«Mein Urgrossvater war bei der Waffen-SS, ich bin schwarz-braun wie die deutsche Haselnuss.»

«Überlegt euch mal, was es bedeutet, weiss zu sein»

Fatima Moumouni ist Spoken Word Artist. Mit ihren Texten prägt sie immer mehr den antirassistischen Diskurs in der Schweiz. Sie sagt: Da besteht verdammt viel Nachholbedarf.

Von Daria Wild (Text) und Yves Bachmann (Bilder), 14.08.2018

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Ein Treffen mit Fatima Moumouni in einem Café in Zürich; schlenkernder Gang, Hände und Kopf gehen mit, wenn sie spricht, Schweizerdeutsch, dieses präzise Schweizerdeutsch, das nur Deutsche haben können, mit einer Stimme, die immer ein bisschen belegt klingt und sehr schön. «Wieder viel zu heiss angezogen», sagt sie, «also zu warm, was auch immer, einfach heiss ist es, das meine ich.» Hände, Unterarme auf dem Tisch, zu hundert Prozent präsent. Normalerweise müsste die Hautfarbe einer Person jetzt nicht genannt werden, hier aber schon, und das sagt schon vieles: Die von Fatima Moumouni ist dunkel.

Moumouni ist 26, seit Jahren als Spoken Word Artist auf Bühnen unterwegs, ursprünglich aus München, seit sechs Jahren in Zürich wohnhaft. Ihre künstlerische Karriere beginnt in einem Schreibworkshop in München, es geht ums Schreiben für die Bühne. Moumouni, 17 Jahre alt, ist angefixt, ist gut, tritt auf, startet durch, gewinnt Preise. Und als sie schliesslich zum ersten Mal im Fernsehen für einen Auftritt bezahlt wird, sind auch die spiessbürgerlichen Freunde in ihrer Heimatstadt beeindruckt. Seither sagt Fatima Moumouni: «Das ist jetzt irgendwie mein Job.» Und seither steht sie auf Bühnen, sitzt in Talkshows und leitet Workshops, immer wieder zur Frage: Was es bedeutet, schwarz zu sein.

Aber vor allem: Was es bedeutet, weiss zu sein. «Überlegt euch das mal», sagt Moumouni dann, sehr bestimmt und ein bisschen gnadenlos.

«Rassismus ist nicht nur das Nazi-Ding»

Ein Gespräch über Rassismus mit Moumouni beginnt aber normalerweise nicht damit, was es bedeutet, weiss zu sein, sondern mit der Frage, ob sie schon mal Rassismus erlebt habe.

Moumouni ist dann meistens ein erstes Mal genervt. Genervt dadurch, immer zuerst diese Frage beantworten zu müssen, tatsächlich da zu sein, um zu erzählen, ob sie schon mal von einem Nazi geschlagen worden sei oder nicht. Denn ihr Anliegen reicht weiter, als vom täglichen Rassismus zu erzählen. Wie sie gefragt wird, woher sie denn komme – und München als Antwort nie reicht. Wie sie Komplimente bekommt für ihr «ach so gutes» Deutsch. Wie es ist, schon in den ersten Minuten von ihren Eltern sprechen zu müssen. Intimitäten preiszugeben. Persönliche Erlebnisse breitzutreten. «Sich auszuziehen», sagt Moumouni. «Sich zur Bewertung freizugeben.»

«Einmal frug mich ein dicker älterer Mann mit Schnauzbart, wo ich denn herkäme. Er hörte gar nicht hin und erzählte mir dann, er sei auch mal auf dem Kilimandscharo gewesen. Er ging davon aus, ich käme aus Afrika. Und der Kilimandscharo ist ja auch in Afrika. Dann erzählte er mir von dem einen Moment, an dem er sich gefühlt hatte wie ich. In der Bronx. Er kannte da einen Schwarzen. (...)»
(aus «
Back to Your Roots», 2015)

Künstlerisch macht Moumouni das, sie verarbeitet Rassismuserfahrungen in ihren Texten, hier in einem ihrer bekanntesten Texte, «Back to Your Roots», vor allem aber spielt sie mit Vorurteilen, hält der Zuhörerin einen Spiegel hin.

