzens», und er war gekommen, um den Geladenen seine Gedanken zur Rettung der Europäischen Union mitzuteilen.

Im dunklen Anzug, ohne Schlips, den Kragen seines blauen Hemds über dem Revers, betrat Soros die Bühne mit dem forschen Schritt des 87-Jährigen, der noch immer mehrmals die Woche auf dem Tennisplatz steht. Einige Konzessionen ans Alter allerdings gab es. So hielt er seine Rede im Sitzen und benutzte die Leuchte am Lesepult. (Fairerweise sei hier angemerkt, dass der Tagungsraum in schwermütigem Düster lag.) Die Linke auf dem Knie, als müsse er sich abstützen, schlug er mit der Rechten die Seiten um. Manchmal schien er den Faden zu verlieren, aber es kam nicht dazu.

Persönlich ist Soros ausgesprochen charmant, ein Mann von trockenem Humor. In seinen Schriften jedoch – er hat vierzehn Bücher geschrieben – und bei Vorträgen kann er etwas hölzern wirken, und dieser Auftritt war keine Ausnahme. Das Publikum – darunter der serbische Präsident und der albanische Premier – nahm er kaum zur Kenntnis, es sei denn mit der Feststellung: «Ich denke, das ist hier der richtige Ort, die Rettung Europas zu diskutieren.» Aber abgesehen davon, dass er die EU aufforderte, mehr Hilfsmittel in Richtung Afrika zu leiten, was seiner Ansicht nach die Flüchtlingskrise lindern könnte, die für einen Grossteil der jüngsten politischen Unruhe in Europa verantwortlich sei, fielen seine Ausführungen eher deskriptiv als präskriptiv aus. Die Europäische Union, so sagte er, stehe vor einer «existenziellen Krise».

In einer Nebenbemerkung über die wirtschaftlichen Aussichten Europas sagte er: «Gut möglich, dass wir auf eine weitere massive Finanzkrise zugehen.» Nicht zuletzt auf diese Aussage hin fiel der Dow Jones noch am Tag des Vortrags um fast 400 Punkte. Soros gilt gemeinhin als der beste Spekulant, den die Wall Street je gekannt hat. Und auch wenn er vor Jahren schon aufgehört hat, anderer Leute Geld zu verwalten, demonstrierte diese Reaktion in Echtzeit seinen anhaltenden Einfluss auf die Märkte. Die Aufmerksamkeit, die man seiner Bemerkung entgegenbrachte, unterstrich darüber hinaus auf subtile Weise eine der grossen Frustrationen seines Lebens – dass eine Äusserung zum Markt von ihm noch immer mehr Gewicht hat als seine politische Reflexion.

Die doppelte politische Wette

Und dennoch hat Soros gerade auf dem politischen Parkett seine kühnste Wette platziert. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 steckte er Hunderte von Millionen Dollar in Länder des ehemaligen Sowjetblocks zur Förderung von Bürgergesellschaft und liberaler Demokratie. Sein ganz persönlicher Marshall-Plan für Osteuropa, eine private Initiative, die in der Geschichte ihresgleichen sucht.

Spekuliert George Soros an einem Vortrag über eine neue Finanzkrise, fällt noch am gleichen Tag die Börse.

Es war aber auch eine Wette darauf, dass ein Teil der Welt, der fast ausschliesslich Diktaturen und Autokraten gekannt hat, auf Ideen wie staatliche Rechenschaftspflicht und ethnische Toleranz zu bringen sei. In den 1950er-Jahren studierte Soros in London bei dem Philosophen Karl Popper, einem österreichischen Exilanten, der für den Gedanken einer «offenen Gesellschaft» eintrat, in der individuelle Freiheit, Pluralismus und ungehinderte Nachforschung ganz oben stehen. Poppers Idee wurde von Soros zu seiner Sache gemacht.

Die grosse Inspiration seines Lebens: George Soros 1990 mit seinem Mentor Karl Popper. Open Society Foundations

Und diese Sache ist inzwischen hochgradig gefährdet. Unter Wladimir Putin ist Russland zur Autokratie zurückgekehrt, Polen und Ungarn haben dieselbe Richtung eingeschlagen. Angesichts des Aufstiegs von Donald Trump in den Vereinigten Staaten, wo Soros einer der grossen Sponsoren demokratischer Kandidaten und progressiver Gruppen ist, und der wachsenden Stärke der Rechtspopulisten in Westeuropa, sieht er seine Vision einer liberalen Demokratie selbst in ihren angestammten Hochburgen bedroht.

Nationalismus und engstirniges Stammesdenken sind im Kommen, Barrieren werden errichtet, Grenzen verstärkt. Soros sieht sich mit der Möglichkeit konfrontiert, dass das Anliegen, in das er den grössten Teil seines Vermögens investiert hat, und damit auch das letzte Kapitel seines Lebens zum Fehlschlag wird. Und nicht nur das. Er sieht sich obendrein in der beunruhigenden Position des Schurken vom Dienst für die Globalisierungsgegner. Sein Judentum und seine Karriere in der Finanzbranche machen ihn zur massgeschneiderten Projektionsfigur für Reaktionäre weltweit. «Ich stehe für Prinzipien ein, ob ich gewinne oder verliere», sagt Soros in diesem Frühjahr. «Leider», so fuhr er fort, «verliere ich im Augenblick zu viel an zu vielen Fronten.»

Am Abend vor seiner Ansprache in Paris lud Soros zum persönlichen Diner in seiner Suite im «Bristol», wo er für gewöhnlich absteigt. Das Hotel ist nicht nur eine der elegantesten Adressen der Stadt, es liegt auch bequem gerade mal ein Stück die Strasse hinauf vom Elysée-Palast – obwohl Soros diesmal nicht die Absicht hatte, beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron vorbeizuschauen, den er persönlich kennt und bewundert. Ein Assistent führte hinauf in die Suite und ins Speisezimmer, wo Soros bereits mit seiner Frau Tamiko zu Tisch sass. (Soros ist zum dritten Mal verheiratet und hat fünf Kinder – womit die Ähnlichkeiten mit Trump auch schon enden.)

Soros sprach bedächtig, mit nach wie vor starkem ungarischem Akzent, und gestikulierte dabei, wie zur Beschwörung seiner Worte, mit einer zur Kelle gekrümmten Hand. Zu Beginn des Gesprächs fegte ein Sturm über die Stadt hinweg. Ein besonders heftiger Donnerschlag brachte die Fenster zum Zittern, als das Wort Russland fiel. «Das war Putin», scherzte einer der Assistenten. 2015 hatte Putin Soros’ philanthropische Open Society Foundations (OSF) aus Russland ausgewiesen unter dem Vorwand, sie stellten ein Sicherheitsrisiko dar. Darüber hinaus sorgt der russische Staat für einen unablässigen Strom feindseliger Meldungen über Soros. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Trump in Helsinki äusserte Putin sich voller Hohn über ihn.

Ein Mann mit einer Mission

Paris war Soros’ erster Stopp auf einer einmonatigen Europareise. Normalerweise hätte er auch Budapest besucht, aber nicht diesmal. Ungarns Premier Viktor Orbán, ein ehemaliger Protegé Soros’, war im April wiedergewählt worden – nach einem Wahlkampf, in dem er Soros effektiv zum Gegner erklärt hatte. Orbán bezichtigte den amerikanischen Staatsbürger Soros einer Kabale, Ungarn mit muslimischen Migranten überschwemmen zu wollen, um das christliche Erbe des Landes zu unterminieren. Er griff Soros bei Wahlkundgebungen offen an; seine Regierung tapezierte die Reklametafeln des Landes mit Propaganda gegen den Milliardär. Im Gefolge der Wahlen kündigten die Open Society Foundations an, ihren Budapester Ableger schliessen zu wollen; man bange um die Sicherheit seines Personals. Auch die Zukunft der von Soros gegründeten Central European University in Budapest ist mittlerweile besiegelt, sie zieht 2019 nach Wien.

Soros sagte, er könne Ungarn unter den gegebenen Umständen unmöglich besuchen: «Das wäre toxisch», meinte er. Orbáns Kampagne, so sagte er, sei «eine arge Enttäuschung». Aber er schob rasch nach: «Ich mache wohl etwas richtig, wenn man sich ansieht, wer meine Feinde sind.»

Dieselbe Art von trotziger Herausforderung signalisierte er im Herbst 2017, als er bekannt gab, dass er dabei sei, den Grossteil seines verbliebenen Vermögens von damals 18 Milliarden Dollar den Open Society Foundations zu übertragen. Das macht das Konglomerat aus Stiftungen zur zweitgrössten philanthropischen Organisation nach der Bill & Melinda Gates Foundation. Es handelt sich dabei bereits heute um eine weitverzweigte Einrichtung mit etwa 1800 Mitarbeitern in 35 Ländern, einem weltweiten, acht regionalen und 17 themenorientierten Kuratorien. Mit ihrem Budget von einer Milliarde Dollar jährlich finanzieren sie Projekte unter anderem in den Bereichen Bildung, Gesundheit, unabhängige Medien, Immigration und Strafrechtsreform. Zu den Organisationen, die in den Genuss von Mitteln kommen, gehören Human Rights Watch, Amnesty International, die American Civil Liberties Union und Planned Parenthood.

