Binswanger

The Winner Takes It All

Das Schweizer Bankgeheimnis ist tot, hiess es mal. Es fühlt sich eher an, als sei es untot.

Von Daniel Binswanger, 07.07.2018

Im Feld der fachsimpelnden WM-Laiendebatte ist eines meiner bevorzugten Themen «Ronaldo oder Messi». Ich bin im Messi-Camp. Jetzt sind beide ausgeschieden, die WM ist langweilig geworden, und Ronaldo hat mit seinem Hattrick gegen Spanien in der Vorrunde die bessere Figur gemacht. Aber eigentlich hat er am Tag des Spanien-Matches mit Messi lediglich gleichgezogen.

An eben diesem Freitag wurde nämlich bekannt, dass Ronaldo in einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung eine Strafzahlung von 18,8 Millionen Euro und eine bedingte Gefängnisstrafe von zwei Jahren ausgehandelt hat. Messi wurde schon 2017 in einem ähnlich gelagerten Fall zu 21 Monaten bedingt und 3,7 Millionen Euro Busse verurteilt. Offenbar ist für Weltfussballer die Steuerhinterziehung eine schlechthin unwiderstehliche Verlockung. Noch etwas weiter zurück liegt das Steuerverfahren gegen ihren brasilianischen Berufskollegen Neymar (der sich gestern auch aus der WM verabschiedet hat). Das wirft vor allem eine Frage auf: Wie kann man nur so blöd sein?

Natürlich ist es nachvollziehbar, dass die Grossverdiener ihre Steuerrechnung optimieren wollen und dass sie ihre Dutzenden Millionen Werbegelder am liebsten vollständig in den Vermögensaufbau stecken. Es ist auch die Annahme plausibel, dass Spitzenfussballer zwar nicht besonders amoralische, aber auch nicht besonders moralische Menschen sind. Doch hätten sie sich nicht ausrechnen können, dass der spanische Fiskus genau hinsehen wird? Lohnt es sich, für so einfach verdientes Geld so massive Justiz- und Reputationsrisiken auf sich zu nehmen? Und wie kommen die hart trainierenden Spitzensportler überhaupt dazu, zu den geheimen Nutzniessern von anonymen Trusts, Briefkastenfirmen und virtuosen Offshore-Konstrukten zu werden?

Die Antwort dürfte lauten: Die Grossverdiener lassen sich auf Offshore-Konstrukte ein, weil es nach wie vor eine hochprofessionelle, sehr effiziente Dienstleistungsbranche gibt, deren Kerngeschäft genau darin besteht, solche virtuosen Konstrukte an den Mann zu bringen. Das jedenfalls ist der Schluss, den Gabriel Zucman, Professor an der Universität Berkeley und einer der weltweit führenden Experten für Steuerhinterziehung und Offshore-Vermögen, aus dem Steuerfall Cristiano Ronaldo zieht. Bussen, auch hohe Bussen, sagt Zucman, sind wirkungslos als Massnahmen gegen die Hinterziehungsindustrie. Sie werden von den in dem Geschäft engagierten Banken als Betriebskosten vorab einkalkuliert. Das Einzige, was wirken würde, wäre der Entzug der Lizenz.

Fussball-Weltstars sind emblematisch für die Wirtschaftsverhältnisse in Zeiten der Globalisierung. Nicht nur, weil sie sich auf jedem beliebigen Kontinent an den Meistbietenden verdingen. Nicht nur, weil sie für die Winner-takes-it-all-Ökonomie stehen. Sie repräsentieren auch auf groteske Weise den habitualisierten Steuerbetrug einer globalen Reichtumselite. Ganz offensichtlich haben sich diese Gewohnheiten nicht verändert.

Das ist besonders irritierend, weil wir in Bezug auf globale Transparenzstandards, Informationsaustausch und Offshore-Banking eigentlich in einer Übergangsphase sind. Die Schweiz befindet sich seit anderthalb Jahren im Prozess der Einführung des automatischen Informationsaustausches mit gegen achtzig Staaten und Territorien. Das ist ein signifikanter Fortschritt, ohne Zweifel. Dennoch nimmt das Volumen des Offshore-Kapitals immer weiter zu. Es liegt gemäss Zucmans Berechnungen, die auf Zahlen der SNB und der BIZ beruhen, in der Schweiz momentan bei über 2,2 Billionen Dollar.

Rückläufig sind die Marktanteile des Schweizer Offshore-Standortes im globalen Vermögensverwaltungsgeschäft. Das liegt jedoch hauptsächlich daran, dass die asiatischen Finanzzentren Hongkong und Singapur explosionsartig wachsen. Rückläufig ist auch das Volumen der Gelder, die direkt aus den benachbarten EU-Ländern auf Schweizer Konten fliessen. Allerdings liegt völlig im Dunkeln, wie viel Schwarzgeld mit europäischem Ursprung noch immer in die Schweiz gelangt. Über sechzig Prozent des Schweizer Offshore-Kapitals stammen mittlerweile aus Steuerparadiesen wie den Cayman Islands. Wer seine realen Nutzniesser sind und ob sie aus Europa oder den USA stammen, weiss niemand. Es ist für Europäer teurer geworden, ihr Schwarzgeld anonym in der Schweiz zu platzieren. Unmöglich ist es mitnichten.

Unmittelbar nach der Finanzkrise wollte man glauben, dass weltweit neue Transparenzstandards durchgesetzt würden. Die USA haben die Herausgabe von UBS-Kundendaten durchgesetzt, die EU hat den automatischen Informationsaustausch erzwungen. Das Bankgeheimnis schien Geschichte zu sein. Inzwischen herrscht Ernüchterung.

Die USA haben sich zu einem der wichtigsten Offshore-Zentren gemausert und geben die Informationen, die sie von anderen Ländern einfordern, selber nicht heraus. Es ist schwer vorstellbar, dass Trump an dieser Politik etwas ändern wird. Die Europäer praktizieren zwar den Informationsaustausch. Aber solange die Möglichkeit besteht, die Begünstigten von Geldanlagen zu verschleiern, hat der Informationsaustausch nur eine begrenzte Wirkung. Drittwelt- und Schwellenländern gegenüber wird der Informationsaustausch von der Schweiz gar häufig verweigert.

Ronaldo oder Messi? Es sind beide ausgeschieden. Schweiz mit, Schweiz ohne Bankgeheimnis? Auf diesem Unterschied sollten wir insistieren. Aber er dürfte bescheidener bleiben, als man hätte hoffen können.

Debatte: Diskutieren Sie mit Daniel Binswanger

Stimmen Sie mit seinen Einschätzungen überein, oder erscheinen Ihnen seine Argumente nicht schlüssig? Sind bestimmte Ausgangshypothesen falsch? Entbrennt in Ihnen heftiger Widerspruch? Und welche Themen vermissen Sie in seiner Kolumne? Hier geht es zur Debatte.

Illustration Alex Solman