Eidgenössische Randnotizen

Als Zürich die Todesstrafe wieder einführte

Von Michael Rüegg, 21.11.2018

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Es war der 26. April 1882. In seiner Schlafkammer in Küsnacht am Zürichsee lag das Bauernpaar Schulthess in seinem Blut. Nackt, wie es bei Bauern Sitte sei, schrieb ein Chronist. Erschlagen mit einer Axt.

Nachdem man die beiden gefunden hatte, war den Ellikers nebenan plötzlich klar, warum mitten in der Nacht bei Schulthessen drüben das Vieh gebrüllt hatte – sonderbar sei das gewesen.

Der Mörder hatte sich tagsüber ins Haus geschlichen, als die Leute auf dem Feld arbeiteten. Er muss gewusst haben, dass Bauer Schulthess tags zuvor ein Kälblein verkauft und den Erlös zu Hause aufbewahrt hatte. Auch eine silberne Taschenuhr hatte der Täter neben dem Bargeld erbeutet.

Die Rekonstruktion des Tathergangs ergab, dass der Mörder nach vollbrachtem Werk hungrig und durstig gewesen sein muss. Kaum hatte er Herrn und Frau Schulthess niedergestreckt, genehmigte er sich in der Küche einen Imbiss.

Die Nachrichten vom grausamen Tod der Eheleute und vom Tathergang machte schnell die Runde – in Scharen kamen hierauf die Menschen an die Beerdigung. Nicht alle fanden Platz in der Kirche.

Hat der Pfarrer die Wut der Leute gespürt? Er ermahnte sie in seiner Predigt jedenfalls eindringlich, dass nicht durch «böse Reden und böses Spiel» der Samen des Verderbens über sie alle kommen möge.

Doch eine Reaktion blieb nicht aus. Am 23. Oktober 1882, ein halbes Jahr nach dem Mord, stellte der Zürcher Kantonsrat fest, dass ein Initiativbegehren mit 5000 Unterschriften eingegangen sei. Das Ziel: die Wiedereinführung der Todesstrafe, die dreizehn Jahre zuvor im Kanton abgeschafft worden war.

Die Volksinitiative wurde im folgenden Jahr mit 28’600 Ja-Stimmen zu 25’330 Nein-Stimmen angenommen – gegen die Empfehlung des Regierungsrates. Die Todesstrafe sollte zurück ins Gesetz. Das Volk hatte gesprochen.

Doch in welcher Gemütslage? Und mit welcher Stimme?

Im Gegensatz zu eidgenössischen können kantonale Volksinitiativen in der Form einer «allgemeinen Anregung» formuliert sein. Nimmt die Stimmbevölkerung ein solches Begehren an, wird damit nicht automatisch wie beim Bund ein Passus in die Verfassung hineingeschrieben.

Stattdessen muss nach dem Votum des Souveräns das Parlament eine konkrete Gesetzesvorlage verabschieden. Und wie alle Vorlagen ist auch diese referendumsfähig – unabhängig davon, ob über die Grundsatzfrage bereits einmal abgestimmt wurde.

Im liberalen Zürich war die Politik nicht glücklich über den Volksentscheid. Widerwillig arbeitete die Regierung eine Vorlage aus. Man war stolz, das Thema abgehakt zu haben. Ganz im Gegensatz zu den katholischen Kantonen übrigens, die weiter munter von ihrem Recht Gebrauch machten, Schuldige hinzurichten.

Im Jahr 1885 war es so weit: Der Kanton Zürich liess sein Volk über eine Gesetzesvorlage zur Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen – das war Pflicht, schliesslich ging es um eine Verfassungsänderung.

Und nun geschah es: Dasselbe Volk, das unter dem Eindruck des Doppelmordes von Küsnacht zwei Jahre zuvor die Todesstrafe wieder einführen hatte wollen, lehnte sie ab. Am 5. Juli 1885 schickten die Zürcher mit 27’577 Nein- zu 21’377 Ja-Stimmen das Vorhaben bachab.

Die Todesstrafe war in Zürich damit vom Tisch. Das Volk hatte seinen eigenen Entscheid korrigiert.

Quellen: Erich Wettstein: «Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich» (rechtswissenschaftliche Dissertation), Winterthur 1958; Walter Hirt: «Unglücksjahr 1982», Küsnachter Jahresheft 1982, www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch