Kämpfer für bedrohte Tiere
Der Schweizer Karl Ammann entlarvt die Hintermänner des weltweiten Wildtierschmuggels – eine lebensgefährliche Mission. Die Geschichte eines Unerschrockenen. Teil 3 der Serie «Blutige Trophäen».
Von Mona Fahmy (Text) und Ariel Hauptmeier (Mitarbeit), 09.10.2018
Mit jedem Tag wird der Dschungel dichter – und kommen mehr Jäger an Bord. Sie legen mit ihren Einbäumen längs der Lastkähne an, klettern an Deck und bieten dort ihre Ware feil: Schweine und Ziegen, Schildkröten und Krokodile – und Affen. Hunderte, Tausende Affen.
Von weitem sehen sie aus wie Handtaschen: Die Jäger haben ihnen die Schwänze gespalten und durch die Öffnung den Kopf hindurchgezogen, so können sie die Tiere bequem tragen. Einige besonders prächtige Exemplare bekommt der Kapitän der Mudimbi, ein feister, schwitzender Mann. Um die übrigen feilschen die Händler. Viele haben eine Kühltruhe in ihrer Kabine; ist sie voll, mieten sie Platz im Kühlraum.
Bevor sie das Fleisch kühlen, machen sie es haltbar, indem sie die toten Tiere in die Abgase der Dieselmotoren hängen. Später verkaufen sie sie als singe boucané, geräucherter Affe.
Es ist Februar 1989. In einer der kakerlakenverseuchten Kabinen haben Karl Ammann und seine Frau Katherine Quartier bezogen. Sie ist Amerikanerin und so madly in love, dass sie die Strapazen der Reise kaum bemerkt. Karl Ammann stammt aus St. Gallen, begann als Hotelier und wurde später Fotograf; zwei Jahre lang zelteten die beiden, frisch verheiratet, in der Masai Mara, um Geparden zu fotografieren.
Und nun fahren sie 1730 Kilometer weit den Kongo hinauf, von Kinshasa nach Kisangani, im Auftrag von Manda Mobutu, dem Sohn des herrschenden Diktators Mobutu Sese Seko: Könnte man Flussfahrten auf dem Kongo Touristen schmackhaft machen?
Serie Blutige Trophäen
In der Serie von Mona Fahny geht es um den illegalen Handel mit Wildtierprodukten (etwa Elfenbein). Klingt exotisch, ist es aber nicht: Denn dieser Markt gehört zu den Tob Five der illegalen Märkte weltweit.
Sie lesen: Teil 3
Der Kampf des Schweizers
Teil 4
Und ewig lockt das Elfenbein
Teil 5
Das Geschäft mit dem Töten
Tief hängende, graue Wolken. Sandbänke und Stromschnellen. Der schweigende Urwald, unterbrochen von einfachen Hütten mit Blätterdächern. Schwer lastet die Schwüle. In der Mitte des Fährverbundes dröhnt die Mudimbi, ein rostiger Schlepper, an dessen Seiten man drei Lastkähne festgemacht hat, ein schwimmendes Dorf: Frauen kochen, Männer trinken, Bars gibt es und ein Bordell, und zwischen Geländewagen und Schubkarren, zwischen Ziegen und Schweinen haben Händler Verkaufsstände aufgebaut und bieten Biskuits und Seife, Maniok und bushmeat feil.
Seit fünfzehn Jahren ist Karl Ammann in Afrika, immer wieder hat er auf irgendwelchen Speisekarten Affengerichte gesehen und sich nicht viel dabei gedacht. Die geschlachteten Affen nun leibhaftig zu sehen – das ist ein Schock. Das fühlt sich an wie – Kannibalismus.
Einmal blickt er in den Kühlraum der Mudimbi: Hunderte tote Affen sitzen da, zusammengebunden, beschriftet mit den Namen ihrer Besitzer; ihre erloschenen Augen starren ins Leere.
Da drückt ihm eines Tages ein Händler mit einem verstörten Blick ein Schimpansenbaby in den Arm, dessen Mutter als geräuchertes Fleisch im Kühlraum liegt. Das Äffchen krallt sich an Ammann fest und blickt ihn – nie wird er diesen Moment vergessen – aus dunklen Kulleraugen an. Ammann weiss, dass der Kleine als Nachtisch des Händlers enden wird, falls der keinen Käufer findet. Gleichzeitig möchte er keine zusätzliche Nachfrage schaffen. Also handelt er den Preis auf fünf Dollar herunter, kauft das Äffchen und nennt es Mzee, den Alten. Weil es ein so zerfurchtes Gesicht hat. Das Tier wird damit von der Ware zum Passagier. Als Erstes müssen sie ihm ein Billett für die Bootsfahrt kaufen, dann Windeln. Wie ein Baby klammert sich der kleine Affe an Karl und Katherine. Sie sind nun seine Eltern.
