Männerfressende Medusa oder Midlife-Crisis?
In letzter Zeit hört man vom privilegierten, mächtigen Mann als Opfer. Am Obergericht Zürich spielte sich der brachiale Versuch ab, eine solche Erzählung auf dem Rechtsweg durchzusetzen. Es klang aber eher nach schlechter Seifenoper.
Von Yvonne Kunz, 07.11.2018
Ort: Obergericht Zürich
Zeit: 26. Oktober 2018, 13.30 Uhr
Geschäfts-Nr.: GG170009
Delikt: Mehrfache Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB
Der Prozess beginnt mit der Bitte an die Journalistinnen um Diskretion. Der Kläger ist CEO eines grösseren Schweizer KMU, schnittig-militärischer Typ, verheiratet mit Familie. Flankiert von zwei Anwältinnen sitzt er vor Obergericht, in einer delikaten Sache. Die Beschuldigte ist eine grazile karibische Schönheit mit Doktortitel in Wirtschaft. Sie soll ihn genötigt haben. Der Gerichtsvorsitzende Franz Bolliger befragt sie zu ihrer Wohnsituation. Ja, sie bewohne mit ihren Kindern eine Eigentumswohnung. 78 Quadratmeter, Kaufpreis 1,65 Millionen Franken. Wie sie ihren Lebensunterhalt bestreite? «I don’t», sagt sie. Sie habe ein kleines Pensum an einer Uni, ansonsten leihe ihr der Vater Geld. Wie sie sich die Wohnung habe leisten können? «No comment.»
Laut Anklage begannen der CEO und Frau Doktor 2006 ein heimliches Verhältnis. Das erste Kind kam 2010, das zweite 2012 zur Welt – seither wird in mehreren Verfahren blindwütig prozessiert. Zwei DNA-Gutachten bezifferten die Wahrscheinlichkeit einer Vaterschaft mit 99,999 Prozent. Trotzdem zog der CEO den Vaterschaftsentscheid des Bezirksgerichts Meilen vergeblich bis vor Bundesgericht. Auch in der vorliegenden hängigen Strafsache focht der heute 50-Jährige bisher jeden Entscheid an. Mit ähnlich geringen Chancen – was auch an den inkonsistenten Aussagen des Mannes selbst liegt.
Vom Stalking zum «Liebesrausch»
In seiner Anzeige 2013 gab er an, er sei Opfer einer ihm nicht näher bekannten Dame, mit der er zwei-, dreimal Sex gehabt habe. Dabei sei diese schwanger geworden, nötige, erpresse und stalke ihn nun. Er stehe in der Öffentlichkeit: Branchenverband, Zunft, Kirche. Sie habe bereits seinen Vater und die Ehefrau informiert. Konkrete Anhaltspunkte wie Drohmails habe er nicht, die Frau sei geschickt. Die Vorwürfe liessen sich nicht erhärten, und die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren 2014 ein.
Dagegen rekurrierte der CEO erfolgreich, und die Sache landete 2017 doch noch vor dem Bezirksgericht Zürich. Nun sprach der Kläger davon, sich damals in die Beschuldigte verliebt und von einer gemeinsamen Zukunft mit Kind und Haus am Meer geträumt zu haben. In diesem «Liebesrausch» hätten sie gar beschlossen, zusammenzuziehen. Doch als das erste Baby kam, habe er sich ausgeliefert gefühlt. Und schon bald nichts mehr für seine Geliebte verspürt. Er habe sich trennen wollen, sie habe Theater gemacht. Er habe sie mit Sex und Geld ruhiggestellt. Ein Schock, als sie wieder schwanger wurde. Angst und Panik hätten ihn erfasst, er brauchte psychiatrische Begleitung.
Die Beschuldigte bestritt nie, vom Kläger Geld erhalten zu haben. Erstmals 2008, für die Miete der gemeinsamen Wohnung. Richtig, sie habe den Vater und die Ehefrau konfrontiert. Jahrelang habe der CEO sie gebeten, die Beziehung geheim zu halten, bis er bereit sei für die Trennung von seiner ersten Familie. Ja, sie habe sich gewünscht, er würde die Vaterschaft anerkennen und einen finanziellen Beitrag leisten. Sie sei des Wartens müde geworden und habe reinen Tisch gemacht – auch gegenüber dem eigenen Partner, der glaubte, die Kinder seien von ihm.
In seinem neunzigseitigen Urteil kam der Bezirksrichter zum Schluss, ausser den Aussagen des Klägers wiesen alle Indizien auf eine normale Paarbeziehung hin: herzige Fotos, Dutzende verliebte SMS.
Eines aber glaubte der Bezirksrichter dem Mann: dass er im Stress war. Was aber nicht an einem strafbaren Verhalten der Frau gelegen habe, sondern an der Situation selbst. Wie sagte der Psychiater in seiner Zeugenaussage? Es gehe um «das Gefühl, erpressbar zu sein». Insgesamt entstehe der Eindruck, der Mann wolle sich rehabilitieren. Mit einem Schuldspruch würde er vom untreuen Ehemann zum hilflosen Opfer einer Straftat. Die Frau wurde freigesprochen. Der Mann legte Berufung ein.
