Wahlkampf im grünen Paradies
Amerika ist nicht nur hier der wütende Mittlere Westen, dort die Trump hassenden Grossstädte. In Vermont, der grünen Lunge Neuenglands, sorgt man sich um die Natur, die sozial Schwachen und die Knarre im Schrank. Nach dem höchsten Amt im Staat greift hier eine Frau, die früher als Mann lebte.
Von Michael Rüegg (Text) und Scott Pilgrim (Bilder), 23.10.2018
Azur Moulaert berührt das Lenkrad seines weissen Vans nur gelegentlich. Die Hände braucht er, um wild gestikulierend die Vorzüge des Kommunismus zu illustrieren, über den er leidenschaftlich referiert. Azur ist der Freund des Freundes einer Freundin. Vater französischer Deserteur, Mutter höhere Tochter aus Costa Rica. Irgendwann hat das Leben ihn hier hingespült, wie so viele. Ich habe Azur via Facebook angeschrieben, nun sind wir auf dem Weg zu seinem Haus in einem schmucken Vorort von Burlington.
Zwei Stunden zuvor war ich auf dem kleinen Flughafen gelandet, am Fusse sanft rollender Hügel, umgeben von saftigen Wiesen. Vom Flugzeug aus sah ich, wie sich die Sonne silbern im Lake Champlain spiegelte – dem grossen See, der die Westflanke des Staates umfasst wie der Fettrand ein Entrecote. Neben dem Rollfeld stehen ein paar F-16-Kampfflieger. Sie gehören der hiesigen Nationalgarde, sollen das Land beschützen – vor Kanada, das einige Autominuten nördlich liegt.
Ein paar Stunden später sitzen wir alle im Whirlpool hinter dem Haus, Azur und seine jüdische Frau, beide Umweltwissenschaftler. Noch ein Umweltwissenschaftler mit spanischem Namen und seine Flamme, eine Pflanzenbiologin der örtlichen Universität. Ein Inhalator mit Hanfextrakt macht die Runde, es wird angeregt über die unterschiedliche Wirkungsweise diverser Cannabinoide diskutiert.
Eine kleine Pazifikküste mitten in Neuengland
Das ist hier normal für einen Freitagabend, sofern Azur mit den Männern der Nachbarschaft nicht gerade den regelmässig stattfindenden Philosophieclub abhält. Wir sind an der «Westküste der Ostküste», wie dieser Streifen scherzhaft in Anspielung ans weltoffene Kalifornien genannt wird. Im liberalsten Teil des liberalen Vermont, in diesem kleinen Staat, dem lang gezogenen Streifen, der sich von der kanadischen Grenze hinunterzieht. Verts-monts, grüne Berge. Ein ländliches Gebilde, dessen Bewohner so gar nichts mit den hillbillies und rednecks gemeinsam haben, die andere Landesteile bevölkern. Auch wenn hier auf einen der total 623’000 Menschen immerhin 0,4 Milchkühe kommen.
Praktisch nur wunderbare Dinge verlassen Vermont. Hier steht die Fabrik von Ben & Jerry’s, der sympathischsten Eiscrememarke der Welt. Die Herren Ben und Jerry tüftelten einst daheim in der Küche an Rezepten. Und hatten Erfolg damit.
Azur Moulaert hingegen macht Tortillas. Er hat eine kleine Fabrik mit drei, vier Angestellten, die er wie seine Kinder liebt. Den Biomais liefert ein Farmer aus der Gegend. Azur verkauft seine gepressten Fladen, angeblich die besten der Welt, an Restaurants und Läden zwischen Boston und San Diego. Er würde gerne das ganze Gebäude im Öko-Industriepark mieten, aber die Dame, die nebenan himmlisches Shortbread backt, will nicht ausziehen.
Vermont ist ein Staat der kleinen und mittleren Betriebe, der Landwirtschaft, des lokalen Gewerbes. Die Arbeitslosigkeit ist so tief, dass man von Washington mehr Zuwanderung fordert. Der Staat ist eine Hochburg der biologischen Lebensmittel. Stammt ein Produkt aus Vermont, kann man immer einen Vierteldollar draufschlagen, die Herkunft ist Gütesiegel genug, à la Appenzell.