Viel später, im Jahr 2007, wird Karl Ammann vom amerikanischen «Time Magazine» als einer von weltweit hundert «Helden der Umwelt» ausgezeichnet. Weil er die Welt quasi im Alleingang auf den schockierenden Verzehr von bushmeat, dem Fleisch wild lebender Tiere, aufmerksam gemacht habe. Und es begann mit dieser Reise. Mit dem Blick in den Kühlraum. Mit dem Blick in die Augen von Mzee.
Rumble in the Jungle
1948 wird Karl Ammann in St. Gallen geboren. Sein Vater ist Teilhaber einer kleinen Brauerei, seine Mutter kümmert sich um ihn und seine Schwester. Bis er elf wird, ist er ein durchschnittlicher Sankt Galler Junge. Dann erwacht die Sehnsucht nach einem anderen Leben, und sie erwacht im Kino. Er sieht dort den Dokumentarfilm «Serengeti darf nicht sterben», mit dem Michael und Bernhard Grzimek 1960 einen Oscar gewinnen und helfen, den Park zu begründen, in dem grosse Landtiere damals noch ungestört wandern konnten. Der Film fesselt eine Generation – und prägt ein Leben. Karl Ammann ist elektrisiert, als er aus dem Kino tritt. Er weiss nun: Diese Welt wird er eines Tages erkunden.
Die Eltern fahren mit ihren Kindern durch die Schweiz, nach Italien und Deutschland, und mit jeder Reise wird Karl Ammanns Fernweh grösser. Immer hat er das Gefühl: Die echte Welt, sie ist noch viel weiter draussen. Und so bricht er ab siebzehn zu mehreren grossen Reisen auf: Zusammen mit zwei Freunden kauft er alte Autos und fährt sie über den Balkan, durch Persien und über den Hindukusch bis nach Afghanistan. Dort verkaufen sie die Wagen – und zahlen mit dem Geld jeweils den Rückflug über Taschkent und Moskau.
Mit vierundzwanzig studiert er kurz Ökonomie in St. Gallen, wechselt aber bald ins Hotelfach. Er hat den Manager des Hilton in Kathmandu kennengelernt und weiss nun, wie er hinauskann in die Welt. Also studiert er in den USA Hotelmanagement. Und hat wenig später seinen ersten Job: als Operations Analyst für sieben Intercontinental-Hotels in Afrika.
Eines seiner ersten Projekte: 1974 in Kinshasa den «Rumble in the Jungle» mitzuorganisieren, den legendären Boxkampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman. Ein Jahrhundertereignis. Ein halbes Jahr ist Ammann dafür in Kinshasa.
Hundert Meter vom Hotel entfernt gibt es ein Restaurant, das Elefanten- und Affenfleisch serviert. Das Foto der Menükarte hat Ammann noch. Wie gesagt: Damals stört er sich nicht daran. «Auf dem Teller ist es eine Sache. Aber wenn man die lebenden Affen dann an Ketten auf dem Boot sieht und die toten Affen im Kühlraum, dann sinkt das plötzlich ein.»
Ein Haus voller Erinnerungen
Genesis Award, Dolly Green Award for Artistic Achievement, Hero of the Environment – eine beachtliche Anzahl an Auszeichnungen ziert Karl Ammanns Büro in seinem Haus in Nanyuki, Kenia. Ist er stolz darauf? «Wenn ein Preis hilft, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für ein Problem zu schaffen, dann soll es halt so sein», so seine lakonische Antwort.
Es ist kühl in Nanyuki. Die 50’000-Einwohner-Stadt, Hauptbasis der kenianischen Luftwaffe, liegt auf fast 2000 Meter über Meer am Fuss des Mount Kenya, unweit des Äquators. Karl Ammann ist siebzig Jahre alt, blaue, wache Augen, braunes Haar, Schnauz. Er spricht bedächtig und beendet jeden dritten Satz mit «you know». Überhaupt fällt er meist ins Englisch, auch mit Besuchern aus der Schweiz. Manchmal scheint es, als nehme er jedes Detail auf. Dann wieder wirkt er abwesend. Bei Unterhaltungen über den Alltag, Trump oder das Wetter klinkt er sich aus, geht seine Mails checken oder wechselt das Thema und redet wieder über Wildtierkriminalität.
