Big Business mit dem Baby-Aal
Wilderer fangen jedes Jahr Millionen geschützte Jungaale in Europa. Auf Schmuggelwegen gelangen sie nach Asien. Einblicke in ein Milliardengeschäft.
Von Marcus Pfeil, 18.07.2018
1. Vater Aal
Mario Weber mag Aale. Ja: Er liebt sie. Wie behutsam er die Jungfische zurück ins Wasser setzt. Als seien es Schmetterlinge, denen er die Flügel zerdrücken könnte. Bis zu zehnmal, schätzt er, setzt er so manchen Fisch zurück. Erst wenn die Aale so prall sind, dass ihre Haut sich glättet, schlachtet er sie, und auch das macht er sanft, mit einem selbst gebauten Elektroschocker. Sie sind dann sofort bewusstlos.
Mario Weber, der letzte Stadtfischer von Potsdam, sieht aus, wie ein Fischer aussehen muss: marineblaue Wathose, Holzfällerhemd, Wollmütze. Sein Blick ist gutmütig, sein Händedruck fies. Ein Mann, der nicht klagt, sondern sich ohne grosse Worte in sein Schicksal fügt – dass er der Letzte seiner Art ist. Damit zu hadern, fände er albern. Und nie würde er etwas Abfälliges über seinen Brotfisch sagen, den Aal. Spricht man ihn auf die eklige Szene in «Die Blechtrommel» an, guckt er, als wolle er gleich den Elektroschocker zücken.
Weber weiss, wo sich seine Aale im Schlamm verstecken, ahnt, wann sie ihr Versteck zum Fressen verlassen, schmeckt blind den Unterscheid zwischen Spitzkopfaal und Breitkopfaal, zwischen wildem Aal und gezüchtetem Aal. «Ist ein Unterschied wie Wildschein und Hausschwein», knurrt er.
Seit 35 Jahren fischt er Aale in der Havel. Früher hatte er morgens manchmal 100 Kilo Fisch in einer Reuse. Heute, an guten Tagen, sind es 50 Kilo – in allen 25 Reusen zusammen. «Wenn ich nur noch Aal verkaufen würde, müsste ich das Boot rudern. Da haste keen Benzingeld.»
Und das ist das Problem. Der Aal verschwindet. Seit 2010 steht er auf der roten Liste, als «vom Aussterben bedroht». Ein Schicksal, das er mit Berggorillas, Nashörnern und Riesenschildkröten teilt.
Warum das so ist, dem geht diese Geschichte nach. Sie spielt an der Loire, in San Sebastián und in Hongkong. Und kehrt am Ende zurück zu Mario Weber. Dem letzten Fischer seiner Art. Der mit dem Aal verschwindet.
2. Ein Fisch wird kostbar
Früher waren Europas Seen und Flüsse voll mit Aalen. So voll, dass holländische Bauern sie als Dung auf die Felder warfen, man sie an Hühner verfütterte und zu Tapetenleim verkochte. Ab den 1970er-Jahren brachen die Bestände ein. Vor allem, weil Rhein, Rhone und Ticino mit Sperrwerken verbaut wurden. Eine Wasserturbine ist der Tod von Zehntausenden Aalen.
In der Schweiz ist er Fisch des Jahres 2018. Eine Hommage an den einzigen Fisch, der den 23 Meter hohen Rheinfall flussaufwärts überwindet. Das gelingt ihm als Glasaal. Gelang. Präteritum. Heute schafft es kaum noch ein Aal aus eigener Kraft bis in die Schweiz.
Aale kommen in der Sargassosee zur Welt, nordöstlich von Kuba. Ihre ersten Jahre verbringen sie damit, mit dem Golfstrom rund 6000 Kilometer weit Richtung Europa zu treiben. Unterwegs wachsen die Larven zu Glasaalen heran, zeigefingerlangen durchsichtigen Fischen. Vor Europas Küsten verwandeln sie sich in graue Schnürsenkel, so ziehen sie hinauf in Flüsse und Seen. Bis zu 20 Jahre lang leben sie dann in Bodensee, Genfersee und Zürichsee. Bis ihnen ihr innerer Kompass befiehlt, zurückzukehren vor die Küste Kubas. Wo sie laichen. Wo sie sterben. Bis heute ist es nicht gelungen, Aale künstlich zu vermehren.
