Auf lange Sicht

Damen haben die teureren Hosen an

Wie sich die Preise von Zigaretten, Seifen und Computern über 35 Jahre verändert haben. Und: eine nachteilige Auswirkung des beruflichen Aufstiegs von Frauen.

Von Simon Schmid, 06.08.2018

Früher war alles billiger.

Wer vor Jahren einmal Panini-Bildchen gesammelt hat, weiss dies intuitiv: 1990 kostete ein Päcklein mit sechs Fussballstickern noch 50 Rappen. Bei der diesjährigen Edition zur WM in Russland mussten Sammler 1 Franken pro Päcklein hinlegen, mit fünf Bildchen darin. Fürs Album wurden ausserdem nochmals 2.50 Franken verlangt – 1990 war es gratis.

Früher war übrigens auch alles besser:

Das lässt sich unschwer erkennen an den beiden WM-Songs «Live It Up» (Russland, 2018) und «Notti magiche» («Un’estate italiana», Italien 1990). Ja, klicken Sie ruhig auf den Link und ziehen Sie sich Gianna Nannini in voller Lautstärke rein – ausser Ihnen ist bei der Hitze eh keine Sau im Büro.

Doch zurück zum Thema: zu den Preisen.

Warum werden die Dinge eigentlich immer teurer? Warum bezahlen wir für manche Waren immer mehr – obwohl die Inflation nach offizieller Lesart seit geraumer Zeit praktisch gar nicht mehr existiert?

Man kann die Frage auf zwei Arten beantworten.

Erstens: top-down, indem man makroökonomische Variablen wie das Wachstum, die Löhne, die Zinsen und die Geldpolitik der Notenbanken analysiert – dies werden wir bald in einer mehrteiligen Artikelserie mit einem profilierten Gastautor tun.

Und zweitens: bottom-up, indem man sich einzelne Komponenten im Warenkorb und deren Preisentwicklung anschaut. Genau das tun wir in diesem Beitrag.

Tennisstunden bleiben Tennisstunden

Und zwar in stilisierter Form: anhand von ein paar ausgewählten Posten aus dem Warenkorb, den das Bundesamt für Statistik verwendet, um Monat für Monat fein säuberlich die Inflation der Konsumentenpreise zu berechnen.

Zum Beispiel: Mahlzeiten in Restaurants und Cafés – Position Nr. 11003 im Landesindex der Konsumentenpreise (LIK), mit einem aktuellen Gewicht von 3,608 Prozent (diesen Anteil unserer Konsumausgaben geben wir also fürs auswärtige Essen aus). Folgender Eintrag findet sich dazu in der LIK-Tabelle:

  • 1983 notierten Mahlzeiten in Restaurants und Cafés mit der Indexzahl 49,2.

  • 2017 notierte derselbe Posten mit der Indexzahl 100,7 – etwa doppelt so hoch.

  • Das bedeutet, dass sich der Preis von Restaurantmahlzeiten in etwa verdoppelt hat.

Die folgende Grafik zeigt, wie sich der Indexstand für Restaurantmahlzeiten über die letzten 35 Jahre entwickelt hat – zusammen mit fünf weiteren Waren aus dem LIK und mit dem Total. Der Vergleichbarkeit halber sind alle Posten fürs Jahr 1983 auf den Wert von 100 normiert:

Landesindex der Konsumentenpreise

Indexstand von einzelnen Posten des Warenkorbs (1983 = 100)

Zigaretten
Freizeitkurse
Mahlzeiten in Restaurants
Damenhosen
Total
Seifen und Badezusätze
PCs und Zubehör
1983199420062017369,9288,1204,7160,5156,490,83,50100200300

Quelle: BFS. Lesebeispiel: Eine Packung Zigaretten kostete letztes Jahr fast 3,7-mal mehr als 1983.

Aus der Zusammenstellung wird schnell klar, dass die Preisentwicklung im Landesindex der Konsumentenpreise sehr heterogen ist. Die einzelnen Warenposten weisen teils stark unterschiedliche Inflationsraten auf.

