«Wohnpolitik ist knallharte Wirtschaftspolitik»
In Zürich macht sie aktuell mit der Initiative für ein alternatives Stadionprojekt Schlagzeilen. Schweizweit will sie eine Verschärfung der Lex Koller vors Volk bringen. Was treibt die Ökonomin und SP-Politikerin Jacqueline Badran an?
Ein Interview von Daria Wild (Text) und Joan Minder (Bilder), 17.09.2018
Es war Mitte August, als die Stadtzürcher SP die Initiative für ein alternatives Hardturmstadion lancierte – und sich damit gegen die rot-grüne Regierung stellte. Ihr Hauptargument: Das Projekt der Stadt enthalte den Bau von Luxuswohnungen, die letztlich mit Steuergeldern finanziert würden. Treibende Kraft hinter der Aktion: Jacqueline Badran. Ihr Spezialgebiet: Wohn- und Bodenpolitik.
Auf nationaler Ebene dauert ein weit grösserer Kraftakt schon länger an: Badran will die Abschaffung der Lex Koller verhindern. Die einen nennen es ein Relikt aus alten Tagen. Für Jacqueline Badran ist es wichtiger denn je – ein zentraler Baustein in ihrem Kampf gegen höhere Mieten: das Gesetz, das verhindert, dass Anleger mit Sitz im Ausland beliebig viele Häuser und Wohnungen in der Schweiz kaufen können, um damit zu spekulieren. Und so die Preise für Wohnraum weiter hochzutreiben.
2014 gelang Badran ein fulminanter Sololauf: Quasi im Alleingang bewahrte sie die Lex Koller davor, beerdigt zu werden. Jetzt geht sie wieder auf die Barrikaden: Ende Juni hat der Bundesrat – nach heftiger Kritik aus dem Parlament – darauf verzichtet, die Lex Koller zu verschärfen.
Badran reagierte verärgert – und kündigte ein überparteiliches Komitee an, das die Lex Koller vors Volk bringen möchte. Zeitpunkt unbekannt.
Warum ist ihr die Lex Koller so wichtig? Was hat das Gesetz mit unseren Mieten zu tun? Wem gehört eigentlich was? Und wie sollen wir wohnen?
Zu finden ist Badran im Büro ihrer Software-Firma im Zürcher Kreis 4, in einem freistehenden Haus mit Mansardendach und angrenzendem Park, unweit der Stauffacher-Kreuzung. Badran bittet an einen gigantischen Sitzungstisch, redet sich nach wenigen Minuten in Rage und hat auch nach drei Stunden noch längst nicht alles gesagt.
Die Kürzestzusammenfassung: Nicht nur bei der Lex Koller läuft gründlich etwas schief, sondern im ganzen System.
Frau Badran, bevor wir zur Lex Koller kommen, eine grundsätzliche Frage. Sie propagieren die Expansion von genossenschaftlichem Wohnraum. Warum eigentlich?
Bei der Wohnpolitik gehts nicht um Politik für jene mit dem kleinen Portemonnaie. Wohnpolitik ist knallharte Wirtschaftspolitik. Die Wohnkosten sind für die meisten Menschen der grösste Posten im Haushaltsbudget. Die Regulierungen versagen. Deshalb sind die Eigentumsverhältnisse entscheidend. Genossenschaften bieten Wohnraum ohne Gewinnabsichten an – also zur Kostenmiete.
Wohnpolitik ist keine Sozialpolitik?
Der genossenschaftliche Weg ist der dritte Weg, der Mix zwischen Miete und Eigentum. Das ist erstens wirtschaftlich sinnvoll, für die Gemeinden, die Land im Baurecht abgeben an ein lukratives Geschäft, zweitens entlastet es das Portemonnaie der Leute und bewirkt damit eine höhere Kaufkraft – und drittens ist es urschweizerisch.
Urschweizerisch?
Das demokratische Momentum in der Schweiz lässt sich auf den gemeinsamen Besitz von Boden zurückzuführen. Nichts ist so schweizerisch. Und so konstitutiv für die Eidgenossenschaft. Genossenschaften bewirken, dass man niemandem Gewinne abliefern muss.
Sie wollen, dass der Staat, Kantone oder Gemeinden allen Boden kaufen und gemeinnützig freigeben.
Wir reden hier vom volkswirtschaftlich grössten Gut. Unser Boden ist vier Billionen wert, da gibts nichts Vergleichbares.
Aber Genossenschaften sind stark subventioniert.