Man glaubt, im Paradies gelandet zu sein.
Die Menschen sind relaxt, keiner hat Stress, keine macht Stress. Nicht nur die Menschen, selbst die Hunde sind verdammt freundlich.
Das Polizeikorps besteht aus einer Handvoll Beamter, man kennt sich mit Vornamen. Auch die wenigen Obdachlosen wirken hier irgendwie adretter als in anderen Städten. Und auf der Wiese hinter meiner Unterkunft spielen Eichhörnchen zwischen Katzen, die seelenruhig daliegen. Es scheint, als ob ganz Burlington in einem angenehmen Dauerrausch wäre.
Ist es vielleicht auch: Ein Bub zeigt auf drei junge Männer, die entlang der Promenade mit Blick auf den See im Gras sitzen und an einer Tüte ziehen. «Mama, kiffen die da?» Lächelnd antwortet die Mutter: «Aber natürlich, Schatz.» Eigentlich ist öffentliches Kiffen in Vermont verboten. Eigentlich ist es auch verboten, Marihuana zu verkaufen. Legal ist derzeit einzig der Besitz.
Eigentlich, eigentlich. Ein liberales Wort. Das Gras haben die drei Jungs an der Ecke gegenüber gekauft, auf der Terrasse über einem Skateboard-Laden. Dort sitzt der bekannteste Grasdealer der Stadt und hält Hof. Er hat ein grosses Plakat aufgehängt: «Wählt David Zuckerman als Vizegouverneur wieder!»
In Vermont stehen wie überall in den USA am 6. November Wahlen an. Auch der Gouverneur wird neu bestimmt – oder die Gouverneurin, möglicherweise. Ihretwegen bin ich angereist. Denn hier könnte in Kürze Weltgeschichte geschrieben werden.
Alle lieben Christine
Vor dem vermutlich weltweit einzigen Laden für Holzfällerhemden nach Mass hängt eine Regenbogenflagge. Sie ist eine von unzähligen, die an jenem Samstag im September die Fussgängerzone säumen. Burlington feiert die Vermont Pride, das Fest der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender. Bereits im Jahr 1983 unterzeichnete der damals amtierende Bürgermeister einen Erlass, der die Pride offiziell ins Leben rief. Der Name des Mannes: Bernie Sanders. Aus dem einstigen Bürgermeister ist ein Senator geworden. Und die einflussreichste Stimme der amerikanischen Linken – der Liebling der Millennials. Fast sah es damals, im letzten Vorwahlkampf um die Präsidentschaft, so aus, als ob er Hillary Clinton vom Ticket stossen würde.
Nun marschieren sie die Strasse hinauf: Vereine, Kirchen, Uni-Gruppen, Bürgerrechtlerinnen, Umweltschützer, Jugendliche, Grossmütter. Regenbogenfähnchen schwingend und Transparente hochhaltend. Sie demonstrieren für Anerkennung, grenzenlose Liebe, saubere Energie, gegen Rassismus, Intoleranz und die Abschiebung von Flüchtlingen. Als die Abordnung der Vermont Democratic Party anrollt, steigt der Geschrei-Pegel ins Unangenehme an, die Zuschauerinnen toben.
Der Grund geht zuvorderst und winkt: Christine Hallquist. Die Kandidatin der Demokraten fürs Gouverneursamt. Herausforderin des amtierenden Republikaners Phil Scott.
Ab 2015 war Christine Hallquist CEO eines Vermonter Elektrizitätsunternehmens. Sie übernahm den Job nahtlos von David Hallquist. So hiess Christine seit ihrer Geburt und bis zu jenem Jahr, als sie zu einem gewaltigen Schritt ansetzte: ihrem Coming-out als Transfrau. Aus dem dreifachen Vater und zweifachen Grossvater ist eine Mutter und Grossmutter geworden. Und die weltweit erste Trans-Kandidatin in einem politischen Rennen dieser Grössenordnung.
