Wie Google zum Medien-Mäzen wurde
Die Kritik der Schweizer Verlage am Suchmaschinenkonzern ist leise geworden. Kein Wunder: Er überweist ihnen Millionen Euro. Recherchen zeigen jetzt erstmals, wer wie viel Geld erhält.
Von Adrienne Fichter (Text) und Kwennie Cheng (Illustration), 15.10.2018
Heute Montag läuft die Vernehmlassung für ein neues Mediengesetz ab. Das Gesetz ist geprägt vom Kampf zwischen den privaten Verlegern und der öffentlichen SRG. Beide Seiten kämpfen um Stücke vom Werbekuchen. Nur ein Player kommt im politischen Diskurs nicht vor: Google.
Der News-Anbieter, der sich bei den Verlagen mit Inhalten bedient, muss keine Regulierungen, keine Steuern, keine Einschränkungen fürchten. Im Entwurf des neuen Mediengesetzes steht kein Wort zum Umgang mit Drittanbietern wie Google, Facebook und Co.
Braucht es Regulierungen? Steuern? Einschränkungen? Darüber findet keine Debatte statt.
Und welcher Werbekuchen überhaupt?
2016 machte Google 450 Millionen Franken Umsatz mit Onlinewerbung in der Schweiz. 2017 waren es 1,4 Milliarden Franken. 2018 soll die 2-Milliarden-Franken-Marke geknackt werden. Für die Schweizer Verlage bleiben nur noch Brosamen.
Das neue Mediengesetz dreht sich auch um die Frage, wie Journalismus in Zukunft finanziert werden soll.
Über Google? Kein Wort.
Die Verleger sind zahm geworden
Dabei klang es einst noch ganz anders.
Ein Leistungsschutzrecht wie in Deutschland? Google zur Kasse bitten für das Ausspielen von Pressemeldungen? Es gab Zeiten, da liebäugelten auch die Schweizer Verleger mit dieser Idee. Weil sie glaubten, am längeren Hebel zu sitzen.
2007 drohte Hanspeter Lebrument, damals Präsident der Verleger, an einem Kongress, Google vor Gericht zu ziehen, sollte der Suchmaschinenkonzern die Verlage nicht für «Google News» entschädigen. «Google hat Angst vor uns», behauptete Lebrument. Google komme «jetzt langsam auf die Welt».
Doch inzwischen ist die Google-Kritik praktisch verstummt.
Aus gutem Grund: Google hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der grössten privaten Financiers der Schweizer Medien gemausert.
Von dem 150 Millionen Euro schweren Digital News Innovation Fonds (DNI) des Suchmaschinenkonzerns sind seit 2015 über 3,3 Millionen Euro Fördergelder an Schweizer Verlage geflossen. Damit befindet sich die Schweiz gemäss einer jüngst veröffentlichten Recherche von «Netzpolitik.org» in den Top Ten der Länder mit Google-Investitionen.
Das Geld wird eingesetzt für den Bau von intelligenten Kommentarsystemen, personalisierten Nachrichten-Apps, Roboterprogrammen. Im Kanton Aargau wird mit Googles Geld sogar eine neue Infrastruktur der digitalen Demokratie gebaut.
Google ist überall.
Nur nirgends im Entwurf für das neue Mediengesetz.
Wie ist es möglich, dass der Technologiegigant zum wichtigsten Mäzen für Journalismus aufgestiegen ist? Ist es nur Zufall, dass für die Politik Google kaum Thema ist? Und können Medien mit Innovationsprojekten sponsored by Google ihre Rolle als vierte Gewalt überhaupt noch wahrnehmen?
Ein Gesetz, das nichts nützt
Der Aufstieg von Google zum Journalismus-Mäzen beginnt in Deutschland.
Dort soll Googles Geldsegen als eine Art Wiedergutmachung dienen. Weil der Konzern kaltblütig Urheberrechte umgeht. Und zusammen mit Facebook den Verlagen online fast alle Werbeeinnahmen wegsaugt, sie ausbluten lässt.
Im April 2015 lanciert Google den Digital News Innovation Fonds.
Googles Grosszügigkeit ist eine direkte Antwort auf das Leistungsschutzrecht – den Gegenschlag der deutschen Verleger gegen den Blutsauger aus den USA. Das Gesetz verlangt, dass der Suchmaschinenkonzern journalistische Inhalte in seiner «News»-Sparte nur noch in nahezu kryptischer Form anzeigen darf. Leser sollen auf die Websites der Medien gehen müssen, um die News zu lesen. Ansonsten muss der Konzern zahlen.
