Gute Dienste und gute Waffendeals? Zündstoff!
Bundesrat und Parlament wollen an den Regeln für Waffenexporte rütteln. Und zwar still und heimlich.
Kommentar von Urs Bruderer, 22.08.2018
Das globale Waffengeschäft läuft wie ein von einem braven Rekruten geschmiertes Schweizer Sturmgewehr. Aber der Boom geht an der Schweiz vorbei. Ihre Kriegsmaterial-Exporte sinken seit Jahren. Verständlich, dass die Branche jammert und Hilfe sucht im Bundeshaus. Erstaunlich ist, wie viel Gehör sie dort findet und wie man ihr helfen möchte: schnell und heimlich.
Waffen exportieren, um kriegstauglich zu bleiben
Die Einschränkungen für Waffenexporte, die der Bundesrat lockern möchte, lassen jetzt schon viel Spielraum für Interpretation – mit Ausnahme einer Bestimmung: Länder, die «in einen internen oder internationalen Konflikt verwickelt» sind, dürfen nicht beliefert werden. Punkt.
Doch sogar diese Bestimmung wird mit viel Augenmass angewandt. So viel, dass dieses Jahr Kriegsmaterial nach Thailand, Pakistan, Saudiarabien oder in die Türkei geliefert werden durfte. Und genau diese einzige unmissverständliche Bestimmung will der Bundesrat jetzt aufweichen.
Wie, das verrät er noch nicht einmal in Umrissen. Nur so viel ist klar: Die Waffenhersteller in der Schweiz sollen wieder mehr produzieren. Denn diese Unternehmen, so der Bundesrat, seien wichtig für die Sicherheit des Landes und jetzt, wegen sinkender Aufträge, womöglich in ihrer Existenz bedroht. Mit anderen Worten: Um selber kriegstauglich zu bleiben, soll die hiesige Waffenindustrie Bürgerkriegsländer beliefern.
Wie viele Aufträge die Industrie braucht, um ihren sicherheitspolitischen Auftrag erfüllen zu können – niemand weiss es. Und welche Länder neu Schweizer Kriegsmaterial bekommen sollen – keiner sagt es. Man hört von der Türkei und Saudiarabien. Offenbar bekommen die beiden derzeit aus der Schweiz zwar manches, aber nicht alles, was sie gern hätten.
Gute Dienste und gute Waffengeschäfte?
Eine solche Lockerung der Waffenexporte wäre bis vor einem Jahr nicht möglich gewesen. FDP-Bundesrat Didier Burkhalter vertrat die klassische Schweizer Linie, und die mahnt bei Waffengeschäften zur Zurückhaltung. Denn die Schweizer Diplomatie ist stolz auf die guten Dienste, die sie weltweit leistet. Aber gute Dienste und gute Waffengeschäfte passen schlecht zusammen.
Von solchen Überlegungen lässt sich Burkhalters Nachfolger Ignazio Cassis nicht bremsen. Er hat in dieser Sache die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zum Kippen gebracht. Die Waffenhersteller haben das gespürt oder gewusst: Kaum war der Neue gewählt, meldeten sie sich im Bundeshaus.
Mit Erfolg: Cassis hat die Wende möglich gemacht, für die sein Kollege und Parteikollege im Wirtschaftsdepartement, Johann Schneider-Ammann, seit Jahren kämpft. Doch die Verantwortung tragen nicht die beiden allein, sondern alle vier FDP- und SVP-Bundesräte. Und die Parlamentarier dieser Parteien. Sie unterstützten in der nationalrätlichen Sicherheitspolitischen Kommission diese Woche den Bundesrat. Und sie wehrten sogar das Anliegen der CVP ab, wenigstens eine Vernehmlassung zur Lockerung der Kriegsmaterial-Exporte durchzuführen.
Auch die CVP und die Linke argumentiert mit der Sicherheit des Landes. Und das zu Recht: Denn die Schweiz hat eine Armee und eine Waffenindustrie, vor allem aber hat sie ein Prinzip, mit dem sie Krieg und Elend fernhalten will, und das ist die Neutralität.
Wer sagt, er sei neutral, und zugleich Waffen verkauft, bewegt sich mit einem Fuss links und einem rechts von einer Spalte. Die Schweiz tut das schon lange. Wie genau sie diesen heiklen Weg geht, sollte debattiert werden. Weil die Neutralität kein beliebiges Attribut der Schweiz ist, sondern zu ihr und ihrer Aussenpolitik gehört wie die Kirche von Wassen zum Gotthard: als Zentrum, um das sich alles dreht.
Stattdessen zieht der Bundesrat, mit dem Segen der FDP- und der SVP-Parlamentarier, das heikle Geschäft jetzt allein durch. Ohne Debatte, ohne Meinungen im Land zu sammeln und ohne klar zu informieren. Im Gegenteil: Man erfährt fast nichts. (Der Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats verwehrte den Kollegen vom Nationalrat sogar den sonst üblichen elektronischen Zugriff auf die Kommissionsprotokolle.)
Vielleicht sind weitere Kriegsmaterial-Exporte möglich. Vielleicht gibt es einige Güter, die man ohne Bedenken in die Türkei oder nach Saudiarabien liefern könnte. Vielleicht liegt mehr Spielraum drin, kann man die Beamten von Fall zu Fall entscheiden lassen, und sie entscheiden gut.
Doch dafür braucht es Vertrauen. Und daran fehlt es in dieser Geschichte bis jetzt.