Briefing aus Bern

Kein Rahmen­abkommen, ein Pakt – und zwei Neue

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (37).

Von Andrea Arezina, 13.12.2018

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Stellen Sie sich den Bundesrat wie eine WG vor. Alle haben ihr Zimmer, und niemand will das kleinste. Letzten Freitag wollte der Bundesrat die Zimmer neu verteilen, und es gab Stunk. Am Montag regelten sie es dann, wie man so etwas in einer WG regelt: Die ältesten Mitglieder wählten ihre Zimmer, die beiden Neuen mussten nehmen, was übrig blieb. Und weil CVP-Bundesrätin Viola Amherd keine (Partei-)Freunde in der WG hat, muss sie jetzt ins kleinste Zimmer: das Ministerium für Verteidigung, Bevölkerung und Sport.

Die Stimmung könnte besser sein, aber der Haussegen hängt noch nicht schief. Und die mächtigste WG der Schweiz muss sich jetzt zusammenraufen, schreibt Dennis Bühler in seinem Kommentar zur Departementsverteilung.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Ein Migrationspakt im Wahljahr

Was bisher geschah: 163 Mitgliedsstaaten von Asien bis Afrika klatschten diesen Montag an einer Uno-Konferenz für den Migrationspakt in Marrakesch. Doch der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis blieb zu Hause. Und das, obwohl die Schweiz sich dort hätte feiern lassen können. Ihr Uno-Botschafter hatte den Pakt zusammen mit seinem mexikanischen Kollegen ausgehandelt. Doch die SVP hat eine Debatte über den Pakt in der Schweiz angezettelt, und nach dem Ständerat entschied diese Woche auch der Nationalrat, dass der Bundesrat den Pakt dem Parlament vorlegen muss.

Was Sie wissen müssen: Der Pakt wäre durchaus im Interesse der Schweiz, etwa weil er Schleppern das Handwerk legen und die Rückführung von Ausländern vereinfachen soll, die nicht in der Schweiz bleiben dürfen. Doch FDP und CVP schlossen sich der zum Teil hässlichen Propaganda der SVP gegen den Pakt an, obwohl sie dafür keine guten Gründe hatten, weder inhaltliche noch taktische.

Wie es weitergeht: Nun liegt der Ball beim Bundesrat. Er muss eine Botschaft ausarbeiten und dem Parlament einen Beschluss vorlegen. Theoretisch kann sich die Schweiz dem Pakt nach wie vor anschliessen. Praktisch scheint es kaum noch möglich, nachdem FDP und CVP sich im Fahrwasser der SVP so skeptisch zeigten. Bleibenden Schaden nimmt die Schweizer Diplomatie: Ihr internationales Engagement für Menschenrechte verliert wegen des mangelnden Rückhalts zu Hause an Glaubwürdigkeit.


Kein Rahmenabkommen kurz vor Jahresschluss

Was bisher geschah: Seit zehn Jahren reden die Schweiz und die EU über ein Rahmenabkommen. Seit fünf Jahren verhandeln sie darüber. Letzten Freitag hätte der Bundesrat über das Verhandlungsresultat urteilen sollen. Stattdessen entschied er, nicht zu urteilen und eine Konsultation dazu zu eröffnen.

Was Sie wissen müssen: Das Rahmenabkommen stösst in drei verschiedenen Lagern auf je unterschiedliche Kritik. Die Linke will es nicht, weil sie die flankierenden Massnahmen und damit den Lohnschutz gefährdet sieht.

Mittepolitiker stören sich daran, dass die EU nicht bereit war, ausdrücklich festzuhalten, dass die EU-Unionsbürgerrichtlinie für die Schweiz nicht gilt. Die EU könnte eines Tages Druck machen, so die Sorge, und die Schweiz zur Übernahme der Richtline zwingen, was zur Stärkung der Rechte der Angestellten und der Einwohner aus der EU in der Schweiz und bei den Sozialversicherungen zu Mehrkosten führen könnte.

Die SVP lehnt das Rahmenabkommen ab, weil dadurch die Souveränität der Schweiz beschnitten werde. Tatsächlich gewährt die EU der Schweiz Zugang zu ihrem Binnenmarkt, verlangt dafür aber auch, dass die Schweiz sich an die Regeln dieses Marktes hält.

Wie es weitergeht: Die Konsultation läuft jetzt. Wer genau daran teilnehmen darf, ist noch nicht klar. Die Hoffnung des Bundesrates ist wohl, dass zwei der drei Lager, die das Rahmenabkommen noch immer ablehnen, sich zusammentun und gemeinsam kleinere Änderungsvorschläge erarbeiten, die für Brüssel akzeptabel wären. Einen Schulterschluss aller Kräfte links von der SVP fordert auch unser Kommentator Simon Schmid. Doch derzeit stehen die Zeichen vor allem auf linker Seite noch ganz klar auf Ablehnung. Ob in den nächsten Monaten eine für das Rahmenabkommen positive Dynamik entsteht, ist ungewiss.


Zwei Rücktritte und zwei Neue im Parlament

Das müssen Sie wissen: Die SP verliert zwei erfahrene Nationalrätinnen. Die eine kennt man kurz als «Slo» oder auch als die Grande Dame der SP: die Basel-Landschäftlerin Susanne Leutenegger Oberholzer. Die andere ist erst 46 Jahre alt, verbrachte aber mehr als ihr halbes Leben in einem Parlament: die Winterthurerin Chantal Galladé.

Darum treten sie zurück: Leutenegger Oberholzer geht, weil für sie eine Frau nachrutscht. «Für einen Mann wäre ich nicht zurückgetreten», sagte sie kürzlich. Chantal Galladé wurde diesen Sommer zur Schulpräsidentin von Winterthur gewählt – ein Vollzeitjob.

Diese beiden rutschen nach: Für Leutenegger Oberholzer kommt Samira Marti in den Nationalrat. Mit 24 Jahren ist sie die jüngste Nationalrätin. Auf Galladé folgt der ehemalige Präsident der SP des Kantons Zürich, Daniel Frei. Beide haben jetzt noch knapp ein Jahr Zeit, um sich im neuen Amt ein erstes Mal zu profilieren. Und beide dürfen sich über den grossen Vorteil freuen, dank der vorzeitigen Rücktritte ihrer Vorgängerinnen im nächsten Herbst als Bisherige in den Wahlkampf zu ziehen.

Debatte zum Briefing aus Bern

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