Den natürlichen Kreislauf hat der Mensch immer mehr gestört. Es sind nicht nur die Kraftwerke und Staumauern, die dem Aal den Weg versperren. Auch Düngemittel und Pestizide setzen ihm zu, genauso wie Medikamentenrückstände und Krankheitserreger.
Und nun kommen die Wilderer.
Nacht für Nacht stellen sie den Glasaalen nach, an den Mündungen der grossen Flüsse, von Grossbritannien bis Portugal. Von dort werden die Tiere für die Aufzucht nach Asien geschmuggelt. Für Japaner und Chinesen eine Delikatesse, die sie schon zum Frühstück als Sushi essen. Ihre eigenen Bestände haben sie längst geplündert. Also werden massenhaft Baby-Aale aus Europa importiert.
Illegal. Seit 2010 gilt ein Exportverbot für die EU.
Genützt hat es wenig. Es trieb die Preise in die Höhe. Der Schmuggel nahm zu. Man schätzt, dass inzwischen pro Jahr bis zu 350 Millionen Europäischer Glasaale heimlich nach Asien gebracht werden.
Die Behörden reagieren nur langsam. 2018 hat Europol den Aalschmuggel in seinem Aktionsplan in die Top Ten gerückt, kurz hinter Drogen-, Waffen- und Menschenhandel.
3. Die Wilderer
Ein kalter Nachmittag Anfang Februar, schon steht die Sonne tief, nicht lange, dann wird sie den Himmel glutrot färben. Im französischen Örtchen Cordemais, unweit der Loire-Mündung, stärken sich die Fischer im «Anker» für die Nacht. Schieben Ochsensteaks in sich hinein, spülen mit Weisswein aus Tetrapacks nach und schliessen den Magen mit einem Glas Sherry. Unter ihnen: Mickaël Vallée. Er hat einen Händedruck, gegen den die Begrüssung von Mario Weber ein Kindergeburtstag ist. Nun steht Vallée auf und wankt durch den Türrahmen, als wäre er schon auf der «Mustang».
Nirgendwo in Europa lädt der Golfstrom so viele Glasaale ab wie an der Loire-Mündung. Bei Saint-Nazaire macht sich Frankreichs grösster Fluss fast so breit wie der Amazonas. Die Fische können das Süsswasser riechen, es lockt sie an wie Flutlicht die Motten, man schätzt, dass rund 1,4 Milliarden Baby-Aale jedes Jahr in den Fluss strömen.
Cordemais hat 3600 Einwohner, Fischerboote schaukeln im Abendwind, ein Idyll – ragten nicht am anderen Ufer die Kühltürme von Frankreichs grösstem Wärmekraftwerk auf.
Vallée startet den Motor und fährt hinaus, vorbei an der Villa Cheminée, einem alten Leuchtturm, in dem man heute übernachten kann, hinaus auf den Hauptarm der Loire. Hier fischt er seit mehr als 20 Jahren Glasaale. 220 Fischer an der Loire möchten ebenfalls eine Fanglizenz haben.
«Dabei gibt es genug Glasaale», sagt Vallée, «nur dürfen wir nicht genügend fangen.» Frankreich ist das einzige EU-Land, das eine Fangquote für Glasaale eingeführt hat. Die Preise sind trotzdem im Keller. Wie kann das sein?
Vallée steuert die «Mustang» in einen Nebenlauf. Im Schilfrohr bereitet sich ein Regenpfeifer auf die Nacht vor. Der Himmel glutrot. «We start to fish», sagt der Franzose.
Er lässt zwei kescherähnliche Schleppnetze links und rechts am Heck zu Wasser. Fünf Minuten lang drosselt er seine 200-PS-Maschine auf einen Knoten, damit die zarten Fische nicht zu viel Wasserdruck abbekommen. Dann entleert er beide Kescher auf einem Sieb, durch das nur die Glasaale passen. Im Hälterungskasten darunter versorgt Druckluft das Flusswasser mit Sauerstoff, auch ein wenig Kochsalz hat Mickaël beigefügt. Heute Nacht wird es nur ein knappes Kilo werden.
