Einfach kompliziert
In einem Jahr übernimmt der Kärntner Regisseur Martin Kušej das Burgtheater. Die Wellen gehen jetzt schon hoch: Wird er Publikumslieblingen im Ensemble kündigen? Stationen einer typisch wienerischen Erregung.
Von Karin Cerny, 21.09.2018
Die Theatersaison hat in Wien früh begonnen. Draussen geht der Sommer in die Verlängerung, drinnen schraubt man den Anspruch hoch: politisch soll es sein, ein historischer Stoff, der ein Schlaglicht auf die Gegenwart wirft.
Im Burgtheater verkörpert der Vollblutschauspieler Nicholas Ofczarek als Titelheld in «Mephisto» das Sinnbild eines Künstlers, der sich von der Macht korrumpieren lässt und unter den Nazis zu Ruhm und Ansehen kommt. Regisseur Bastian Kraft inszeniert, nicht sonderlich überraschend, einen Tanz auf dem Vulkan: Er stellt der opportunistischen Figur Hendrik Höfgen (in Klaus Manns Romanvorlage unschwer als Gustaf Gründgens zu dechiffrieren) ihren Autor gegenüber, als würde der Roman gerade entstehen.
Der Abend ist phänomenal geheimnislos: eine schrill aufgemotzte, lang ausgewalzte Nacherzählung. Wenn sich Höfgen in den Netzen der Nazis verfängt, dann wird er auf der Bühne in Seile gehängt. Wie platt ist das denn!
Unvergänglicher k. u. k. Mythos
Anspruch und Realität klaffen – wie so oft – auf der Bühne auseinander. Für Aussenstehende mag das Burgtheater das erste Haus im deutschsprachigen Raum sein. Nach enttäuschenden Premieren wie diesen zweifelt man allerdings an diesem Status. Wäre da nicht das Pausenfoyer, in dem die Geschichte lebendig bleibt. Da hängt ein Gemälde der Schauspielerin Katharina Schratt (1853–1940), einer langjährigen Affäre von Kaiser Franz Joseph I. Und gleich daneben ist eine kleine Bar, wo man seinen Sekt vor Totenmasken von Schauspielerlegenden wie Werner Krauss oder Oskar Werner schlürft. Die k. u. k. Vergangenheit ist im Burgtheater omnipräsent.
Der Mythos schwingt immer mit. Das fängt schon beim Namen an: Hat man in Deutschland und der Schweiz Stadttheater, nennt sich die Burg stolz Nationaltheater. Dem habsburgischen Reformkaiser Joseph II. fiel diese Bezeichnung 1776 ein, bis heute ist sie erhalten geblieben.
Erstaunlich, dass der Mythos Burgtheater unbeschadet so lange überstanden hat. Während auf der Bühne um zeitgenössische Inszenierungen gerungen wird, werden nach wie vor Rituale aufrechterhalten, die wie aus einem anderen Jahrhundert wirken: Österreich als alte Kulturmonarchie, in der ein Burgschauspieler gleich hinter dem Kaiser rangiert. Das merkt man am schönsten beim Ableben eines Ehrenmitglieds.
Als 2014 der Schauspieler Gert Voss starb, wurde seine Leiche erst auf der burggartenseitigen Feststiege (so heisst die Treppe offiziell) des Gebäudes aufgebahrt. Dann drehte der Sarg unter der Anwesenheit heimischer Politprominenz eine letzte Runde um das Theater. Ein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof wurde von der Stadt kostenlos zur Verfügung gestellt.
Verehrt, geliebt und imitiert
«Wenn man das Burgtheater erwähnt, erblassen die Leute noch immer vor Ehrfurcht – als wäre man Priester im Vatikan», sagt der deutsche Schauspieler Martin Schwab, der mit Claus Peymann ans Haus kam.
