Stunk im Dorf
Es gibt viele Gründe, weshalb Nachbarn sich streiten: laute Musik, bellende Hunde, wuchernde Büsche. Aber das hier ist, im Wortsinn, ein Scheissfall.
Von Yvonne Kunz, 15.08.2018
Ort: Bezirksgericht Pfäffikon
Zeit: 20. Juli 2018, 8.30 Uhr
Geschäfts-Nr.: GG170026
Delikte: Verletzung des Geheim- und Privatbereichs durch Aufnahmegeräte, üble Nachrede, versuchte Nötigung, Veruntreuung, ungetreue Geschäftsbesorgung
Vor dem Gerichtssaal stehen gut zwei Dutzend Leute eng an eng, kreuz und quer durcheinanderschwatzend. Das Gerichtspersonal bahnt sich einen Weg durch die Menge. Man schleppt, so scheints, alle im kleinen Landgericht im zürcherischen Pfäffikon auffindbaren Stühle herbei. Mit zwanzig Minuten Verspätung beginnt die Verhandlung – und einmal mehr wird klar: An kaum einem Ort werden Streitereien erbarmungsloser ausgefochten als am Gartenzaun.
Eine herzliche Nachbarschaft war es nie zwischen Frau A., Sekundarlehrerin, und dem beschuldigten Ehepaar B., selbstständige Kleinstunternehmer in der Finanzbranche. Aber dann kam die Sache mit der Scheisse. Damals Ausgangspunkt der Eskalation, heute Kernpunkt der Anklage. Und längst spielt sich der Kleinkrieg nicht mehr nur an der Grundstücksgrenze ab, er hat das ganze kleine Dorf im Zürcher Oberland erfasst.
Denn die B.s sind klagefreudige Zeitgenossen. Allein den Gemeindepräsidenten deckten sie mit über zwanzig Anzeigen ein. Jedes Mal ermittelte die Polizei, die Staatsanwaltschaft befragte Zeugen, «die ganze Kilbi» halt, wie die Leute sagen. Anklage wurde nie erhoben, teuer zu stehen kommt es die Gemeinde trotzdem. Wenn der Beschuldigte an der Dorfbeiz vorbeigeht, schallt ihm schon mal ein herzhaftes «Schafseckel» hinterher.
Nun, an einem heissen Freitagmorgen im Juli, der juristische Gegenschlag: Neben Frau A. hat sich Frau C. vom Quartierverein zur Anzeige gegen B. entschieden. Und der frühere Geschäftspartner D. kämpft eh schon seit Jahren um sein Recht. Acht Punkte hat die Staatsanwaltschaft Zürich See/Oberland zur Anklage gebracht – von Ehrverletzung über versuchte Nötigung bis Veruntreuung. Zum Prozess erschien sie nicht, die beantragten Strafen sind gering.
«Es hagelte Fäkalien»
Einzelrichterin Sabrina Hürlimann hat es nicht leicht, in der Befragung der Beschuldigten den roten Faden zu behalten. Die B.s erzählen von Wasserschäden und Heizungspannen im gemeinsam bewohnten Zweifamilienhaus. Davon, dass Frau A. Post klaue und kiffe. Immer wieder unterbricht die Einzelrichterin: Nicht Thema der Verhandlung!
Sondern eben: die Sache mit dem Scheissdreck.
Die habe mit dem neuen Kiesplatz des Ehepaars im Jahr 2014 begonnen, erzählt die 54-jährige Beschuldigte, die scharf gezupften Augenbrauen dauerempört hochgezogen. Herr B., theatralisch: «Es hagelte Fäkalien!» Mehrmals pro Tag hätten Unbekannte die Haufen bei ihnen deponiert. B.s liessen den Kot liegen – und stinken.
Sehr zum Verdruss von Frau A. Unmittelbar angrenzend hinter einem Sichtschutzzaun hat sie ihre Lounge, wo sie gern mit Familie und Freunden verweilt. Mehrfach bat sie die B.s, den Kot zu beseitigen. Erfolglos. Schliesslich forderte die ganze Nachbarschaft die B.s schriftlich auf, für Ordnung zu sorgen. Dem kam Frau B. nach, indem sie fortan die gesammelte Kacke jeweils auf einem Teller an die Trennwand zu Nachbarin A. stellte. Um sie rauszustinken, wie Frau A. glaubt.
«Eine Lawine ist ins Rollen geraten»
Es hagelte aber nicht nur Kot, sondern auch Briefe. Nachbarn, Freunde und ehemalige Lebenspartner von Frau A. fanden Schreiben der B.s in ihren Briefkästen und an den Windschutzscheiben ihrer Autos. «Eine Lawine ist ins Rollen geraten», hiess es darin. «Und Sie werden auch involviert werden und allenfalls bestraft.»
Auch Medien, zahlreiche Lehrkräfte, die Gemeindeverwaltung, der Schulpräsident, die kantonale Bildungsdirektorin Silvia Steiner und die Direktorin der Justiz und des Innern, Jacqueline Fehr, hatten Post. A. sei eine kriminelle Intrigantin, schrieben die B.s. Kaltblütig und dreist. Ist das normal an Ihrer Schule? Was sagen die Medien zu einer Sekundarlehrerin, die Mobbing und Schikaniererei gegenüber ihren Nachbarn begeht?
Das Quartier liessen die B.s wissen: Man sei nicht Verursacher des Kots und ergreife «bauliche Massnahmen gegen die Verunreinigungen». Das war dann eine Wildkamera.