Lachen soll diese, ja, aber auch bitte mal nachdenken. Moumouni sagt, diese Fragen, zum Beispiel nach ihrer Herkunft, seien nicht per se rassistisch. «Aber sie zeigen, dass viele Menschen keine Definition davon haben, was Rassismus ist. Rassismus ist eben nicht nur das Springerstiefel-Ding. Dass Nazis Menschen zusammenschlagen.» Also warte sie einfach, in Gesprächen mit Leuten über Rassismus – «bis sie mir eine andere Frage stellen als jene, ob ich schon mal Rassismus erlebt habe».

«Man sieht, es war ein sehr langes Gespräch, denn nachdem er mir seine fünf Erlebnisse geschildert hatte, in denen er in seinem erfahrenen Leben auf Schwarze getroffen ist, musste ich ihm natürlich auch die paar Zusammentreffen mit Weissen erzählen, die ich in meinem Leben hatte.»
(aus «
Back to Your Roots», 2015)

«Irgendwann muss eine Reflexion darüber da sein, was alles schon erzählt und gesagt wurde», sagt Moumouni. Oder, um es direkter zu formulieren: Wenn jemand davon nichts verstehe, was Rassismus ist und bedeutet, solle er die Klappe halten. «Die Leute meinen bei diesem Thema, sie würden auf Augenhöhe reden. Aber das stimmt einfach nicht. Ich beschäftige mich akademisch, künstlerisch und persönlich damit. Das ist eine kontinuierliche Erfahrung, keine punktuelle.»

Deshalb sei es absurd, nur nach Naziprügeleien zu fragen. Obwohl natürlich auch offener Rassismus ein wichtiges, grosses Thema sei, Racial Profiling zum Beispiel. «Da bin ich noch in einem Prozess. Ich bin erst gerade daran zu begreifen, was es für mein eigenes Leben bedeutet, dass mein Vater regelmässig von Polizeikontrollen erzählt hat.»

«Mein Urgrossvater war bei der Waffen-SS, ich bin schwarz-braun wie die deutsche Haselnuss, ess deutsches Essen und sprech die deutsche Sprache perfekt, (...) habe einen dunklen Migrationshintergrund – sozusagen braune Geschichte –, ich bin deutsch! (...) Ich steh auf Harmonie, aber ich scheiss auf Yin und Yang. Denn solange Konturen nicht verschwimmen können, sind zwei Halbe nie ganz.»
(aus «Deutschland, was ist los?», 2012)

Zeilen aus dem Text «Deutschland, was ist los?». 2012 trägt Moumouni sie auf einer Bühne in Heidelberg vor, es ist das Finale der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften. Moumounis Auftritt bringt ihr nicht nur den zweiten Platz im U-20-Wettbewerb, sondern auch unzählige Reaktionen, negative wie positive.

Sie würde, sagt Moumouni heute, diesen Text nicht mehr vor jedem Publikum machen, der Grund sei das N-Wort gewesen, das sie verwendet habe auf der Bühne, dadurch hätten sich viele legitimiert gefühlt, in ihrer Gegenwart Schwarzenwitze zu reissen und Klicklaute zu machen.

«Mit Hardcore-Rassisten müssen Weisse reden»: Fatima Moumouni.

«Man muss damit rechnen, dass man ein Arschloch ist»

«Sprache ist ein Bereich von vielen, in denen rassistisches Denken vorhanden ist», sagt Moumouni. «Viele Dinge, von denen wir heute sagen, das haben wir schon immer so gesagt und es hat nie jemanden gestört, kommen ganz klar aus dem kolonialen Kontext.» Stichwort Mohrenkopf. Dass es einen Aufschrei gebe, wenn man das Wort streichen wolle, sei «ein perfektes Beispiel dafür, wie Rassismus funktioniert». Doch eigentlich, sagt sie, finde sie die Diskussion darüber, was man darf und was nicht, langweilig. «Man darf sagen, was man will», sagt Moumouni, «man muss einfach damit rechnen, dass man ein Arschloch ist.»

«Rassismus als strukturelles, weit verbreitetes System und Denkmuster, also auch der Rassismus, der eben in allen Menschen steckt, nicht nur in Nazis.» Und das andere, sichtbarere Muster? «Ich bin nicht dazu da, mit Hardcore-Rassisten zu reden», sagt Moumouni. «Das müssen Weisse machen.»