Ein beliebtes Bonmot lautet, in Wien wisse jeder Taxifahrer, was im Burgtheater gerade gespielt wird. Das ist natürlich Unsinn. Was aber stimmt: Nirgends sonst verehrt und liebt man Schauspielerinnen und Schauspieler dermassen wie hier. Das wird vor allem beim Applaus deutlich, wenn gefeierte Akteure gegen radikale Regisseure verteidigt werden – als ob nicht meist beide gemeinsam an einem Strang ziehen würden.
Man sagt «der Meyerhoff» und «die Poelnitz», als seien Schauspieler Institutionen. Als Claus Peymann 1987 «Richard III.» mit Gert Voss in der Titelrolle inszenierte, wurden dessen seitlich ausrasierte Haare tatsächlich von Wiener Friseuren als neueste Mode angeboten.
Die Gerüchteküche
Diese Schauspielervernarrtheit trägt mitunter auch absurde Züge. Eine drohende Veränderung schlägt in der Wiener Medienlandschaft jetzt schon hohe Wellen: Ab September nächsten Jahres wird der Kärntner Regisseur Martin Kušej, der bis dann noch das Münchner Residenztheater leitet, seine erste Burgtheater-Saison eröffnen. Natürlich möchte er neue Schauspielerinnen und Schauspieler mitbringen. In einem Radiointerview mit dem österreichischen Klassiksender Ö1 meinte Kušej (etwas unglücklich formulierend): «Ich schütte da sicher mal die Hälfte oder zwei Drittel von diesem Suppentopf aus und koche mal eine neue Suppe auf.»
Im Nachhinein wollte er den Satz generell auf das österreichische Kulturklima bezogen wissen. Die Medien gingen von einem Austausch des Ensembles aus. Seitdem kocht diese Kušej-Suppe in der Gerüchteküche über.
Dauernd kommen neue Namen ins Spiel, wer bleiben darf, wer gehen muss. Die Tragödiendiva Christiane von Poelnitz soll zu jenen gehören, deren Vertrag nicht verlängert wurde. Mavie Hörbiger, lautet das Gerücht, hätte gehen sollen, aber ihr Mann, der Schauspieler Michael Maertens, habe gedroht, in dem Fall auch zügig fortzugehen.
Von den Betroffenen möchte kaum jemand mit Namen in der Zeitung stehen. Typisch wienerisch brodelt es hinter den Kulissen. Kušej wittert eine dieser «typisch österreichischen Skandalintrigen».
Geschrumpftes Ensemble
Die Zahlen der Nichtverlängerungen variieren. Von 65 Ensemblemitgliedern stünden zwischen 19 und 26 auf der Abschussliste, hört man. Aber auch von der Pressestelle bis zu den Technikjobs wird es Veränderungen geben. Einige der Betroffenen sind seit mehr als zwanzig Jahren am Haus. Man versteht natürlich ihre Sorgen. Kušej muss einen schwierigen Spagat hinlegen: Er soll ja nichts verändern, aber unbedingt neuen Elan in die Burg bringen. Ohne personelle Einschnitte wird das kaum gehen.
Als Peymann 1986 das Burgtheater übernahm, meinte er hinsichtlich der Schauspieler provokant: Sie «sterben lieber künstlerisch, als dass sie das Burgtheater verlassen». Damals waren die meisten praktisch unkündbar.
Erst die Umwandlung der Burg in eine GmbH anno 1999 ermöglichte neue Kollektivverträge. An die 120 Schauspielerinnen und Schauspieler war das Ensemble unter Peymann noch stark. Unfassbar eigentlich, wie drastisch die Zahl seither gesunken ist: fast um die Hälfte. Die Jungen bekommen gerade einmal einen Vertrag für ein Jahr, die Alten sind bestenfalls «pragmatisiert»: Sie haben den Status von Beamten und können gar nicht entlassen werden.
«Ich fürchte, man darf nicht Theaterdirektor werden, wenn man sich nicht traut, etwas zu verändern», sagt Schauspieler Nicholas Ofczarek in der Wochenzeitschrift «Profil». Mit insgesamt mehr als zwanzig Dienstjahren ist er übrigens auch unkündbar. Eine tiefe Kluft ist zwischen den Generationen entstanden: Die Kunst spiegelt die Gesellschaft deutlicher wider, als ihr wahrscheinlich lieb ist. Sie wird in ihren Arbeitsverhältnissen immer neoliberaler.