Das stimmt nicht. Das Gegenteil ist der Fall, und zwar aus dem Grund, weil sie so schlechte Heimfallbedingungen haben. Bei den kommerziellen Baurechten bekommt der Baurechtsnehmer am Ende des Baurechts – also beim Heimfall – 80 Prozent des künftigen Werts erstattet. Im genossenschaftlichen Baurecht bekommt die Genossenschaft nur 50 Prozent des Werts zum Zeitpunkt des Baus. Das heisst: Genossenschaften sind nicht an der Wertsteigerung beteiligt, die Wertsteigerungen bleiben bei den Baurechtsgebern, den Gemeinden, also im Volksvermögen. Das rechtfertigt dann einen tieferen Baurechtszins. Anders formuliert: Der Kauf von Land und die Vergabe im Baurecht ist immer «Big Business» für die öffentliche Hand.
Dann wird im Umkehrschluss die kommerzielle Immobilienbranche subventioniert?
Sie ist die am besten subventionierte Branche. Aber nicht wegen der Baurechtsverträge, sondern wegen der Infrastrukturgewinne. Jedes Bauprojekt zieht Ausgaben der öffentlichen Hand nach sich: Strassen, Schulhäuser, Infrastrukturen des öffentlichen Verkehrs, Parks und so weiter. Jede Investition der öffentlichen Hand steigert den Verkehrswert und den Ertragswert der Immobilieneigentümer massiv. Die Mieten steigen und steigen. Wo ist der Aufschrei? Alle leiden und rücken zusammen, und die Alten ziehen nach Hintertupfigen.
Gibt es ein Menschenrecht darauf, zu wohnen, wo man will?
Es gibt offenbar ein Menschenrecht auf eine maximale Rendite. Dabei steht in der Verfassung das Gegenteil. Das Recht auf eine maximale Rendite gibts nicht, nur 2 Prozent Nettorendite. Nein, im Ernst: Die wahre Freiheit ist doch, zu leben, wie man will. Deshalb ist gemeinschaftliches Eigentum ein Schlüsselelement der Freiheit. Die Wohnung ist der einzige Ort, an dem du wirklich deine eigene Chefin sein kannst, Gestaltungsfreiheit hast. Wohnen ist kein handelbares Gut, sondern ein Zuhause, aus dem niemand Profit schlagen dürfte. Wie Wasser und Strom.
Freiheit beginnt in den eigenen vier Wänden?
Der Druck, keine Wohnung zu finden oder eine zu hohe Miete zu bezahlen, nimmt dir den Atem und die Freiheit. Die Freiheit, wie viel du arbeiten willst, die Freiheit, wie du leben willst. Unlimitiertes Tempo auf der Autobahn ist nicht Freiheit, und der freie Konsumentscheid ist auch nicht Freiheit. Das ist dummes Geschwätz.
Aber es gibt ja noch das Mietrecht. Kann man zu hohen Mieten nicht damit beikommen?
Nein. Klar, man könnte die Kontrollspirale anziehen, die Mietpreiskontrolle wieder einführen. Das Mietrecht ist theoretisch schön und gut, wird aber de facto nicht umgesetzt. Am Ende des Tages zählen deshalb immer die Eigentumsverhältnisse: Wem gehört das Zeug und wer macht Profit daraus und wohin fliesst der Profit. Die Lex Koller ist ein wunderbares Vehikel, die genau das aufzeigt.
Das Gesetz wurde mehrmals aufgeweicht, Sie möchten die Aufweichungen rückgängig machen und den Zustand von vor 1997 festschreiben. Ist die Lex Koller der Schlüssel in der Debatte um die Wohnungsnot?
Das Gesetz ist eine entscheidende Grundlage. Die Philosophie der Lex Koller ist ja, dass die unverzichtbaren Güterklassen – Boden, Wasser, Strom – denen gehören, die davon abhängig sind und sie benutzen. Das Gesetz besagt nicht, diese Güter sollen alle dem Staat gehören. Es regelt aber die Eigentumsverhältnisse. In der Schweiz gehören eigentlich alle wichtigen Infrastrukturen – Schulen, Spitäler, Strassen, die Bahn, die Post, Wasser, Strom – der öffentlichen Hand. Und das ist gut so. Andere Länder suchen händeringend nach einem Instrument wie der Lex Koller, um nicht dem Druck ausländischer Immobilienspekulanten nachgeben zu müssen. In Kanada hat Vancouver die Notbremse gezogen, Neuseeland hat ausländische Käufer verboten.
Ist diese Entwicklung ein Kind des Neoliberalismus?
Die neoliberale Theorie geht von einem atomisierten Markt aus mit vielen Teilnehmern. Nehmen wir den Strom: Die Hochspannungsnetze sind, nach jeder neoliberalen Theorie, eine klassische Monopolinfrastruktur, man kann ja nicht mehrere Netze nebeneinander haben, mehrere Stromleitungen in ein Haus bauen und dann sagen: Super, jetzt haben wir Wettbewerb! Also muss diese Infrastruktur in öffentlicher Hand sein, das steht in jeder Theorie, egal welcher Färbung, welcher Prägung. Und deshalb muss auch die Strominfrastruktur unter die Lex Koller gestellt werden.
Unter ein Gesetz, das den Untertitel «Verhinderung der Überfremdung des einheimischen Bodens» trägt?
