Weniger junge Leser, weniger Asylgesuche und weniger Väter im Bundesrat
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (30).
Von Dennis Bühler, 25.10.2018
Wenn Sie diese Zeilen lesen, sind Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit älter als 30 Jahre alt. Wie kommen wir darauf?
Das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich hat diese Woche anlässlich der Präsentation seines Jahrbuchs «Qualität der Medien» vermeldet, dass 53 Prozent der 16- bis 29-Jährigen zur Gruppe der sogenannten «News-Deprivierten» gehören.
Das heisst: Junge Erwachsene konsumieren selten Nachrichten. Stattdessen nutzen sie Unterhaltungsangebote. Die Gruppe der News-Abstinenten ist in den letzten Jahren stark angewachsen: 2009 gehörten ihr noch 32 Prozent der jungen Erwachsenen an – 20 Prozent weniger als heute.
Ebenfalls wachsend ist die Gruppe der global surfers. Sie interessieren sich zwar für Nachrichten, konsumieren sie aber ausschliesslich online und gratis – und in der Regel nicht von Schweizer Medienhäusern.
Von dieser Entwicklung bleibt auch die Republik nicht verschont. Wie dem Anfang Monat publizierten Geschäftsbericht zu entnehmen ist, sind lediglich 0,6 Prozent aller Leserinnen jünger als 20 Jahre alt. Und auch die Gruppe der 21- bis 30-Jährigen ist mit 12,6 Prozent untervertreten. Kurzum: Jüngere Generationen sind offenkundig weniger bereit, für hintergründigen Journalismus zu bezahlen.
Mark Eisenegger, Medienprofessor der Universität Zürich, sieht vor allem die Schulen in der Pflicht. «Wir investieren viel in Frühfranzösisch, Frühenglisch und andere Fertigkeiten», sagte er in einem Interview mit der Tamedia-Mantelredaktion. Es müsse aber auch früh angesetzt werden mit der News-Konsumation. «Mit der Pflege der Lektüre von Medienartikeln, dem Erkennen von Qualitätsunterschieden. Fächer wie Geschichte oder Mensch und Umwelt wären dafür hervorragend geeignet.»
Mit diesem akademischen Appell kommen wir zu einem kleinen Jubiläum: Zum 30. Mal präsentieren wir Ihnen im Briefing aus Bern, was in dieser Woche in der schweizerischen Innenpolitik für Schlagzeilen sorgte.
Profitieren Mütter vom Bundesratsverzicht der Väter?
Das müssen Sie wissen: Mit grösster Wahrscheinlichkeit werden die St. Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter, der Nidwaldner Ständerat Hans Wicki oder der Schaffhauser Regierungsrat Christian Amsler den abtretenden Bundesrat Johann Schneider-Ammann ersetzen. Gestern endete die Bewerbungsfrist der FDP. Bis heute Abend sollten nun auch alle Christdemokraten hervortreten, die Doris Leuthard ablösen wollen. Bis anhin haben sich der Zuger Ständerat Peter Hegglin, die Baselbieter Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter und die Urner Regierungsrätin Heidi Z’graggen gemeldet. Gestern erhielt das Trio erwartungsgemäss Zuwachs: Die vergangene Woche erfolgreich operierte Walliser Nationalrätin Viola Amherd erklärte, dass sie ebenfalls kandidiert.
Das ist bemerkenswert: Etliche Männer haben mit Verweis auf ihre Frauen und Familien auf eine Kandidatur verzichtet. So sagte beispielsweise FDP-Ständerat Andrea Caroni, er könne nicht gleichzeitig seinen zwei Kindern ein guter Vater und dem Land ein guter Bundesrat sein. Ähnlich argumentierten verschiedene CVP-Politiker. «Es lebe die Familie!», bilanzierte die «NZZ am Sonntag» folgerichtig.
So geht es weiter: Noch nie gab es eine Bundesrätin mit schulpflichtigen Kindern. Und jetzt: Bahn frei für die Mütter, da die Väter gleich reihenweise verzichten? Kaum. Die beiden Favoritinnen Keller-Sutter und Amherd sind genauso kinderlos wie die Aussenseiterin Z’graggen. Nur Schneider-Schneiter hat mit ihrem Mann Kinder grossgezogen. Von aussen gesehen tat sie das mit Erfolg: Ihre vor kurzem volljährig gewordene Tochter folgt ihrem Vorbild – im kommenden März will sie zu den Baselbieter Landratswahlen antreten. Für die CVP, wie ihre Mutter.
Wer zündelt mit der SVP gegen den Migrationspakt?
Das müssen Sie wissen: Im Juli einigten sich 191 Mitgliedsstaaten auf die erste Migrationsvereinbarung in der Geschichte der Vereinten Nationen. Ziel ist es, Migration «sicher, geordnet und regulär» zu machen. Anfang Monat hat der Bundesrat beschlossen, den Pakt zu unterzeichnen. Erfolgen soll die Unterschrift im Dezember in Marokko. Wichtig zu wissen: Rechtlich verbindlich ist das 34-seitige Werk nicht.