160 Kilo darf er zwischen November und Mitte Februar fangen, 100 Euro zahlen ihm Händler pro Kilo, klar, dass er damit nicht über die Runden kommt. Er wünscht sich eine höhere Quote – und träumt davon, dass sich der Preis verdreifacht. Doch er steigt einfach nicht. Trotz Quote.
Inzwischen ist es stockdunkel, kein Mond, der Himmel protzt mit Sternen. Ein Mopedmotor zerstört die Ruhe, der Scheinwerfer schneidet die Dunkelheit. Die Umrisse zweier Männer sind auf der Schleusenbrücke zu erkennen.
«Wilderer», sagt Vallée. «Die brauchen nicht viel, mit einem einfachen Kescher können sie zwei bis drei Mal mehr fangen als wir.» In seiner Stimme liegt Wut. Die Männer kommen aus Osteuropa, erklärt er, sie verkaufen an dieselben Händler wie er – und verlangen die Hälfte, nur 50 Euro je Kilo.
Vallée fährt seinen Fang nach Hause, vertäut die «Mustang» im Hafen, verlädt den Behälter mit den Fischen in seinen Transporter. Fünf Minuten hat er es bis nach Hause, in seiner Werkstatt hat er zwei Bassins, wo er die Glasaale aufbewahrt, bevor er sie verkauft.
Es sind nicht nur die Schmuggler, die dem Aal zusetzen. Auch so mancher Fischer hält sich nicht an die Quote. «In einer Nacht», sagt der Anwalt Antoine Tugas, Experte für illegalen Handel mit Glasaalen, «können die Fischer das Geld einer ganzen Saison verdienen.» Es gebe zwar Kontrollen. Aber die Geldbussen seien lächerlich oder würden sowieso nicht bezahlt.
Und es gebe reichlich Kanäle, die Fische verschwinden zu lassen. Richtung Asien. Richtung Spanien.
4. Ein Festessen
San Sebastián, 19. Januar 2018: Die halbe Stadt ist auf den Beinen, verkleidet in den historischen Kostümen der Köche und Wasserträgerinnen. Mehr als hundert gastronomische Gesellschaften sind dabei, die Männer und Frauen trommeln auf Fässern und Melkeimern und legen einen Sound über die Altstadt, der an die Candomblés von Salvador de Bahia erinnern. Tausende drängeln sich um Mitternacht auf der Plaza de la Constitución, um die Stadtflagge zu hissen. Willkommen bei La Tamborrada, dem Stadtfest.
Wer es sich leisten kann, bestellt an diesem Abend «Angulas», Glasaale gebraten mit Knoblauch, serviert als Pintxos, baskische Tapas. Baby-Aale haben im Baskenland eine lange Tradition, es ist heute die einzige Gegend Europas, wo man sie regulär im Fischladen kaufen kann. Früher ein Armeleute-Essen, heute eine Delikatesse, das Kilo zu 630 Euro, fünfmal so teuer wie Langusten.
An diesem Abend sind Glasaal-Pintxos der kulinarische Höhepunkt in den gastronomischen Gesellschaften. Eine schwere Eichentür, auf der Feldsteinmauer steht «Gaztelubide», darunter die Zahl 1934. Drinnen sitzen an die hundert alte Männer an einer langen Holztafel in der weissen Uniform der baskischen Köche und singen den Marsch von San Sebastián.
Endlich werden die Glasaale serviert, in handgrossen Tonschalen. Die Männer in Weiss können es kaum erwarten, zücken ihre Handys und fotografieren sich gegenseitig beim Glasaalschmaus. Das erste Mal seit Jahren, dass wieder die echten Angulas serviert werden und nicht billiges Surimi, Ersatz aus gepresstem Seelachs. Sie strahlen.
