Der bunte Alltag der Oberzolldirektion
Schnapsflaschen, Kunstgemälde, Rassepferde: Schmuggler wissen in der Regel genau, was sie verzollen müssten. Dass Zöllner auch Strafrichter sind, ist dagegen den wenigsten bekannt.
Von Dominique Strebel, 21.11.2018
Ort: Bern
Zeit: 7. September 2017 bis 16. Oktober 2018
Fall-Nr: 71-2014.5185 vom 22. Juni 2018 und rund ein Dutzend andere
Thema: Strafurteile der Verwaltung
Der Zoll – das ist eine Einrichtung aus dem letzten Jahrhundert. Aus einer Zeit, als es in Europa noch Grenzen mit Schlagbäumen gab. Wer heute die Grenze passiert, fährt an grauen Fassaden vorbei, an verlassenen Büros, die wie Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg von einer zurückliegenden Epoche erzählen. Man fühlt vielleicht noch ein kurzes Zusammenzucken. Eine Art Phantomreflex, der in tiefsten Schichten der Psyche überlebt hat, trotz freiem Warenverkehr und Personenfreizügigkeit.
Doch man täusche sich nicht. Zöllner und Grenzwächter haben immer noch Autorität und die Kompetenz, zu sanktionieren. Denn sie sind auch Strafrichter. Nicht nur, wenn sie für Bagatellen wie eine unverzollte Schnapsflasche eine Busse ausstellen (im vergangenen Jahr gab es 57’993 solcher Bagatellbussen). Zollbeamte sind so richtig Richter, wenn sie einen Milliardär wie Urs Schwarzenbach mit Millionenbussen zur Kasse bitten. Weil der Kunstgemälde in die Schweiz eingeführt haben soll, ohne dafür Mehrwertsteuer zu zahlen. Die Zöllner sind also noch wer.
Bussen wie bei Schwarzenbach werden nicht hinter den Schalterfenstern der verlassenen Büros der Zollübergänge entschieden, sondern in einem imposanten Bau an der Monbijoustrasse 40 in Bern. Ein langer Gang mit grünem Novilonboden verliert sich in der Tiefe. Links und rechts Bürotüren aus schwerem Holz, über die Jahre gedunkelt, eine nach der anderen, perspektivisch werden sie immer kleiner. Und alle stehen offen. Eine kafkaeske Szenerie.
Wieso hier alle mit offenen Türen arbeiten? Auch Oliver Brand hat keine Ahnung. Der 57-Jährige ist Chef der Abteilung Strafsachen und Beschwerden der Oberzolldirektion, trägt Metallbrille, das kurz geschorene Haar ist rotblond. Grauer Pullover über einem rosa-grau gestreiften Hemd. Der Mann erfüllt schon fast das Klischee der grauen Maus. Wären da nicht die wachen Augen.
Brand weist den Weg ins Büro einer Mitarbeiterin. Hier werden die Urteile der Oberzolldirektion verkündet. In Form von drei grauen Bundesordnern mit Strafverfügungen und Strafbescheiden. Daneben ein grauer Aktenschrank. Eine fleischige Pflanze überlebt auf dem Fensterbrett dank einer selbst gebastelten Infusion. An der Wand hängt eine Urkunde, «Ernennung zur Ehrenfahnderin». Und auf dem Bücherbrett stehen die einschlägigen Gesetzestexte in der amtlichen Ausgabe mit grünem Rücken, von der Sonne gebleicht: Zollgesetz, Mehrwertsteuergesetz, Tierseuchengesetz, Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafverfahren, Washingtoner Artenschutzübereinkommen.
Hier kann die Öffentlichkeit Einsicht nehmen in die Arbeit der Strafrichter der Oberzolldirektion. Denn Strafrecht wird nicht nur an Gerichten und durch Staatsanwaltschaften gesprochen, sondern auch in Amtsstuben, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. So etwa auch beim Bakom, beim Bundesamt für Zivilluftfahrt Bazl, bei der Heilmittelkontrollbehörde Swissmedic, bei der Eidgenössischen Finanzdirektion. Und bald auch beim Dienst Überwachung von Post- und Fernmeldeverkehr.
Die grauen Mäuse können beissen
Brand und sein Team von 15 Zollexperten und Juristinnen haben im vergangenen Jahr 279 Strafbescheide und 85 Strafverfügungen gefällt, eigentliche erstinstanzliche Urteile. Wer sie durchsieht, erhält Einblick in eine eigentümliche Welt. Eine Welt, in der Fleisch schmuggelnde arme Schlucker eine Rolle spielen, aber auch die englische Lady, die einen Schal aus Tibetantilopenwolle trägt.
Ein Teil der Arbeit ist Bürokratenkram. Wenn etwa ein «Deklarant» (sic!) 1057,06 Kilogramm Vollreiswaffeln mit Joghurtgeschmack zum Zollansatz 0 einführt, die «Beschau» aber ergibt, dass die Vollreiswaffeln zollpflichtig sind und der «Deklarant» deshalb wegen «fahrlässiger Zollgefährdung» eine Busse von 320 Franken aufgebrummt kriegt. Doch oft geht es um hohe Bussen, die gar einen Eintrag ins Strafregister nach sich ziehen. Und theoretisch sogar um Freiheitsstrafen. Schnell wird also klar: Die grauen Mäuse können beissen.