Das ist passiert: Die SVP hat im Migrationspakt einen Steilpass erkannt. Um bei der Abstimmung über die Selbstbestimmungsinitiative am 25. November doch noch zu punkten, malt sie seit Wochen den Teufel an die Wand. Neu ist, dass auch FDP-Politiker ins Wehklagen einstimmen. So sagt Nationalrätin Doris Fiala, der Bundesrat dürfe den Pakt niemals unterzeichnen, sonst gebe es «einen Aufstand in der Bevölkerung». In ihren Augen strebt der Pakt eine Art «globale Personenfreizügigkeit» an, weshalb er bei Migranten überzogene Erwartungen schüre. Gerechtfertigt ist die Empörung nicht. Denn in der Vereinbarung heisst es klipp und klar: «Der Migrationspakt bekräftigt das souveräne Recht der Staaten, ihre eigene nationale Migrationspolitik zu bestimmen.»
So geht es weiter: Vergangene Woche hat die bürgerliche Mehrheit der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats eine Motion überwiesen, mit der sie den Bundesrat auffordert, den Migrationspakt vor der Unterzeichnung dem Parlament zu unterbreiten. Zwar wird der Bundesrat deshalb Anfang November gegenüber der Kommission zu verschiedenen mit dem Pakt zusammenhängenden Fragen Stellung nehmen müssen. Mehr als ein Störfeuer dürfte der Aufschrei von SVP und FDP jedoch nicht sein. Denn auch wenn die beiden Parteien im Bundesrat die Mehrheit haben: Es ist nicht anzunehmen, dass die Landesregierung auf ihren Entscheid zurückkommt.
Wie reagiert die Schweiz auf die Ermordung Khashoggis?
Das müssen Sie wissen: Nach dem mutmasslichen Auftragsmord am Journalisten Jamal Khashoggi diskutieren weltweit Regierungen darüber, wie sie künftig mit Saudiarabien umspringen sollen. Auch der Bundesrat hat gestern darüber gesprochen, aber noch nichts entschieden. Zurzeit sind zwei bedeutende politische Geschäfte pendent: Zum einen will die Schweiz im Rahmen des automatischen Informationsaustauschs ab September 2019 Daten nach Riad schicken; zum anderen berät das Parlament nächstes Jahr die Ratifizierung des im vergangenen Februar unterzeichneten Doppelbesteuerungsabkommens mit Saudiarabien.
Diesen Spielraum hat die Schweiz: National- und Ständerat haben die Ausdehnung des Informationsaustauschs auf Saudiarabien und vierzig weitere Staaten im vergangenen Jahr beschlossen. Zwar muss der Bundesrat vor den ersten Datenlieferungen für jedes der Partnerländer einen separaten Prüfbericht vorlegen; doch soll es darin einzig um die Datensicherheit und die Datenvertraulichkeit gehen. Wenn die Schweiz die versprochenen Daten verweigerte, wäre dies daher auf jeden Fall als politischer Entscheid zu werten, mit Konsequenzen für die bilateralen Beziehungen. Ein Affront wäre es auch, wenn das Doppelbesteuerungsabkommen nicht ratifiziert würde. Die Frage ist, ob die Schweiz solche Verwerfungen angesichts des scheusslichen Mordes nicht doch riskieren sollte.
So geht es weiter: Im Alleingang wird der Bundesrat Saudiarabien kaum hart bestrafen. Er wird jedoch allfällige vom Uno-Sicherheitsrat beschlossene Sanktionen mittragen und sich eventuell auch an EU-Strafaktionen beteiligen. In Erwägung zieht der Bundesrat auch einen sofortigen Stopp der Waffenausfuhren nach Saudiarabien. Allerdings ist Riad gegenwärtig ohnehin kein wichtiger Abnehmer: 2017 betrug der Wert der Exporte 4,8 Millionen Franken – bloss gut 1 Prozent der gesamten Schweizer Rüstungsausfuhren.
Zahl der Woche: Die Fake-Prognose der SVP
In den ersten neun Monaten dieses Jahres haben 11’484 Menschen in der Schweiz um Asyl ersucht, wie das Staatssekretariat für Migration mitteilt. Das ist ein Rückgang um fast ein Fünftel im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und der tiefste Wert seit 2010. Insgeheim bedauern dürfte dies die SVP. Zwei Tage vor den letzten National- und Ständeratswahlen behauptete sie am 16. Oktober 2015, bald würden mehr als 50’000 Asylgesuche pro Jahr gestellt werden. Das Schüren der Angst zahlte sich aus: Die SVP gewann die Wahlen. Die Asylstatistik freilich entwickelte sich in der Folge diametral anders. 2016 waren es rund 27’200 Gesuche, 2017 deren 18’100. Und für 2018 rechnet der Bund gegenwärtig mit 16’500. Im nächsten Oktober wird erneut gewählt. Mit welchen Zahlen die SVP dann wohl operieren wird?
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