Frau A. ging das zu weit. Sie sei schon zuvor immer wieder von den B.s abgepasst und bedrängt worden. «Der Mann hat eindeutig zu viel Interesse an mir», fand sie und rief die Polizei. 79 Bilder von Familienangehörigen und Bekannten waren auf der sichergestellten Kamera. Auf die Frage, warum man sie nicht ausschliesslich auf den Kiesplatz richtete, sagt Frau B. nur: «Ist doch brisant, dass mit der Installation der Kamera das Kacken ein Ende hatte.» Für das Paar ist erwiesen: Nachbarn hatten den Kot abgelegt, um es rauszuekeln.
«Alles rechtmässiger Lohn»
Während der Ausführungen des Paars schüttelt das Publikum immer mit gut vernehmlichem «Tssss» den Kopf. Einige sehen aus, als würden sie sich gleich bekreuzigen, andere, als würden sie am liebsten aufstehen und Herrn B. den Hals umdrehen. Erst recht, als es dann um Frau C. geht.
C. hatte den Zorn des Beschuldigten als Vertreterin des Quartiervereins auf sich gezogen, aus dem Herr B. aufgrund der Querelen ausgeschlossen worden war. Dabei war sie gar nie im Vorstand und hatte keinerlei Mitsprache beim Ausschluss. Trotzdem: Nach dem Rausschmiss verschickte der Verstossene Briefe an alle Vereinsmitglieder: Frau C. sei eine Lügnerin ohne Ethik und Moral.
Der dritte Kläger, Herr D., hatte eine Firma mit Herrn B. Vor über zehn Jahren schien das eine gute Idee: Er war «nur» Anästhesiepfleger, aber gut vernetzt in der Region. Mit privaten Finanzdienstleistungen wollte er etwas hinzuverdienen, war aber ahnungslos in organisatorischen Belangen. Der ehemalige Bänkler B. mit vierzig Jahren in der Branche auf dem Buckel war der ideale Partner fürs Backoffice.
Bald hatte Herr D. aber schwere gesundheitliche Probleme. Er sagte zu B.: «Mach eifach, muesch nöd fröge.» Also fragte der dann nicht, als er sich die ohnehin spärlichen Kundenzahlungen direkt auf sein Konto überwies. Grossmehrheitlich, ohne die Zahlungen in der Buchhaltung auszuweisen. 10’141.60 Franken will D. zurück, samt Zins.
Auch gegen dieses Ansinnen ging B. mit Briefen vor. Er schickte D.s Arbeitgeber, einem Landspital, Hinweise darauf, M. verletze das Patientengeheimnis. Immer wieder kontaktierte B. das Spital, bis der Chefarzt flehte: «Hören Sie auf!»
«Schlichtweg pathologisch»
Strafverteidiger Oliver Knakowski wischt alle Vorwürfe beiseite und fordert vollumfängliche Freisprüche. Herr D. solle dankbar sein, Herr B. habe gute Arbeit geleistet. Was Frau A. betrifft: Das bisschen Kot sei versuchte Nötigung? Albern. Das Ablagern von Fäkalien erreiche die vom Gesetz geforderte Intensität nie. Der Hasenstall in der Nähe störe Frau A. ja auch nicht. Mit der Kamera hätten die B.s nur feststellen wollen, welcher Nachbar – oder welches Tier – den Kot auf dem Kiesplatz ablagerte. Das sei verhältnismässig gewesen. Und habe funktioniert.
Und die vielen Briefe? Notwehr sozusagen. Die Beschuldigten hätten sich einfach Luft verschafft über die Zustände im Quartier, den Ausschluss aus dem Dorfverein.
Die Verhandlung dauert an, Zuschauer nicken ein oder verlassen mit geflüsterten Entschuldigungen den Saal. Irgendwann platzt es aus Fürsprecher Rolf Moser, Vertreter von Frau C., heraus: «Das ist doch schlichtweg pathologisch!» Wie ein Aal winde sich der Beschuldigte um die Wahrheit. Aber es seien noch mehrere Fälle in der Pipeline, und irgendwann werde das Lügen ein Ende haben.
Noch ist es nicht so weit. Denn das Urteil, in den meisten Punkten Schuldsprüche, akzeptieren die B.s natürlich nicht. Das Urteil im Detail: Veruntreuung wars nicht, dazu sei die Bereicherungsabsicht zu unklar. Aber die Geschäfte wurden ungetreu besorgt. Vom Vorwurf der Verletzung von A.s Privatsphäre werden die B.s freigesprochen, denn was die Kamera aufnahm, war auch von der Strasse her einsehbar. Aber die Briefe, die seien jenseits von Gut und Böse und in keiner Weise durch irgendein öffentliches Interesse gedeckt. Das Gericht verhängt bedingte Geldstrafen von 210 Tagessätzen à 60 Franken für ihn und 70 Tagessätzen à 70 Franken für sie. Das wäre nicht weiter belastend – doch das Paar müsste die Verfahrens- sowie die Anwaltskosten aller Beteiligten fast vollständig übernehmen, insgesamt über 30’000 Franken.
Und die Sache mit dem Kot? Da glaubt das Gericht das, was das ganze Dorf glaubt: Bei den ominösen Haufen auf dem Kiesplatz handelte es sich um die gesammelten Geschäfte der Hunde des Ehepaars B. Und die hätten die Eheleute selbst auf dem Kiesplatz deponiert.
Scheisse, dies zumindest lehrt dieser Fall, kann also versuchte Nötigung sein. Im Saal macht sich spürbare Genugtuung breit.
Illustration: Friederike Hantel