Der Einzige, der Donald Trump gefährlich werden kann
Seit achtzehn Monaten ermittelt der ehemalige FBI-Direktor Robert Mueller über mögliche Verbindungen zwischen Moskau und der Wahlkampagne des amtierenden US-Präsidenten. Trump schimpft ihn einen «Hexenjäger», landesweit fordern Protestierende seinen Schutz. Wer ist der Mann?
Von Mark Dittli (Text) und Andrea Ventura (Illustration), 13.11.2018
Er redet nur, wenn es unbedingt nötig ist. Also so gut wie nie. Er gibt keine öffentlichen Statements ab, führt keine Pressekonferenzen durch. Auf Twitter hört man nichts von ihm. Aus seinem Team sind nie Indiskretionen an die Medien gelangt – eine Ausnahmeerscheinung innerhalb des Washingtoner Regierungsapparats, der undichter ist als ein spröder Gartenschlauch.
Robert Mueller, 74, ermittelt. Seit eineinhalb Jahren geht er mit einer kleinen Gruppe von Mitstreitern in einem unscheinbaren Bürogebäude im Südwesten Washingtons seiner Arbeit nach. Als special counsel eingesetzt wurde er am 17. Mai 2017 vom stellvertretenden Justizminister der USA, Rod Rosenstein. Sein Auftrag im Wortlaut: «(to investigate) any links and/or coordination between the Russian government and individuals associated with the campaign of President Donald Trump; and any matters that arose or may arise directly from the investigation». Mueller soll also herausfinden, welche Zusammenhänge zwischen der russischen Regierung und Donald Trumps Umfeld bestehen.
Trump schimpft Mueller und sein Team eine «Bande wütender Demokraten», spricht von «Hexenjagd». Seine Wählerbasis bejubelt ihn dafür.
Noch zum Zeitpunkt seiner Einsetzung erhielt Mueller – ein eingetragener Republikaner – nur Lob aus der Partei des Präsidenten. Heute traut sich kaum mehr ein republikanischer Senator oder Kongressabgeordneter, Mueller öffentlich zu verteidigen. Der dekorierte Kriegsveteran, der unter sechs Präsidenten gedient und nach den Terroranschlägen von 9/11 zwölf Jahre lang die Bundespolizei FBI geführt hatte, ist in den Augen der Anhänger Trumps zu einer politisch motivierten Ratte geworden.
Nun ist Muellers Arbeit plötzlich gefährdet. Am 7. November, am Tag nach den Kongresswahlen, hat der Präsident seinen Justizminister Jeff Sessions gefeuert. Interimistischer Nachfolger ist nicht der bisherige Vize Rosenstein, sondern Sessions’ Stabschef Matthew Whitaker. Dieser spricht in öffentlichen Auftritten seit Monaten mit Trumps Hexenjagd-Vokabular und hat im Sommer 2017 in einem Auftritt bei CNN den Vorschlag gemacht, man solle das Budget für Muellers Team so weit kürzen, dass die Ermittler ihre Arbeit nicht mehr verrichten könnten.
Doch wer ist eigentlich Robert Mueller, der Mann mit dem strengen Scheitel, der 50-Dollar-Casio am Handgelenk, der zur Arbeit nie etwas anderes als ein weisses Hemd, einen dunklen Anzug und eine unscheinbare Krawatte tragen würde? Und der nun plötzlich zwischen den Fronten von zwei sich bekämpfenden Parteien steht?
Zwei Teenager an Eliteschulen
Sein Leben beginnt ähnlich wie das des Objekts seiner Ermittlungen: im Komfort des Wohlstands. Robert Swan Mueller III wird 1944 in New York geboren. Sein Vater ist hoher Manager beim Chemiekonzern DuPont, im Krieg hatte er als Navy-Offizier auf einem Zerstörer gedient. Die Muellers sind deutsch-englisch-schottischer Abstammung, Roberts Ururgrossvater wanderte 1855 aus Preussen in die USA ein.
Zweiundzwanzig Monate nach Mueller kommt in derselben Stadt in einer wohlhabenden deutsch-schottischen Familie ein Baby namens Donald Trump zur Welt.