Soros hatte die OSF eigentlich 2010 schliessen wollen. Er wollte nicht, dass sie ihn überlebten, aus Angst, sie könnten ihre Dynamik und ihren Unternehmergeist verlieren. Er überlegte es sich dann jedoch noch einmal, als ihm der Gedanke kam: «Ich habe mehr Geld, als ich zu Lebzeiten realistisch oder nutzbringend ausgeben kann.» Er sah ausserdem, dass, so fragil liberale Werte und Bürgergesellschaft heute vielerorts sind, die Arbeit der OSF wichtiger ist denn je. «Ich habe eine Mission gefunden», sagte er gegen Ende des Abendessens, «eine Nische, und hatte das Gefühl, damit etwas bewegen zu können.»

Sein Trotz gegen Stammesdenken, seine Unterstützung für Unterdrückte: Soros führt das auf die Erfahrung zurück, den Wahnsinn des Nationalsozialismus überlebt zu haben.

Einige Minuten später wurden wir mit den Problemen, gegen die Soros und die OSF angehen, völlig unerwartet konfrontiert. Einer von Soros’ Assistenten hatte uns im Aufzug nach unten begleitet, in der Lobby sahen wir eine lange Schlange, die sich von einem Ende des Raums zum anderen zog. Die Leute waren gekommen, um begeistert einen von Afrikas dienstältesten Autokraten zu begrüssen, Denis Sassou-Nguesso, den Präsidenten der Volksrepublik Kongo.

Tags darauf, ein paar Stunden nach Soros’ Ansprache vor dem European Council on Foreign Relations, zog Schauspielerin und Autorin Roseanne Barr auf Twitter vom Leder und lieferte damit eine anschauliche Demonstration dessen, womit er sich persönlich konfrontiert sieht. Soros arbeite auf «den Sturz der konstitutionellen US-Republik hin», tweetete sie. Ausserdem behauptete sie sogar, Soros – ein Überlebender des Holocaust – sei selbst ein Nazi gewesen. Zu denen, die den Nazi-Vorwurf retweeteten, gehörte auch Donald Trump junior. Roseanne Barr entschuldigte sich später bei Soros, nachdem sie aber im Mai auch die US-Politikerin Valerie Jarrett in einem Tweet rassistisch beleidigt hatte, wurde sie vom TV-Sender ABC entlassen und ihre Show «Roseanne» abgesetzt.

Seine Jugend in Ungarn

Soros’ persönlicher Darstellung zufolge sei das Jahr 1944 entscheidend für seine persönliche Entwicklung gewesen. Die Nazis fielen in Ungarn ein und begannen auf der Stelle mit der Deportation der Juden. Um die Seinen in Sicherheit zu bringen, besorgte sein Vater Tivadar Soros, ein Anwalt, falsche Papiere für den damals 13-jährigen George und dessen älteren Bruder Paul. Eines Tages beauftragte man George mit der Zustellung von Vorladungen im Namen des Ungarischen Judenrats. Tivadar, dem sofort klar war, dass es sich dabei praktisch um Deportationsmitteilungen handelte, wies seinen Sohn an, den Empfängern zu sagen, sie sollten ihnen auf keinen Fall Folge leisten.

Kurz darauf sorgte Tivadar dafür, dass Paul sich ein eigenes Zimmer mietete, und er brachte George bei einem ungarischen Beamten aus dem Landwirtschaftsministerium unter, der den Jungen als sein christliches Patenkind ausgab. Zu den Aufgaben dieses Beamten gehörte das Anlegen von Inventarlisten konfiszierten jüdischen Eigentums, der junge George begleitete ihn bei seiner Arbeit. Diese Episoden brachten ihm später den Vorwurf der Kollaboration mit den Nazis ein. Tatsächlich gibt es dafür nicht einen glaubwürdigen Hinweis, auch nicht, dass er auch nur ein Sympathisant gewesen wäre. George, sein Bruder und seine Eltern überlebten den Krieg. Soros sagt, diese Erfahrungen hätten ihm einen starken Trotz mit auf den Weg gegeben, eine Verachtung für engstirniges Stammesdenken und eine Neigung, sich auf die Seite der Unterdrückten zu stellen.

Nach dem Einmarsch deutscher Truppen werden im Sommer 1944 Juden in Ungarn deportiert. akg images

Als 1946 in Ungarn die Kommunisten an die Macht kamen, floh Soros nach England. Er studierte an der London School of Economics, wo damals Karl Popper Professor war. Popper hatte 1945 mit seinem Traktat «Die offene Gesellschaft und ihre Feinde» eine vehemente Attacke gegen den Totalitarismus geritten, sei es in seiner faschistischen, sei es in seiner marxistischen Ausprägung. Das Buch war eine eindringliche Verteidigung der liberalen Demokratie.

Der Erfinder der Hedgefonds

Poppers Seminar säte bei Soros nicht nur den Gedanken, der später seine Philanthropie beseelen sollte, sondern auch den Wunsch, ein geistiges Leben zu führen. Freilich galt es zunächst einmal, Geld zu verdienen. Als er 1956 nach New York zog, nahm er einen Job an der Wall Street an – mit dem Ziel, wie er im Gespräch sagte, binnen fünf Jahren 100’000 Dollar auf die hohe Kante legen zu können. Dies sollte ihm erlauben, seinen Finanzjob an den Nagel zu hängen und ein Gelehrtenleben zu führen. Stattdessen, so scherzte er während des Abendessens, «bot ich eine Überperformance».

1969 legte Soros den Grundstein für den späteren Quantum Funds. Es handelte sich dabei um eine neue Art von Investmentvehikeln, die man heute als Hedgefonds kennt. Sie sprachen institutionelle Anleger und Privatleute an und schlossen mithilfe von «Hebeln» (geborgtem Geld) Wetten von ungeheurem Ausmass auf Aktien, Anleihen, Währungen und Sachgüter ab.

Quantum war mit vierzig Prozent Rendite jährlich vom Fleck weg ein unglaublicher Erfolg beschert. Soros sollte sein Händchen für die Märkte später auf seine «Theorie der Reflexivität» zurückführen – im Prinzip der Gedanke, dass vorgefasste Meinungen und Wahrnehmungen der Leute Aktienkurse in Richtungen zu lenken vermögen, die nicht notwendigerweise auf der Realität basieren. Soros behauptete, seine Stärke als Investor bestehe darin, Augenblicke «fernab vom Gleichgewicht» zu erkennen, wie er das nannte, und danach zu handeln. Sein ältester Sohn Robert widerspricht, das mit der «Reflexivität» sei Unsinn. Er behauptet, seinem Vater sage eher dessen schlimmer Rücken, dass eine grosse Bewegung auf dem Markt bevorstand.

George Soros gilt als der beste Spekulant, den die Wall Street je gekannt hat. Dabei wollte er eigentlich nur 100’000 Dollar zur Seite legen. «Ich bot eine Überperformance», scherzt er.

Ende der 1970er-Jahre hatte Soros es zu einem immensen Vermögen gebracht. Damit hatte er die Mittel, in den Lauf der Geschichte einzugreifen. Er machte keinen Hehl aus seinem Ehrgeiz, wenn auch nicht ohne Selbstironie. Wie er 1991 in seinem Buch «Underwriting Democracy» schrieb: «Ich war ein eingefleischter Egoist, sah jedoch die Verfolgung eigensüchtiger Interessen als zu begrenzte Basis für mein ziemlich aufgeblähtes Ich. Um die Wahrheit zu sagen: Ich trug mich von Kindheit an mit durchaus messianischen Fantasien, die ich in den Griff bekommen wollte, damit mir ihre Ausmasse keine Probleme bescherten. Als ich es dann jedoch zu etwas gebracht hatte, wollte ich meinen Fantasien frönen, soweit ich mir das nun leisten konnte.»

Fotokopierer für den Untergrund

Er beschloss, sich die Öffnung geschlossener Gesellschaften zum Ziel zu machen. Er gründete eine Organisation, die er damals den Open Society Fund taufte, und begann 1979 mit der Vergabe von Stipendien an schwarze Studenten aus Südafrika. Bald jedoch richtete er seine Aufmerksamkeit auf Osteuropa, wo er Dissidentengruppen zu finanzieren begann. 1981 versorgte er die Streikenden der polnischen Solidarność und die tschechoslowakische Charta 77 mit Geld.

