Briefing aus Bern

Wintersession, Franchise rauf – und wo steht das Rahmenabkommen?

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (35).

Von Elia Blülle und Andrea Arezina, 29.11.2018

Vorweihnachtsstress im Bundeshaus: In den kommenden zwei Wochen muss die Bundesversammlung den Migrationspakt, das CO2-Gesetz und die Kohäsionsmilliarde behandeln. Alles wichtige Geschäfte. Die ganze Aufmerksamkeit zieht allerdings ein anderes auf sich: die Bundesratswahlen.

Am 5. Dezember bestimmen Stände- und Nationalrat die Nachfolge von Johann-Schneider Ammann und Doris Leuthard. Als so gut wie gewählt gilt FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter. Diese Woche hat sich die SVP als erste und grösste Bundeshausfraktion für sie ausgesprochen. Und es ist anzunehmen, dass sich am 5. Dezember auch die linken Parlamentarier und Parlamentarierinnen für Keller-Sutter entscheiden.

Die Urner Justizdirektorin Heidi Z’graggen kann ebenfalls auf die Unterstützung der SVP zählen. Dennoch gilt Z’graggens Konkurrentin Viola Amherd als Favoritin: Die langjährige Nationalrätin ist besser vernetzt im Parlament. Die Unterstützung der SVP für Z’graggen könnte Amherd zudem gelegen kommen und ihr Stimmen im Mitte-links-Lager sichern. Wenn sich dann noch die FDP auf Amherds Seite schlägt, ist sie als Bundesrätin und Nachfolgerin von Doris Leuthard gesetzt.

Und damit von der zu grossen Aufregung um ein paar Namen zu der Sache selbst, zum Briefing aus Bern.

Krankenkasse: Teurere Minimal-Franchise

Das müssen Sie wissen: Ein Arztbesuch soll etwas kosten. Damit man es sich zweimal überlegt, ob er wirklich nötig ist. Darum gibt es in der Schweiz neben der Krankenkassenprämie auch noch eine Franchise: eine Art jährlicher Selbstbehalt, der ab dem ersten Arztbesuch fällig wird. Die tiefste Franchise liegt derzeit bei 300 Franken. Sie hat sich seit der Einführung dieses Systems vor 22 Jahren verdoppelt. Mehr als verdoppelt haben sich in dieser Zeit aber die Gesundheitskosten. Was tun?

Der Nationalrat hat entschieden: Die Minimal-Franchise soll mit den Gesundheitskosten mitwachsen. Und zwar gemäss einem komplizierten Mechanismus. Damit könnte die Franchise ab 2020 immer weiter steigen. Die Linke hat sich vergeblich dagegen gewehrt, mit dem Argument, dass die Franchise ungerecht sei für chronisch Kranke und ältere Menschen, die nicht wählen könnten, ob sie zum Arzt wollen oder nicht.

Der Nationalrat will auch jenen an den Kragen, die sogenanntes opportunistisches Franchise-Hopping betreiben. Versicherten also, die jeweils eine tiefere Franchise wählen, wenn sie wissen, dass im nächsten Jahr eine Behandlung ansteht. Viel einsparen lässt sich damit allerdings nicht: Laut dem Bundesamt für Gesundheit betreiben gerade mal 0,17 Prozent aller Versicherten Franchise-Hopping.

So geht es weiter: Für den dritten Vorschlag, die Minimal-Franchise auf einen Schlag auf 500 Franken zu erhöhen, hat die Zeit im Nationalrat am Montag nicht gereicht, er behandelt ihn zu einem späteren Zeitpunkt. Die beiden angenommenen Vorlagen gehen nun in den Ständerat.


Silvester mit oder ohne Rahmenabkommen?

Darum geht es: Seit fünf Jahren verhandelt der Bundesrat mit der EU um ein Rahmenabkommen. Die Prämisse: Die bewährten Bilateralen brauchen endlich eine rechtliche Grundlage. Doch wie genau diese aussehen soll und was alles in das Abkommen gehört, darüber gehen die Vorstellungen in Brüssel und Bern auseinander. Und seit die Bundesräte Schneider-Ammann und Cassis im Sommer signalisierten, dass sie bereit wären, mit der EU auch über die flankierenden Massnahmen zum Schutz der Löhne in der Schweiz zu verhandeln, kämpft der Bundesrat auch noch mit einem gegnerischen Lager im eigenen Land, das weit über die Sozialpartner hinausgeht.

Das läuft aktuell: Am Freitag wird das Rahmenabkommen im Bundesrat wieder einmal diskutiert. Voraussichtlich präsentiert Aussenminister Cassis das erste Mal den Vertragstext. Nach dem, was zu hören ist, entspricht dieser nicht den roten Linien, die Bundesrat und Parlament vorgegeben haben, vor allem in Sachen Lohnschutz.

So geht es weiter: Der Bundesrat steht unter Druck. Kommt bis Ende Jahr kein Rahmenabkommen zustande, drohen der Schweiz Strafaktionen wie etwa Nachteile für die Schweizer Börse im internationalen Geschäft: Brüssel könnte verhindern, dass EU-Investoren hierzulande gewisse Aktien kaufen dürfen. Auch die Forschungszusammenarbeit von Schweizer und EU-Hochschulen könnte wieder infrage gestellt werden. Dass der Bundesrat dem Rahmenabkommen am Freitag zustimmt, scheint dennoch unwahrscheinlich. Man geht davon aus, dass er sich eher mit den Konsequenzen befassen wird, die der Schweiz drohen, falls das Abkommen bis Ende Jahr nicht zustande kommt.


SVP: Nationalrat Toni Brunner tritt zurück

Das müssen Sie wissen: Toni Brunners Rücktrittsankündigung letzte Woche kam ebenso überraschend wie seine Wahl in den Nationalrat 1995. Er war der erste St. Galler SVP-Vertreter im Nationalrat und der jüngste Nationalrat aller Zeiten. Brunner leistete viel für die Partei: In St. Gallen half er mit, die erste SVP-Kantonalpartei zu gründen, und war deren Präsident, bevor er 2008 das Präsidium der SVP Schweiz übernahm. Die SVP ist heute die stärkste Partei im Kanton St. Gallen.

Darum tritt er zurück: «Irgendwann wird auch der Politbetrieb in Bern repetitiv», sagte Brunner bei seiner Rücktrittsverkündigung. Die Hälfte seines Lebens habe er in Bundesbern verbracht und zu wenig Zeit gehabt für Familie, Bauern- und Landgasthof. Während Brunner nächstes Jahr Zeit gewinnt, könnte die SVP St. Gallen verlieren – und zwar den Sitz bei den nationalen Wahlen. Toni Brunner, ihr bisheriges Zugpferd, holte jeweils die meisten Stimmen.

Dieser Mann rückt nach: Mike Egger, ein 26-jähriger Metzger, war der persönliche Mitarbeiter von Nationalrat Lukas Reimann. Der grösste politische Erfolg Eggers, der schon als 19-Jähriger Kantonsrat wurde, war die Abstimmung für ein Verhüllungsverbot in St. Gallen. Er kämpfte an vorderster Front dafür – und gewann.

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