Die Jugendjahre der beiden Männer verlaufen ähnlich. Robert Mueller wächst in der Nähe von Philadelphia auf, besucht als Teenager die elitäre St. Paul’s School in Concord, New Hampshire. Er spielt Eishockey – unter anderen mit John Kerry, dem späteren US-Aussenminister – und ist Kapitän der Lacrosse-Mannschaft.
Zur selben Zeit besucht Donald Trump die New York Military Academy, ein privates Internat, in dem die Schüler Militäruniformen tragen.
Für das College zieht Robert Mueller nach Princeton, Trump besucht die Wharton School an der University of Pennsylvania. Beide Schulen zählen zur ivy league, den besten und traditionsreichsten Universitäten des Landes.
Und damit enden die Gemeinsamkeiten der beiden Männer. Robert Mueller meldet sich 1967 freiwillig für den Wehrdienst, heiratet kurz zuvor seine Freundin aus Teenagerzeiten, wird Kadett im U.S. Marine Corps, zum Fallschirmjäger ausgebildet und durchläuft – ungewöhnlich für einen Marine – auch die Eliteausbildung an der Army Ranger School.
Trump gelingt es zur gleichen Zeit, der Einberufung in die Armee zu entgehen. Seine Begründung: Er habe einen Knochensporn an der linken Ferse.
Im Juli 1968 wird Robert Mueller nach Vietnam geschickt. Es ist das Jahr der Wende, Nordvietnam hat die Tet-Offensive lanciert, 1968 sollte für die USA das mit Abstand verlustreichste Jahr des Krieges werden. Auch für Mueller.
In der Hölle von Mutter’s Ridge
Muellers Infanterieeinheit, er kommandiert als Leutnant einen platoon von rund 30 Männern, ist im Norden Südvietnams stationiert, nahe der Grenze. Die Männer streifen tagelang im hügeligen Dschungel umher, geraten in Hinterhalte, liefern sich zahlreiche Gefechte mit eingegrabenen Einheiten der Nordvietnamesen.
Im Dezember 1968 kämpft Muellers Zug in einer mehrtägigen Schlacht um eine Krete namens Mutter’s Ridge. Dreizehn Marines verlieren ihr Leben, Mueller rettet einen Kameraden. Einige Monate später wird Mueller während eines Gefechts im selben Gebiet von einer Kugel am Oberschenkel getroffen. Er kämpft mehrere Stunden weiter, ehe er per Hubschrauber evakuiert wird.
Im Juli 1969 ist der Krieg für ihn zu Ende. Er kehrt dekoriert – unter anderem mit dem Purple Heart und dem Bronze Star – zurück zu seiner Frau und seiner Tochter, die während seines Einsatzes zur Welt kam.
Seinen Plan einer Militärkarriere lässt er fallen, er schreibt sich an der University of Virginia School of Law ein, wird Jurist – und beginnt eine lange Karriere in den Justizbehörden seines Landes.
«Mueller, homicide»
Dem Department of Justice dient Mueller ab 1976 mit nur wenigen Unterbrüchen. Er sieht die Präsidenten Carter und Reagan kommen und gehen. 1990, unter George Bush Senior, steht Mueller der Kriminaldivision des Justizministeriums vor. Während dieser Zeit verantwortet er den Prozess gegen den gestürzten Diktator Panamas, Manuel Noriega, leitet die Ermittlungen im Bombenattentat auf den Pan-Am-Flug 103 (Lockerbie) und bringt den Boss der New Yorker Gambino-Familie, John Gotti, hinter Gitter.
Nach der Amtsübernahme von Bill Clinton 1993 wechselt Mueller in die Privatwirtschaft und heuert bei einer renommierten Kanzlei in Boston an. Sein Einkommen vervielfacht sich, doch glücklich wird Mueller nicht. 1995 ruft er Eric Holder an: Der spätere Justizminister unter Barack Obama leitet zu dieser Zeit die Staatsanwaltschaft von Washington D.C., der Hauptstadt, die in einer Mord- und Gewaltwelle versinkt. Mueller kehrt zurück in den öffentlichen Dienst und übernimmt unter Holder die Abteilung Mordfälle. «Mueller, homicide» wird seine Begrüssung am Telefon.
Im Frühsommer 2001 erhält Mueller einen Anruf von George W. Bush. Der Nachfolger von Bill Clinton im Weissen Haus bietet dem 57-Jährigen den Job als Chef der Bundespolizei FBI an. An der Pressekonferenz, an der Bush seinen neuen Kandidaten für das FBI-Direktorium präsentiert, sagt Robert Mueller genau neun Sätze. Er redet weniger als eine Minute.