Eine geradezu geniale Aktion war die Lieferung von Hunderten von Fotokopierern nach Ungarn, um Untergrundpublikationen die Verbreitung ihrer Newsletter zu ermöglichen. Ende der 1980er-Jahre vergab er Dutzende von Stipendien an osteuropäische Studenten, um ihnen ein Studium im Westen zu ermöglichen. Der Gedanke dahinter war, eine Generation von freiheitlich denkenden liberal-demokratischen Führern heranzuziehen. Einer der Begünstigten war Viktor Orbán, der die Möglichkeit bekam, in Oxford die Geschichte des englischen Liberalismus zu studieren. So wurde der Exilant Soros von seinem Manhattaner Trading Desk aus eine merkwürdige Art antikommunistischer Revolutionär.

Zwischenzeitlich wuchs Quantum zu einem milliardenschweren Koloss heran. 1992 gelang sein berühmtester Deal: Er wettete gegen das britische Pfund. Die Währung war verwundbar, da sie an einem, wie es schien, unhaltbar hohen Kurs der damaligen D-Mark festgemacht war. Da Grossbritannien eine Rezession durchmachte, so Soros’ Kalkül, würde die britische Regierung sich früher oder später zu einer Entwertung des Pfunds entschliessen, anstatt weiter den hohen Zinssatz zu halten, der zur Verteidigung gegen spekulierende Investoren nötig war. Soros’ knappe Anweisung an seinen Cheftrader Stanley Druckenmiller lautete, «aufs Ganze zu gehen».

Glamouröse Schurken

Was Druckenmiller denn auch tat, und am Mittwoch, den 16. September 1992 – am «Schwarzen Mittwoch», wie man ihn später nennen sollte –, verzichtete die Bank von England auf die weitere Stützung des Pfunds. Sofort sackte der Kurs gegenüber der D-Mark ab, das Pfund fiel aus dem europäischen Wechselkursmechanismus und versetzte damit den Bemühungen um eine stärkere europäische Einigung einen schweren Schlag. Die Sterling-Krise machte Hedgefonds zu den glamourösen Schurken der Finanzwelt und demonstrierte die strafende Macht, die sie gegenüber politischen Entscheidungsträgern in der Hand hielten in einer Welt frei fliessenden Kapitals. Der Deal brachte Quantum 1,5 Milliarden Dollar ein, und Soros wurde für die britischen Gazetten «der Mann, der die Bank von England knackte». Sein Name war zum Markenzeichen geworden.

Der Spekulant, der Menschen in die Armut treibt, und der Wohltäter, der Menschen aus dem Elend hilft: Wie geht das zusammen?

Das Sowjetreich war zu diesem Zeitpunkt bereits zerfallen, und Soros verwandte Unsummen seines eigenen Geldes auf den Übergang von der kommunistischen Herrschaft zur Demokratie. So gab er beispielsweise 100 Millionen Dollar zur Unterstützung russischer Wissenschaftler aus, um sie davon abzuhalten, ihre Dienste an Länder zu verkaufen, die dem Westen nicht geneigt waren. Er verwandte 250 Millionen Dollar auf ein Programm zur Revision russischer Schulbücher und darauf, Lehrern kritisches Denken nahezubringen.

Es war eine Zeit westlicher Triumphe, in der man weithin davon ausging, dass Russland und andere eben «befreite» Länder unweigerlich den Weg liberaler Demokratien einschlagen würden – eine Ansicht, wie sie in Francis Fukuyamas berühmtem Essay von 1989 «Das Ende der Geschichte» zum Ausdruck kam.

Soros war sich da nicht so sicher. Dieser Teil der Welt hatte praktisch keine Tradition der Bürgergesellschaft und der liberalen Demokratie, und seiner Ansicht nach mussten diese gehegt werden, sollte die Region nicht wieder in die Autokratie zurückfallen. «Ich neige grundsätzlich dazu, das dunkelste Potenzial zu sehen», vertraute er im persönlichen Gespräch an. «Es ist etwas, was ich auf den Finanzmärkten sehr wirksam eingesetzt habe, und ich habe das auf die Politik übertragen.»

Auf dem Weg zum grossen Geld: George Soros 1962 als Analyst an der Wall Street. Open Society Foundations

In den 1990ern wechselte Soros zwischen seinem Brotjob und seiner philanthropischen Arbeit, und es war nicht immer leicht, die beiden Rollen klar voneinander zu trennen. Eine Zeitlang wurden Quantum und OSF vom selben Büro aus geleitet. Im Dezember 1992, drei Monate nach seiner Wette gegen das britische Pfund, gab Soros eine Spende über 50 Millionen Dollar für eine Wasseraufbereitungsanlage im kriegsgebeutelten Sarajevo bekannt. Es war fast unmöglich, nicht sofort auf den Gedanken zu kommen, dass dieses Geld nicht quasi geradewegs aus der britischen Staatskasse kam. Soros beschrieb seine zweigleisige Existenz einmal ziemlich bildstark, als er sagte, er komme sich vor «wie ein riesiger Verdauungstrakt, der auf der einen Seite Geld aufsaugt und es auf der anderen Seite wieder hinausdrückt».

Der Schlag gegen Thailand

Falls das Bild stimmt, konnte eine Verdauungsstörung nicht ausbleiben. Sie kam 1997, als Quantum im Zentrum einer spekulativen Attacke auf den Thai-Bhat stand. Die Episode war fast eine exakte Wiederholung dessen, was sich damals mit dem britischen Pfund abgespielt hatte, Quantum verdiente diesmal etwa 750 Millionen Dollar. Es gab jedoch einen entscheidenden Unterschied: War Grossbritannien ein starkes Industrieland, das den Schlag gegen seine Währung letztlich wegsteckte, handelte es sich bei Thailand um ein Schwellenland, für dessen Wirtschaft waren die Folgen verheerend. Die Produktion knickte ein, Banken und Geschäfte gingen pleite, und viele Menschen verloren ihre Arbeit.

Die Bhat-Krise zog Kreise in anderen asiatischen Ökonomien. Der malaiische Premier Mahathir Mohamad bezeichnete Soros und andere Spekulanten deshalb als «skrupellose Profiteure», ihr unmoralisches Treiben sei ohne den geringsten sozialen Wert. Soros wies die Kritik zurück, aber als Investoren im Herbst 1997 die indonesische Rupiah aufs Korn nahmen, gehörte Quantum nicht mehr dazu. Ebenso wenig schloss das Unternehmen sich an, als die Meute sich im Folgejahr den russischen Rubel vornahm. Nachdem er bereits Hunderte von Millionen Dollar in den Versuch einer Stabilisierung Russlands gesteckt hatte, hätte Soros mit einer Wette gegen die russische Währung seine eigene Arbeit untergraben. Er musste schliesslich einen Verlust von 400 Millionen Dollar akzeptieren.

«Hier wurde die Entscheidung zwischen dem Philanthropen und dem Investor schwierig», sagt Rob Johnson, ein langjähriger Mitarbeiter Soros’, der in den 1990ern Portfoliomanager bei Quantum war. Damals jedoch, so Johnson, leitete Soros den Hedgefonds nur noch, um die nötigen Mittel für seine philanthropischen Anliegen zu generieren.

In einer Ansprache vor Studenten und Lehrkörpern der Staatlichen Universität Moldawien wurde Soros 1994 bemerkenswert persönlich, als er erklärte, wieso er zum politischen Philanthropen geworden sei. Sein Ziel, so sagte er, sei es gewesen, Ungarn zu einem Land zu machen, «aus dem ich nicht auswandern möchte». Zu diesem Zweck überschüttete er Ungarn nach dem Fall der Berliner Mauer geradezu mit Geld und Ressourcen. Anfang der 1990er-Jahre steckten die OSF fünf Millionen Dollar in ein Frühstücksprogramm für ungarische Schulkinder und pumpten zudem Millionen in die Modernisierung des ungarischen Gesundheitssystems.

Als Orbán von Soros’ Geld profitierte

Alles in allem hat Soros seit 1989 in Ungarn Projekte mit etwa 400 Millionen Dollar finanziert – nicht mitgezählt sind hier die 250 Millionen Dollar Stiftungskapital für die Central European University, die 1991 in Prag den Lehrbetrieb aufnahm, zwei Jahre später nach Budapest umzog und seither über 14’000 Studierende aus Osteuropa und Zentralasien ein Studium ermöglicht hat.

Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre zog sich Soros darüber hinaus eine Reihe junger Aktivisten heran, denen er zutraute, Ungarn wieder zu einem Ort zu machen, aus dem er nicht noch einmal würde auswandern wollen. Zu diesen gehörte Viktor Orbán, ein intelligenter charismatischer Student und – wie es schien – ein leidenschaftlicher Demokrat. Abgesehen davon, dass er Orbán ein Stipendium für einen Studienaufenthalt in Oxford zukommen liess, spendete Soros Fidesz (dem Bündnis Junger Demokraten), einer Studentenorganisation, die Orbán mitbegründete und die sich schliesslich zu seiner politischen Partei entwickelte.