Warum? Gehen wir dazu die einzelnen Waren durch:

  • Zigaretten waren 2017 fast 3,7-mal teurer als 1983 – ihr Preis stieg im Schnitt um 3,9 Prozent pro Jahr. Ein Grund für die Preissteigerungen dürften die Tabaksteuern gewesen sein, ein anderer die Politik der Zigarettenkonzerne. Raucher sind verhältnismässig wenig preissensibel – sie zählten über die letzten 35 Jahre (nebst den Panini-Sammlern!) zu den Konsumentengruppen, die am meisten unter der Inflation gelitten haben.

  • Freizeitkurse waren 2017 fast 2,9-mal teurer als 1983. Damit lag die jährliche Preisinflation für Tennis- oder Tanzstunden ebenfalls über 3 Prozent. Als Erklärung dafür bietet sich der steigende Wohlstand an: Je reicher die Gesellschaft wird, desto mehr Geld geben die Menschen für die Freizeit aus. Zweitens spielen die Löhne eine Rolle: Sie machen bei Freizeitkursen den grössten Kostenblock aus, und sie steigen konstant. Drittens sind Freizeitkurse schlecht rationalisierbar. Anders als zum Beispiel bei der Produktion von Schrauben sind Produktivitätsfortschritte hier kaum möglich. Eine Tennisstunde dauert 60 Minuten – man kann sie technisch nicht auf 30 Minuten kürzen (es sei denn, man würde Tennislehrerinnen-Roboter einsetzen, doch so weit sind wir noch nicht).

  • Mahlzeiten in Restaurants waren 2017 gut doppelt so teuer wie 1983. Die Preise von Schnitzel mit Pommes frites und Spaghetti bolognese sind pro Jahr also um 2,1 Prozent gewachsen und damit etwas schneller als die Preise im Gesamtschnitt. Dafür dürften ähnliche Gründe verantwortlich sein wie bei den Freizeitkursen: Restaurantessen ist verhältnismässig personalintensiv (die Küche, die Bedienung), und man kann die Produktion kaum automatisieren. Die Preise steigen im Wesentlichen mit den Löhnen (diese steigen allerdings in der Gastronomie etwas langsamer als anderswo).

  • Damenhosen kosteten letztes Jahr etwa 1,6-mal so viel wie vor 35 Jahren – das entspricht einer mittleren Inflation von 1,4 Prozent, was ziemlich genau der Steigerungsrate des Gesamtindex entspricht (mehr zu Damenhosen gleich).

  • Seifen und Badezusätze waren 2017 nur 0,9-mal so teuer wie 1983 – also 10 Prozent billiger als vor 35 Jahren. Die Preise von Duschgels und ähnlichen Produkten fielen um 0,3 Prozent pro Jahr. Warum? Wiederum bieten sich zwei Erklärungen an. Erstens können diese Produkte immer billiger hergestellt werden, und die Preise werden über den Wettbewerb grösstenteils an die Konsumenten weitergegeben. Zweitens werden die meisten Produkte in dieser Kategorie nicht in der Schweiz hergestellt, sondern im Ausland – und können wegen des starken Frankens immer günstiger importiert werden.

  • PCs und Zubehör kosteten letztes Jahr nur noch 0,03-mal so viel wie 1983. Die mittlere Jahresinflation bei Computern betrug damit –9,4 Prozent, der niedrigste Wert von allen Waren im Index. Das scheint enorm tief. Zu tief? Am einfachsten lässt sich der Sinn dieser Zahl anhand des Apple Lisa veranschaulichen, eines Computers, der 1983 auf den Markt kam und mit einem Megabyte RAM sowie mit einer Harddisk von fünf Megabyte ausgerüstet war. Wie viel würden Sie für dieses Gerät heute noch bezahlen? Wahrscheinlich nichts – Sie könnten darauf nicht einmal diesen Artikel hier speichern.

Verschiedenste Faktoren bestimmen also, wie sich die Preise einzelner Waren über die Zeit entwickeln: die Personalintensität bei der Herstellung, der Importanteil, die Automatisierbarkeit, der Wettbewerb, die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten.