Das Gesetz wird als persönlicher Sieg von Mathias Döpfner, dem Chef des deutschen Springer-Verlags, über Google gefeiert. 2012 griff er Google erstmals offen an: «Wir glauben dem Google-Slogan ‹Don’t Be Evil› und denken, die netten Jungs mit dem bunten Logo meinen es doch nur gut. In Wirklichkeit will Google nur erzkapitalistische Interessen durchsetzen.»
Eine Wutrede, heftiges Lobbying, ein neues Gesetz. So funktioniert das.
Aber funktioniert auch das Gesetz?
Das Leistungsschutzrecht hat deutschen Verlagen bisher keinen Cent gebracht. Weil sie Google letzten Endes doch eine kostenlose Lizenz erteilen. Und das Gesetz damit gleich selbst unterwandern. Oder weil Google die Verlage – etwa in Spanien mit ähnlicher Gesetzgebung wie Deutschland – ganz einfach aus «Google News» aussperrt. Eine Evaluation des Gesetzes? Hat nie stattgefunden. «Spiegel online» bezeichnet das Leistungsschutzrecht als das «dysfunktionalste» Gesetz der Merkel-Ära.
Und jetzt übernimmt die EU das deutsche Modell.
Am 12. September 2018 gab das EU-Parlament grünes Licht für den umstrittenen Paragrafen 11 des neuen EU-Urheberrechts.
Warum die Google-Gelder?
Warum investiert Google Millionen in europäische Verlage, obwohl diese dafür sorgen, dass der Konzern mit einem nutzlosen Gesetz traktiert wird?
Dafür gibt es drei mögliche Erklärungen:
Google will als schlauer Parasit seinen Wirt nicht töten.
Google will gute Presse gegen das schlechte Gewissen.
Google will knallhart Geschäfte machen.
Wahrscheinlich stimmen alle drei.
Digital News Initiative, das heisst auch: Google braucht die Medienverlage. Nur wenn sie Ware liefern, kann Google Geld verdienen. Mit den Updates am Suchalgorithmus strafte Google billige Linkmanipulationen der sogenannten «SEO-Industrie» (Search Engine Optimization, Suchmaschinenoptimierung) ab. Dadurch sollten hochwertige Texte in die ersten Ränge seiner Suchmaschine befördert werden.
Gleichzeitig propagierte der Konzern das First click for free-Modell – und förderte damit die Gratismentalität der Internetnutzerinnen. Für die Verlage wurde es unter diesen Bedingungen noch schwieriger, eine harte Bezahlschranke einzuführen. Und den Sündenfall der 1990er-Jahre rückgängig zu machen: die Entscheidung, sämtliche Medieninhalte gratis ins Netz zu stellen.
Manchmal wirkt Google anders, als dies Google eigentlich will.
Oder der Konzern bekämpft Probleme, die er massgeblich selber verursacht hat. Auch dank Google ist eine florierende Fake-News-Industrie entstanden. Für einen Konzern, der bis vor kurzem «nicht böse» sein wollte, sind Fake-News-Websites wie «Infowars» oder «Unzensuriert.at» ein Imageproblem. Sie refinanzieren ihre Infrastruktur mit Googles Werbeprogrammen und sahnen bis zu 40’000 Dollar monatlich an Werbegeldern ab. Google hält dagegen und finanziert weltweit Fact-Checking-Initiativen mit, die Fake-News den Kampf ansagen sollen. Zum Beispiel in Brasilien, wo wegen des Wahlkampfs derzeit besonders viele Falschmeldungen im sozialen Netz zirkulieren.
Natürlich stecken hinter der DNI auch Geschäftsinteressen. Google inszeniert sich als gütiger Mäzen der Stunde und spielt sich als «Good Cop» gegenüber dem krisengebeutelten Facebook auf – das ist etwas wert. Aber was genau?
Intransparente Deals
Der kritische öffentliche Diskurs zur wachsenden Umklammerung der Medien durch Google bleibt aus. Auch die Schweizer Medien haben die Initiative bis anhin wenig hinterfragt. Fast alle haben sich kräftig im DNI-Fonds bedient. Es gibt keinen namhaften Schweizer Verlag mehr, der in den letzten drei Jahren nicht von Googles medialer Entwicklungshilfe profitierte.
Google-Millionen für Schweizer Medien
Seit 2015 zahlte Google mindestens 3,3 Millionen Euro an folgende Verlage.