«Es ist wie in der Physik», erzählt die ausgebildete Ingenieurin nach dem stundenlangen Pride-Rummel. «Auf jede Aktion gibt es eine Reaktion.» Mit der Aktion meint sie Trump. Mit der Reaktion sich selbst und viele andere im Land, die 2016 durch die Wahl des «Despoten», wie sie ihn nennt, aufgerüttelt wurden. «Ja, so verhält er sich», sagt Christine. «Wie jeder Despot haut er als Erstes den Minderheiten eine rein.» Die Rede ist etwa von einem frühen präsidialen Erlass, der Transmenschen vom Militär ausschliessen wollte. «Das ist seine Taktik.» Die da lautet? «Fear and division», sagt Christine. Angst verbreiten und die Leute auseinanderbringen. «Das Problem hat bereits unter Nixon angefangen, damals begannen die Republikaner, nur noch auf Weisse zu fokussieren.»
Sie zeichnet ein düsteres Bild der politischen Entwicklung in den Staaten: «Wenn es übel wird, muss jeder und jede sich fragen: Welche Rolle habe ich dabei gespielt?»
Christine Hallquist hat vor einem Jahrzehnt aktiv in der Kampagne für Obama mitgewirkt. Als er gewählt wurde, reiste sie mit der Familie zur Amtseinsetzung («Zum allerletzten Mal, die von Trump war viel kleiner»). Dann legte sie wie viele liberale Amerikaner die Füsse hoch: «Ich habe mich danach nur noch für den Umweltschutz engagiert, gegen den Klimawandel.» Obama war im Weissen Haus eingetütet. Der Traum eines bunten Amerikas war wahr geworden. Die progressiven Kräfte genossen die blühenden Minderheitenrechte, assen Bio-Tortillas und kämpften für saubere Seen und Flüsse. Und bemerkten nicht, dass sich am anderen Ende des politischen Spektrums etwas zusammenbraute.
2017, nach Trumps Amtseinsetzung, versammelten sich zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder rassistische Nationalisten in Vermont. An der kleinen «Westküste» Neuenglands läuteten die Alarmglocken.
Am 20. Januar dieses Jahres war Christine Hallquist in der lächerlich kleinen Hauptstadt Vermonts, dem 10’000 Seelen zählenden Montpelier. Sie besuchte einen Poetry-Slam, wo drei muslimische Mädchen darüber sprachen, wie es ist, im Amerika des Jahres 2018 ein Kopftuch zu tragen.
Vermont ist stolz auf sein für amerikanische Verhältnisse vorbildlich organisiertes Schul- und Sozialwesen. Jeder kann sich in der Schule kostenlos verpflegen. Die grossflächige Essensabgabe wurde eingeführt, damit Kinder aus armen Familien nicht stigmatisiert werden. Die Massnahme führte dazu, dass heute jeder und jede in einer Schule kostenlose Mahlzeiten findet. «Du hast Hunger?», erklärt es Azur Moulaert. «Dann geh in irgendeine Schule und iss dort. Alles gratis.»
Christine ist tief ergriffen von der Performance der drei muslimischen Schülerinnen. Sie kann nicht glauben, dass in ihrem Vermont Teenager täglich Opfer von rassistischer Ausgrenzung werden. Doch nicht hier!, denkt sie.
Das Ereignis katapultiert Christine Hallquist aus ihrem politischen Dornröschenschlaf heraus. Es ist der Tag, an dem sie beschliesst, Gouverneurin zu werden.
Nun, neun Monate und einen Erdrutschsieg in den demokratischen Vorwahlen später, steht sie neben dem Zelt ihrer Partei, auf dem Festgelände der Vermont Pride. Und verteilt eine Umarmung nach der anderen. Lesben aus den hintersten Tälern des Staates sind angereist, queere Jugendliche, Aktivisten aus allen möglichen Staaten, die hier im kleinen Vermont eine Pride erleben wollen, die frei ist vom Kommerz und von den glitzernden Muskelmännern der ähnlichen Events in den Grossstädten.
Zu Besuch bei der Grande Dame
Ein Uber-Fahrer, Typ Videospiel-Junkie, bringt mich zu meinem Termin in einem südlichen Vorort von Burlington. Christine Hallquist? Ja, die kenne er, sagt der Mann. Sie habe neulich aus Versehen bei ihm an der Tür geklingelt, sei eine sehr Nette, sagt er: «Wir haben ein bisschen geplaudert.»