In den 1990er-Jahren jedoch vollzog Orbán einen Rechtsschwenk. 1998 zum Premier gewählt, regierte er als Mainstreamkonservativer, betonte Patriotismus und traditionelle Werte. Nach aussen hin blieb er prowestlich, Ungarn trat der Nato bei und legte das Fundament für die Aufnahme in die Europäische Union. Der Schock einer unerwarteten Niederlage bei den Wahlen 2002 schien Orbán zu radikalisieren. Als er sich 2010 wieder auf den Posten des Premiers gewählt sah, machte er sich skrupellos an die Konsolidierung seiner Macht. Er besetzte die Gerichte mit Fidesz-Loyalisten, seine Anhänger kauften gleich mehrere unabhängige Medien auf.

Gleichzeitig wandte er sich vom Westen ab und Wladimir Putin zu. 2014 gelang Orbán die Wiederwahl. Im Jahr darauf stand Europa unter dem Zeichen der Flüchtlingskrise, Zehntausende kamen an Ungarns Grenzen zum Stehen. Die Regierung Orbán liess einen Zaun von 175 Kilometern Länge zur serbischen Grenze bauen. Ausserdem weigerte sie sich dann auch später noch, einem Quotenplan der Europäischen Union nachzukommen, demzufolge auch Ungarn Asylsuchende hätte aufnehmen sollen.

Das «Stoppt Soros»-Gesetz

Von den OSF finanziell unterstützte Gruppen leisteten den Flüchtlingen Hilfe, die sich entlang der ungarischen Grenze sammelten, und genau das lieferte den Vorwand zu Orbáns Krieg gegen Soros. Das ungarische Parlament verabschiedete ein Gesetz, laut dem sich nichtstaatliche Organisationen (NGOs) beim Staat zu registrieren und ausländische Einkommensquellen über einer bestimmten Grösse anzumelden haben. Ausserdem wurde ein Gesetz beschlossen, das der Central European University das Recht entziehen sollte, in Ungarn Diplome zu vergeben. Die Regierung Orbán legte unter dem Motto «Stoppt Soros» ein Gesetz vor, das die Unterstützung illegaler Flüchtlinge unter Strafe stellte. Im April 2018 wurde es verabschiedet.

Orbán liess Ungarn mit Plakaten tapezieren, auf denen stand: «Lass Soros nicht zuletzt lachen.» Der lachende Jude – diese Propaganda hatten wir schon mal.

Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Budapest nannte Orbán Soros «Onkel George», als er Zehntausenden seiner Anhänger sagte, «wir kämpfen gegen einen Feind, der anders ist als wir. Der nicht offen arbeitet, sondern versteckt; der nicht geraderaus ist, sondern verschlagen; nicht ehrlich, sondern gemein; nicht national, sondern international; der nicht an die Arbeit glaubt, sondern ans Spekulieren mit Geld; der selbst keine Heimat hat, aber dafür das Gefühl, die Welt gehöre ihm.» Über derart hitzige Reden hinaus tapezierte man die Reklamewände mit dem Konterfei eines lächelnden Soros und dem Slogan: «Lass Soros nicht zuletzt lachen.» Der lachende Jude war bereits eine Metapher der Nazipropaganda gewesen. Den Vorwurf, die Plakatwände seien antisemitisch, stritt Orbán ab.

Orbáns Koalition brachte es auf 49 Prozent der Stimmen, genug für eine qualifizierte Mehrheit im Parlament. Die Kampagne gegen Soros endete freilich nicht mit der Wahl. Wenige Tage nach der Abstimmung veröffentlichte ein Magazin im Besitz einer Orbán nahestehenden Geschäftsfrau die Namen von mehr als 200 Leuten mit der Behauptung, «Söldner» Soros’ in Ungarn zu sein. Auf der Liste stehen auch Vertreter von Menschenrechtsgruppen, Antikorruptionswächter sowie Professoren und Verwalter der Central European University. Mitte Mai 2018 gaben die OSF die Schliessung ihres Budapester Büros bekannt, das für fast die Hälfte aller internationalen Fördermittel verantwortlich war.

Patrick Gaspard, der Präsident der OSF, bezeichnete Sprache und Bilder, mit denen Orbán gegen Soros ins Feld zog, als «geradezu gewalttätig». Die Drohung des ungarischen Premiers, die Nachrichtendienste des Landes auf die OSF anzusetzen, mache der Stiftung den Verbleib in Budapest unmöglich, ergänzt Gaspard. «Wir müssen an die Sicherheit unserer Mitarbeiter und unserer Daten denken.» Man verlegt das Büro nach Berlin.

Der fehlende Glaube an den Liberalismus

Warum hatte Orbán das Gefühl, Soros delegitimieren zu müssen, um die Wahlen zu gewinnen? Einige Beobachter haben eine psychologische Erklärung: Mit dem Hinweis, Orbán habe eine turbulente Beziehung zu seinem eigenen Vater gehabt und grundsätzlich ein Autoritätsproblem, stellen die Hiebe auf Soros für sie eine Art Vatermord oder die Tötung seines politischen Paten dar.

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Orbán dank fremdenfeindlichen Ressentiments gewann, scheint die Frage gar nicht so abwegig, ob Soros’ Arbeit in Ungarn – und in einem Grossteil Osteuropas überhaupt – nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Mit Putinismus und Orbánismus weiter auf dem Vormarsch und dem 30. Jahrestag des Mauerfalls am Horizont ist die Diskussion um die Bedeutung der Ereignisse von 1989 ebenso wieder aufgeflammt wie die Debatte darüber, ob Russen, Polen und Ungarn denn tatsächlich die ganze Liste westlicher liberaler Werte je hatten annehmen wollen.

Die Wende zu liberalen Demokratien in Osteuropa? Ein Projekt der prowestlichen Eliten, sagt Francis Fukuyama. Geschickte Manipulatoren genügen – und die Stimmung kippt.

Der US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama gehört zu denen, die ihre Zweifel daran haben. «Es gibt heute eine Vielzahl von Hinweisen darauf, dass vieles an dieser Wende zur liberalen Demokratie in den ersten Tagen nach dem Fall der Berliner Mauer von einer gebildeten, ausgesprochen prowestlichen Elite getrieben war», sagte er jüngst. Weniger Gebildete jedoch, vor allem Menschen ausserhalb der grossen städtischen Ballungsräume, «haben nie wirklich an den Liberalismus geglaubt, an den Gedanken eines multiethnischen Vielvölkerstaats, in dem die traditionellen Werte der Gemeinschaft der gleichgeschlechtlichen Ehe und Zuwanderern und dergleichen mehr weichen würden».

Fukuyama betonte jedoch auch, dass es bestimmter Ereignisse und geschickter Manipulatoren bedürfe, um die Kräfte der Intoleranz zu wecken. In Ungarn seien die weltweite Finanz- und die Flüchtlingskrise die Lunten gewesen, und Orbán habe sich als ausgesprochen geschickt erwiesen, den Funken zu liefern. Leonard Benardo, der Vice President der OSF, drückte eine ähnliche Beobachtung aus. Die Ressentiments gegen die Europäische Union, die man, wie er sich ausdrückte, als eine «die ungarische Identität emaskulierende Kraft» begreife, gepaart mit ökonomischen Ängsten, machten die Ungarn empfänglich für Orbáns Appeal. «Ungarn sind nicht an sich unverbesserliche Rassisten», sagte Benardo. «Leute wie Orbán, die auf die ethnische Masche reisen, rühren um der politischen Unterstützung willen an die finstersten Ängste der Menschen, ihnen ist um eine Wir-gegen-die-Mentalität.»

Auf dem Weg zu grosser Macht: Viktor Orbán spricht 1989 in Budapest als einer der Gründer des Bundes Junger Demokraten (Fidesz). MTI/Istvan Csaba Toth/AP Photo/Keystone

Der Vater und der Nazi

War Soros’ Engagement in Ungarn rausgeschmissenes Geld? «Ich mache dem ungarischen Volk keinen Vorwurf», sagte er im Gespräch. «Im Gegenteil, ich bewundere die Leute für ihre Bereitschaft, sich gegen die Unterdrückung zu erheben und für ihre Freiheit zu kämpfen.» Und er fügte hinzu: «Wir müssen da zwischen Volk und Regierung unterscheiden.»