Vor dreissig Jahren konnten die Ammanns das Stück Land in Nanyuki erwerben, inmitten eines Wildtierreservats. Morgens, wenn der Gipfel noch nicht wolkenverhangen ist, blickt man auf den Berg. Gerade macht eine Gruppe Paviane vielleicht hundert Meter entfernt Rast. Neugierig kommen die Mutigsten näher. Immer sind Tiere um das Haus herum unterwegs, mal Paviane, mal Wasserbüffel, mal Elefanten, Antilopen und Zebras. Nachts lief bis vor kurzem immer wieder eine Leopardin in eine von Ammanns Fotofallen. Zivilisationsgeräusche dringen keine durch die dichte Vegetation, höchstens mal ein das Brummen eines Kleinflugzeugs, das Touristen zu einer Safari-Lodge fliegt.
Das Haus ist voller Erinnerungen. Stapel alter Fotos mit Persönlichkeiten. In einem der oberen Räume reihen sich in den Regalen Hunderte Videokassetten, Mini-DV-Tapes, Harddisks – Rohstoff für Dutzende Dokumentarfilme, die er für TV-Sender oder selbstständig produziert hat:
«The Cairo Connection», die Geschichte einer Wildtierhändlerfamilie aus Ägypten, die Hunderte verwaiste Schimpansen und Dutzende Gorillas aus Zentralafrika in den Nahen Osten schmuggelte.
«The Bangui Connection» über das Abschlachten von Elefanten in Zentralafrika für ihr Fleisch. Ein einträgliches Geschäft für Wilderer, sogar lukrativer als der Verkauf von Elfenbein.
«The Hanoi Connection», eine verdeckte Recherche über die Nachfrage nach Rhinozeroshorn in Südostasien, wo mangelnder Wille und Korruption eine effiziente Bekämpfung des illegalen Handels verhindern.
Auf einem Tischchen im Wohnzimmer stapeln sich ein paar seiner Fotobücher. «Where Have All the Animals Gone» heisst eines, «Eating Apes» ein anderes, «Consuming Nature» ein drittes. Und so weiter. Nach 1989 wurden Karl Ammanns Fotos mit jeder Reise blutiger. Ein abgehackter Gorillakopf in einer Schüssel neben Bananen, ein Rinnsal frisches Blut. Eine abgeschlachtete Gorillafamilie, die Jungen im Schoss der Mutter. Schimpansenkadaver in einer Tiefkühltruhe. Klumpen von Fleisch.
Nein, das sind keine harmonisch inszenierten Kunstschüsse. Es sind rohe Dokumente, oft mit versteckter Kamera aufgenommen, weil man anders nicht an solche Aufnahmen kommt. Sie belegen, dass allen Absichtserklärungen, Massnahmen und Verboten zum Trotz der Kampf gegen Wildtierkriminalität noch lange nicht gewonnen ist – und möglicherweise nicht zu gewinnen ist.
Was ging Ihnen damals auf dem Kongo durch den Kopf?
Dass wir unsere nächsten Verwandten nicht aufessen sollten. Da frage ich mich schon: Warum macht niemand etwas dagegen? In solchen Momenten bin ich sehr kopflastig. Ich versuche mich mit Einheimischen zu unterhalten. Weshalb stösst mich das ab? Was denkst du dir dabei?
Keine Wut?
Die Einheimischen kann ich nicht verurteilen. Die Europäer aber, die Vertreter der Holzfirmen, die breite Schneisen in den Dschungel schlagen und so den Locals den Weg freimachen, um die Tiere zu jagen, die sind das eigentliche Problem. Dann vergesse ich mich schon einmal, schreie sie an: «Ihr Bastarde, ihr seid mitschuldig!»
Haben Sie schon mal ein Tier getötet?
Nein, absichtlich noch nie. Ich bin vielleicht mal auf ein Insekt gestanden. Aber ich habe Tiere töten lassen. Wenn der Veterinär sagt, es würde sonst leiden. Ich glaube, jedes Tier schätzt das Leben. Und wer bin ich, dass ich entscheiden darf, ob es lebt oder stirbt?
Essen Sie Fleisch?
Kein Lamm oder Kalb. Aber gegen eine Kuh, die gut gelebt hat, habe ich nichts einzuwenden. Ich bin kein Fundamentalist.