Am 2. August 2001 wird Mueller im Senat ohne Gegenstimme bestätigt. Am 4. September, einem Dienstag, nimmt er seine Arbeit auf.
Genau eine Woche später steigt eine Rauchsäule in den klaren, blauen Morgenhimmel über Manhattan. Und Amerika wird nie mehr sein wie zuvor.
«Demokratie retten, nicht praktizieren»
Im Nachgang der Terroranschläge des 11. September 2001 werden das FBI und die Nachrichtendienste der USA mit Kritik überschüttet, weil sie nicht koordiniert gearbeitet und Warnsignale übersehen hatten.
Mueller beginnt, das FBI zu modernisieren. Nie wieder soll eine derartige Katastrophe auf heimischem Boden geschehen. Sein Führungsstil ist autoritär; Geduld mit Untergebenen, die ihm widersprechen, hat er wenig. Mehrmals soll er in Sitzungen ein Zitat aus dem Actionfilm «Crimson Tide» verwenden, in dem der von Gene Hackman gespielte U-Boot-Kapitän sagt: «Wir sind hier, um die Demokratie zu retten, nicht, um sie zu praktizieren.»
2003 stimmt auch Mueller, genau wie sein Kollege von der CIA, George Tenet, in den Chor derer ein, die einen Angriff auf Saddam Husseins Irak fordern.
Der Krieg ist ein Kinderspiel, doch die Besetzung wird zum Fiasko für Bush und die USA. Berichte von Folterungen im Militärgefängnis Abu Ghraib im Irak sowie in von der CIA betriebenen black sites (Geheimgefängnissen) erschüttern das Bild der Welt von den Vereinigten Staaten. Muellers FBI entgeht der Schande vergleichsweise gut; er hatte seinen Mitarbeitern verboten, an folterähnlichen Verhören der CIA beizuwohnen.
Einen Beweis dafür, dass er das Recht vor den Präsidenten stellt, liefert Mueller im Frühjahr 2004. Sein Chef, Justizminister John Ashcroft, liegt nach einer Operation an der Gallenblase im Krankenhaus, als George W. Bush und sein Rechtsberater Alberto Gonzales ihre Chance wittern. Gonzales fährt ins Krankenhaus und will den geschwächten Ashcroft überreden, ein Dekret zu unterschreiben, das das Abhören von Telefonaten ohne richterlichen Beschluss erlaubt. Mueller erfährt davon und schickt den Vizejustizminister, James Comey, ins Krankenhaus, wo er Gonzales daran hindert, das Zimmer von Ashcroft zu betreten. Als Bush am nächsten Tag das Dekret trotzdem bewilligt, drohen Mueller und Comey mit dem Rücktritt. Darauf knickt der Präsident ein und passt den Wortlaut an.
Als Muellers zehnjährige Amtszeit als Direktor des FBI im Herbst 2011 ausläuft, bittet ihn Barack Obama, zwei weitere Jahre zu bleiben. Der Senat bestätigt ihn wieder ohne Gegenstimme.
Der gross gewachsene, drahtige Mann wird zur Ikone des integren Staatsdieners, seine Hemdfarbe wird zum Symbol der weissen Weste, die man Mueller attestiert. Als ein hoher FBI-Mitarbeiter eines Tages mit einem rosafarbenen Hemd und französischen Manschetten zur Arbeit erscheint, stellt ihn Mueller zur Rede und fragt, was dieser Auftritt soll. «Sir, Sie haben gesagt, wir kleiden uns hier wie Anwälte», sagt der Mitarbeiter. «Das tun wir», erwidert der Chef, «aber doch nicht wie ein Verteidiger eines Drogendealers.»
Im September 2013 tritt Mueller nach zwölf Dienstjahren an der Spitze des FBI ab und übergibt an seinen Nachfolger James Comey, ebenfalls ein registriertes Mitglied der Republikanischen Partei.
Nun hätte Mueller noch einige Jahre in einer privaten Kanzlei Geld verdienen können. Doch im November 2016 wird Donald Trump gewählt. Und wieder wird Amerika nie mehr sein wie zuvor.