Dann erzählte er eine Geschichte aus dem Jahr 1944, von einer Unterhaltung seines Vaters mit einem Nazioffizier in einem Café. Mit verhaltener Stimme habe der Offizier seine Zweifel hinsichtlich der Befehle eingeräumt, die er auszuführen hatte. Sein Vater – der Jude, der seine Herkunft verheimlichte und ein entschiedener Gegner der Nazis war – habe den Mann mit dem Hinweis auf die schwierigen Umstände zu trösten versucht. Sein ganzes Leben lang erzählte Soros senior diese Geschichte, um darauf hinzuweisen, welch entscheidende Rolle die jeweiligen Umstände spielten und dass die Reaktion der Menschen nicht notwendigerweise etwas über ihre wahren Gefühle sage. Eine Lektion, die sein Sohn heute auf Orbáns Ungarn anwendet. Auf die Frage, ob er das Land je wieder besuchen werde, antwortete George Soros: «Ich hoffe doch.» Sehr überzeugt klang es nicht.

Zwei Wochen später rief Präsident Trump Orbán an, um ihm zur Wiederwahl zu gratulieren.

Die Enttäuschung über Obama

Während der Amtszeit George W. Bushs entwickelte Soros sich zu einem der grossen politischen Geldgeber. Aufgebracht über die Anstrengungen der Regierung Bush, die seiner Ansicht nach unter dem Deckmäntelchen des Kriegs gegen den Terror Angst schürte und jeden Dissens erstickte, gab er Unsummen sowohl für einzelne demokratische Kandidaten als auch überhaupt für progressive Anliegen aus. Er half mit dem Center for American Progress einen liberalen Thinktank zu finanzieren, unterstützte MoveOn.org und – mit über 20 Millionen Dollar – John Kerrys erfolglosen Versuch, Bush eine zweite Amtszeit zu verwehren.

Er war jedoch nicht nur ein generöser Spender, er nahm auch kein Blatt vor den Mund. So bezichtigte er die Regierung Bush, sich Nazipropaganda-Techniken zu bedienen, und sagte später, nachdem Bush das Weisse Haus verlassen hatte, die USA müssten sich einem «Entnazifizierungsprozess» unterziehen.

Soros unterstützte auch als einer der Ersten Barack Obamas Wahlkampf von 2008. Beim Abendessen in Paris nannte Soros Obama «meine eigentlich grösste Enttäuschung». Auf die Nachfrage eines seiner Assistenten hin präzisierte er seine Aussage: Seine Enttäuschung beziehe sich nicht etwa auf Obamas Präsidentschaft selbst, er sei vielmehr auf professioneller Ebene enttäuscht. Auch wenn ihm nicht nach einer offiziellen Rolle in der Regierung gewesen sei, habe er durchaus gehofft, Obama würde seinen Rat suchen, vor allem in finanziellen und wirtschaftlichen Fragen. Stattdessen schloss man ihn aus.

Nachdem man Obama gewählt hatte, sagte Soros, «schlug man mir die Tür vor der Nase zu. Er rief mich einmal an, um mir für meine Unterstützung zu danken, ein Anruf, der fünf Minuten dauern sollte, und ich verwickelte ihn in ein Gespräch, zog den Anruf auf acht Minuten hinaus, er musste also drei Minuten länger mit mir reden.» Er sei da einem Charakterzug Obamas auf den Leim gegangen: «Schon in der Zeit, als er sich als Herausgeber der ‹Harvard Law Review› bewarb, war er dafür bekannt, dass er jede Unterstützung für selbstverständlich nahm und seine Gegner umwarb.»

Bei aller Ablehnung von Präsident Donald Trump: George Soros gesteht ihm zu, im Umgang mit Nordkorea das Risiko eines Atomkriegs gemindert zu haben.

Während des Wahlzyklus 2016 trug Soros über 25 Millionen Dollar zu Hillary Clintons und den Kampagnen anderer demokratischer Kandidaten und Anliegen bei. Dass jemand wie Trump auftauchen könnte, hatte er zwar vorausgesehen: «Die amerikanische Öffentlichkeit», schrieb er 2007 im «Guardian», «hat sich für die Manipulation der Wahrheit, die den politischen Diskurs des Landes zunehmend dominiert, als bemerkenswert empfänglich erwiesen.»

Millionen für das Ende von Trump

Aber als dieser Jemand sich als Donald Trump selbst erwies, war er so überrascht wie alle anderen auch. Soros sagte im Gespräch, er kenne Trump beiläufig und hätte sogar privat mit ihm zu tun gehabt: Vor etwa dreissig Jahren habe eine Bekannte von ihm etwas mit jemandem aus Trumps Führungsriege gehabt und sie seien einige Male zusammen essen gewesen. «Von irgendwelchen politischen Ambitionen seinerseits hatte ich keine Ahnung», sagte Soros. Trump hatte ihn zu überreden versucht, sich als Zugpferd in einem seiner Geschäftsgebäude einzumieten, erzählte er. «Ich habe ihm gesagt, ich könne mir das nicht leisten», erinnerte sich Soros und lachte kurz auf.

Er habe «ziemliche Angst» gehabt, sagte er, dass Trump «eher die Welt in die Luft jagen würde, als dass sein Narzissmus ihn einen Rückschlag würde einstecken lassen». Entsprechend froh sei er, dass sein Ego den Präsidenten stattdessen Nordkorea die Hand hatte reichen lassen. «Ich denke, die Gefahr eines Atomkriegs ist beträchtlich zurückgegangen, und das ist eine grosse Erleichterung.»

In seiner jährlichen Ansprache zum Stand der Welt in Davos sagte Soros dieses Jahr, Trump «würde gern einen Mafiastaat aufbauen, was aber nicht geht, weil die Verfassung und andere Institutionen und eine starke Zivilgesellschaft das nicht zulassen werden». Ausserdem charakterisierte er Trump als «rein temporäre Erscheinung, die 2020 oder sogar noch früher verschwinden» werde. Freilich hatte Soros Anfang 2018 auch für die Kongresswahlen einen demokratischen Erdrutsch vorausgesagt und an dieser Prognose bei unserer Begegnung im Mai festgehalten. Im Vorfeld der Zwischenwahlen hatte er gut 15 Millionen Dollar zur Unterstützung demokratischer Kandidaten und Anliegen ausgegeben. «Für jeden Trump-Anhänger, der Trump durch dick und dünn folgt», sagte Soros damals, «gibt es mehr als einen Trump-Feind, der noch zielstrebiger und noch entschlossener ist.»

Der «erdrutschartige Sieg» der Demokraten blieb aus, dennoch tut Soros weiterhin das Seine, um die Ära Trump so kurz wie möglich zu halten.

Auf die Frage, ob er Bernie Sanders unterstützen würde, wenn der Senator aus Vermont für 2020 die Nominierung der Demokraten gewinnt, meinte Soros, es sei zu früh, dazu etwas zu sagen. Immerhin brachte er sein Missfallen über die Rolle der New Yorker Senatorin Kirsten Gillibrand beim Rücktritt von Senator Al Franken zum Ausdruck: «Sie benutzte #MeToo für ihr persönliches Vorwärtskommen.»

Stiller Spender? Soros redet gern

Sein wesentliches Ziel als politischer Aktivist sei es, und das ist eine ziemlich überraschende Aussage im Lichte seiner üppigen Unterstützung für die Demokraten, die Rückkehr der Überparteilichkeit zu sehen. Es sei der Extremismus der Republikaner gewesen, sagte er, der ihn dazu veranlasst hatte, einer der grossen Parteispender der Demoraten zu werden. Er würde gern eine Reform der Republikaner erleben, zu einer gemässigteren Partei.

Er selbst, so sagt Soros, sei nicht einmal so parteiisch: «Ich sehe mich nicht unbedingt als Anhänger der Demokraten.» Er brachte seinen Respekt für John McCain zum Ausdruck. Er sagte sogar, er wäre geneigt, gemässigte Republikaner wie Lisa Murkowski und Susan Collins zu unterstützen. Aber er nahm diese Bemerkung gleich wieder zurück: «Ich sollte so was nicht sagen. Es würde ihnen schaden.» Und auch wenn die Republikaner eine Überparteilichkeit praktisch unmöglich gemacht hatten, möchte er nicht erleben, dass die Demokraten sich ideologisch noch mehr versteifen und in noch höherem Masse auf Konfrontation gehen.

Soros’ wechselseitige Sicht seiner Beziehung zu den Demokraten scheint durchaus auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Sein Geld ist willkommen, schliesslich wird es gebraucht. Dennoch scheint bei den Demokraten hinsichtlich seiner Person eine gewisse Ambivalenz zu herrschen. Das liegt nicht zuletzt an seiner unverblümten Art. Elaine Kamarck, Senior Fellow an der Brookings Institution und langjährige Strategin der Demokraten, hat es wohl am besten gesagt: «Die besten Spender sind stille Spender; nichts zu sagen, ist gut.»

