Knoebel konkret
Das Zürcher Haus Konstruktiv hat Imi Knoebel zu einer umfassenden Werkausstellung eingeladen. Sie erzählt viel über den Künstler – und mehr noch über Kunst an sich.
Von Max Glauner, 31.07.2018
Joseph Beuys kennt jeder. Das ist der mit den Fettecken, dem Filz, dem Hut. Beuys hat gesagt, «jeder Mensch ist ein Künstler». Ob das stimmt? Imi Knoebel, einen der bekanntesten Schüler des einflussreichen Düsseldorfer Kunstschamanen, kennt nicht jeder. Selbst Insider müssen im Gedächtnis kramen, um sich an ihn zu erinnern, denn ihm fehlt, was sein Lehrer in Fülle zu bieten hatte: obskure Geschichten, Wiedererkennbarkeit. Ein «Brand».
Knoebels Arbeiten rufen nicht, «hallo, hier bin ich!». Im Gegenteil. Sie stellen nichts dar und wirken auf den ersten Blick meist unpersönlich, cool. Es ist eine Kunst für Abgebrühte, denen der Ruf, jeder Mensch sei ein Künstler, zu sehr nach Kreativkurs, Batikornament und Töpferscheibe tönt.
Coolness in heissen Zeiten
Abgebrüht und cool gab sich schon der junge Kunststudent mit dem Geburtsnamen Klaus Wolf Knoebel. Wie viele Kunstgrössen der alten Bundesrepublik lebte der 1940 in Dessau Geborene kurz in der jungen DDR. 1950 ging es mit der Familie von einem Kaff bei Dresden nach Mainz, anschliessend nach Darmstadt. Dort auf der Werkkunstschule lernte er Rainer Giese kennen. Die Freunde firmierten fortan als «Imi und Imi». «Imi», die Abkürzung von «ich mit ihm».
Von Darmstadt gingen die beiden 1964 an die Kunstakademie Düsseldorf. 1965 kamen sie mit Talent und Chuzpe in die Meisterklasse von Joseph Beuys. Wieder ein Jahr später ertrotzten sie sich ein eigenes Atelier, den legendären Raum 19 mit seinem charakteristischen hohen Bogenfester an der Stirnseite. Zwischenzeitlich teilten sie dieses Atelier, Keimzelle bundesrepublikanischer Vorwendekunst, mit Blinky Palermo und Jörg Immendorff, der Ölmalerei betrieb, gegenständlich, figurativ, politisch, ganz gegen die Erwartungen des Kunstbetriebs. Aber auch Giese, Knoebel und Palermo schwammen von Anfang an gegen den Strom. Ihr kunstgeschichtlicher Fixstern befand sich auf der anderen Seite der Skala, nicht bei Expression und Malerei, Picasso, Beckmann, de Kooning, sondern beim Minimalismus eines Kasimir Malewitsch, der 1915 die Bildlichkeit auf das «Schwarze Quadrat» reduziert hatte.
«Kann ich auch!»
So entstand 1966 Knoebels «Ohne Titel (Quadrat)», eine 60 x 60 cm grosse unbehandelte Leinwand auf einem Holzrahmen. Da dieser durch die Leinwand durchscheint, zeichnet sich ein zweites Quadrat ab. Sicher haben nun all jene recht, die sagen, so etwas könnten sie auch. Doch ums Können geht es hier nicht. Es geht um Setzung, stringent und kompromisslos. Es geht um eine strategische Positionierung im Kunstfeld, die Behauptung, selbst Malewitsch noch überbieten zu können. Es geht um die Sondierung der eigenen Möglichkeiten, noch etwas Gültiges schaffen zu können, ohne epigonal zu wirken.
