Taxi plus
Ein Chauffeur vertickt in seinem Taxi Kokain. Das Gericht steht vor der Frage: Kleiner Fisch im organisierten Drogenhandel oder Kleinunternehmer, der unklug diversifizierte? Ein Routinefall.
Von Yvonne Kunz, 26.09.2018
Ort: Bezirksgericht Zürich
Zeit: 11. September 2018, 8.30 Uhr
Geschäfts-Nr.: B-1/2015/10003861
Delikt: Qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz
«Was macht denn die vierte Gewalt an dieser Hundsverlochete?», hallt die verblüffte Frage von Staatsanwalt Christian Meier durch den Korridor vor dem Gerichtssaal 131 des Bezirksgerichts Zürich. Und der sich bald dazugesellende Strafverteidiger Valentin Landmann grüsst die Reporterin mit dem Hinweis auf einen «viel besseren Fall». Er vertrete eine Domina, der von Berufs wegen die Staatsbürgerschaft verweigert wird. «Heute im ‹Blick›, Seite sechs, müssen Sie lesen.»
Wohl wahr, es ist ein Fall wie eine weisse Sportsocke: billiger im Dutzend und ätzend in seiner Klischeehaftigkeit. Ein serbisch-schweizerischer Doppelbürger soll 2015 und 2016 insgesamt 2,1 Kilogramm Kokain in jeweils 100- bis 300-Gramm-Portionen gekauft, gestreckt und weiterverkauft haben. In seinem Taxi, an der Zürcher Langstrasse. Beim Zugriff der Polizei an seinem Wohnort fanden die Beamten den Stoff im Spülkasten des Klos und beschlagnahmten einen Porsche Panamera.
Es beginnt mit einer Unterbrechung
Zur Eröffnung der Verhandlung bricht Verteidiger Landmann die prozessuale Routine mit einer Vorfrage. Gegenstand: die Verwertbarkeit der Beweismittel. Die Anklage stütze sich weitgehend auf Erkenntnisse aus einer technischen Überwachung, bei der die Wohnung der mutmasslichen Lieferanten des Beschuldigten abgehört wurde. Dafür sei eine Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht zwingend, aber die finde sich nicht bei den Akten. Deshalb seien die aus der Überwachung gewonnenen Beweise nicht verwertbar.
Gerichtspräsidentin Simone Nabholz unterbricht zur Klärung des Antrags den Prozess, bevor er richtig begonnen hat. Zurück auf dem Korridor, erklärt Staatsanwalt Meier, der Beschuldigte sei ein Zufallsfund. Sein Name sei bei der Polizeiaktion «URA» aufgetaucht, in deren Rahmen verschiedene balkanstämmige Tatverdächtige im Drogenhandel überwacht wurden. Selbstverständlich bewilligt, was auch aktenkundig sei – aber nicht in diesem, sondern im Fall der Lieferanten.
«Aha, das Gericht zieht die Akten bei», sagt Meier, als Gerichtsschreiberin und Auditorin aus dem Saal kommen und die Treppe hinab verschwinden. Ein paar Minuten später tragen sie tatsächlich Akten vorbei. Kurz darauf zurück im Saal, verkündet die Gerichtspräsidentin, man habe die Anordnung gefunden. Das Gericht werde im Rahmen der Urteilsfindung über deren Rechtmässigkeit entscheiden.
Anders als sein Verteidiger hat der Beschuldigte mit der Überwachung kein Problem. Im Gegenteil: «Bitte nutzen Sie die Daten!» Daraus würde klar, dass die Grossdealer einfach seine Nachbarn gewesen seien. Aber, wendet die Richterin ein, er habe doch gestanden, 100 Gramm Kokain gekauft zu haben. Schon, aber einen guten Teil davon selbst konsumiert und mit dem Rest nur ein kleines Zusatzgeschäft gemacht, sagt der Beschuldigte. «Ich will vor meiner Schuld nicht davonlaufen.» Aber er könne nichts zugeben, was er nicht getan habe. Staatsanwalt Meier zeichne ein falsches Bild von ihm.