Dieser Wortlaut ist schrecklich, viele Linke meinten deshalb auch, die Lex Koller sei ausländerfeindlich. Dabei steht nirgends «Ausländer» im Gesetz, es steht «Personen im Ausland», sodass man eben davon ausgehen kann, dass Besitzer von Immobilien ihre Immobilie tatsächlich zu Wohnzwecken brauchen. Wenn man sich den Wortlaut der Lex Koller anschaut, heisst es: die Verhinderung der Immobilie als blosse Kapitalanlage. Ich meine, das könnte man ins Parteiprogramm der SP aufnehmen!
Warum wird die Lex Koller fortwährend attackiert?
Da stecken handfeste Interessen dahinter. Die erste Aufweichung war, dass man die Gewerbeimmobilien, also Büros und Fabriken, dem Schutz der Lex Koller entzog. Das war 1998. Dann wollte die Ex-Treuhänderin und Alt-Bundesrätin Ruth Metzler die Lex Koller abschaffen. Damals kamen Treuhandfirmen auf, die für ihre Kunden ausländisches Kapital in der Schweiz parkieren wollten, am liebsten in Immobilien und am besten noch am Geldwäscherei-Gesetz vorbei. Dann forderte Mobimo-Präsident und FDP-Nationalrat Georges Theiler eine Aufweichung. Das ausländische Kapital solle indirekt über börsenkotierte Unternehmen reinkommen. Die standen ja um die Schweiz herum wie Sprinter in Startposition, die wollten ihre Portfolios diversifizieren, am besten mit Immobilien, am besten noch in Schweizer Franken.
Und das kam durch.
Und zwar sang- und klanglos unter dem Titel «Belebung des Kapitalmarktes», und die SP hat nichts geschnallt. Wir hatten ja bereits damals Anlagenotstand. Bei Anlagenotstand – also wenn die Pensionskassen nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld – lässt man dann noch mehr Kapital rein? Das drückt ja auch auf die Währung. Egal aus welcher ökonomischen Ecke man das anschaut, es gibt keinen einzigen Grund, warum man das tun soll. Also macht man es auch nicht. Und wenn man es gemacht hat, macht man es rückgängig. Die Negativliste ist lang, und die Positivliste ist ein weisses Blatt Papier.
Zeitlich fielen diese Entscheidungen auf den Anfang der Nullerjahre.
1998 war ein Wendepunkt in der Wirtschaftspolitik.
Sie sprechen die Annahme der Unternehmenssteuerreform I an.
Da hat das Kapital gegen die Arbeit gewonnen. Man wollte keine Nachfragepolitik mehr betreiben, sondern Angebotspolitik. Dabei ist genau das das Erfolgsmodell der Schweiz: eine stark nachfrageorientierte Politik.
Kapital wird hoch, Arbeit und Konsum tief besteuert.
Die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik bewirkte the rise of the middle class, das hat zu diesem unglaublichen Wirtschaftswachstum in der Nachkriegszeit geführt. Das hatte nicht nur die Schweiz, aber die Schweiz hat es schlau organisiert. Irgendwann drehte das, und 1998 schuf man die Kapitalsteuer ab. Ohne Not! So ging das dann weiter, Schritt für Schritt, Liberalisierungen waren trendy, die Schweiz folgte in vorauseilendem Gehorsam der EU. Die SP hat da schon dagegengehalten, aber man kann nicht bei jeder Änderung ein Referendum machen. Irgendwann heisst es dann: Choose your battles. Gegen die Teilprivatisierung der Strom- und Kabelnetze hat man nichts unternommen.
Sehen Sie in der Ablehnung der Unternehmenssteuerreform III in diesem Jahr eine ideologische Wende?
Ja. Das war eine antikapitalistische Kampagne, wir haben uns getraut, aufzuzeigen, wer gewinnt und wer bezahlt. Ich glaube das Grundempfinden, dass man sich früher noch Wohneigentum leisten konnte, dass man früher mit dem Einkommen eines Pöstlers in Würde eine vierköpfige Familie ernähren konnte und dass das heute eben nicht mehr gilt, das war der Nerv, den wir getroffen haben.
Jetzt haben Sie die Schaffung eines überparteilichen Komitees angekündigt, um eine Verschärfung der Lex Koller durchzubringen. Wird das kommen?
Ja, das kommt. Und dann gehen wir vors Volk. Denn man kann überall ein bisschen schrauben, im Parlament kriegt man never ever die Mehrheit, deshalb muss die Stimmbevölkerung das regeln. Das wird funktionieren, weil die Leute sensibilisiert auf dieses Thema sind, weil Boden und Immobilien etwas Sichtbares sind, jeder Einzelne betroffen ist und jeder Einzelne weiss, wie hoch seine Wohnkosten sind. Das wird über 70 Prozent Zustimmung geben. Da bin ich mir sicher.