St. Gallen gegen Verhüllung, Trump gegen die Welt – und ein Brexit ohne Deal?
Woche 39/2018 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.
Von Michael Kuratli, 28.09.2018
May chancenlos: Brexit überschattet EU-Gipfel
Darum geht es: Am informellen EU-Gipfel in Salzburg kamen die europäischen Regierungschefs der britischen Premierministerin May und ihrem Plan für einen Deal nicht entgegen. Die Labour-Partei einigte sich eine Woche später darauf, für den Fall, dass kein Deal zustande kommt, eine zweite Abstimmung über den Brexit einzufordern.
Warum das wichtig ist: Eigentlich hätte der Brexit nur ein Randthema sein sollen. Die EU-Staaten hatten genug damit zu tun, sich auf eine gemeinsame Strategie beim Thema Migration zu einigen. Doch im Vorfeld des Gipfels letzte Woche hatte Premierministerin Theresa May den Brexit unter anderem mit einem Gastbeitrag in der Zeitung «Welt» auf die Agenda gezerrt. Darin machte sie sich für ihre Vorstellungen einer künftigen Zusammenarbeit stark und forderte von der EU ein Entgegenkommen. Keine Seite könne «von der anderen etwas völlig Inakzeptables verlangen», schrieb sie. Doch die EU zeigte sich von Mays brüskem Auftreten unbeeindruckt und liess die Premierministerin auflaufen. Ihr Plan werde «nicht funktionieren», meinte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Gipfel und verteidigte später die Position der Staatengemeinschaft gegen das kompromisslose Vorgehen des Vereinigten Königreichs. Ein Knackpunkt sind unter anderem die Verhandlungen zur irisch-nordirischen Grenze. In einer Fernsehansprache demonstrierte May Härte und wehrte sich gegen die Kritik der EU. Im eigenen Land steht die Premierministerin unter Druck, da sie versprochen hat, dass Grossbritannien bis zum März nächsten Jahres aus der EU ausscheiden wird – allerdings nicht ohne funktionierenden Deal.
Was als Nächstes geschieht: Immerhin ein Entscheid fiel in Salzburg. Nämlich der, sich im November zu einem Brexit-Gipfel zu treffen, falls man sich bis dahin einigen kann. Geschieht dies nicht, gibt es noch zwei Optionen: ein Austritt ohne Deal oder eine erneute Abstimmung, die zu einem Verbleib des Landes in der EU führen könnte.
Trump für Isolationismus – EU auf Konfrontationskurs
Darum geht es: Bei der Vollversammlung der Uno in New York versuchte die EU zusammen mit Russland und China den Atomdeal mit dem Iran zu retten. US-Präsident Donald Trump stellte derweil alle internationalen Engagements der USA infrage und machte sich für einen Alleingang der Nationen stark.
Warum das wichtig ist: Als Trump zu Beginn der Uno-Generaldebatte zum Lobgesang auf die Leistungen seiner eigenen Regierung ansetzte, wurde er von den Staats- und Regierungschefs im Saal ausgelacht. «Das ist nicht die Reaktion, die ich erwartete, aber okay», meinte Trump. Dann erklärte er, dass die USA alle internationalen Verbindungen prüfen würden und nur noch dort auf globaler Ebene zusammenarbeiten wollten, wo dies dem Land direkt nütze. Es war die Absage an den «Globalismus» und die Rolle der USA seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In seiner Rede an der Generalversammlung griff Trump ausserdem das iranische Regime scharf an und forderte die versammelten Nationen dazu auf, die Islamische Republik zu isolieren. Die Rede war auch eine Antwort auf die Bestrebungen der EU tags zuvor, zusammen mit Russland und China das Atomabkommen mit dem Iran aufrechtzuerhalten. Die Gruppe will eine neue Finanzinstitution einführen, um die Sanktionen der USA zu umgehen. Die USA hatten sich im Mai aus dem Abkommen zurückgezogen und wieder Wirtschaftssanktionen gegen den Iran eingeführt.
Was als Nächstes geschieht: Nach Trumps Rede und der Reaktion der EU scheint die Distanz zwischen Europa und Amerika grösser denn je. Der amerikanische Präsident stellte mit seiner Rede klar, dass seine bisherigen Provokationen im Ausland nicht nur Zückerchen für seine Wählerschaft sind, sondern dass er gewillt ist, die traditionelle Rolle der USA als «leader of the free world» abzustreifen.