Auch die Basken fangen einige Tonnen Glasaale, in Aginaga am Oria, zwanzig Kilometer vor San Sebastián. Entlang des Flusses haben sich ein Dutzend Betriebe niedergelassen, auch drei grosse französische Händler haben hier im baskischen Grenzgebiet eine Filiale. Woher stammt ihre Ware?
Die Chefs lassen sich verleugnen, Termine platzen oder weisen uns den Weg zum Ausgang. Nur Jon Otamendi mag mit uns reden, ein Baske, Glasaalhändler in dritter Generation. Wir treffen ihn am Fluss, goldgelb windet er sich durch das Tal, Pinien säumen sein Ufer. Als Kind hat Otamendi oft hier gespielt und mit seinem Grossvater geangelt. Früher haben sie in den alten Speichern oben in den Bergen bis zu hundert Tonnen Glasaal lagern können. Heute brauchen sie noch Platz für eine Tonne.
Otamendi sammelt ein paar Steine aus dem Ufersand und lässt sie über das Wasser springen. Die Geschäfte liefen schon mal besser, sagt er. «Früher, vor 2010, als der Export noch legal war.»
Er druckst herum. «Für uns ist es immer schwieriger geworden, genügend Glasaale am Markt zu kaufen. Bei den Preisen können wir kaum mithalten», sagt er. Dann kämpft er mit sich, wartet, überlegt und sagt: «Vielleicht haben uns da einige Konkurrenten etwas voraus, vielleicht verstehen sie den Markt besser. Vielleicht haben sie Wege gefunden, die wir nicht betreten.» Ein unsicheres Lächeln schickt er hinterher. Mehr will er nicht sagen.
Klartext redet Andrew Kerr von der Sustainable Eel Group, einer Nichtregierungsorganisation aus Brüssel, die den Europäischen Aal retten will. Weil es im Baskenland erlaubt ist, Glasaale zu verkaufen, wird hier auch Schmuggelware gehandelt. «Einige Händler, die vor dem Exportverbot nach Asien verkauft haben, betreiben ihr Geschäft einfach weiter, über dieselben Kontakte wie zuvor», sagt Kerr.
Auch wenn das inzwischen verboten ist.
5. Schmuggel im Hartschalenkoffer
Anfang 2017 startet «Operation Abaia», der bislang grösste Schlag gegen die Aalschmuggler. Ermittler der spanischen Umweltpolizei beschlagnahmen in Spanien und Griechenland sechs Millionen Glasaale. Sie leben noch. In Luftfracht-Containern, versteckt unter Muscheln, sollten sie nach Hongkong geschmuggelt werden. Die Beamten nehmen 48 Verdächtige fest und beschlagnahmen Bargeld, Goldbarren, Luxuswagen – und Dokumente, die nahelegen, dass die Bande in den vergangenen fünf Jahren Glasaale im Wert von 280 Millionen Euro nach Asien geschmuggelt hat. Nach Hongkong, und von dort an Zuchtfarmen in Südchina.
«Die Margen im Glasaal-Schmuggel sind vergleichbar mit dem Drogen-, Waffen- und Menschenhandel», sagt Jari Liukku, Chef von Europol. «Mit dem Unterschied, dass die Schmuggler kaum etwas zu befürchten haben.» Er schätzt, dass jedes Jahr bis zu 100 Tonnen Glasaal nach Asien geschmuggelt werden. Daraus lassen sich binnen zwei Jahren bis zu 120’000 Tonnen Aalfilet züchten – das einen Marktwert von bis zu 2 Milliarden Euro hat. Ein unglaubliches Geschäft.
«Die hohen Preise in Asien ziehen immer mehr Kriminelle aus anderen Milieus an», bestätigt Yannick Kühl von Traffic, einem Überwachungsnetzwerk für Wildtierhandel. In den Schmuggel könne jedermann einsteigen: Man brauche dafür nur Gefrierbeutel, Plastikflaschen, eine Sonnenblende und einen Hartschalenkoffer.
Einen Hartschalenkoffer?