Ein grösseres Problem ist, dass die Demokraten sich einer Reform der Wahlkampffinanzierung verschrieben haben und entsetzt sind über die Auswirkungen der Citizens-United-Entscheidung auf die amerikanische Politik. 2010 hatte das Oberste Gericht darin Milliardären wie Soros das Recht zugesprochen, für politische Kampagnen unbegrenzte Summen auszugeben. Kamarck zufolge könnten die Demokraten nach dieser Entscheidung unmöglich «einseitig abrüsten» und Spenden von Plutokraten wie Soros verschmähen. Dennoch herrsche innerhalb der Partei hinsichtlich milliardenschwerer Spender ein erheblich grösserer Dissens als bei den Republikanern.

Die Zweifel bei der Linken

Auch wenn Soros es bei vielen Themen mit der Linken hält, so haben einige auf der Linken seit langem ihre Zweifel an ihm. In den 1990er-Jahren galt er bei der extremen Linken als Agent des amerikanischen Imperialismus, der Osteuropa die sogenannte neoliberale Agenda, etwa die Massenprivatisierung, aufzwingen half. Für andere Kritiker war es Soros’ Wall-Street-Hintergrund, der gegen ihn sprach.

Und dann war da noch ein gewisses Unbehagen hinsichtlich seiner Philanthropie – nicht deren Ziele an sich, sondern hinsichtlich dessen, was man dahinter sah. Soros gehört zur Vorhut von etwas, wofür mittlerweile der Begriff des «Philanthrokapitalismus» geprägt wurde, der für gross angelegte soziale Investitionen von Milliardären wie Bill Gates, Mark Zuckerberg und Soros selbst steht. (2017 führte «Forbes» Soros in der Liste der reichsten Amerikaner auf dem zwanzigsten Platz.) Die, die sich daran stossen, sehen darin die Privatisierung der Sozialpolitik – und dass die erheblichen Steuervorteile, die mit karitativen Spenden verbunden sind, den öffentlichen Sektor um Mittel bringen, die letztendlich der öffentlichen Wohlfahrtspflege fehlen.

Soros sieht sich selbst als Nichtideologen. Auch die US-Republikaner würde er unterstützen, wären sie gemässigter.

Auf die Bitte einer ideologischen Einordnung seiner selbst antwortet Soros lachend: «Meine Ideologie ist nichtideologisch. Ich bin im Club der Nichtclubs.» Gegen den Vorschlag, «mitte-links» würde seine Ansichten doch wohl am besten charakterisieren, erhebt er Einspruch, es sei nicht klar, wo er dieser Tage stehe, weil die Linke sich weiter nach links bewegt habe, eine Entwicklung, die ihm gar nicht gefalle: «Ich bin gegen die extreme Linke. Sie sollte aufhören, mit den Extremisten von rechts schritthalten zu wollen.»

Ein Vormittag in Paris, zum Kaffee mit Alex Soros, 32, dem zweitältesten von Soros seniors fünf Kindern. Drahtig und sorgfältig in der Wortwahl, hat er erst jüngst seinen Doktor in Geschichte an der University of California in Berkeley gemacht. Jetzt war er in Eigenregie philanthropisch tätig, arbeitete aber darüber hinaus für die OSF. Er ist etwas müde, er hatte die halbe Nacht an einem Kommentar für «The Daily News» gearbeitet – in Reaktion auf Roseanne Barrs Nazi-Tweet.

Eine sichere Welt für Juden

Als das Koffein schliesslich seine Wirkung tut, sagt Alex, dass sein Vater viele Jahre über nicht sonderlich erpicht darauf gewesen sei, sein Judentum gross zum Thema zu machen, immerhin «hatte man ihn deswegen um ein Haar umgebracht». Er habe sich jedoch immer «in erster Linie als Juden gesehen», und seine Philanthropie sei letzten Endes ein Ausdruck seiner jüdischen Identität, insofern er eine Solidarität mit anderen Minoritäten verspüre. Ausserdem sei ihm klar geworden, dass ein Jude nur in einer Welt wirklich sicher sein kann, in der alle Minoritäten sicher sind. Zur Erklärung der Motivation seines Vaters sagte er: «Der Grund, aus dem man für eine offene Gesellschaft kämpft, ist der, dass es die einzige Gesellschaft ist, in der man als Jude leben kann – es sei denn, man wird zum Nationalisten und kämpft nur für seine Rechte in seinem eigenen Staat.»

Aber Soros’ jüdische Identität, gepaart mit seinem Status als Wall-Street-Milliardär, gab denen, die seine Agenda nicht unterstützen wollten, ein wohlfeiles Mittel an die Hand, Argwohn und Ressentiments zu säen. Und von dem Augenblick an, in dem er sich in Osteuropa engagierte, sah er sich als Jude angefeindet. Die Anspielungen haben nie aufgehört, es gibt einige Menschen, die den gegen Soros gerichteten Antisemitismus – zumindest in Orbáns Ungarn – als eine vom Staat gesponserte Seuche halten.

Nun kam es aber zu einer bizarren Wendung: Vergangenes Jahr postete ein Sohn des israelischen Premiers Benjamin Netanyahu einen antisemitischen Cartoon über Soros auf seiner Facebook-Seite. Netanyahu senior hat Soros selbst des Öfteren geschmäht wegen seiner finanziellen Unterstützung von Gruppen, die Israels Umgang mit den Palästinensern kritisch gegenüberstehen. Und dann taucht selbstverständlich immer wieder der Vorwurf auf, Soros sei selbst ein Nazi gewesen.

In den USA sind die Ressentiments gegen Soros ein eher jüngeres Phänomen. Er wurde dort zur Zielscheibe für allerhand Attacken von rechts, als er der Demokratischen Partei zu spenden begann. Bei einem Auftritt bei Fox News 2004 unterstellte der damalige Sprecher des Repräsentantenhauses Dennis Hastert Soros Verbindungen zu Drogenkartellen, als er dem Moderator Chris Wallace gegenüber sagte: «Ich weiss nicht, wo George Soros sein Geld herbekommt. Ich weiss nicht, woher – ob es aus Übersee kommt oder von Drogengruppen oder wo immer es herkommt.»

Die Bemühungen, Soros zu verteufeln, sind so unbarmherzig wie erfolgreich. Mit ihrer Unterstellung, Soros plane einen Coup gegen den amerikanischen Staat, wiederholte Roseanne Barr nur eine Behauptung von – unter anderen – Ginni Thomas. Die Gattin von Clarence Thomas, dem Vorsitzenden des Obersten Gerichts, hatte auf ihrer Facebook-Seite ein Meme gepostet, demzufolge Soros an einer Verschwörung zum Sturz von Präsident Trump und unserer «konstitutionellen Republik» beteiligt sei.

Strippenzieher einer linken Verschwörung

Soros wird immer wieder als Deus ex Machina der amerikanischen Politik dargestellt, als Mann, der eigenhändig die Strippen einer weitläufigen linken Verschwörung zieht. Sein geschicktes Händchen – und seine Brieftasche – waren angeblich verantwortlich für die Proteste von Footballspielern, für die Unruhen in Ferguson, Missouri, und die Ausschreitungen in Charlottesville.

Soros’ Gegner auf Twitter führen nicht nur praktisch jedes nationale Trauma, sondern auch jeden Rückschlag für die Konservativen auf ihn zurück oder auf eine noch so fadenscheinige Verbindung mit ihm. Und diese Anwürfe beschränken sich beileibe nicht auf Randgruppen des digitalen Raums. So stammt etwa die Behauptung, Soros habe mit den Protesten gegen rechts in Charlottesville zu tun, von Paul Gosar, einem republikanischen Abgeordneten aus dem Repräsentantenhaus. Nachdem ein Sexskandal um den ehemaligen Gouverneur von Missouri Eric Greitens ruchbar geworden war, liess die Republikanische Partei des Staats offiziell verlauten, dass Greitens Opfer eines von Soros inszenierten «politischen Anschlags» geworden sei.

Wer auch immer mit Soros in Verbindung gebracht werden kann, wird verteufelt. Seine Brieftasche scheint verantwortlich für alles Böse auf der Welt.

Man kann heute wohl getrost sagen, dass «Soros» mittlerweile «Hillary» für eine gewisse Fraktion von Republikanern und Konservativen als Reizauslöser überrundet hat. Im April 2018 berichteten konservative Medien, Kimba Wood – die Richterin, die dem Prozess gegen Trumps ehemaligen Anwalt Michael Cohen vorsass – hätte 2013 Soros’ dritte Trauung vorgenommen. Warum das ein Problem sein sollte, erklärten sie nicht, offensichtlich war das selbstredend.

2014 wurde Mark Malloch-Brown, ehedem stellvertretender Generalsekretär der Vereinten Nationen und langjähriger Soros-Protegé, Chef einer kleinen Firma namens Smartmatic, die auf elektronische Wahltechnologie spezialisiert ist. Den obsessiveren von Soros’ Gegnern war das ausreichender Beleg dafür, dass er auf die Manipulation von Wahlergebnissen spekulierte.