Mit vollem Risiko
Jährlich verlieren Dutzende Tierschützer ihr Leben. Im Februar 2018 wird in Nairobi Esmond Bradley Martin in seinem Haus ermordet. Der amerikanische Forscher kämpfte gegen den illegalen Elfenbeinhandel. Weshalb er sterben musste, ist noch Gegenstand der Ermittlungen. Ammann kannte Martin gut, er war einer der aktivsten Kämpfer gegen den illegalen Handel mit Elfenbein und Rhinozeroshorn.
Wie grausam Wilderer sein können, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2012. In jenem Sommer töten Angehörige von Mai-Mai-Milizen in einem von einer Schweizerin geführten Okapi-Reservat in der Demokratischen Republik Kongo alle Okapis und fünf Menschen. Die Frau eines Rangers und einen Mann verbrennen sie bei lebendigem Leib. Dem Mann schneiden sie ein Stück aus dem Bein und sein Herz aus dem Leib und verspeisen es. Als Karl Ammann davon erfährt, ist es ein Schock. Er war oft im Okapi-Reservat. Die Menschen dort sind Bekannte, Freunde.
Sie leben riskant. Was motiviert Sie eigentlich?
Ich will den Menschen die Ausrede nehmen, sie hätten nicht gewusst, was abgeht. Viele wollen etwas tun. Und die NGOs nutzen das aus und vermitteln die Illusion, mit Spenden etwas zum Schutz der Arten beizutragen.
Wäre es denn besser ohne NGOs?
Sicher wäre es schlimmer ohne sie. Aber ich habe ein Problem mit dem Verkauf von Gutfühl-Artenschutz. Und was mich richtig wütend macht, ist die Untätigkeit der Leute vom Washingtoner Artenschutzübereinkommen (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora, CITES). Niemand hält sich an das Verbot des Handels mit Elfenbein, Tigerteilen und Menschenaffen. Doch wer bei der CITES Karriere machen will, legt sich nicht mit China oder den Vereinigten Arabischen Emiraten an.
Die CITES ist seit 1975 in Kraft. Weltweit haben sie 183 Staaten ratifiziert, inklusive der USA und China. Tiere und Pflanzen dürfen international nur gehandelt werden, wenn es die Art nicht gefährdet. Internationaler Handel mit Wildfängen von vom Aussterben bedrohten Arten, die im Anhang aufgelistet sind, ist grundsätzlich verboten. Auf der Liste stehen beispielsweise Tiger, Elefanten und Menschenaffen. Die Umsetzung des Abkommens ist Sache des jeweiligen Staates, das Sekretariat der CITES kann lediglich Empfehlungen zu Sanktionen und zur Durchsetzung von Gesetzen aussprechen. Und der Handel innerhalb eines Landes ist nicht Gegenstand des Abkommens.
Wie bei den meisten internationalen Abkommen wird auf manche Staaten mehr Druck gemacht, es umzusetzen, als auf andere. Realpolitik. Mit Ihrem forschen Vorgehen gelten Sie sicher als Extremist.
Bei den NGOs und innerhalb von CITES kennt jeder jeden, und alle haben Leichen im Keller. In diesem Umfeld bin ich sicher ein Extremist.
Ein Nestbeschmutzer.
Es ist sicher nicht angenehm, an ein CITES-Meeting zu gehen als Aussenseiter, der alle schlechtmacht. Aber ich kann nicht Einheimische beschuldigen und bei den Grossen schweigen, die mitschuldig sind oder zu wenig dagegen tun. Ich kann es mir zum Glück leisten, unabhängig zu sein. Wäre ich auf Spendengelder angewiesen, könnte ich auch nicht allen auf die Zehen stehen.
Finanziell ist Ammann unabhängig. Unter anderem besitzen er und seine Frau ein Traumhaus auf den Seychellen, die «Residence on the Rocks», mit Platz für acht Personen und dem Standard eines Fünfsternhotels. Kostenpunkt: 3500 US-Dollar pro Tag. Mieter sind vermögende Russen, Saudis, Emiratis. Mit Katherine verbringt Karl Ammann vier- oder fünfmal im Jahr eine Woche dort. Nach dem Rechten sehen, nichts tun, am Strand liegen. Ferien, das langweilt Ammann schnell. Dann muss er wieder los, nach Asien, in den Dschungel, in irgendein Gebiet, wo Tierschützer gefährlich leben.