St. Gallen führt Verhüllungsverbot ein
Darum geht es: Im Kanton St. Gallen stimmte eine Mehrheit für ein kantonsweites Verhüllungsverbot.
Warum das wichtig ist: In allen Gemeinden des Kantons war man sich einig – in Zukunft soll gebüsst werden, wer in der Öffentlichkeit sein Gesicht verhüllt und damit die «öffentliche Sicherheit oder den religiösen und gesellschaftlichen Frieden» bedroht. Die Bevölkerung folgte damit einem Beschluss des Parlaments, über den in einem Referendum abgestimmt wurde. Die Vorlage richte sich nicht gegen einzelne Gruppen, etwa Musliminnen, beteuerten die Befürworter. Die SVP hatte vor der Abstimmung immer wieder den Sicherheitsaspekt betont. Gegen das Gesetz starkgemacht hatte sich die Kantonsregierung. Linke und Mitteparteien werfen der SVP vor, Symbolpolitik zu machen. Das Verbot sei schlecht formuliert und «eines Rechtsstaates nicht würdig», meinten etwa die Jungen Grünen nach der Abstimmung. St. Gallen ist nach dem Tessin der zweite Kanton, der ein Verhüllungsverbot einführt.
Was als Nächstes geschieht: Viel Wirkung wird dem neuen Gesetz nicht zugesprochen. Die effektive Umsetzung steht noch an. Tatsächlich ist etwa das Tragen einer Burka allein in Zukunft nicht strafbar, sondern nur dann, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit damit einhergeht. Dies erschwert eine Umsetzung des Gesetzes ungemein. Die SVP sieht den Erfolg ihres Anliegen derweil als Zeichen für eine nationale Vorlage.
Zum Schluss: Haben Chinesen keinen Humor? (nur kurz)
Der Fall einer chinesischen Familie, die wegen einer falschen Buchung vorletzte Woche aus einem Hotel in Stockholm gezerrt wurde, zieht eine veritable Staatsaffäre nach sich. Nachdem die chinesische Botschaft eine Reisewarnung an die Bevölkerung Chinas erlassen und die schwedische Regierung aufgefordert hat, den Fall gründlich zu untersuchen, muss nun auch die Presse Federn lassen. Die schwedische Satiresendung «Svenska Nyheter» nahm den Fall natürlich auf. Dabei entlarvte sie den latenten Rassismus in Schweden gegenüber Chinesinnen – und doppelte mit einem, nun ja, rassistischen Video nach, in dem sie auf Klischees herumritt, etwa dem Verspeisen von Hunden. Das kam dem chinesischen Botschafter wiederum in den falschen Hals. Der Fernsehsender entschuldigte sich zweimal für die Sendung, doch der Botschafter wies beide Entschuldigungen zurück. Sie seien nicht ernst gemeint. Der Kulturclash scheint unlösbar, und die rassistische Erklärung liegt nahe, dass Chinesen keinen Humor verstehen. Oder macht sich der Botschafter etwa auf subtile chinesische Art seinerseits über die TV-Macher lustig?
Top-Storys: Was der Redaktion diese Woche auffiel
Brexit: Lass uns alle Möglichkeiten einmal durchspielen, hat sich «Bloomberg» gesagt und ein unterhaltsames Online-Game zum Ausscheiden Grossbritanniens aus der EU kreiert.
Roman Abramowitsch: Warum der Oligarch und Besitzer des Fussballclubs Chelsea sich nicht in der Schweiz niederlassen darf und warum die Bundespolizei mit reichen Russen vorsichtiger umgeht als früher, lesen Sie bei «#12» nach.
Korea: Geteilte Länder, geteiltes Schicksal. Ein eindrücklicher Fotovergleich des «Guardian» rückt die Menschen Nord- und Südkoreas zumindest auf Bildern ein wenig näher.
Kweku Adoboli: Der Londoner Banker sitzt wegen eines Betrugs historischen Ausmasses im Gefängnis. Nun sitzt er in Ausschaffungshaft und soll nach Ghana abgeschoben werden. Den doppelten Absturz Adobolis erzählt die «Zeit».
Russland-Affäre: Wie genau hat Russland die Präsidentschaftswahlen in den USA beeinflusst? Die Puzzlesteine sind noch längst nicht zusammengesetzt, doch die «New York Times» liefert bereits einen ausführlichen Überblick darüber, was bisher geschah.