Die Firma selbst fühlte sich bemüssigt, mit einem Dementi auf ihrer Website darauf hinzuweisen, dass George Soros keinerlei Anteile an Smartmatic besitze und die Technologie bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 gar nicht zum Einsatz gekommen sei. Darauf angesprochen, sagt Malloch-Brown, das sei nun mal der Preis dafür, in irgendeiner Weise mit Soros zu tun zu haben: «Ich trage es wie ein Ehrenabzeichen, aber es haftet allem an, was ich tue.»

Das unüberhörbare Echo des Antisemitismus

Vieles von dem, was auf Facebook, Twitter und in den Medien vom rechten Flügel über Soros gesagt wird, ist nicht eigentlich offen antisemitisch. Und es ist gut möglich, dass einige von denen, die diese Ansichten verbreiten, noch nicht einmal wissen, dass er Jude ist. Aber das Echo ist nicht zu überhören. Glenn Beck benutzte seine Sendung auf Fox zur Verbreitung wilder Verschwörungstheorien über Soros. 2010 produzierte er ein mehrteiliges Special, das George Soros schon im Titel als «Marionettenspieler» bezeichnet und das wegen seiner antisemitischen Untertöne weithin auf Kritik stiess. Allein Soros, den Juden, als Marionettenspieler zu bezeichnen, der die Fäden der Menschheit zieht, ist eine uralte antisemitische Metapher.

In jüngerer Zeit hat sich die sogenannte Alt-Right-Bewegung zu einem der wesentlichen Motoren der Soros-Paranoia entwickelt. So präsentiert die Onlineplattform «Breitbart» ihn als «Erz-Globalisten», der für die unbegrenzte Zuwanderung und eine Welt frei von Grenzen sei. (Beide Behauptungen sind unwahr.) Soros war einer der prominenten Juden in Trumps letztem Wahlkampfspot 2016, den man weithin als antisemitisch empfand. Verantwortlich für Trumps Wahlkampf war Steve Bannon, der ehemalige Chef von «Breitbart». Bei einer Europareise im März 2018 lobte Bannon Viktor Orbán als «Helden» und bezeichnete ihn als den gegenwärtig «wichtigsten Mann der politischen Bühne».

So eindeutig die Angriffe gegen Soros sich auch oft anhören mögen, die Leute dahinter achten für gewöhnlich sorgsam darauf, hinsichtlich ihres antisemitischen Kontexts ein gewisses Mass an Bestreitbarkeit zu bewahren. Wenn auch nicht immer. Alex Jones, Betreiber der Verschwörungswebsite Infowars, sagte 2017 den Hörern seiner Radioshow, «es gibt zweifellos eine jüdische Mafia» und deren Kopf sei Soros. Als er behauptete, «einer der grössten Feinde der Juden ist die jüdische Mafia» und Soros habe «es auf die Juden abgesehen», arbeitete er mit derselben verdrehten Logik, die später aus Roseanne Barrs Tweet herauszuhören war.

Grossbritanniens Ja für den Austritt aus der Europäischen Union war ein persönlicher Schlag für Soros, der nicht nur anglophil ist, sondern sich auch nachdrücklich zu einem vereinten Europa bekennt. Nach dem Volksbegehren unterstützte er mit einer halben Million Dollar Malloch-Browns «Best for Britain», eine Organisation, die sich für ein zweites Volksbegehren einsetzt, um den Brexit rückgängig zu machen. Norman Lamont, Schatzkanzler während der Krise um die Entwertung des Pfunds 1992 und damit im Prinzip derjenige, der persönlich bei Soros’ meistgefeiertem Deal den Kürzeren zog, sagte einem Reporter recht spitz: «George Soros ist ein brillanter Finanzier, aber er sollte bei seinen Leisten bleiben und sich aus der britischen Politik heraushalten.»

Trägt Soros späte Schuld am Brexit?

London, im April 2018. Lamont ist mittlerweile Angehöriger des Oberhauses und ein glühender Verfechter von Grossbritanniens Austritt aus der Europäischen Union. Er beteuert, des «Schwarzen Mittwochs» wegen keinerlei Ressentiments gegen Soros zu hegen. Dessen ungeachtet sei der Brexit seiner Ansicht nach eine britische Angelegenheit, in der Geld aus dem Ausland nichts verloren habe. Dass Soros auch in London einen Wohnsitz und ein Büro habe, tue da nichts zur Sache. «Er kann hier nicht wählen», sagt Lamont. Seiner Ansicht nach untergrabe Soros’ Bemühen um ein zweites Volksbegehren die britische Demokratie. «Meiner Ansicht nach», sagt er, «hätte es eine unglaubliche Enttäuschung über den politischen Prozess zur Folge, würde man dieses Ergebnis annullieren.»

Unbestritten ist: Hedgefund-Titanen wie George Soros sind ein wirkungsvolles Symbol für die Ungleichheit.

Während des Abendessens mit Soros kam die Rede darauf, dass einige politische Beobachter eine direkte Linie zogen vom «Schwarzen Mittwoch» zum Brexit: Die Krise von 1992 stärke die Position der Euroskeptiker bei den britischen Konservativen, eben der Faktion, die sich schliesslich für das Volksbegehren über den Austritt aus der EU starkmachte und ihren Willen denn auch bekam. Was würde Soros einem Brexit-Anhänger sagen, der ihn nicht so recht einzuordnen wisse angesichts seiner widersprüchlichen Rolle sowohl beim «Schwarzen Mittwoch» als auch beim Brexit selbst? «Ich unterscheide zwischen meinem Engagement auf den Märkten», antwortete Soros, «wo mein einziges Interesse darin besteht, richtig zu liegen und Geld zu verdienen – und meinem politischen Engagement, wo ich für das eintrete, woran ich wirklich glaube.»

Diese Bemerkung trifft den Kern des Rätsels «Soros». Selbst wenn man einräumt, dass letztlich politische Entscheidungsträger die Schuld an der Einkommensungleichheit tragen, die zu einem Gutteil hinter der heftigen Reaktion gegen die Globalisierung steht, wie wir sie im Augenblick sehen, so hat der Finanzsektor eine wesentliche Rolle bei der Verschärfung des Problems gespielt. Und Hedgefonds-Titanen wie George Soros sind nun einmal wirkungsvolle Symbole dieser Ungleichheit.

Eine unbefriedigende Antwort

So offenherzig und überzeugend Soros über die Fallstricke des Casino-Kapitalismus geschrieben haben mag – besonders bemerkenswert ein Essay im Magazin «Atlantic», aus dem schliesslich «Die Krise des globalen Kapitalismus» wurde, ein Buch, das die destabilisierende Wirkung der Finanzmärkte einräumt –, seiner Symbolwirkung tut das keinen Abbruch. Hätte er nicht gegen das britische Pfund oder den Thai-Baht gesetzt, meinte Soros insistierenden Journalisten gegenüber, hätte es eben ein anderer getan. Woran wohl kaum zu rütteln ist, und Quantum war in der Tat nicht der einzige Hedgefonds, der diese Währungen aufs Korn nahm. Sonderlich befriedigend ist diese Antwort freilich nicht, und schon gar nicht nach der Grossen Rezession, bei der Investmentbanken und Hedgefonds eine so verheerende Rolle spielten. Die Branche, die ihn zum Milliardär machte, trug in erheblichem Mass zu eben den Umständen bei, die jetzt gefährden, was der Philanthrop Soros aufzubauen versucht.

«Ich stehe für Prinzipien ein, ob ich gewinne oder verliere. Leider verliere ich im Augenblick zu viel an zu vielen Fronten»: George Soros im Juli 2018. Damon Winter/NYT/Redux

Auf der anderen Seite: Wäre Soros’ Reichtum an andere gegangen, hätten sie das Geld denselben Zwecken zugeführt wie er? Mag sein, dass es an eine gute Sache gegangen wäre, aber gewiss nicht an etwas so Ambitioniertes und Don-Quichottehaftes – oder gar Gefährliches – wie die Förderung liberaler Werte und der Demokratie. Wie Putin und Orbán gezeigt haben, betrachten Regierungen, die ihre Gewalten ungern geteilt sehen, eine unabhängige Bürgergesellschaft zwangsläufig als Opposition. Plutokraten messen Fortschritt in der Regel in Zahlen. Die Art von Arbeit jedoch, wie Soros sie durch die OSF leistet, sperrt sich der Quantifizierung. Und wie Leonard Benardo, der Vizepräsident der OSF, vor einigen Monaten bei einem Gespräch anmerkte, kann diese Arbeit ausgesprochen unbeliebt sein in Ländern, in denen sie geleistet wird.