Der angesprochene Meier erinnert im Plädoyer daran, dass der Beschuldigte schon 2012 bei einer ähnlichen Untersuchung der Bundespolizei ins Visier der Behörden geraten sei. Damals reichten die Beweise nicht, aber in diesem Fall gebe es keine Zweifel: Der Beschuldigte habe längere Zeit intensiv gedealt. Sein einziges Motiv: Geld. Der Betrag sei schwer zu beziffern, etwa 40’000 Franken das Kilo? «Der Fahrzeugpark des Beschuldigten ist dahingehend recht aussagekräftig», sagt Meier in Anspielung auf den Porsche. Kein grosser Fisch, aber auch kein Gelegenheitsdealer, folgert er und fordert viereinhalb Jahre Gefängnis.
Die Taktik der Verteidigung
Verteidiger Valentin Landmann, dank medialer Omnipräsenz auch Laien als «Milieuanwalt» ein Begriff, arbeitet nach Schema F. Erstens, Teilgeständnis: Was nicht anders geht, gibt der Beschuldigte zu. Das beschleunigt das Verfahren, stimmt Gerichte kooperativ, reduziert die Strafe. Vorliegend sind die zehn abgepackten Portionen Kokain – kaum anders zu erklären als mit Handel. Mit den eingestandenen 47 Gramm, sagt Landmann, sei die Schwelle zum schweren Fall von 18 Gramm reinem Stoff bei weitem überschritten. Rechtliche Würdigung der Anklage geht klar: qualifiziertes Betäubungsmitteldelikt.
Zweitens, Zweifel wecken: Die intensive Überwachung seines Mandanten, Landmann nennt es «Bespitzelung», habe keine konkreten Hinweise auf Drogenhandel ergeben. Dagegen gebe es konkrete Hinweise für die Unschuld des Beschuldigten: An zwei der elf in der Anklage aufgeführten Daten sei er gar nicht im Land gewesen. Sondern einmal in Serbien, siehe Buchungsbestätigung. Das andere Mal, siehe Stempel im Pass, habe der Beschuldigte die Grenze von Griechenland zu Mazedonien passiert, mit dem Auto. «Der Beschuldigte fährt schon schnell, aber 2000 Kilometer innert Stunden?», ulkt Landmann. Oder sei er etwa im Privatflugzeug hin und her gejettet.
Scherz beiseite, jetzt kommt, drittens, die menschliche Komponente: Der Beschuldigte sei kein professioneller Dealer, er habe einfach eine «grauenhafte Zeit» hinter sich. Ein Schicksalsschlag folgte dem nächsten. Dazu kamen erhebliche Umsatzeinbussen, als der private Fahrdienst Uber aufkam. Koksen habe dem Mann geholfen, besser klarzukommen. Als sich Fahrgäste bei nächtlichen Fahrten an die Langstrasse immer wieder nach Drogen erkundigten, habe er einfach die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Landmann beantragt 14 Monate bedingt.
Seitenhieb an die Staatsanwaltschaft
Kurz vor Mittag schliesst das Gericht die Hauptverhandlung und setzt die Urteilseröffnung für 17.00 Uhr an. Es wird 17.40. Das Gericht äussert sich zunächst zur Vorfrage: Die Unsicherheit bezüglich der rechtmässigen Bewilligung erkläre sich vor allem aus dem Umzug der mutmasslichen Lieferanten des Beschuldigten während der Überwachung. Deshalb wurde die Massnahme für die eine Adresse aufgehoben und für die neue erneut beantragt und bewilligt. Das habe bezüglich der Daten zu einem offensichtlichen Versehen in der Anklageschrift geführt.
Doch viel brächten die Abhörprotokolle ohnehin nicht, so das Gericht weiter. Sie blieben in jeder Hinsicht vage, und auch die Anklage selbst sei weit gefasst. Dann folgt ein kleiner Seitenhieb an die Adresse der Staatsanwaltschaft: Wenn Passeinträge darlegten, dass der Beschuldigte zur angeblichen Tatzeit ausser Landes war, erschwere das die Beweisführung schon. Zwar habe der Beschuldigte das Gericht nicht überzeugen können, ein harmloser Gelegenheitsdealer zu sein. Aber etwas anderes könne ihm nicht rechtsgenügend nachgewiesen werden.
Gerichtsvorsitzende Simone Nabholz verhängt 15 Monate bedingt mit zwei Jahren Probezeit. Und der Porsche wird zur Deckung der Verfahrenskosten verwertet.
Illustration Friederike Hantel