«Ob Christine eine Chance hat?» Madeleine Kunin überlegt kurz. «Es ist möglich.» Kunin sitzt auf dem Sofa in ihrem einstöckigen Reihenhaus. Der Wohnraum ist für amerikanische Verhältnisse bescheiden, dafür hochwertig ausgebaut. Wake Robin, wie die Siedlung heisst, ist eine Senioren-Community südlich von Burlington. Man könnte meinen, man sitze bei einer gewöhnlichen 85-Jährigen zu Hause. Wenn da die Fotos an der Wand nicht wären. Etwa dasjenige, das Madeleine Kunin in der Air Force One zeigt, neben Bill Clinton.
Kunin war eine der ersten Frauen in den USA, die die Wahl zur Gouverneurin eines Gliedstaates schafften, hier in Vermont. 33 Jahre ist das her. Geboren wurde sie 1933 in Zürich als Tochter einer jüdischen Familie. Ihre Eltern wanderten noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges in die USA aus.
In die Schweiz kehrte Kunin später zweimal zurück. Einmal als US-Botschafterin in Bern. Dies, nachdem sie vier Jahre stellvertretende Bildungsministerin unter Präsident Clinton gewesen war. Ein erstes Jahr verbrachte sie allerdings bereits als junge Frau in Bern. «Es war die Zeit, als die Schweizer Frauen für ihr Stimmrecht kämpften», erzählt Kunin. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie selber in den USA wählen durfte, sich aber kaum für Politik interessierte. Also beschloss sie, aktiv zu werden. Kunin erklomm die höchsten Stufen der amerikanischen Politik, bevor sie hierhin zurückkehrte, wo alles begann.
1974 unterrichtete Madeleine Kunin zum ersten Mal einen Uni-Kurs zu Frauen in der Politik. Heute ist die Regierung in Washington ein Verein älterer Herren. Hatte sie gedacht, dass es so schwierig wird für die Frauen? «Es ist schon ein quälend langsamer Prozess», sagt sie mit einem Seufzer in der Stimme. Seit Jahrzehnten setzt sie sich für Frauen in der Politik ein. Hält Referate, schreibt Bücher, coacht Kandidatinnen, hat ihre eigene Organisation, die Frauen in der Politik unterstützt. Doch eines hat sie nicht: eine Antwort darauf, wie ihre Seite in zwei Jahren Trump und seine Männer aus dem Amt drängen kann.
Darum geht es. Auch hier in Vermont. Auch bei diesen Wahlen. Auch im Fall von Christine. «Danke sehr für Ihren Besuch», die 85-Jährige hat einen vollen Kalender.
Das vermeintlich wahre Gesicht des Phil Scott
Vergeblich suche ich nach dem Gespräch mit Kunin einen Wagen für meine Rückkehr ins Zentrum. In meiner Not schreibe ich Azur Moulaert, der kommt umgehend in seinem weissen Van angefahren und besteht darauf, Mrs. Kunin vor der Abfahrt noch eine Ladung frischer Tortillas in die Hand zu drücken: «Ich kenne Madeleine aus meinem Yogakurs», erklärt er.
Hallquist habe eine Chance, hatte Kunin im Gespräch gesagt. Doch so richtig überzeugt klang sie nicht. Der Grund liegt nicht an Christine und schon gar nicht an ihrem Comingout. Sondern daran, wie Vermont tickt. Auch Kunin wurde nicht im ersten Anlauf Gouverneurin. Sie war gegen einen bisherigen Kandidaten angerannt. Erst beim zweiten Mal schaffte sie die Wahl. Auch Christine könnte trotz aller Popularität daran scheitern, dass man in Vermont Bisherige nicht aus dem Amt wirft. Auch wenn man hier am liebsten Demokraten wählt – der Amtsinhaber Phil Scott ist Republikaner. Allerdings einer der soften Sorte, wie alle sagen.