Auch in diesen Tagen bereitet sich Karl Ammann auf seine nächste Reise vor. Ziel ist China. Eine deutsche TV-Crew dreht dort einen Dokumentarfilm über den Schmuggel von Menschenaffen aus der Demokratischen Republik Kongo. Und wenn er einmal dort ist, wird Ammann versuchen, über seine Mittelsleute mehr über Tigerfarmen zu erfahren. Stoff für seinen nächsten Dokumentarfilm, ein Herzensprojekt. Er soll heissen: «Die Tiger-Mafia».
Tigerbankette im Goldenen Dreieck
Die Recherche beginnt 2011, und wie bei seinem Engagement gegen bushmeat beginnt alles mit dem Blick eines Babys: dem von zwei jungen Nebelpardern, asiatischen Grosskatzen, Leoparden ähnlich.
In jenem Jahr ist Karl Ammann mit deutschen TV-Journalisten in Boten unterwegs, einem abgelegenen Ort im Norden von Laos, unweit der chinesischen Grenze. Hier, am Rand des Dschungels, steht ein Hotel mit einem Casino, Restaurants und Läden. Darin: Tigerfelle, Tigerknochenwein, Elfenbeinschmuck, Bärengalle und viele weitere zu Schmuck und Medizin verarbeitete geschützte Tiere.
Ammann trägt die Fotokamera am Riemen über der Schulter. Es ist noch früh, die meisten Rollläden sind noch unten. Zwei junge Bären hocken in einem rostigen, engen Käfig. Dann entdeckt Ammann die beiden jungen Nebelparder. Sie kauern neben einem leeren Bierkarton, blicken ihn an. Es ist wieder dieser unschuldige Babyblick, der ihn berührt. Karl Ammann geht in die Hocke und krault die Tiere. Ihr Fell fühlt sich weich an. Sie legen sich auf den Rücken, schnurren wie Hauskatzen. Ammann hätte gerne länger mit ihnen gespielt, doch der Händler, ein Chinese, geht unwirsch dazwischen. Zeternd schickt er Ammann weg, packt die Nebelparder und steckt sie in eine Styroporkiste.
Ammann hadert mit sich: Wenn er die Jungen kauft, schafft er einen Markt. Wenn er sie nicht kauft, ist klar, was mit ihnen passiert.
Die Europäer werden beobachtet. Ein laotischer LKW-Fahrer geht auf Ammanns Übersetzer zu. Er wisse, wo es Tigerjunge gebe, ein Männchen und ein Weibchen. Zusammen mit den deutschen Journalisten und dem Übersetzer führt sie der Mann sechs Stunden auf kurvigen Strassen Richtung Südosten, immer tiefer in den Dschungel hinein. Bis in eine Stadt namens Pak Mong, wo sie die Schwester des LKW-Fahrers treffen. Doch sie kommen zu spät. Die Tiger sind weg.
Jäger erzählen Ammann, wie sie die Tiere fingen: Sie legten eine Sprengfalle aus, wie sie es im Vietnamkrieg gelernt hatten, die Sprengladung zerriss das Elterntier, die Jungen überlebten, die Jäger brachten sie nach Pak Mong. Die Überreste des Muttertiers schmuggelten sie über die Grenze nach Vietnam.
Unverrichteter Dinge kehrt Ammann nach Nanyuki zurück. Doch das Schicksal der Tigerjungen lässt ihm keine Ruhe. Also packt er erneut seine Tasche. Die Spur der Tigerjungen führt ihn nach Laos, Vietnam, Thailand, China, Burma und Südafrika. Auf jeder Reise erfährt er mehr über das dreckige Geschäft mit Tigern und Tigerteilen.
Mehrmals besucht er die sogenannte Golden Triangle Special Economic Zone, eine 3000 Hektaren grosse chinesische Enklave im Norden von Laos, an der Grenze zu Burma und Thailand. Der Chinese Zhao Wei hat das Gebiet am Ufer des Mekong für 99 Jahre gepachtet und betreibt dort ein Casino-Resort. Im Januar 2018 beschuldigten die USA Zhao, mit Menschen, Drogen und bedrohten Wildtieren zu handeln.
Es sind vor allem chinesische Spieler, die man in jenem Goldenen Dreieck antrifft. Die Restaurants servieren Tiger, Bär, Gürteltier und Python, begleitet von Tigerknochenwein. Sogar Tigerbankette gibt es dort, wie Ammann erfährt. Die Tiere werden mit Elektroschocks getötet, vor den Augen reicher Chinesen, die sich danach das frische Fleisch schmecken lassen.
