Wie die Schweiz zum Käseland wurde
Von Michael Rüegg, 27.08.2018
Alpaufzug, Bergkäse, Sennenkutten – seit Urzeiten die Symbole der Schweiz.
Nur: So lange her ist das auch wieder nicht. Erst im Spätmittelalter begannen die ersten Bauern in der Schweiz von der Feld- auf die Viehwirtschaft umzustellen. Und erst viel später von der Fleisch- auf die Milchwirtschaft. Einer der Gründe war die erfolgreiche Vermehrung. Bauern wichen auf immer höher gelegene Flächen aus, wo nicht viel mehr als Gras wuchs.
In der Neuzeit stieg die Nachfrage in den Städten, der Handel gewann an Bedeutung, und so nahmen denn auch die Exporte zu: Besonders Frankreich kaufte den Schweizern Käse ab, das Königreich fütterte mit dem haltbaren Hartkäse unter anderem die Seeleute der wachsenden Kriegsmarine.
Um Käse herzustellen, ist nicht nur Milch, sondern auch Salz nötig. Doch die Schweiz war arm an Salz. Und musste es aus dem Ausland beziehen. Die Eroberung des Burgunds mit seinen Salzvorkommen durch den französischen König Mitte des 17. Jahrhunderts öffnete ein «window of opportunity» – und war der Startschuss für den Siegeszug des Gruyère.
Denn ein Abkommen mit Frankreich sicherte den Freiburgern hervorragende Bedingungen: Sie schickten Söldner ins Nachbarland und erhielten dafür französische Pensionen, die in Freiburg schnell einen beachtlichen Teil der Staatseinnahmen (und der Einkommen diverser nobler Familien) ausmachten. Ausserdem rüstete Frankreich die Soldaten aus der Eidgenossenschaft aus – was praktisch war, falls man sie einmal in eigener Sache einsetzen wollte.
Ein Teil des Söldnergeschäfts umfasste auch das Salz: Die Freiburger bezogen burgundisches Salz mit 25 Prozent Rabatt – und erhielten zudem einen privilegierten Marktzugang für Käse in Lyon. Damit hatte der Gruyère in Frankreich sogar bessere Verkaufsbedingungen als der inländische Comté. Von Lyon wiederum floss Bargeld zurück nach Freiburg. Der Söldner-Salz-Käse-Deal war so lukrativ, dass wohlhabende Freiburger Familien begannen, im grossen Stil Alpweiden zusammenzukaufen.
Weil die Milchwirtschaft weniger personalintensiv war als der Getreideanbau, verlor mancher Knecht und Tagelöhner seinen Job, den er zuvor in der Landwirtschaft gefunden hatte. Und arbeitslose Männer konnten wiederum als Söldner für Frankreich angeworben werden.
So kam es, dass die halbe Welt heute den Gruyère kennt. Und der Comté eher ein Schattendasein fristet.
Quelle: André Holenstein: Mitten in Europa. Verflechtung und Abgrenzung in der Schweizer Geschichte». Hier und Jetzt, 2014.
Unter diesem Titel erscheinen in loser Folge Anekdoten zur Schweizer Geschichte. Hier gehts zur Sammlung der bisher erschienenen Beiträge.
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