Blutige Hand nimmt kein Erbe
Ein Sohn, der seine Eltern tötet, verliert die Erbenstellung und muss allfällige andere finanzielle Vorteile aus der Meucheltat dem Staat abliefern. Doch die Regeln gelten nicht uneingeschränkt, wie ein aktueller Fall zeigt.
Von Brigitte Hürlimann, 12.09.2018
Ort: Bundesgericht in Lausanne
Urteilsdatum: 15. August 2018
Fall-Nr.: 6B_1091/2017
Thema: Einziehung von Vermögenswerten, die durch eine Straftat erlangt worden sind (Artikel 70 Strafgesetzbuch)
Es ist Mitte Oktober 2014, als ein dreissigjähriger Mann im Elternhaus an der Zürcher Goldküste Vater und Mutter massakriert; mit mehreren Küchenmessern, mit Dutzenden von Stichen, ein eigentliches Abschlachten, eine abscheuliche Tat, die in der Region viel zu reden gibt. Der drogensüchtige Sohn, der an Schizophrenie leidet, wird wegen mehrfachen Mords zu einer Freiheitsstrafe von zwanzig Jahren und zu einer stationären Massnahme verurteilt – der sogenannten kleinen Verwahrung.
An den Prozessen vor dem Bezirksgericht Meilen und in der zweiten Runde vor dem Zürcher Obergericht schildert der Mann, es habe daheim an Liebe und Vertrauen gefehlt, jedoch nicht an Geld. Er ist der einzige Sohn südeuropäischer Einwanderer, die es in der Schweiz zu einem beachtlichen Erfolg gebracht haben.
Doch das Einzelkind erfüllt die Erwartungen der Familie nicht, die Spannungen im Elternhaus nehmen zu, ebenso die Extravaganzen des Sohnes, seine psychischen Auffälligkeiten und Aggressionen. Es folgen Studienabbrüche und Aufenthalte in der Psychiatrie, und nach einem weiteren, innerfamiliären Streit beendet der Sohn die Auseinandersetzung mit dem Messer. Die Staatsanwältin spricht von einer skrupellosen, grausamen und verwerflichen Tat. Der Sohn, der einen parasitären Lebensstil geführt habe, habe den Tod seiner Eltern gewollt.
Von alldem ist im Verfahren vor Bundesgericht kaum mehr die Rede. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat den Fall nach Lausanne gezogen, aber nur wegen finanzieller Fragen, nicht was Schuld und Strafe betrifft. Die Ankläger verlangen, dass beim Mehrfachmörder Vermögenswerte zugunsten des Staats eingezogen werden, die der Mann erst nach seiner Tat erlangt hat – oder, wie es die Staatsanwaltschaft sagt: die ihm zumindest indirekt durch die Tötungen zugeflossen sind. Die Intention der Ankläger beruht auf dem alten Rechtsgrundsatz, dass sich Verbrechen nicht lohnen darf. Und in diesem konkreten Fall spielt ein weiteres Sprichwort aus dem Zivilrecht ebenfalls eine wichtige Rolle: «Blutige Hand nimmt kein Erbe.»
Der Elternmörder wird von Gesetzes wegen zwingend als erbunwürdig betrachtet, so steht es in Artikel 540 des Zivilgesetzbuches (ZGB). Die Idee der Erbunwürdigkeit oder der Indignität, wie es im römischen Recht hiess, gelangte über die französische Rechtstradition ins hiesige Zivilgesetzbuch. Sie wird durch die Regeln der Enterbung ergänzt, die nach Belieben des Erblassers verhängt werden kann. Die Unterscheidung der beiden Institute beschreibt Arnold Escher im Zürcher ZGB-Kommentar kurz und prägnant: «Der Sohn ermordet den Vater: Da hilft nur Erbunwürdigkeit. Der Sohn bringt seinen Vater durch falsche Anschuldigung ins Zuchthaus: Hier steht Enterbung offen.»
Im Zolliker Elternmordfall ist die Sache glasklar, der Sohn erbt nichts, die Hinterlassenschaft im Umfang von 3,7 Millionen Franken geht an die Geschwister der Getöteten. Die Erben schliessen nun aber mit ihrem Neffen einen öffentlich beurkundeten Vertrag ab und verpflichten sich, ihm von der Erbschaft 100’000 Franken in bar sowie eine Eigentumswohnung in Zürich zu überlassen.
Der amtliche Verteidiger des Mörders, Urs Huber, schliesst nicht aus, dass es den Verwandten auch um familiäre Unterstützung und um eine Art von Resozialisierung geht. Der Verurteilte ist noch jung, es ist damit zu rechnen, dass er irgendwann wieder freikommt und sich in der Gesellschaft bewähren muss. Darf er die Wohnung behalten, hat er zumindest schon ein Dach über dem Kopf.