Dazu reduziert Knoebel das Bild, das bei «Ohne Titel (Quadrat)» bereits um die Farbe beraubt war, noch um die Leinwand. Der «Keilrahmen» (1968), mit 30 x 30 cm ein Viertel so gross wie «Ohne Titel (Quadrat)» (1966), hängt nun im dritten Stock des Hauses Konstruktiv als Zeuge dieses radikalen Reduktionismus. «Keilrahmen» ist ein Teil von 21 vom Künstler so genannten «Kernstücken».
Mit ihnen schafft sich Knoebel zwischen 1966 bis in die frühen 2000er-Jahre ein ganzes Vokabular minimaler beziehungsweise maximal reduzierter Gesten – von der einfachen vertikalen und horizontalen Graphitlinie auf der weissen Wand, «Linie senkrecht», «Linie waagrecht» (1966) über «Fundstück» (1981), eine Versandschachtel aus Pappe mit Adressklebern, bis hin zu einer komplexen Raumecksituation, «Ort» (2006), aus Aluminium, knallrot bemalt.
Konkrete Kunst in Zeiten des Algorithmus
Doch sind das mehr als akademische Fingerübungen, Demonstrationen aus dem Archiv? Ist die zeitgenössische Kunst nicht längst im digitalen Zeitalter angelangt, in dem die Beats des Konstruktiven durch Algorithmen definiert werden? Sicher öffnet sich nun das ehedem konservativ-träge Haus Konstruktiv der Gegenwart. Vor Knoebel zeigte man zum Beispiel die junge polnische Medien- und Konzeptkünstlerin Alicja Kwade und nun parallel zu Knoebel den deutschen Künstler Till Velten, der in einer aufwendigen, vielschichtigen Multimedia-Installation seine jahrelangen Recherchen zu demenzkranken Menschen reflektiert.
Wo aber liegt das Zeitgenössische von Knoebel? Es ist, um es vorwegzunehmen, in der Halle des Hauses Konstruktiv mit voller Wucht an der Arbeit «Raum 19» zu erleben – eine Zeitgenossenschaft, die ihre Gültigkeit für ein unwiederbringliches Moment aus der Ewigkeit bezieht. Die Präsentation dieses Werks geht weit über die blosse Konsekration von Künstler und Werk durch eine Museumsretrospektive hinaus.
«Guten Morgen, weisses Kätzchen», Museum Haus Konstruktiv Zürich, Selnaustrasse 25, 8001 Zürich; bis 2. September 2018. Alle Angaben zur Ausstellung finden Sie hier.
Die ist dem Haus Konstruktiv jedoch auch ein Anliegen. Im dritten Stock fährt Knoebel das volle Arsenal seiner minimalistischen Setzungen auf. Bis auf die als Reflex auf den frühen Tod seines Freundes Giese entstandene Werkreihe «Eigentum Himmelreich» (1983), in der aufgelöste, chaotische Assemblagen auftraten, ist nahezu alles repräsentiert, was Knoebel seit den späten 1960er-Jahren bis heute entwickelt und bekannt gemacht hat.
Das beginnt mit dem aus vier Quadraten aufgebauten «Braunen Kreuz» (1968) in einer Version von 2018, gewaltig über 3 x 2 m, schräg gehängt in Acryl auf Holz, das seine Herkunft von Malewitsch nicht verleugnet, und geht bis in die zwei Seitenkabinette. Mit der gelb-blau-roten «Union IV» (2018) wird dort ein zweiter Gewährsmann von Knoebel aufgerufen, der US-amerikanische Maler Barnett Newman. Doch die Präsentation im dritten Stock wirkt zu sehr wie eine Aufzählung. Der Wille zur Vollständigkeit, das Bestehenwollen vor den Vätern des Zürcher Konstruktivismus wie Max Bill, Richard Paul Lohse, deren Erbe im Haus verwahrt und gepflegt werden soll, dominiert vor der Präsentation eines gültigen Einzelwerks.