Der Finanzskandal von 2014
Die Nerven liegen blank. Kušej, der als Raubein gilt, sticht in ein Wespennest. Er übernimmt ein Haus, das in den letzten Jahren zahlreiche Krisen zu bestehen hatte. Ins Wanken kam die Burg durch den Finanzskandal im Jahr 2014. Intendant Matthias Hartmann wurde damals fristlos gekündigt. Seine Nachfolgerin Karin Bergmann, die schon unter Peymann am Haus war, brachte den Tanker wieder auf Kurs – ihr radikales Sparprogramm stopfte die ärgsten Löcher. Das Haus steht wieder gut da, heisst es von offizieller Seite, der Laden brummt.
Aber die Gräben im Ensemble existieren offenbar weiter. Anfang dieses Jahres machte ein öffentlicher Brief die Runde, unterzeichnet von 60 Burgtheater-Mitarbeitern, darunter namhaften Schauspielerinnen wie Sylvie Rohrer und Corinna Kirchhoff, dazu Inspizienten und Souffleusen. Sie wiesen auf Sexismus und Demütigungen in der Ära Hartmann hin. Ihr Aufbegehren traf sich mit der aktuellen Tendenz, dass – auch von der #MeToo-Debatte befeuert – Schauspielerinnen und Schauspieler nicht mehr als «Material» betrachtet werden wollen und mehr Mitspracherecht an den Theatern fordern. Und von den polternden Regiepatriarchen die Nase voll haben.
Auf Umwegen zum Ziel
Aber auch Kušej hat eine lange, wechselhafte Beziehung mit dem Burgtheater. Nikolaus Bachler holte Kušejs wuchtige, düstere Arbeiten Ende der 1990er-Jahre an die Burg. Der Regisseur war ein gern gesehener Gast.
Er entstaubte österreichische Klassiker. Seine radikalen Zugriffe prägten das Haus am Ring massgeblich. Kein Wunder, dass er sich schon damals eine prächtige Zukunft in Wien ausmalte: Als Festwochen-Intendant war er 2005 im Gespräch – dann wurde doch der Vertrag von Luc Bondy verlängert.
Kurz darauf galt Kušej als Favorit um die Nachfolge von Bachler als Burgtheater-Chef, aber man zog ihm Matthias Hartmann vor, der vom Zürcher Schauspielhaus an die Burg wechselte. Kušej verliess Wien wütend, nahm Publikumslieblinge wie Birgit Minichmayr und Nicholas Ofczarek kurzfristig mit ans Münchner Residenztheater. Dass Hartmann und Kušej gar nicht miteinander können, war ein offenes Geheimnis.
Jetzt ist Kušej also am Ziel angekommen: Bald wird er das mächtigste Theater im deutschsprachigen Raum leiten. Er kündigte bereits an, dass er das flapsige Kürzel «Burg» in Zukunft nicht mehr hören möchte: Schliesslich gehe es um die Weltmarke Burgtheater, die wieder exklusiv werden solle.
Kušej fordert, dass seine Schauspieler an keiner anderen Bühne mehr auftreten. Mal sehen, wie realistisch sich das umsetzen lassen wird. Die Wiener werden auf jeden Fall nach der Eröffnungspremiere kommenden September neue Schauspielerlieblinge ins Herz geschlossen haben. Sie raunzen nämlich gern, sind dann aber doch wieder froh, wenn sie auf ihre Burg, Pardon: ihr Burgtheater, stolz sein können.
Karin Cerny lebt in Wien. Sie schreibt regelmässig über Theater, Literatur und Kulturpolitik im Wochenmagazin «Profil» sowie Reise- und Modegeschichten für «Rondo», die Beilage der Tageszeitung «Der Standard».
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