Der Staatsanwaltschaft jedoch ist der Vertrag zwischen den Verwandten und dem Verurteilten ein Dorn im Auge. Sie will die Vermögenswerte einziehen und argumentiert damit, es bestehe die Gefahr, dass mit dem nachträglich abgeschlossenen Vertrag der Grundsatz, Verbrechen dürfe sich nicht lohnen, umgangen werde. Die Abmachung sei nur wegen der Tötung möglich geworden, es bestehe also zumindest ein indirekter Zusammenhang mit dem Verbrechen, und das genüge für eine Einziehung zugunsten des Staats.
Die Bundesrichter Christian Denys, Niklaus Oberholzer, Yves Rüedi sowie die Bundesrichterinnen Laura Jacquemoud-Rossari und Monique Jametti von der Strafrechtlichen Abteilung schliessen sich dieser Auffassung nicht an und weisen die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft ab. Wie zuvor schon das Zürcher Obergericht taxieren sie die vertragliche Abmachung des Mehrfachmörders mit seinen Verwandten als ein zulässiges Rechtsgeschäft, das keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Verbrechen aufweise. Der Vermögensvorteil für den Sohn, so das Bundesgericht, wäre auch ohne die Tat früher oder später angefallen – und zwar in einem wesentlich höheren Umfang, hätte er die Erbfähigkeit behalten.
Rechtsanwalt Urs Huber geht davon aus, dass die 100’000 Franken, die sein Mandant dank dem höchstgerichtlichen Entscheid behalten darf, telquel zur Deckung der Verfahrenskosten eingesetzt werden. Die Wohnung aber, sagt er, sollte im Eigentum des Verurteilten bleiben. Sie ist derzeit vermietet, und auch von diesen Einnahmen dürfte wohl der grösste Teil für die Kostendeckung verwendet werden: Dagegen wehre man sich nicht, beteuert Huber, und eine Vermietung sei auf jeden Fall sinnvoll, solange der Mandant im Gefängnis bleibe.
Mit seinem Entscheid zeigt das Bundesgericht auf, dass den Einziehungswünschen des Staats Grenzen gesetzt sind; auch dann, wenn es sich, wie beim Verurteilten, um einen Mehrfachmörder handelt. Dieser verliert durch die Schandtat nicht jegliche bürgerlichen Rechte und schon gar nicht die Menschenrechte – genau dadurch zeichnet sich der Rechtsstaat aus und grenzt sich vom Unrechtsstaat ab.
Der inhaftierte Mörder bleibt, wenn auch eingeschränkt, vertragsfähig und verfügt über Eigentumsrechte. Er kann zudem weiterhin erben, bloss nicht, was seine Opfer betrifft. Diese hätten ihm theoretisch auf dem Sterbebett noch verzeihen können, was seine Erbfähigkeit wiederhergestellt hätte, so will es die einschlägige Regel im Zivilgesetzbuch. Im Falle des Zolliker Doppelmords allerdings hatten die Eltern keine Chance, weder für versöhnende Worte noch für andere Mitteilungen an den grausamen Sohn.
Die Regeln zur Erbunwürdigkeit sind Bestandteil des «Ordre public», also der grundlegenden Wertevorstellungen einer Staatsgemeinschaft und damit von Interesse für die ganze Gesellschaft, nicht nur für die direkt Betroffenen. Das Bundesgericht weist auf den Ordre-public-Charakter hin und erachtet diesen im konkreten Fall offensichtlich nicht als angeritzt oder gar als gefährdet. Es ist davon auszugehen, dass der Elternmörder per Vertrag mit den Verwandten nur einen Bruchteil des Erbes bekommt. Wäre die Aufteilung anders ausgefallen, hätte das Bundesgericht womöglich auch anders entschieden.
Der Bundesgesetzgeber wird sich demnächst mit ähnlichen Fragen zu befassen haben. Es geht darum, ob ein Mörder in den Genuss von Kapitalleistungen seines Opfers aus der zweiten und dritten Säule kommen soll, wie das heute noch häufig der Fall ist: mangels anderweitiger reglementarischer Grundlagen. Der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli hat eine Interpellation eingereicht und will künftig solche Auszahlungen verhindern – als Ergänzung zu den Erbunwürdigkeitsregeln, wie er sagt. Und weil alles andere einfach stossend sei, womit einmal mehr der Ordre public angesprochen wäre.
Illustration: Friederike Hantel