Die Vögel singen
Schon vor Trumps Sieg erhält das FBI Hinweise, dass die russische Regierung die Wahlen zu beeinflussen versucht. Bald tauchen auch Berichte über Treffen einzelner Personen aus der Trump-Kampagne mit Informantinnen aus Russland auf. Trumps nationaler Sicherheitsberater Michael Flynn muss zurücktreten, weil er Kontakte zum russischen Botschafter in Washington verheimlicht hat.
FBI-Chef James Comey nimmt Ermittlungen zu den russischen Aktivitäten auf, wird jedoch Anfang Mai 2017 von Trump kurzerhand entlassen.
Und so kommt Robert Swan Mueller III wieder ins Spiel: Vizejustizminister Rod Rosenstein beauftragt ihn als special counsel, die Arbeiten von Comey fortzuführen. Rosensteins Chef Jeff Sessions lässt ihn gewähren, hält sich wegen Befangenheit aber aus der Sache raus; auch er hatte Kontakte zu Russlands Botschafter in Washington verheimlicht.
Das Mandat, das Rosenstein dem special counsel ausstellt, ist breit gefasst: Mueller und sein Team sollen Verbindungen zwischen Individuen aus der Trump-Kampagne und der russischen Regierung untersuchen – und zudem allen weiteren Verdachtsmomenten nachgehen, die im Lauf der Ermittlungen entstehen.
Ein Mitstreiter Trumps nach dem anderen fällt Mueller in die Hände. Kampagnenleiter Paul Manafort, dessen Geschäftspartner Rick Gates, der abgetretene Sicherheitsberater Michael Flynn und weitere: Mueller zwingt sie dazu, unter Eid auszusagen, und bringt sie mit der Aussicht auf ein reduziertes Strafmass dazu, mit den Ermittlern zu kooperieren. Alle gehen darauf ein. Alle singen. Auch zwei Dutzend russische Staatsbürger nimmt Mueller ins Visier.
Plötzlich ist Muellers Arbeit gefährdet
Immer weiter arbeitet sich der special counsel zum Präsidenten vor. Ab und zu kursiert das Gerücht, Trumps Schwiegersohn Jared Kushner oder einer seiner eigenen Söhne werde bald von Mueller angeklagt. Selbst gegen Trump persönlich könnten Ermittlungen wegen Behinderung der Justiz im Zusammenhang mit der Entlassung von James Comey laufen. Mueller äussert sich nicht dazu.
Je näher Mueller kommt, desto schriller werden der Präsident und seine Vasallen. «Hexenjagd» ist auf Fox News längst zum stehenden, nie hinterfragten Begriff geworden.
Kein hoher Republikaner wagt es mehr, Mueller öffentlich den Rücken zu stärken. Als Trump am Tag nach den Kongresswahlen Sessions feuert und durch Matthew Whitaker ersetzt, bleibt es in der Grand Old Party still.
Whitaker hat bereits durchblicken lassen, dass er Rosenstein die Aufsicht über Mueller entziehen wolle und Mueller selbst beaufsichtigen werde. Das heisst: Alles, was Mueller und sein Team erarbeiten, landet bei Whitaker, dem treuen Gefolgsmann von Donald Trump.
Nun rächt es sich, dass sich der republikanisch dominierte Senat in den Wochen vor den Wahlen geweigert hat, Muellers Ermittlungen unter gesetzlichen Schutz zu stellen und ihn zur Rechenschaft vor den Kongress zu ziehen. Theoretisch könnte Whitaker die Arbeiten also tatsächlich abwürgen oder den Bericht des special counsel in den Archiven verschwinden lassen.
Tausende Wählerinnen und Wähler wollen das verhindern. In Dutzenden von Städten, von Seattle bis Baltimore, protestierten sie am Wochenende mit dem Twitter-Aufruf #ProtectMueller für den Sonderermittler. Als ob er eine vom Aussterben bedrohte Art wäre. In den vergangenen Tagen erhielt Trump Post von mehreren demokratischen Kongressmitgliedern, die sich hinter Mueller stellen.
Und was sagt Mueller selbst zu den Vorgängen? Nichts. Er steht als Stoiker mitten im wildesten Politzirkus, den die Vereinigten Staaten je gesehen haben.
Er redet nur, wenn es unbedingt nötig ist. Und noch ist es nicht so weit.