«Stimmt nicht», behauptet Christine Hallquist ganz im Wahlkampffeuer. «Phil Scott zeigt jetzt sein wahres Gesicht! Das eines konservativen Republikaners.» Tatsächlich hat ihr Widersacher an Popularität verloren, von einem der beliebtesten Gouverneure sackte er innert Monaten ins hintere Drittel der Skala ab. Nach den Sommerferien empfing Scott unter den argwöhnischen Blicken der Vermonter den unbeliebten Vizepräsidenten Mike Pence, das hat auch nicht geholfen. Darüber hinaus sind vor allem drei Ereignisse für die sinkenden Umfragewerte verantwortlich: Scotts Vetos gegen eine Erhöhung des Mindestlohns sowie gegen Elternurlaub – und die von ihm gepushte Einschränkung des Waffenrechts.
Richtig, in Vermont herrscht eine seltsam verkehrte Welt. Hier sind die Leute progressiv und liberal – und besitzen trotzdem jede Menge Waffen. Im Gegensatz zu anderen Staaten schiessen sie damit aber nicht aufeinander, sondern eher mal auf Vierbeiner im Wald. Nun kämpfen in diesem Staat absurderweise die progressiven Demokraten gegen den konservativen republikanischen Gouverneur für das uneingeschränkte Recht, Waffen jeglicher Grösse zu besitzen.
Nein, guns seien kein Problem in Vermont, sagt Christine. Sie spricht lieber über sauberes Wasser und Bildung. Darüber, die langsam verarmenden Täler in der Peripherie mit Hochgeschwindigkeitsinternet auszurüsten. Und davon, die reichlich vorhandene Kuhscheisse als Energielieferantin zu nutzen. Darüber referiert sie stundenlang mit den Leuten vor dem Demokraten-Zelt auf dem Festplatz der Pride.
Ein Handshake im Weissen Haus?
Christine Hallquist ist das «T» im Reigen der aktuellen LGBT-Kandidaten für die diversen Gouverneursposten im Land. Für «L» wie lesbisch steht in Texas Lupe Valdez, eine Latina, ehemaliger Sheriff von Dallas. Das «G» für gay gilt Jared Polis, dem aussichtsreichen Gouverneurskandidaten in Colorado. In Oregon tritt die Amtsinhaberin Kate Brown an – die erste offen bisexuelle Gouverneurin.
Christines Chancen mögen gering sein. Aber sie sind noch intakt. Amtsinhaber Scott liegt in jüngsten Umfragen bei 50 Prozent, Christine Hallquist bei 42 Prozent. Die Fehlermarge beträgt fast 5 Prozentpunkte. Noch ist das Rennen also nicht gelaufen.
Christine Hallquist ist die erste Transfrau, die Chancen auf ein hohes politisches Amt hat. Packt sie diese Chance, könnte sie die erste Gouverneurin sein, die den Grossteil ihres Lebens als Person des anderen Geschlechts verbracht hat. Wird sie gewählt, würde sie bald schon in Washington Donald Trump gegenüberstehen. «Das wäre wohl ein sehr unangenehmer Moment für ihn», sagt die Kandidatin. «Ich für meinen Teil würde mich wohl ziemlich herausputzen.»
Im Stadtpark, wo tags zuvor noch Biohonig, pulled pork und die ersten Kürbisse der Saison verkauft wurden, lasse ich vor meiner Rückkehr ins laute, chaotische New York das Wochenende Revue passieren. Die Begegnungen mit diesen offenen, freundlichen und fast unnatürlich gechillten Menschen. Die sauberen Strassen. Das blaue Wasser des Lake Champlain, in dem die letzten Störe ihre Runden drehen.
Es kommen viele gute Dinge aus Vermont. Vielleicht wird eines davon die erste Trans-Gouverneurin der Vereinigten Staaten sein.
Mir fällt das Bild ein, das sich mir tags zuvor eingeprägt hat: Unter den Zuschauern der Pride-Parade war ein Mann mit seinem kleinen Sohn, vielleicht achtjährig. Der Dreikäsehoch trug ein grün glänzendes Röckchen und einen Feenstab. Vater und Sohn wirkten so glücklich, wie man nur sein kann.
Dann schreibe ich Azur Moulaert, ob er den Rest des Marihuanas will, das mir mein Fotograf am Vortag geschenkt hatte. «Bien sûr!», schreibt er zurück und macht sich im weissen Van auf den Weg zu mir. Und zum Dank schickt er eine Grafik, die den Kommunismus erklärt.