Ja, erklärt Yannick Kühl, weil Aale über die Haut atmen, können sie in so einem Koffer zwei Tage überleben. In Gefrierbeuteln, nur zum Teil mit Wasser gefüllt, zum anderen mit Sauerstoff vollgepumpt. Die Plastikflaschen mit gefrorenem Wasser kühlen und verlangsamen den Stoffwechsel der Fische, die Sonnenblende isoliert. Bis zu 15 Kilo Glasaale passen in einen Koffer.
Von Madrid, Amsterdam oder Paris geht es weiter nach Hongkong, Singapur oder Bangkok. Das Risiko, am Flughafen aufzufliegen, ist gering. Das Sicherheitspersonal ist auf Drogen und Sprengstoff geschult. Aber nicht auf Koffer voller Gefrierbeutel, in denen winzige Fische schwimmen.
6. Spurensuche in Hongkong
An einem Morgen im März schlendert der Fischbiologe Florian Stein von der Sustainable Eel Group über den Fischmarkt von Hongkong. Fast zehn Millionen Einwohner, grösster Frachtflughafen der Welt, viertgrösster Containerhafen der Welt – Hongkong ist eine Drehscheibe für den illegalen Handel mit Wildtieren, hier kann man jede Kreatur kaufen, die irgendwo auf der Welt existiert, streng geschützt oder nicht, ausgestopft oder zermahlen.
Und Hongkongs Fischmarkt ist ein Aquarium der Weltmeere. Bretonische Hummer, Geoducks aus Kanada, tropische Rifffische aus Indonesien. Chinesen sind vernarrt in frisches Essen, am liebsten so frisch, dass sie den Fisch noch zappeln sehen, ehe er in den Kochtopf wandert.
Florian Stein hält in der Hand einen Zettel, darauf die chinesischen Schriftzeichen 鳗鱼. An einem der Stände filetiert eine Händlerin gerade einen Aal. Freundlich gibt sie Stein zu verstehen, dass er seinen Zettel falsch herum halte, er aber bei ihr richtig sei. Mit einem Eispickel spiesst sie den Fisch auf und tackert ihn an einem abgeschliffenen Baumstamm fest, ihrem Schneidebrett. Der Aal zuckt, sein autonomes Nervensystem leistet noch ein wenig Widerstand. Ein paar Minuten später liegen drei Portionen Aalfilet in der Auslage. In einem Eimer hat sie noch drei lebende Aale. «From China», sagt sie.
Der Fisch kommt aus einer der Zuchtfabriken, in deren Hälterungsanlagen ihre Herkunft längst untergegangen ist. «In den Aquakulturanlagen Chinas landen Europas Glasaale meist schon unter falschen Namen», sagt Stein. «Als Amerikanischer oder Tropischer Aal, denn das Exportverbot gilt nur für den Europäischen Aal. Wie aber soll der Zoll das vor Gericht beweisen, wenn die Fische optisch kaum zu unterscheiden sind?»
Um dieses Problem zu lösen, hat Stein gemeinsam mit dem Hongkonger Molekularbiologen David Baker die DNA von Aalen analysiert. Sie haben Glasaale untersucht, die die Artenschutzbehörde in einem Flieger aus Madrid beschlagnahmt hatte. «Optisch lassen sich Europäischer und Japanischer Aal kaum unterscheiden, auch geschmacklich sind sie sich sehr nah», sagt Stein. Die ausgewachsenen Aale aus China gehen dann wieder in den Export. «Filet, das wir in Deutschland oder in der Schweiz im Sushi haben, kann aus den chinesischen Farmen stammen und könnte theoretisch Europäischer Aal sein.»
Europas Aale kommen also aus der Karibik. Sie werden in Europa gefangen und illegal nach China exportiert, dort zwei Jahre lang gemästet und kommen dann wieder zurück auf unsere Teller.
Im Hafen von Vancouver haben Ermittler kürzlich 18 Tonnen Aalfleisch aus Asien konfisziert. Eine DNA-Analyse hat ergeben, dass es Europäische Aale waren.
Vor zwei Jahren kontrollierte der deutsche Zoll eine Lieferung von asiatischen Grosshändlern. Ergebnis: Jeder fünfte Aal war ursprünglich aus Europa gekommen.
