Die vier Bausteine des Engadiner Kartells
Ende April legte die Republik die Machenschaften des Bündner Baukartells offen. Jetzt bestätigt ein 300 Seiten starker Weko-Bericht die Recherche.
Von Anja Conzett, Gion-Mattias Durband und Ariel Hauptmeier, 24.08.2018
Gestern, am Donnerstag, hat die Wettbewerbskommission (Weko) ihre Verfügung zum Fall Engadin I veröffentlicht. Sie ist das Resultat einer der grossen Untersuchungen zum Bündner Baukartell. Vieles daraus ist seit Ende April bekannt, als die Weko eine Pressemitteilung zu eben diesem Fall herausgab – nur wenige Tage nachdem die Republik die Machenschaften des Bündner Baukartells in einer mehrteiligen Serie durchleuchtet hatte.
Die Kernaussagen der Weko schon damals: Zwischen 2004 und 2012 haben sich 13 Unternehmen bei Bauaufträgen im Engadin untereinander abgesprochen. Offerten wurden aufgeteilt, Preise abgesprochen. Es ging dabei um 235 öffentliche Ausschreibungen im Wert von 112 Millionen Franken. Bei einem Grossteil (85 Prozent) der Offerten wurde geschummelt. Es gab drei Hauptübeltäter, sie sicherten sich den Löwenanteil der beanstandeten Aufträge: die Bezzola Denoth AG, die Foffa Conrad AG, die Lazzarini AG. Und schon im April wurde die Mitschuld des Graubündnerischen Baumeisterverbandes klar benannt.
Jetzt, im 300 Seiten starken Gesamtbericht, legt die Weko nach: Sie hat eine Beschwerde des Baumeisterverbandes abgelehnt und er muss sich mit 36'000 Franken an den Verfahrenskosten beteiligen. Und die Weko präzisiert: Der Baumeisterverband habe «einen massgeblichen Tatbeitrag» geleistet, indem er die Kartellsitzungen organisierte. «Zudem mandatierte und bezahlte er den Berechnungsleiter», jenen Gesandten, der ausrechnete, welche Baufirma welchen Offertenpreis abzugeben hatte.
Vier betrügerische Arten der Absprache listet die Weko nun in ihrem Gesamtbericht auf:
Erstens, und das ist der grösste Block, schildert sie im Detail, wie Kartellabsprachen auf den «Vorversammlungen» stattfanden – jenen Sitzungen, die der Baumeisterverband einberufen hatte. Die Weko bestätigt hier, vier Monate später, bis ins Detail die damalige Recherche der Republik.
Zweitens geht es um die Zusammenarbeit zwischen den drei Platzhirschen Foffa Conrad, Bezzola und Lazzarini. Miteinander und mit anderen Firmen schlossen sie geheime Zehn-Jahres-Pakte, in denen geregelt wurde, wie viel Marktanteil welcher Firma in welchem Dorf zusteht.
Dritter Punkt: die Zusammenarbeit der oben genannten drei Platzhirsche mit verschiedenen Kies- und Beton-Lieferanten. Man vereinbarte ein schriftliches «Konkurrenzverbot betreffend Mörtel und Beton». Im Wortlaut bezüglich der Firma Laurent: «Die verpflichteten Unternehmungen dürfen im Einzugsgebiet (...) keine dem Kieswerk Laurent konkurrenzierende Tätigkeit ausüben.» Der Preis dafür: Die Laurent AG musste im Gegenzug sämtliche Tätigkeiten im Hoch- und Tiefbau aufgeben.
Und viertens geht es um Absprachen bei einzelnen Bauprojekten, die nicht über den Baumeisterverband liefen. Diese werden jedoch nicht namentlich genannt.
Etliche der Unternehmen haben sich selbst angezeigt, um ihre Strafen zu mildern, bei 13 Unternehmen durchsuchte die Weko Büros und Privaträume.
Reaktionen aus der Politik
Mario Cavigelli, heute zuständiger Regierungsrat in Chur, war nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Unter anderem diese Fragen bleiben damit unbeantwortet:
Will der Kanton die im Bericht erwähnten Unternehmen auf Schadenersatz verklagen oder von öffentlichen Aufträgen ausschliessen?
Weiss man in der Regierung inzwischen, welche Rolle wer im kantonalen Tiefbauamt spielte, betreffend der jahrelangen Preisabsprachen?
Warum werden Unternehmen, die sich gegen das Begehren um Akteneinsicht durch den Kanton gewehrt haben, nicht per se von Aufträgen der öffentlichen Hand ausgeschlossen?
Was hat der Kanton unternommen, um künftige Mauscheleien zu verhindern?
Ebenfalls nicht für eine Stellungnahme zu erreichen war Andreas Felix, Geschäftsführer des Graubündnerischen Baumeisterverbandes. Felix war in derselben Woche, in der die Republik über das Kartell berichtete, als Regierungsratskandidat zurückgetreten.
In einer Medienmitteilung liess der Verband knapp verlauten: Man habe «den bereits gegebenen Antworten nichts mehr hinzuzufügen», bedaure, dass die vom Verband organisierten Versammlungen «teilweise … für Absprachen benutzt wurden», und arbeite an Massnahmen, die künftige Absprachen verhinderten. Der Verband wolle jetzt einen Schlussstrich ziehen und «legt den Fokus seiner Verbandstätigkeit nun in die Zukunft».
Die Foffa Conrad AG und die Lazzarini AG haben inzwischen gegen den Entscheid der Weko Beschwerde eingereicht. Das bestätigte das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen. Die Firmen wehren sich gegen die von der Weko verfügten Geldbussen. Das Gericht teilte nicht mit, wie der Stand des Verfahrens ist.
Die Untersuchungen zum Bündner Baukartell sind unterdessen noch nicht abgeschlossen: Ein weiterer Entscheid zu Absprachen im Engadin steht aus, ebenfalls einer in Sachen Strassenbau. Hier ist der ganze Kanton Graubünden betroffen. Beide werden wohl erst 2019 veröffentlicht, sagte Frank Stüssi, Vizedirektor der Weko.
Was können private Bauherren tun?
Die Recherchen der Republik in dieser Sache gehen weiter. Zunächst aber ein Hinweis an unsere Leserinnen und Leser:
Haben Sie zwischen 2004 und 2012 im Unterengadin gebaut? Zusammen mit einer dieser Firmen: der Alfred Laurent AG, der Bezzola Denoth AG, der Foffa Conrad AG, der Zeblas Bau AG Samnaun, der Koch AG Ramosch, der Lazzarini AG, der René Hohenegger Sarl? Haben Sie den Verdacht, dass auch Ihr Bauobjekt vom Kartell negativ betroffen ist?
Dann können Sie bei der Weko ein Gesuch um Akteneinsicht stellen, um zu beweisen, dass Sie Opfer des Kartells sind. Zudem können Sie gegen die schuldbare Firma prozessieren, um Schadenersatz einzufordern. Hierfür müssen Sie allerdings beweisen, wie viel Sie draufgezahlt haben, was eine äusserst komplexe Angelegenheit darstellt. Zudem kann es sein, dass Ihr Fall bereits verjährt ist – und der Gang vor Gericht ist immer ein Kostenrisiko.