Medienverlag | Fördersumme |
---|---|
NZZ | 1 187 090 Euro |
AZ Medien | 815 000 Euro |
Blasting News | 500 000 Euro |
WAN-IFRA | 313 000 Euro |
FixxPunkt, «Watson» | 161 000 Euro |
Tamedia | 150 000 Euro |
NiMeh Partners | 50 000 Euro |
Scitec-Media | 50 000 Euro |
WePublish | 48 900 Euro |
Ringier, «Le Temps» | 45 000 Euro |
AWP | 44 100 Euro |
Neue Medien Basel AG, «Tageswoche» | 26 130 Euro |
Quellen: Republik- und «Netzpolitik.org»-Recherchen; die Beträge bei NZZ, FixxPunkt, WePublish, AWP und Neue Medien sind umgerechnet und gerundet.
Über die Google-Spenden reden? Das will fast niemand in den Verlagen und Redaktionen. Alles ist sehr geheimniskrämerisch. Nur wenige nennen Zahlen auf Anhieb, viele halten sich ganz bedeckt.
Auch Google will die Zahlen nicht kommentieren.
Die Republik-Recherche in Zusammenarbeit mit «Netzpolitik.org» zeigt, wie intransparent die privaten Deals zwischen Google und den Schweizer Medien laufen. Die Verlage lassen sich nicht gern in die Karten blicken. Google selbst gibt sich als generöser Financier, der keine Gegenleistung erwartet. Dafür aber praktisch keinen Einblick in seine Vergabepraxis geben möchte.
Kein Geheimnis machen die AZ Medien aus ihren Google-Geldern. Im Kanton Aargau wird an der digitalen Demokratie gebaut. Mit der Plattform Petitio.ch können Aargauerinnen Petitionen gegen Missstände starten – und die «Aargauer Zeitung» berichtet darüber. Das Druckmittel hat Erfolg: Petitio ist die schweizweit einzige Plattform, auf der sich Gemeinderäte verbindlich verpflichten, sich auf Bürgeranliegen einzulassen. Die AZ Medien erhielten dafür 200’000 Euro.
Nun wird bereits an einem Folgeprojekt gearbeitet. Aargauer Gemeinden sollen ihr eigenes digitales Publikationsorgan erhalten – powered by Google. Fördersumme: 413’000 Euro. Die AZ Medien finden das Google-Investment unproblematisch, wie Sprecherin Monica Stephani sagt: «Wir stellen das Open-Source-Angebot allen daran Interessierten zur Verfügung.»
Kauft sich Google gute Presse?
Das Geld fliesse sehr unbürokratisch, man komme schnell an Gelder heran, sagen mehrere Projektverantwortliche.
Ein Gremium, in dem Google-Verantwortliche in der Minderheit sind und in dem unter anderem der ehemalige NZZ-CEO Veit Dengler Einsitz hat, prüft die Anträge. Die Auszahlung ist an gewisse vordefinierte Meilensteine gebunden. Eine Qualitätskontrolle im Nachgang bleibt aus: Was danach mit dem Geld passiert, ob damit effektiv bessere Leserkommentare befördert werden und Trolle von der Bildfläche verschwinden – interessiert Google alles nicht.
Ist das Ganze also nur eine Imagekampagne? Oder doch mehr? Kauft sich Google gute Presse?
Die Antwort darauf ist uneindeutig. Zwar kümmern sich die Verlage um die Beschaffung der Google-Gelder, die Redaktionen bleiben unbehelligt. Und dürfen in der Theorie natürlich weiter kritisch über die Initiative berichten.
Aber in der Praxis? NZZ-Medienredaktor Rainer Stadler stichelte am 28. April 2015 gegen Googles Medienavancen: «Der Berufsskeptiker wird fragen, ob das Engagement von Google jenem einer Python gleicht, welche ihre Dschungelgenossen nur umarmt, um sie zu ersticken.»
Zehn Monate später, im Februar 2016, verkündete der NZZ-Verlag stolz, als einziger Schweizer Verlag in der Bewerbungsrunde einen Zuschlag von Google DNI erhalten zu haben.
Seither macht die NZZ zwar immer noch kritische Anmerkungen zum Google-Mäzenatentum. Doch so deutlich wie im April 2015 hat sich Rainer Stadler nicht mehr geäussert. Was vor allem fehlt, ist Transparenz. Am 23. Juni 2018 fragte ein Feuilleton-Essay: «Handelt es sich um Schuldgeld für die Schwächung der vierten Gewalt im Staat?» Über die eigenen Google-Projekte im Wert von über einer Million Franken schwieg sich die NZZ aus.