Etwas weniger extrem – aber dennoch ausgeprägt – wirken diese Faktoren auch, wenn man in einzelne Unterkategorien von Waren blickt, die eigentlich sehr ähnlich sein müssten. Wie etwa Herren- und Damenmode.

Inflationäre Damenmode

Im LIK finden sich dazu mehrere Subindizes. Teils sind die Kleiderbezeichnungen für beide Geschlechter dieselben (bei Strickwaren, Hosen, Unterwäsche sowie Mäntel und Jacken), teils weichen sie leicht ab (Anzüge vs. Jupes und Kleider; Hemden vs. Blusen).

Wie haben sich die Preise der diversen Kleidertypen entwickelt? Hier eine Übersicht mit den Aufschlägen über die letzten 35 Jahre – aufgeschlüsselt nach Geschlechtern:

Landesindex der Konsumentenpreise (LIK)

Preissteigerung von Kleidern seit 1983 gemäss LIK

Damen
Herren
Strickwaren067 % 041 % 0 25 50 75 % Hosen061 % 030 % 0 25 50 75 % Anzüge (Herren), Jupes und Kleider (Damen)035 % 022 % 0 25 50 75 % Unterwäsche031 % 032 % 0 25 50 75 % Hemden (Herren), Blusen (Damen)020 % 024 % 0 25 50 75 % Mäntel und Jacken−7 % 0017 % 0 25 50 75 %

Quelle: BFS. Lesebeispiel: Strickwaren für Frauen wurden 67 Prozent teurer, Strickwaren für Männer wurden 41 Prozent teurer.

Die Daten

Die Daten in diesem Beitrag basieren auf einer Auswertung des Landesindex der Konsumentenpreise. Die entsprechende Tabelle dazu findet sich hier.

Erstaunlich an dieser Aufstellung sind zwei Dinge.

Erstens: die unterschiedlichen Inflationsraten je nach Kleidertyp. Zwischen dem Kleidungsstück mit der grössten Preissteigerungsrate (Strickwaren für Frauen) und jenem mit der niedrigsten Rate (Mäntel und Jacken für Frauen) zeigt sich eine grosse Differenz: Strickwaren für Frauen schlugen pro Jahr umgerechnet um 1,5 Prozent pro Jahr auf – Damenmäntel und -jacken wurden um 0,2 Prozent pro Jahr billiger.

Zweitens: die unterschiedlichen Inflationsraten nach Geschlechtern. Zwar waren die Inflationsraten in manchen Bereichen praktisch identisch (etwa bei der Unterwäsche mit je 0,8 Prozent pro Jahr für beide Geschlechter). Doch bei den meisten Kleidertypen waren die Frauen im Nachteil: Speziell bei den Strickwaren (1,5 Prozent vs. 1,0 Prozent) und bei den Hosen (1,4 Prozent vs. 0,8 Prozent) schlugen die Preise für Damenmode schneller auf.

Woher rühren die Unterschiede?

Zunächst sind gewisse Unschärfen bei der Kleiderkategorisierung nicht ganz ausgeschlossen. Auch Messfehler bei der Erhebung kann es geben (möglicherweise wird das Bild dadurch verzerrt, dass die Rabatte während des Saisonausverkaufs je nach Geschlecht unterschiedlich genutzt werden).

Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass wiederum ähnliche Faktoren wie zuvor den Ausschlag darüber geben, ob die Preise eines bestimmten Produktetyps schnell steigen oder nicht: der Anteil der Handarbeit, die Herkunft, der Status eines Kleidungsstücks (gilt es als Luxusgut?) sowie die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten.

Oder in diesem Fall: der Konsumentinnen.

Frauen sind in den letzten Jahrzehnten ökonomisch vorangekommen. Ihre Erwerbsbeteiligung ist gestiegen, ihre Löhne auch, und sie nehmen seit einigen Jahren auch eher Kaderpositionen ein.

Frauen haben buchstäblich öfter die Hosen an.

Eigentlich logisch, dass die Preise von Damenhosen rascher gestiegen sind.

Was verändert sich auf die lange Sicht?

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