Eidgenössische Randnotizen

Der vergessene Nobelpreisträger

Von Solmaz Khorsand, 07.09.2018

Es muss mit den russischen Studentinnen zu tun haben. Junge, ehrgeizige Sozialistinnen sind hierzulande nicht gut für die Reputation. Das hätte Albert Gobat wissen müssen. Sie haben ihn vermutlich die postume Anerkennung gekostet. Wie sonst lässt es sich erklären, dass ein zweifacher Friedensnobelpreisträger so sträflich von seinen Landsleuten geschmäht wird?

Keine Statue, keine Plakette, keine Tafel: Charles Albert Gobat ist aus dem kollektiven Gedächtnis der Schweizer gelöscht.

Die einen sagen, es habe damit zu tun, dass Gobat so ein autoritärer Kauz war. Ein autoritärer Pazifist? So einem kann man kein Denkmal setzen, bei aller Wertschätzung. Andere vermuten, dass die Schmähung mit Gobats religiöser Abstammung zu tun habe. So soll er aus der Täuferbewegung stammen, einer radikalreformistischen Bewegung, die mit der Berner Landeskirche nicht viel anfangen konnte.

Und einige vermuten eben die Russinnen hinter dem ausbleibenden Gobat-Kult.

Zwischen 1882 und 1912 war der Jurist aus Tramelan Regierungsrat in Bern. Bis 1906 war er Erziehungsdirektor. Als solcher förderte er den Zugang von Frauen und Ausländern an die Berner Universität. Prompt kamen die ersten wissbegierigen Russinnen aus dem Zarenreich. Selbstbewusst und sozialrevolutionär mischten sie das verschlafene Bern auf. In der Bevölkerung kam das nicht gut an. Frau hatte scheu und ruhig zu sein und vor allem unter der Fuchtel ihres Mannes zu stehen, nicht mit Büchern unterm Arm ledig und laut diskutierend durch die Stadt zu stolzieren.

Die Volksseele war erschüttert. Widerstand formierte sich. Ein Mob verlangte das Ende der russischen Invasion. Die Russinnen blieben. Gobat musste gehen. Seinen Posten als Erziehungsdirektor war er los. Er wurde zum Justizdirektor degradiert. Gekränkt habe ihn das. So sehr, dass er sich von nun an verstärkt seinem internationalen Engagement zuwandte. Wer brauchte schon die Berner Lokalpolitik, wenn er die grosse Welt haben konnte?

Zwischen 1892 und 1909 amtierte er als erster Generalsekretär der Interparlamentarischen Union für den Frieden. Die Union machte sich unter anderem für Schiedsgerichte bei internationalen Konflikten stark. Für seine Arbeit bekam Gobat gemeinsam mit seinem Genfer Kollegen Elie Ducommun, einem Freimaurer, 1902 erstmals den Friedensnobelpreis. 1910 durfte er den Preis noch einmal entgegennehmen, dieses Mal in seiner Funktion als Direktor des Internationalen Friedensbüros, das sich vor allem um eine bessere Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland einsetzte. Bis zu seinem Tod 1914, dreieinhalb Monate vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, stand er dem Büro vor.

Bis vor einem Jahr würdigte ihn die Stadt Bern mit einer kleinen, unscheinbaren Tafel in der Brunngasse 30. Hier ist der Sitz der Freimaurerloge. Anstelle der Tafel hängt heute dort am Eingang ein Bildschirm, auf dem eine Powerpoint-Präsentation die wichtigsten Fragen zur Geheimloge beantwortet. Dazwischen werden immer wieder berühmte Persönlichkeiten aus dem Männerverein gezeigt, darunter auch Elie Ducommun. Er bekommt seine fünf Sekunden Ruhm. Seinem Kompagnon Charles Albert Gobat gönnt Bern nicht einmal das.

Quelle: Mit freundlicher Unterstützung des Historikers und Politologen Claude Longchamp und des Historischen Lexikons der Schweiz.

Eidgenössische Randnotizen

Unter diesem Titel erscheinen in loser Folge Anekdoten zur Schweizer Geschichte. Hier gehts zur Sammlung der bisher erschienenen Beiträge.

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