Lust zur Provokation
Wie es hätte sein können, zeigt der Kabinettsaal im zweiten Stock, der sieben aktuelle Wandbilder aus diesem Jahr zeigt, unregelmässig zugeschnittene, meist ovale Malgründe aus Aluminium, mit monochromen, mattfarbenen Acrylschichten, in die sich der Maler expressiv einschreibt, unbekümmert, dekorativ – wie der Echo-Raum auf den aberwitzigen Titel der Ausstellung, der schön quer steht zum Gezeigten: «Guten Morgen, weisses Kätzchen». Knoebel zitiert damit seine kleine Enkelin. Doch darüber hinaus konterkariert er unsere abbildversessene Gegenwart, die in sozialen Netzwerken Katzenbilder an die erste Position der Likes setzt oder dem Berliner Ölmaler Martin Eder tolle Verkaufszahlen sichert.
Auf jeden Fall äussert sich hier Knoebels Lust zur Provokation. Seine letzte Einzelausstellung in der Schweiz 1997 im Kunstmuseum Luzern nannte er enigmatisch «Tag und Nacht & BUNT», seine grosse Ausstellung 2009 in der Berliner Neuen Nationalgalerie nach Taminos Ruf aus Mozarts «Zauberflöte», «Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren!». Das war damals auch so eine Konsekrationsveranstaltung, eine Bewährungsprobe, wie in der Zauberflöte. Wie jetzt in Zürich.
Und beide Male besteht er sie in der Kombination der zwei gewaltigen Arbeiten «Raum 19 III» (1968/2006) und «Batterie» (2005). Und sie faszinieren in Berlin wie in Zürich, obwohl durch die auf die Ausstellungsräume angepasst gestapelten Segmente von «Raum 19» zwei vollkommen unterschiedliche Bewegungen in Gang kommen – oder faszinieren sie gerade deshalb? Während in der gläsernen Ausstellungshalle der Neuen Nationalgalerie Ludwig Mies van der Rohes die mehreren Hundert Teile an Kuben, Latten, Bilderrahmen aus Hartfaser und Holz als provisorischer Teil der Garderoben- und Serviceeinbauten erschienen und erst nach und nach in ihrer skulpturalen Dichte erfahrbar wurden, wird das Zürcher Publikum unvermittelt, ja schroff mit dem ungeheuren Haufen Holz konfrontiert. Es stösst in der Halle gleichsam mit der Nase darauf – und wird sich anstrengen, sich ein «Bild» davon zu machen.
Doch anders als in Berlin gelingt ihm die Synthese nur schwer, nach mehreren Anläufen. Das Auge tastet die glatten, braunen Oberflächen ab, die Stufen gestapelter Paneele, die Rundungen der plastischen Kreissegmente, die in ihrer Grundform an das legendäre Düsseldorfer Atelierfenster erinnern, wie der Titel «Raum 19» an die anfängliche kreative Situation. Der Besucher blickt empor zu den aufgestapelten Kisten, zur Decke und zurück und versucht mehr und mehr zu erfassen – die Schichten Holz, die hellgrünen Aluminiumplatten der «Batterie», die im ehemaligen Umspannwerk an der Sihl zusätzlich mit Bedeutung aufgeladen wird. Der Besucher läuft darum herum, wird angezogen, abgestossen. Er kann nicht eindringen, geschweige denn hindurch. Die Abstände zwischen den Kuben, Latten, Pyramiden sind zu schmal. Rumpelkammer, Atelier, Depot, Ausstellungsraum, ein Kondensat, ein faszinierendes Amalgam einer kreativen Situation, die mit dem Künstler und seinen Betrachtern immer in Bewegung, von Körper zu Körper direkt – das heisst konkret – erfahren wird. Das ist wunderbar, unvergesslich.
Max Glauner arbeitet als freier Kulturjournalist für den «Freitag», den «Tagesspiegel», die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung», frieze.com, «Artforum» und «Kunstforum international». Er lebt in Berlin und Zürich und ist Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste, wo er zu innovativen Produktions- und Aufführungsformaten sowie Strategien der Partizipation und Kollaboration lehrt und forscht.