Als der Gerichtspräsident die Contenance verliert
Nun also geht der Kampf des CEO um seine Version der Geschichte weiter, vor Obergericht. Und mit groben Mitteln. Über eine Stunde lang liest die eine seiner beiden Anwältinnen, Anna Schuler-Scheurer, eine Liste mit zusätzlich beizuziehenden Akten vor. Zudem will sie, dass die gesamte elektronische Kommunikation zwischen den Parteien noch einmal ausgewertet werde. Zum Ende ihres Vortrags steht sie inmitten verstreuter Einkaufstüten, in denen sie Dokumente ordnerweise angeschleppt hat. Angebliche Beweise. Damit nicht genug: Der Ex der Frau soll als Zeuge einvernommen werden – er warte vor der Tür.
Für die Gepflogenheiten des Obergerichts ist die Darbietung dermassen schlechter Stil, dass der Gerichtspräsident die Contenance verliert: «Eine Zumutung!» Es sei doch genügend Zeit gewesen, die Anträge vorab zu stellen. Zudem würden damit die Akten weiter aufgebläht – sie umfassen bereits 50 Bundesordner, also reichlich Material für einen simplen Fall. Und ob die Anwältinnen wirklich glaubten, das Gericht würde einen aus dem Hut gezauberten Zeugen aus dem Stegreif befragen? «Eine ungehörige Frechheit.»
Sie seien eben sehr ausgelastet gewesen, übernimmt jetzt die zweite Klägeranwältin, Maria Clodi. Ihr Vorgehen sei, erstens, gemäss Strafprozessordnung rechtens. Zweitens gehe es um «Lebenssachverhalte», deren Komplexität die Vorinstanz mit ihrem «tendenziösen, moralischen Fingerzeig» von einem Urteil völlig verkannt habe. Von wegen Naivchen, das geglaubt habe, der erfolgreiche CEO würde für sie seine Frau verlassen! Da habe sich der Bezirksrichter einwickeln lassen. Sie ist überzeugt: «Positiver Sexismus spielt der Frau in die Hände.»
Während dreier Stunden zeichnet Rechtsanwältin Clodi das Bild einer männerfressenden Medusa. Eine, die dem Kläger im entscheidenden Moment das Kondom vom Penis reisst. Und nicht zögert, in ihrem «pathologischen Streben nach einem Upper-Class-Leben» ihre Kinder einzusetzen. «Sie geht über Leichen», sagt Clodi – eine gewagte Formulierung in einem Strafprozess, in dem es um die Feststellung exakter Tatbestände geht. Sie spricht wohl von der zweiten Schwangerschaft: Erst mit Zwillingen schwanger, verlor die Frau ein Kind. Dutzendfach kommt auch der Hinweis, dass die Beschuldigte eine Nanny habe und «nie kocht». Für Arbeit sei sie sich zu fein: «Dafür hat man Hausgesinde.»
Das Businessmodell der Frau sei es, reiche Männer auszunehmen. Schon in ihrer Heimat in der Karibik habe sie einen westeuropäischen Millionär abgezockt. Ein Praktikum bei einer Grossbank, für das sie in die Schweiz kam? Das Einfallstor. Das Thema ihrer Doktorarbeit, Corporate Compliance? Gerissen gewählt: Es verschaffte ihr Zugang zu den Chefetagen. Von mindestens drei Männern habe die Frau in der fraglichen Zeit gelebt. Ihr langjähriger Partner und Noch-Ehemann sei «ihre Aufenthaltsgenehmigung und das bedingungslose Grundeinkommen». Dann sei da noch ein prominenter Grossbanker gewesen, der habe ihr Millionen überwiesen.
Als ihr der CEO, um den es beim Prozess eigentlich geht, damals von seiner Midlife-Crisis erzählte – Stress im Beruf, zu Hause getrennte Schlafzimmer –, habe die Frau gewusst: «Das ist mein Eintrittsticket zu den Superreichen.» Sie habe die Schwäche ihres Opfers eiskalt ausgenutzt. Immer wieder erlag der Mann der süssen Macht der Frau. Als Sex nicht mehr reichte, liess sie sich schwängern und erhöhte den Druck. Er löst Aktienpakete auf, mit Verlust! Zwei Jahre lang habe er ihre Sucht nach Bentleys und Luxusferien finanziert. Die insgesamt 200’300 Franken will er zurück, samt Zins und einem Schmerzensgeld von 10’000 Franken. Zudem soll das Gericht eine angemessene Strafe aussprechen.
Für das Plädoyer des Verteidigers der Angeklagten, Tobias Kazik, bleibt keine Zeit. «Himmelschreiend», wie er findet. Die eigentliche Frage sei ja, ob der Beschuldigten rechtsgenügend nachgewiesen werden könne, den CEO mit «In-Aussicht-Stellung eines Übels» veranlasst zu haben, die Zahlungen zu leisten. «Dazu haben wir nichts gehört», resümiert er trocken. Nur dass die Frau ein schlechter Mensch sei. In diesem Punkt ist dem Verteidiger beizupflichten: Das Einzige, was die Anwältinnen dazu vorbrachten, war dieser Vergleich: «Zu glauben, wo viel Sex ist, kann keine Nötigung sein, ist wie zu sagen, es gäbe keine Vergewaltigung in der Ehe.»
Was den Schluss zulässt, dass es hier um viel geht. Um Macht, Moral und Reputation – aber nicht so sehr um Recht. Auch nicht im nächsten Jahr, wenn der Prozess weitergeht.
PS: Falls Sie sich das auch gefragt haben: Einen Bentley bekommt man zum genannten Preis höchstens gebraucht.
Illustration: Friederike Hantel