Das tun Brand und sein Team nicht nur bei Milliardär Urs Schwarzenbach. Sie tun es auch bei jener selbstständigen Pferdehändlerin, die Pferde einführte, ohne sie zu verzollen. Im Porsche Cayenne fährt sie bei Basel mehrmals über den Zoll, im Pferdetransporter jeweils ein Pferd. Einmal mit Capuccino, dann Dostojewski, De Niro, auch ein Depardieu (D’Esprit) ist dabei. 34 Pferde bringt sie so in 4 Jahren über die Grenze. Sie hält nie an, fährt durch. Nie wird sie gestoppt. Dann wird sie geschnappt.
Sie habe Geld sparen wollen, sagt die 33-Jährige bei der Einvernahme. Sie habe einfach schlechte Erfahrungen mit dem Zoll gemacht. Wenn sie alles korrekt habe machen wollen, sei sie am Zoll stets bestraft worden. Wenn sie hingegen einfach über den Zoll gefahren sei, habe sie nie Probleme gehabt. Als Selbstständige habe sie keine Zeit gehabt, lange am Zoll zu stehen. Nun muss sie neben einer Zollabgabe von 130’356 Franken eine Busse von 26’000 Franken berappen. Und sie erhält einen Eintrag im Strafregister.
Um Tiere geht es oft bei der Oberzolldirektion in Bern – um lebende und tote. Zum Beispiel um 13 Gehäuse der artengeschützten Fechterschnecke (300 Franken Busse). Oder um einen Schal aus dem Fell der artengeschützten Tibetantilope. Eine englische Lady wollte ihn am Flughafen Samedan über die Grenze bringen (2000 Franken Busse).
Lieblingsschmuggelware
Hauptthema bei der Oberzolldirektion sind aber nicht illegal eingeführte geschützte Tierarten, auch nicht undeklarierte Zigarren, Zigaretten oder Alkohol, ebenso wenig illegale Kunsteinfuhren wie bei jenem Türken, der einen Gladiatorenhelm, eine Jupiter-Statuette und eine Öllampe unverzollt in die Schweiz bringen wollte (5000 Franken Busse). Es ist auch nicht der «Weihnachtsschmuck – insbesondere Christbaumschmuck» im Gesamtwert von 294’853 Franken, den eine Frau einführte, zu einem zu tiefen Mehrwertsteuersatz (17’000 Franken Busse).
Was die Oberzolldirektion am meisten auf Trab hält, ist – Fleisch.
Da fährt ein Schweizer mit Ehefrau im Mercedes über die Basler Grenze und erklärt, «3 Kilo Fleisch» mitzuführen. Die «Beschau» ergibt jedoch 9,3 Kilogramm (160 Franken Busse wegen Zollgefährdung). Ein Serbe passiert bei Laufenburg in einem Renault die Grenze und unterschlägt 26 Kilogramm Fleischwaren (Busse von 350 Franken). Ebenfalls via Laufenburg kehrt ein anderer Serbe mit seiner 14-jährigen Tochter zurück in die Schweiz. Im Kofferraum 38,9 Kilogramm nicht deklarierte Fleischwaren (500 Franken Busse).
Ein Albaner wird mit seiner Ehefrau auf Höhe des Blumengeschäfts Breitenstein in Riehen «in hinterer Linie» kontrolliert. Die Zollbeamten finden 139,9 Kilogramm undeklariertes Fleisch (2000 Franken Busse wegen Zollhinterziehung). Der Mann erklärt, aufgrund seiner finanziellen Lage sei er gezwungen, in Deutschland billiges Fleisch zu kaufen. Schweizer Fleisch könne er sich nicht leisten. Und so geht es weiter, Fleischschmuggel um Fleischschmuggel. Zuweilen sind es auch Wirte, die über Wochen unverzollte Lebensmittel aus Deutschland einführen – 1792,8 Kilogramm im einen (6400 Franken Busse), 4881,2 Kilogramm im anderen Fall (10’000 Franken Busse).
Manchmal erreichen die Oberzolldirektion aber auch grosse Fälle der Strafgerichte. Dann zeigt sich, dass der Zoll selbst heute noch unerbittlich sein kann. Da klaut ein 45-jähriger Schweizer Bauingenieur über Jahre in Sammlungen von europäischen Museen Vogelfedern zusammen. 1127 sollen es gewesen sein, teilweise ganze Flügel. Vom Strafgericht Basel-Stadt wird er wegen Diebstahl und Sachbeschädigung mit drei Jahren Freiheitsentzug bestraft. Ein Jahr davon muss er absitzen.
Damit nicht genug: Die Oberzolldirektion verurteilt ihn ein zweites Mal. Denn auf die Federn habe er bei der Einfuhr keine Mehrwertsteuer bezahlt und so den Staat um Einnahmen in der Höhe von 1352.40 Franken gebracht. Die Behörde brummt ihm dafür eine Busse von 1500 Franken auf. Merke: Auch Diebesgut muss bei der Einfuhr korrekt versteuert sein.
Illustration: Friederike Hantel