Binswanger

Feminismus als Gegenkraft

Die Frauen sind zur mächtigsten Opposition gegen den Rechtspopulismus geworden. Das zeigt sich in den USA – und in der Schweiz.

Von Daniel Binswanger, 06.10.2018

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An Gründen, über die Weltlage alarmiert zu sein, fehlt es selten. Doch das letzte Live-Happening im globalen Tollhaus hatte es wirklich in sich: die Schlamm­schlacht um die Nominierung eines neuen Mitglieds des obersten Gerichtshofs in den USA. Sie wird – egal wie die Sache ausgehen mag – die letzte unbestrittene Institution des amerikanischen Regierungs­systems wohl irreversibel beschädigen. Und den letzten der Hyper­polarisierung entzogenen Ort der staatspolitischen Konsens­findung der immer extremeren Partei­lich­keit verfallen lassen.

Die aggressiv vorangetriebene Politisierung des Supreme Court könnte die bereits heute weit fortgeschrittene definitive Zerstörung der Checks and Balances bedeuten. Starjournalist Thomas Friedman, ein Kommentator, der eigentlich zu Euphorie und nicht zur Schwarzmalerei neigt, spricht in der «New York Times» vom «zweiten amerikanischen Bürgerkrieg». Er lässt keinen Zweifel daran, dass er den Ausdruck nicht als Metapher verstanden haben will. Die Aushöhlung der Grundlagen der amerikanischen Demokratie schreitet zügig voran.

Auch in Europa lassen sich unzählige Beispiele der populistischen Sabotage rechtsstaatlicher Institutionen beobachten. Ist es ein blosser Zufall, dass der parteipolitische Angriff auf den Supreme Court in den USA zeitlich so nahe bei der Schweizer Abstimmung über die Selbstbestimmungsinitiative liegt – einem Versuch, die Menschenrechtsgarantien in unserem Land massiv zu schwächen und der Volkssouveränität nur noch rudimentäre Schranken zu setzen? Es ist dieselbe Strategie der Hyperpolitisierung auf Kosten des Grund­rechtsschutzes, die sich in den USA die Republikaner zu eigen gemacht haben.

Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Immer klarer manifestiert sich eine politische Entwicklung, die von weit her kommt, über die letzten Jahre noch einmal an Dynamik gewonnen hat und sich ebenfalls an verschiedensten Orten des Globus beobachten lässt, sehr deutlich in den USA, aber auch in der Schweiz. Sie ist zur mächtigsten Gegenkraft gegen den Rechtspopulismus geworden. Sie war der Kristallisationspunkt der Proteste gegen Donald Trump unmittelbar nach seiner Wahl, und sie stellt auch beim Tauziehen um die Bestätigung von Brett Kavanaugh als Richter am Supreme Court die entscheidende Widerstandsmacht gegen die konservative Agenda dar: der Feminismus.

Weshalb geraten die Republikaner so hoffnungslos in die Defensive, und warum werden sie – ganz egal, ob Kavanaugh, der gestern Freitag im US-Senat die erste Hürde genommen hat, definitiv bestätigt wird oder nicht – für ihre kompromisslose Unter­stützung ihres Kandidaten voraussichtlich einen hohen Preis bezahlen? Eines Kandidaten, der belastet ist mit dem Verdacht, als junger Mann Akte sexueller Nötigung begangen zu haben? Weil sich die Frauen als politische Macht nicht mehr ignorieren lassen. Weil sich die gesellschaftlichen Standards dessen, was akzeptabel und was nicht akzeptabel ist, verschieben. Weil die femi­nistische Gegenmacht ein gesamtgesellschaftliches, parteienübergreifendes Mobilisierungs­potenzial hat.

Frauen sind die einzige identitätspolitische Minderheit, die de facto eine Mehrheit bildet. Sie spielen in allen politischen Organisationen eine wichtige Rolle. Sie können von keiner Partei ignoriert werden – was auf ethnische Min­der­heiten oder die LGBT-Community leider nicht zutrifft. Zur Kern­identität aller rechtspopulistischen Bewegungen zählt ein starker anti­femi­­nistischer Affekt. Weshalb sie dazu verdammt sind, sich am Feminismus die Zähne auszubeissen.

Viele Analysen der Kavanaugh-Hearings betonen, dass nicht die schwer zu beweisenden Vorwürfe wegen sexueller Nötigung und «unangemessenen Verhaltens» entscheidend seien, sondern der solide abgestützte Verdacht, dass Kavanaugh über seinen Alkoholkonsum zu Highschool- und College-Zeiten unter Eid nicht die Wahrheit gesagt hat. Formaljuristisch mag dieses Argument richtig sein. Kavanaugh wäre nicht die erste öffentliche Figur, die nicht aufgrund ihrer Verfehlungen angeschossen wird, sondern weil sie über diese Verfehlungen die Unwahrheit gesagt hat. Die politische Dynamik, die die Kavanaugh-Hearings beherrscht, ist jedoch eine ganz andere. Es geht um den Vorwurf sexueller Übergriffe. Und um nichts anderes.

Warum hat der Richter-Kandidat höchstwahrscheinlich gelogen über seinen Alkoholkonsum als junger Mann? Nicht weil dieser ihn per se als obersten Richter disqualifiziert hätte. Georg W. Bush hatte eingestandenerweise während früherer Phasen seines Lebens ein seriöses Alkoholproblem, und es hat ihn in seinen beiden Wahlkämpfen nicht beschädigt. Kavanaugh hat gelogen, weil es ihn gegenüber dem Vorwurf einer versuchten Verge­wal­tigung verwundbarer gemacht hätte. Es wäre die Möglichkeit offen geblieben, dass er im Zustand der Volltrunkenheit gehandelt hat, sich deshalb an vieles nicht erinnern kann und die Belastungszeuginnen folglich die Wahrheit sagen, obwohl er die Vorfälle bestreitet. Diese Situation wollte der erfahrene Jurist um jeden Preis vermeiden. Es hätte den Vorwurf sexueller Nötigung plausibler werden lassen – und das hätte ihn potenziell den Kopf gekostet. Also zog er das Risiko vor, des Meineids überführt zu werden.