Soros’ Bemühungen um eine ganz spezielle Volksgruppe, die Roma, scheinen im Augenblick besonders erwähnenswert. Die Situation der schätzungsweise zehn bis zwölf Millionen Roma in Europa zu verbessern, ist seit den frühen 1990ern eine der Prioritäten von Soros und der OSF. Die Organisation hat mehr als 300 Millionen Dollar in Projekte gegen die Diskriminierung der Roma und in Bildung, Arbeitsplätze und Möglichkeiten bürgergesellschaftlicher Teilhabe für sie investiert. Es sind hier gewaltige Anstrengungen vonnöten, so tief wie die Ressentiments gegen die Roma heute noch sitzen. Eine Realität, die etwa Italiens Innenminister Salvini in Wort und Tat unterstreicht. Angesichts der gegenwärtigen politischen Strömungen in Europa ist das ein weiterer Kampf, den Soros womöglich verlieren wird. Salvini ist heute beliebter denn je.

Die Schlacht wird jedoch auch für Klarheit sorgen. Mal abgesehen von all den Komplikationen, die der Name George Soros mit sich bringt: Würden Sie lieber in einer Welt leben wollen, wie er sie zu schaffen versucht, oder in der Welt, in die Salvini und Orbán (und, wo wir schon dabei sind, Trump) uns zu manövrieren scheinen? Im Kielwasser der Grossen Rezession könnte man doch wohl sagen, dass die Art und Weise, wie Soros sein Geld verdient, sowie die Grösse des Reichtums, den er angehäuft hat, moralisch womöglich 2018 verwerflicher sind als 2008. Es spricht jedoch auch einiges dafür, dass angesichts der Echos der 1930er-Jahre zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Art, wie er sein Vermögen gemacht hat, weit weniger wichtig ist als das, was er damit zu erreichen versucht.

Eine Welt, wie sie Soros will – oder eine Welt, wie sie Salvini, Orbán und Trump wollen: Stecken wir in diesem Dilemma?

Soros hat Fehler eingestanden. So sei es ein Irrtum gewesen, Micheil Saakaschwili zu unterstützen, den launischen ehemaligen Präsidenten Georgiens. Ebenso wie er sich nicht auf die Politik Georgiens zu Beginn der 2000er-Jahre hätte einlassen sollen. Orbán jedenfalls habe er mit Sicherheit falsch eingeschätzt. Aber wie Victoria Nuland, eine ehemalige amerikanische Diplomatin, die sowohl für Dick Cheney als auch Hillary Clinton tätig war, es ausdrückte: «George ist ein Freiheitskämpfer.»

Am Morgen des 5. Juli 2018, ein Besuch in Soros’ Haus in den Hamptons auf Long Island. Er war erst die Woche zuvor aus Europa zurückgekommen, um den Rest des Sommers in El Mirador zu verbringen, wie er seine Villa im mediterranen Stil nennt. Seit Jahren dient Soros das weitläufige Anwesen als eine Art Salon, in dem er eine bunte Schar von Schriftstellern, Akademikern und politischen Aktivisten empfängt. Früher spielte er dort oft im Garten mit osteuropäischen Dissidenten Schach.

Das Gespür für die Märkte verloren

Im Esszimmer wird eine Tasse Ingwertee angeboten, «eine Spezialität des Hauses». Einige Augenblicke darauf betritt Soros das Esszimmer. Weisses Leinenhemd, dunkle Hosen, Sandalen. Er sei an dem Morgen noch nicht einmal zum Tennisspielen gekommen, sagt er, er habe die ganze Zeit über telefoniert.

In den fünf Wochen seit der Begegnung mit Soros in Paris hatte die Regierung Trump neue Handelssanktionen gegen China verhängt und Waren aus Kanada und der Europäischen Union mit Einfuhrzöllen belegt. Wieso halten sich die Märkte – und die Wirtschaft generell – überhaupt so gut angesichts der Möglichkeit eines weltweiten Handelskriegs, des Zusammenbruchs des transatlantischen Bündnisses und der politischen Turbulenzen in Washington? Irgendwann, antwortet Soros, würden diese Entwicklungen den Markt schon noch belasten, aber er könne nicht sagen, wann: «Ich habe mein Gespür für die Märkte verloren.» Lächelnd fügt er an: «Ich bin jetzt ein Amateur.» Genauso gut könnte Roger Federer sagen, er hätte sein Gespür für den Court verloren. Seit er sich nicht mehr auf die Märkte konzentriere, sagt Soros, könne er sie nicht mehr timen wie früher. Im Augenblick interessiere ihn nur noch die Politik.

Soros ist nachdenklich gestimmt. Die Demokratie sei in Gefahr, sagt er, sie sei in vielen Ländern verkalkt und reagiere nicht mehr auf die Bedürfnisse der Öffentlichkeit. «Sie hat das Nachsehen.» Die illiberale Demokratie der Art, wie Orbán sie in Ungarn eingeführt hat, habe sich als «effektiver» erwiesen, wenigstens für den Augenblick. Die New-Age-Autokraten hätten ein ausgesprochenes Geschick dabei an den Tag gelegt, zur Konsolidierung ihrer Macht die Zivilgesellschaft aufs Korn zu nehmen. «Es ist eine weniger brutale Art der Kontrolle», sagt er, «als Leute einfach umzubringen, die nicht Ihrer Meinung sind.»

Der Irrtum von Karl Popper

Ihm war klar geworden, dass sein Mentor Karl Popper, seine grosse Inspiration, sich in einer entscheidenden Hinsicht geirrt hatte: In einer demokratischen Gesellschaft diene Politik eben nicht unbedingt der Suche nach Wahrheit – letztlich gehe es darum, an die Macht zu kommen und diese zu halten. Und dazu müsse man die öffentliche Meinung manipulieren. «Er war ein philosophierender Wissenschaftler, und Wissenschaft ist die Suche nach Realität», sagt Soros. «Er verstand nichts von Politik. In der Politik gibt man der Wahrheit den gewünschten Effet, man entdeckt sie nicht.» Was hielt der 1994 verstorbene Popper von Ihrer politischen Philanthropie, Mister Soros? «Er war mir eine grosse Stütze, womit ich sagen will, er nahm mich nicht ernst», antwortet er lachend. «Ich glaube nicht, dass Popper grosse Freude an meiner gegenwärtigen Position hätte, weil ich ihm kritisch gegenüberstehe.»

Das Unglück über all seine vielen Feinde da draussen in der Welt – es beschäftigt George Soros mehr als auch schon.

Soros räumt ein, das eine oder andere gesagt zu haben, was er heute bereue – nicht notwendigerweise die Gefühle dahinter, aber die Art, wie er sie ausgedrückt habe. Etwa die Nazi-Bemerkungen während Bushs Zeit im Weissen Haus: «Das war wahrscheinlich ein Fehler.» Heute drücke er sich vorsichtiger aus, vor allem meide er Vergleiche mit dem Dritten Reich und überhaupt das Wort Faschismus zur Beschreibung der politischen Bedingungen in Europa wie in den USA.

In Paris hatte Alex Soros erzählt, sein Vater sei bei aller Tadellosigkeit in seiner Elternrolle emotional unerreichbar gewesen – ein Verteidigungsmechanismus, wie er meinte, der auf seine Kriegserlebnisse zurückzuführen sei: «Gefühle zu haben, sie andere sehen zu lassen, könnte ein Zeichen von Verletzlichkeit sein.» In jüngerer Zeit jedoch, so meinte er, sei sein Vater zugänglicher geworden.

Als sich das Gespräch mit George Soros in den Hamptons dem Ende zuneigt, ist etwas von dieser Verletzlichkeit zu spüren. Anlass sind Äusserungen zu seinem Reichtum und die Möglichkeiten, die er ihm eröffnet habe. «Für mich bedeutet Geld Freiheit und nicht Macht», sagt er. Jahrelang habe Geld ihm die Freiheit gegeben, sowohl zu tun als auch zu sagen, was ihm beliebte – ganz zu schweigen von der Freiheit, sich nicht darum kümmern zu müssen, was andere über ihn sagten oder dachten. Jetzt, so räumt er ein, sei ihm das nicht mehr ganz so egal. «Ich sorge mich heute etwas mehr um mein Image, bei all den beunruhigenden Lügen da draussen.» Als Beispiel nannte er Roseanne Barrs Tweet. Es sei nicht eben angenehm, gestand er, für so viele Leute rund um den Globus der Schurke zu sein. «Ich bin alles andere als glücklich darüber, derart viele Feinde zu haben», sagte er. «Ich wollte, ich hätte mehr Freunde.»

Zum Autor

Michael Steinberger ist Journalist und Autor und schreibt regelmässig für das «New York Times Magazine», wo dieser Artikel im Juli 2018 erschienen ist.