Wie so oft im illegalen Wildtierhandel erscheint der Kampf gegen die Schmuggler schier ausweglos. Aber es gibt auch Hoffnung:
Fischbiologe Stein hat Forschungsgelder eingeworben. Um eine schnelle Methode zu entwickeln, die Herkunft eines Aals zu bestimmen.
Die Sustainable Eel Group kämpft in Brüssel für ein europaweites System, mit dem sich jeder Deal mit einem Glasaal zurückverfolgen liesse. Das fordert die Kommission zwar schon seit 2009, umgesetzt hat es bislang aber kein einziges EU-Land.
An der holländischen Universität Wageningen versuchen Wissenschaftler, Aale mithilfe einer Hormonbehandlung doch noch künstlich züchten zu können. Bislang sind die Larven jedoch immer nach zwei Wochen verhungert, weil die Forscher noch nicht wissen, was sie nach ihrer Geburt in der Sargassosee eigentlich fressen.
Loire-Fischer Mickaël Vallée nimmt sein Schicksal nun selbst in die Hand. Weil er nicht länger von den Händlern abhängig sein will, hat er mit seinen Kollegen eine Genossenschaft gegründet. Zusammen haben sie ihr Geld in eine eigene Hälterungsanlage gesteckt, um ihre Glasaale selber zu vermarkten. Und Mario Weber?
7. Vater Aal bekommt Nachwuchs
Fährhafen Potsdam, im Mai 2017. Eigentlich legen hier die Ausflugsdampfer an. An diesem frühen Morgen aber kommen die Aale, angeliefert in einem Tanklastzug. Fast eine Tonne bekommen die Havelfischer für den Besatz. Auch Weber erhält eine zugeteilte Menge, er schüttet sie in die Wassertonnen in seinem Boot. Jetzt darf er keine Zeit verlieren, die Fische müssen schnell ins Wasser. Und zwar dorthin, wo sie Deckung und Nahrung finden. Die Fischereigenossenschaft hat berechnet, dass es ab 2030 wieder genügend Aale in der Havel gibt. Weber sagt: «Bis dahin kämpfe ich um jeden Aal.»
Nach einer Viertelstunde erreicht sein Boot ein Seerosenfeld und entleert den ersten Behälter ins Wasser. Die Seerosen werden die Jungaale beschützen, «vor Kormoranen und dem Hecht». Noch einmal fährt er ein Stück, zu einer Schilfkante, dort entleert er den zweiten Behälter. «Hier können sie sich blitzschnell in den Schlamm eingraben und lassen nur ihren Kopf rausgucken.»
Er wird sie wiedersehen. In seinen Reusen. In einigen Jahren.
Marcus Pfeil ist beim Bier auf den Aal gekommen. Wenn ein Kilo Glasaale mehr als 30’000 Euro in Asien kostet, kann das eigentlich nicht mit rechten Dingen zugehen. Also reiste er der Wertschöpfung von Potsdam über Frankreich und Spanien bis nach Hongkong hinterher. Und erzählte die Geschichte neben diesem Text in einem Film für das ZDF und einer Webserie für Arte. Das Projekt wurde von der gemeinnützigen Olin gGmbH gefördert und von der Journalistenvereinigung «netzwerk recherche» betreut. Pfeil entwickelt und baut ansonsten Formate für Geschichten, die am Anfang nicht schon ein Ende haben. Für den NDR, «Zeit» und «arte» versteckte er GPS-Sender in Schrottfernsehern und nahm sein Publikum live im Netz mit auf eine verbotene Reise nach Westafrika. Für SRF, den Bayerischen Rundfunk, die «Süddeutsche Zeitung» und Deutschlandradio Kultur suchte er via Whatsapp nach einem verschwundenen Gemälde, das einer jüdischen Familie 1938 die Flucht aus Nazi-Deutschland ermöglicht hat. Und für den WDR und «Spiegel Online» verdatete er drei Milchkühe mit Sensoren so, dass fast 5000 User täglich mit ihnen gechattet haben. Er ist Mit-Gründer von «Follow the Money» und Chapter One, und ausgezeichnet als Kultur- und Kreativpilot der Bundesregierung.