Kavanaughs Verteidigungsstrategie zeigt, wie sich die Massstäbe verschieben. Auch am politischen Amerika ist die #MeToo-Bewegung nicht spurlos vorbeigegangen. Das gilt allerdings nicht nur für Kavanaughs Aussagen zum eigenen Alkoholkonsum, sondern auch für die Aggressivität, mit der er auf seine Beschuldiger losging. Er versuchte nicht, die Anschuldigungen zu widerlegen. Er versuchte, die Vorwürfe als illegitim, verschwörerisch, von politischen Motiven geleitet darzustellen. Er setzte alles daran, die Wahr­heits­findung beiseitezuschieben und die Auseinandersetzung zu politi­sieren. Er hat weniger seine Unschuld bekräftigt als zum ideologischen Gegenangriff angesetzt.

Die Botschaft, die Kavanaugh letztlich aussandte, war simpel: Weisse, junge Männer aus der amerikanischen Oberschicht haben das Recht, an College-Partys sexuelle Übergriffe zu begehen. Sie haben ein Recht auf «schlechtes Benehmen». Skandalös ist es, wenn man dieses Benehmen infrage stellt. Skandalös ist es, wenn man deswegen die Ehre arrivierter Familienväter beschmutzt.

Das Kavanaugh-Hearing ist symptomatisch für die antifeministische Front­stellung, die den populistischen Konservatismus in den USA charakterisiert. Und es zeigt, dass diese Gegenmacht die Republikanische Partei bis in die eigenen Reihen hinein in immer grössere Bedrängnis bringt. Auch Kavanaughs Anklägerinnen gehören zur amerikanischen Elite, auch sie sind Yale-Abgängerinnen, auch sie sind potenzielle Parteigängerinnen der Repu­blikaner. Und das Ende der Zeiten, zu denen sie dennoch Bürgerinnen zweiter Klasse blieben, ist absehbar.

Auch hier bestehen Parallelen zum politischen Geschehen in der Schweiz. Vor zwei Wochen fand die Grossdemonstration für Lohngleichheit in Bern statt, zu der vorwiegend linke Organisationen, aber auch die BDP und die CVP-Frauen aufgerufen hatten. Vor gut einer Woche wurde von Alliance F und Operation Libero «Helvetia ruft!» lanciert, die überparteiliche Initiative, die den Frauenanteil im Schweizer Parlament erhöhen soll. Selbst aus der SVP nahmen Vertreterinnen teil.

Es ist noch zu früh, um eine Aussage zu wagen, wie erfolgreich diese Bemühungen sein werden, aber eine Feststellung lässt sich bereits machen: Es gibt seit längerem Versuche, unter den politischen Parteien des Landes die progressiven Kräfte zu bündeln und gegen den Nationalkonservatismus in Stellung zu bringen. «Helvetia ruft!» scheint die bisher erfolgreichste Initiative in diesem Feld zu sein. Auch in der Schweiz dürfte sich der Femi­nis­mus als der letztlich mächtigste Mobilisierungsvektor erweisen, um gegen den Rechtspopulismus eine breite Koalition zu stiften.

Obwohl es seinen allerinnersten Überzeugungen zuwider ist: Selbst Christoph Blochers vielleicht nachhaltigstes politisches Erbe dürfte am Ende darin bestehen, dass er der Frauenemanzipation in diesem Land mächtig Vorschub geleistet hat. Seine nationale Karriere hat Blocher angefangen, indem er sich Mitte der Achtzigerjahre mit abscheulichen, reaktionären Argumenten gegen die Eherechtsrevision ins Zeug legte. Aber heute bereitet er sein Karriereende vor, indem er mit seiner Tochter Magdalena eine dynastische Nach­folgerin installiert, die bald schon mächtiger sein könnte als irgend­jemand sonst in diesem Land. Aus Genderperspektive wird das Vermächtnis des Privatmanns Blocher, der drei Töchter und einen Sohn zeugte, der zur Nachfolge offenbar nicht geeignet war, dasjenige des Staatsmannes wohl himmelweit in den Schatten stellen.

Natürlich geht auch diese Entwicklung nicht ohne Verwerfungen ab – ganz besonders nicht innerhalb der SVP. Manche Parteiexponenten sind so stark auf männerbündlerische Hierarchien gepolt, dass ihnen die Aussicht, bald schon nach der Pfeife einer weiblichen Führungsfigur tanzen zu müssen, vor Frustration die Pickel ins Gesicht treiben dürfte – umso mehr, als es sich um eine Frau handelt, die sich nicht damit begnügt, Wahllisten zu dekorieren und in der Arena in die erste Reihe gestellt zu werden, sondern die keine Zweifel aufkommen lässt, wer den Tarif durchgibt.

Doch der SVP wird es nicht anders ergehen als den Republikanern. Der Wandel ist unterwegs, auch in den eigenen Reihen. Es wird noch zu vielen Rückzugsgefechten kommen, auch zu den hässlichen. Aber wohin die Ent­wicklung geht, steht fest. Für einen bestimmten Konservatismus sind das keine guten Nachrichten.

Illustration: Alex Solman

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