Genau darum gehts. Darum, was eigentlich die Aufgabe der weissen Mehrheit ist. Wie wir mit unserem eigenen Rassismus umgehen, wie wir uns selbst sehen, unsere Hautfarbe, unsere Rolle als Teil der Mehrheitsgesellschaft. Wie wir umgehen mit Privilegien. Damit, mit tief sitzenden Prägungen konfrontiert zu werden. Moumouni sagt: «Unsicherheit ist ein riesiges Thema in diesem Diskurs. Sobald du Leuten sagst, sie hätten etwas Rassistisches gesagt, verteidigen sie sich. Das ist eben die Essenz von Privilegien: immer das Gefühl zu haben, alles richtig zu machen. Eine antirassistische Haltung ist Arbeit. Und Übungssache. Auch für die, die sich schon auf Demos wegen Rassismus gekloppt haben und jetzt das Gefühl haben, ihre Arbeit sei getan.»

«Afrika!
Das Land der Rhythmen und Tänze.
Des heissen Bluts.
Des trockenen Klimas.
Das Land der Farben.
Das Land der Löwen.
Das Land der grossen Penisse.
Die Giraffe. Der Elefant. Der Affenbrotbaum.
Unendlicher Reichtum! Rohstoffe. Ein Land, zerrüttet von Clankriegen!
Hunger. Ebola. Aids.
Zum Glück gibt es Volunteers, die sich aufopfernd auf den Schwarzen Kontinent wagen. Wagen, um zu helfen.
Oooh, ein Lobgesang auf Helfer!
Ein Gospellobgesang! Auf das Helfersyndrom!
Denn ohne. Wäre Afrika. Nicht Afrika.»
(aus «
Back to Your Roots», 2015)

Ein Sonntagabend im Mai, die zweitletzte Veranstaltung an den Solothurner Literaturtagen, dem Klassentreffen der literarischen Hochkultur, gleich vor dem Ende und dem Höhepunkt, Pedro Lenz’ Lesung. Im schmucken Stadttheater an der Aare treten drei Spoken Word Artists auf, eine davon ist Fatima Moumouni. Ihr Publikum ist, wie immer, grossmehrheitlich weiss. Und anders als bei Slam-Auftritten auch grossmehrheitlich alt. Moumouni nimmt das Denken, unser aller Denken, über Hautfarben auseinander, was Hautfarbe überhaupt sei, wie sie die Hautfarbe einer weissen Person beschreiben würde und wie ihre eigene: nämlich hautfarben. Das sitzt, vielleicht mehr als ein mindestens so guter Text über den Tod des Pathos’, der sich, verstossen und geächtet von der – ach so rationalen – Moderne, mit dem Strick das Leben nehmen will.

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Fatima Moumouni // PATHOS // woerdz Poetry Slam 2016

Das ist die Krux an Moumounis künstlerischem Schaffen, neben diesem «Repräsentationsding», wie sie sagt, existieren fantastische Texte. Und sie drohen unterzugehen. Sie wolle eigentlich nicht auf das Rassismusthema reduziert werden. Und doch: Landen tut man immer wieder da, natürlich, weil man danach fragt, weil es Dringlichkeit und Grundsätzlichkeit vereint, weil es also plötzlich schwierig ist, von diesem Thema abzurücken.

Also landet man, immer wieder, bei der wohl wichtigsten Frage: «Was bedeutet Privileg?», fragt Moumouni, um nachzuschieben: «Ob wir friedlich zusammenleben oder nicht, hängt von der Mehrheitsgesellschaft ab. Also stehe ich halt da, mit Witzen auf den Bühnen, und hoffe, dass Leute Lust haben, sich da reinzubegeben. Aber mehr kann ich nicht machen.»

Über die Künstlerin

Fatima Moumouni, Jahrgang 1992, ist seit 2011 auf Poetry-Slam-Bühnen unterwegs und gewann schon mehrere Wettbewerbe. Daneben studierte sie Ethnologie und Volkswirtschaft an der Universität Zürich. Zusammen mit Laurin Buser bildet sie das Spoken-Word-Duo Zum Goldenen Schmied. Moumouni gibt Anti-Rassismus-Workshops an Schulen zu Sprachbetrachtung und Diskurssensibilisierung. Ihren nächsten Auftritt hat sie am 21. September anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht in Bern.

#MeTwo – ein Gespräch

Hören Sie auch das Gespräch von Anna Jikhareva und Solmaz Khorsand über die Ignoranz der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Migrantinnen und Migranten. Sie gehen auch mit der eigenen Branche und den eigenen Blättern scharf ins Gericht. Das Audiofile finden Sie in «Schon wieder dieser Opferdiskurs». Und lesen Sie die Debatte, die zu diesem Beitrag stattgefunden hat.