Ein Film ohne Happy End
2017 findet Ammann endlich die beiden Tigerjungen: Sie sind in der Muang-Thong-Tigerfarm gelandet, einer der grössten Tigerfarmen in Asien, dreissig Kilometer von der laotischen Stadt Thakhek entfernt.
Neben Bären, Nebelpardern und Schuppentieren vegetierten dort noch bis vor kurzem 400 Tiger in engen Käfigen vor sich hin. Einige davon «überschüssige» Tiger aus Thailands Streichelzoos für Touristen, die über den Mekong nach Laos geschmuggelt worden waren. Andere wurden mittels speed breeding gezüchtet. Dabei werden die Jungen gleich nach der Geburt ihrer Mutter entrissen und in Brutkästen gesteckt, damit die Tigerin schnellstmöglich wieder trächtig wird.
Ein Mitarbeiter Ammanns besucht die Farm mit versteckter Kamera und gibt sich als potenzieller Käufer aus. Ein 200 Kilo schwerer Tiger kostet um die 50’000 US-Dollar. Das ausgewählte Tier würden sie mit Elektroschocks töten, sagt einer der Besitzer, der Vietnamese, der die Tigerjungen in Pak Mong gekauft hatte. Und fügt hinzu: Falls er Teile des Tigers nicht benötige, die Tatzen, das Fell, Zähne, dann gebe es Rabatt.
Chinesen, so erfährt Ammann im Laufe seiner Recherche, kaufen lieber männliche Tiger. Für den Penis und die Kniescheiben zahlen sie am meisten. Derzeit sind nur noch 35 Tiger in der Muang-Thong-Tigerfarm. Der Rest wurde getötet und in Kühlcontainern zur Lagerung nach Vietnam gebracht. Die Bestandteile sind für vermögende Asiaten bestimmt. Ob die Tigerjungen aus Pak Mong noch leben, weiss Ammann nicht.
Die Rohaufnahmen für «Die Tiger-Mafia» sind im Kasten. Sie dokumentieren das Ausmass und die Grausamkeit des illegalen Geschäfts mit den bedrohten Grosskatzen und ihren Körperteilen. Und sie beweisen, wie untätig die Behörden sind, die die Tiger eigentlich schützen sollten. Es sind wichtige Aufnahmen.
Für die Nachbearbeitung sucht Karl Ammann nun einen Produzenten und eine unabhängige Finanzierung, damit der Film an einem Festival gezeigt werden kann. Interessenten gibt es einige. Nur wollen sie alle mehr Unterhaltung und ein Happy End. Doch für Ammann muss es jemand sein, der sich nicht scheut, die Fakten zu zeigen. Unbeschönigt. «Wie soll ich ein Happy End kreieren, wenn ich keines sehe?», fragt er.
Was müsste geschehen?
Vielleicht wäre ein Meteoriteneinschlag die Lösung, der die Menschheit auf ein Drittel reduziert, damit wir von vorne anfangen können.
Sie schockieren. Sind Ihnen Tiere mehr wert als Menschen?
Natürlich meine ich das mit dem Meteoriteneinschlag nicht wörtlich. Fakt ist aber, dass wir zu viel Schaden angerichtet haben. Zu viele wollen einen Lebensstandard, der alles andere als nachhaltig ist.
Gibt es nicht einmal in Ihren Träumen eine perfekte Welt?
Ich habe aufgegeben zu glauben, dass wir unser Ökosystem noch erhalten können. Wo man etwas erreichen kann, ist im Kleinen. Indem man einzelnen Tieren hilft und ihnen ein angenehmes Leben ermöglicht. Im Kleinen macht meine Arbeit vielleicht doch manchmal Sinn.
Seine Tasche steht bereit. Darin die Standardausrüstung, wenn er jeweils undercover unterwegs ist: zwei Fotokameras mit Fischauge, zwei Videokameras, Sony 4K mit Weitwinkel, zwei Knopflochkameras, zwei sogenannte Lippenstiftkameras. Immer zwei, damit Ersatz da ist, falls ein Gerät ausfällt oder beschädigt wird.
Ans Aufhören denkt Karl Ammann noch lange nicht.
Photographers Against Wildlife Crime
Das internationale Fotografenkollektiv, zu dem auch Karl Ammann gehört, kämpft gegen den illegalen Handel mit Wildtieren. Im Mai 2018 hat es einen Fotoband herausgegeben: Photographers Against Wildlife Crime: «See the Stories – End the Trade».