Gift und Galle

Stell dir vor, es ist Blocher und keiner geht hin

Von Michael Kuratli, 14.11.2018

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Im Foyer des Stadthofsaals in Uster sind die Sicherheitsleute kurzzeitig nervös. Der unbewilligte Demonstrationszug hat sich bis auf rund zweihundert Meter an die SVP-Veranstaltung vorgearbeitet, von einem Grosskommando der Kantonspolizei in Schach gehalten. «Ich weiss nicht, warum die so ein Zeug machen da draussen. Einkesseln und fertig», meint eine der Organisatorinnen drinnen. Die drei als Fotosujet in Erster-Weltkrieg-Montur verkleideten Männer, komplett mit Stahlhelm, Flagge und Gewehr, sind – anders als vor hundert Jahren – dabei keine Hilfe. Sie stellen sich vorsichtshalber hinter die Glasscheibe – die Sicherung des Eingangs überlassen sie privaten Sicherheitskräften.

Im Saal spielt derweil die Grenadiermusik Zürich auf. Rösti, Tuena, Mörgeli – alle sind sie gekommen, dem Patron zu lauschen. Dann: Auftritt Christoph Blocher. Der Applaus für den ideologischen Übervater verfällt gleich in den Viervierteltakt der Marschmusiker.

Blocher erzählt vom Krieg. Davon, wie es damals war, mit den strammen Behörden. Mit dem gefährlichen sozialdemokratischen Nationalrat Robert Grimm, der als Präsident des Oltener Aktionskomitees den blutigen Umsturz gewollt habe. Zum hundertsten Jahrestag des Landesstreiks legt Blocher in einem «Dank an Bevölkerung, Behörden und Soldaten» seine Version der Geschichtsschreibung dar.

Alles in allem nichts Neues: Bereits Anfang Jahr testete Blocher seine Rede, in der er Grimm neu interpretierte, zum Auftakt des Jubiläumsjahrs. Schon damals reagierte die Historikerzunft dezidiert auf seine Geschichtsklitterung. Immerhin: Auf die eindeutig widerlegten Passagen – etwa, dass Grimm sich 1940 für eine Anpassung an den Nationalsozialismus starkgemacht habe – verzichtete Blocher in seiner gestrigen Ustermer Rede.

Alles andere wird ein Spielball der Interpretation: Der massive Aufmarsch der Armee wird zur einzig richtigen Massnahme zur Friedenssicherung, die Drohung mit Waffengewalt von Bundesrat und Parlament gegenüber den Streikenden zum Bollwerk gegen einen blutigen Bürgerkrieg und Robert Grimm gar zur Ursache von siebzig Jahren Sowjetdiktatur.

Geschichte ist Blochers Rohmaterial für seine Ideologie der Gegenwart. Waren es vor ein paar Jahren noch die Jubiläen der Schlachten von Marignano und Sempach, die durch das löchrige Sieb des Nationalstolzes mussten, ist es dieses Jahr gar ein linker Gedenktag, der im Fleischwolf des Provokateurs zur formbaren Masse gedreht wird.

Lohnt es sich, alle einzelnen Punkte des Hobbyhistorikers Blocher erneut aufzudröseln, auf ihren Wahrheitsgehalt zu untersuchen und mit der historischen Forschung abzugleichen? Wer Blocher glaubt, schert sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht darum – Fakten hin oder her.

«Bei guten Rednern müsst ihr aufpassen», warnt Blocher zum Ende seiner Rede selbst; er erntet Lacher und klingt dabei ein wenig wie Trump, wenn er vor Anhängern seine Wahlkampfslogans relativiert. Es gebe aber auch solche darunter, denen müsse man dankbar sein, fügt Blocher schliesslich an und meint natürlich sich selbst.

Dankbar ist am Ende auch der ganze Rattenschwanz an Interessengruppen, die wie ein eingespieltes Team auf Knopfdruck dem Demagogen verfallen: Die Silberrücken applaudieren dem Verfechter ihres Vaterlands, die Demonstrierenden sorgen für den bildstarken Kontrapunkt, Historikerinnen mühen sich in Widerlegungen ab, und die Presse sorgt dafür, dass alles gut verteilt unter die Leute kommt.

Seit dreissig Jahren spricht sich Blocher so brandschatzend durch die Schweizer Geschichte. Und ein wirksames Gegenmittel scheint noch immer nicht gefunden. Im Gegenteil breitet sich seine Methode derzeit in Windeseile auf der Weltkugel aus und verseucht das politische Klima. Natürlich braucht es da den aufgeklärten Widerstand mehr denn je.

Und im Privaten hilft vielleicht die tröstende Fantasie: Stell dir vor, es ist Blocher und keiner geht hin.