Hybride Strategie
Die Verleger sind milde geworden. Die SRG hat Google als Feind Nummer eins abgelöst. Die privaten Medien sind redaktionell, technologisch und auch werbetechnisch immer enger mit Googles Ökosystem verflochten. Viele der befragten Journalisten und Verlagsmitarbeiter empfinden die Beziehung als partnerschaftlich, ja sogar als Win-win-Situation.
Es ist eine hybride Strategie: Nach aussen poltern die Verleger zwar immer noch öffentlichkeitswirksam gegen die Tech-Giganten und beschliessen Zusammenschlüsse zu Werbeallianzen wie Admeira oder Login-Allianzen, um mit einem einheitlichen Benutzerkonto an mehr Daten der Schweizer Mediennutzer zu gelangen.
Doch hinter den Kulissen spielen die Medienschaffenden längst nach den Regeln des Monopolisten, trimmen in Newsrooms die Texte auf Suchmaschinenfreundlichkeit, beanspruchen kostenlose Recherchetrainings von Google im Zürcher Hürlimann-Areal, horten ihre Dokumente auf Google-Servern und entwickeln Software mit Google-DNI-Geldern.
Nur in einem Punkt verlangen die Verleger «Gerechtigkeit»: Google und Facebook sollen endlich ihre Unternehmenssteuern zahlen. Diese Forderung erhob immerhin Peter Wanner dieses Jahr an einer Veranstaltung im März des Instituts IKMZ der Universität Zürich. Wanner ist Verwaltungsratspräsident der AZ Medien, jener Mediengruppe, die bisher die meisten Google-Projekte umgesetzt hat.
Das Nullsummenspiel
Und die Politik? Es besteht zwar Konsens, dass der Qualitätsjournalismus im Netz ohne baldige Finanzförderung ausstirbt. Die sozialen Medien und Suchmaschinen bleiben jedoch vorerst unangetastet. Trotz wachsender Abhängigkeiten der Schweizer Medien, wie der «Digital News Report» 2018 auch in diesem Jahr zeigte.
Der Bundesrat kommt in seinem Social-Media-Bericht zum Schluss, dass er vorerst nichts unternehmen wird. Lediglich die SP, angeführt von Nationalrat Matthias Aebischer, fordert eine Google-Abgabe. Die Lenkungsabgabe soll direkt in den Journalismus investiert werden, «für Aus- und Weiterbildung, die direkte Medienförderung sowie die Filmförderung».
Darüber hinaus ist Google kein Thema. Das ist gut für Google. Ist es aber auch gut für die Schweizer Verlage?
Die Google-Geschenke im Wert von mehr als 3,3 Millionen Euro an die Schweizer Verleger mögen nach einer grosszügigen Summe klingen. Doch es sind Peanuts im Vergleich zu dem, was den Schweizer Onlinemedien an Einnahmen entgangen sind. Ausserdem werden mit dem Digital-News-Initiative-Fonds nur technologische Lösungen finanziert, keine redaktionellen Inhalte.
Trotzdem lässt das die Gefahr einer Einflussnahme nicht schwinden, im Gegenteil: In Zeiten, wo die Technologie alle möglichen Lebensbereiche durchdringt, wo Grosskonzerne wöchentlich für negative Schlagzeilen sorgen – wie vergangene Woche der Datenskandal bei Google plus –, wo das The winner takes it all-Prinzip die Digitalökonomie monopolisiert, ist ein aufgeklärter, wacher und vor allem unabhängiger Tech-Journalismus wichtiger denn je.
Doch wer beisst schon die Hand, die einem die Infrastruktur baut?
Was die Verlage so oder so verlieren, wenn Googles soft power in der Medienbranche wächst: Glaubwürdigkeit. Berichten Verlage mit Google-Geldern kritisch über den Konzern, wirkt das schnell heuchlerisch und unglaubwürdig auf die Leserin. Halten sie sich zurück, wirken sie gekauft.
Das ist nicht win-win. Eher: ein Nullsummenspiel.
Die Republik erhält keine Fördergelder von Google und hat keine Projekte bei der Google DNI eingereicht. Das Projekt «Die Schweiz spricht», an dem sich die Republik zusammen mit SRF, der WOZ, Tamedia und Watson und weiteren Medien beteiligt, läuft über die Plattform «My Country Talks», die ursprünglich von «Zeit online» mit finanzieller Unterstützung von Google realisiert worden ist.
Nimeh Partners wurde von Google irrtümlicherweise der Schweiz zugeordnet. Die Agentur hat ihren Sitz jedoch in Österreich. Google hat die Zuordnung nach dem Hinweis der Republik geändert.