Der christliche Porno-Pöstler
Von Elia Blülle, 30.10.2018
Vier Jahre bevor Postdirektor Felix Rosenberg wegen Beihilfe zur Pornografie verurteilt wurde, war seine Welt noch in Ordnung. Im Oktober 1991 verkündete er stolz: «Wir lassen Ihre Kassen klingeln!»
Grund für diesen Ausruf war ein revolutionäres Angebot: der Telekiosk 156. Über siebenstellige Telefonnummern konnte man Fahrpläne oder Horoskope abrufen und sich zu neuen Modetrends beraten lassen.
Das Angebot funktionierte. Bei Gesprächstaxen von bis zu zwei Franken pro Minute kassierten die Anbieter gut und gerne 20’000 Franken pro Monat. Die Post setzte innert zweier Jahre eine Viertelmilliarde Franken um.
Für die Gewinne erntete Rosenberg viel Applaus. Sowieso hatte er alles, was man als Postdirektor brauchte: Er war Christdemokrat, so schillernd wie ein Pappbecher und Sohn eines berühmten Vaters; Martin Rosenberg erfand nicht nur die bundesrätliche Zauberformel, er leitete auch als CVP-Generalsekretär ein Vierteljahrhundert lang die Parteigeschicke.
Felix Rosenberg wollte eigentlich Dozent und Mönch werden. Studierte Geschichte und Literatur. Verliebte sich. Wechselte das Studium, wurde Jurist, machte Karriere. Und kaum hatte er seinen 33. Geburtstag gefeiert, wählte ihn der Kanton Thurgau zum Regierungsrat. So jung war bis dato noch keiner in diesem Amt gewesen.
Siebzehn Jahre später kam das Unheil. Ausländische Telefonsexanbieter interessierten sich zunehmend für die lukrativen 156er-Nummern. Rosenbergs Post vermietete fleissig. Doch es dauerte nicht lange, und christliche Frömmler fürchteten den Sittenzerfall. Kinder verwählten sich und hatten statt Tante Emma eine niederländische Sextelefonistin am Ohr. Jugendliche belasteten die elterlichen Telefonrechnungen mit Spassanrufen.
Es hagelte Anzeigen. Die Staatsanwaltschaften der Kantone Zürich, Waadt und Tessin leiteten Untersuchungen ein. Die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) klagte gegen die Post. Die Partei schrieb, das «perverse neue Medium» offeriere «Kinderseelen-Mörderprogramme», PTT-Direktor Felix Rosenberg sei durch das Angebot «an Sodomie mit Kindern» mitschuldig.
Als im selben Jahr ein Team von Spiegel-TV eine Reportage über das Schweizer Telefonsexgewerbe drehte, sagte Rosenberg zu den Vorwürfen: «Wir haben den Auftrag, die Schläuche zu verlegen, doch für die Jauche – in der Schweiz sagen wir Gülle – sind wir nicht zuständig.»
Das Bezirksgericht Lausanne sah das anders. Es verurteilte Rosenberg im Oktober 1993 zu einer Geldstrafe von 20’000 Franken und zwei Monaten bedingter Haftstrafe wegen Beihilfe zur Pornografie. Der Staatsanwalt warf dem Postdirektor vor, dass Kinder und Jugendliche ungehinderten Zugang zum «postalischen Bordell» gehabt hätten. Er hätte die notwendigen Massnahmen ergreifen müssen, um dies zu verhindern.
Die PTT reagierte. Ab sofort war Telefonsex nur noch mit PIN-Code erlaubt. Wer nicht spurte, wurde gesperrt. Für die inländischen Hotline-Anbieter war das ein Desaster. Sie gründeten eine «Interessengemeinschaft Telekiosk» und warnten vor dem Verlust von Arbeitsplätzen und Millionenumsätzen.
Auch nicht auf sich sitzen liess das Urteil CVP-Postdirektor Rosenberg. Er zog es weiter bis vor Bundesgericht. Dieses schwächte seine Strafe zwei Jahre später zwar ab, doch bestätigte es den Befund des Lausanner Bezirksgerichts vollumfänglich: Rosenberg, der ein Mönch werden wollte, war nun offiziell verurteilt. Wegen Gehilfenschaft zu strafbarer Pornografie.
Sex im Ohr: Wie der Telefonsex die Schweiz eroberte
1991 besuchte ein Reporterteam vom deutschen Spiegel-TV Zürich und drehte eine Reportage über das Telefonsexgewerbe in der Schweiz. Ein wunderbares Zeitdokument, ein Blick hinein lohnt sich.
Quellen: Schweizerische Mediendatenbank («Tages-Anzeiger», «Weltwoche», SDA)
Unter diesem Titel erscheinen in loser Folge Anekdoten zur Schweizer Geschichte. Hier gehts zur Sammlung der bisher erschienenen Beiträge.
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