Basel will jetzt für alle da sein
Mit Wohnungen im oberen Preissegment wollte die Stadt Basel gute Steuerzahlerinnen anlocken. Nun hat der Wind gedreht: Soziale Durchmischung heisst das neue Zauberwort in der Wohnbaupolitik. Doch zu steuern, wer in eine Stadt zieht, ist gar nicht so einfach.
Von Bettina Hamilton-Irvine, 19.06.2018
Die Grossmutter trägt ein Baguette unter dem Arm, der Enkel Tommy Hilfiger. «Nicht anfassen», sagt sie zum Kleinen, der die Blumen in einem sorgfältig manikürierten Rabättli bestaunt. Jogger und Velofahrerinnen ziehen an der Promenade vorüber. Dahinter wälzt sich etwas gelangweilt der Rhein durch die Stadt.
Die Bilderbuchidylle ist typisch für die Gegend. Viel edler als im Wettsteinquartier kann man in Basel nicht wohnen. Seit 2014 stehen hier auf dem Gelände des alten Kinderspitals vier mächtige Gebäude, die Fassaden in dunkles Holz gekleidet: die Riva-Wohnungen. Auf den Balkonen geben Rattanmöbel, Terrakotta-Töpfe und balinesische Skulpturen Aufschluss über die Vorlieben der Bewohnerinnen. Man legt Wert auf stilvolles Ambiente. Die Rosen im Garten duften süsslich, eine gut genährte Katze räkelt sich auf einem Tagesbett, irgendwo wartet ein weiss gedeckter Tisch.
Als das Spital 2011 wegzog, hinterliess es etwas, was in Städten häufig Mangelware ist: Platz. Der Kanton beschloss, auf dem Areal für «differenzierten, hochwertigen Wohnraum im gehobenen Wohnsegment» zu sorgen. Sprich: Wohnraum für wohlhabende Menschen, der gute Steuerzahlerinnen anlocken sollte. Die Preise: 930’000 bis 2,14 Millionen Franken für eine Eigentumswohnung, 3000 bis 4600 Franken monatlich für eine 4,5-Zimmer-Mietwohnung.
Doch der Run auf die Wohnungen blieb aus. Ein knappes Jahr nach Verkaufsstart waren erst 3 der 25 Eigentumswohnungen verkauft, 4 reserviert. Auch ein Drittel der 61 Mietwohnungen war noch zu haben. Basel sei halt kein gutes Pflaster für Luxuswohnungen, sagte damals Michel Molinari, Immobilienverbands-Präsident beider Basel, zur «bz Basel».
Bloss keine «Monokultur»
Heute sind alle Riva-Wohnungen verkauft oder vermietet. Aber die Zeiten, in denen Basel die Stadtkasse mit wohlhabenden Zuzügerinnen aufpäppeln wollte, sind vorbei. Die Wohnpolitik gehorcht einem neuen Credo. Kantons- und Stadtentwickler Lukas Ott vermeidet zwar den Begriff Strategiewechsel. Doch er räumt ein: «Unser Ziel ist eine möglichst gut durchmischte Bevölkerung.» Man wolle, wie übrigens auch bei den Arbeitsplätzen, «keine Monokultur». Besonders wichtig sei es daher auch, bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Dafür gibt es einen guten Grund. Um diesen zu verstehen, muss man zuerst einen Blick zurück werfen.
Basel erlebte nach 1970 eine jahrzehntelange, kontinuierliche Abwanderung. Arbeitsplätze und Verkehr nahmen zu, doch vor allem Besserverdiener-Familien zogen weg, in die Vororte, den «Speckgürtel». So lebten im Jahr 2000 fast 50’000 Personen weniger im Kanton Basel-Stadt als zu seinen besten Zeiten. Die Bevölkerung war zwischen 1970 und der Jahrtausendwende von einst 235’000 auf 188’000 Personen geschrumpft. Der Speckgürtel hingegen wucherte.
Der Wirtschaftsmotor brummt in Basel
Die Wende trat erst 2005 ein. Innerhalb eines Jahrzehnts sind rund 20’000 neue Arbeitsplätze entstanden – «nicht nur in der Pharma», wie Stadtentwickler Ott betont. Vor allem die Personenfreizügigkeit habe eine starke Rolle gespielt – und die Tatsache, dass sich Basel ziemlich schnell von der Finanzkrise erholt habe. «Heute ist Basel und nicht mehr Zürich der Wirtschaftsmotor der Schweiz», sagt Ott.
Unterstützung für diese These erhält er von Experten. Gemäss den aktuellsten Prognosen traut das Forschungsinstitut BAK Economics dem Standort Basel dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent zu – während Zürich mit 2,4 Prozent ungefähr im Schweizer Schnitt liegt. «Basel ist im Moment die dynamischste Region der Schweiz», sagt BAK-Chefökonom Martin Eichler. «Daran wird sich auch in den kommenden Jahren nichts ändern.»
Und die florierende Wirtschaft zog auch wieder Menschen an: Im vergangenen Jahrzehnt sind in Basel erstmals wieder mehr Personen zu- als weggezogen. 10’000 waren es, ein halbes Prozent pro Jahr. Das ist wenig im Vergleich zu anderen Kantonen – was damit zu tun hat, dass Basel zwar gut darin ist, Arbeitsplätze zu generieren. Beim Wohnraum hingegen hapert es. Freie Wohnungen sind rar: Nur gerade 0,5 Prozent sind im Moment zu haben. Das sind noch weniger als in Zürich, wo der Leerstand immerhin 0,9 Prozent beträgt.
Frankreich
Basel Stadt
Deutschland
Bahnhof SBB
Klybeck-Quartier
Wettstein-Quartier
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Basel Stadt
Deutschland
Bahnhof SBB
Klybeck-Quartier
Wettstein-Quartier
Basel braucht ihn dringend, den neuen Wohnraum. Ott spricht von einem «Delta», das nicht grösser werden soll. «Sonst bezahlen wir dafür mit mehr Verkehr und dem Verlust von Wohnqualität.» Bereits heute pendeln 100’000 Menschen zum Arbeiten in die Stadt, über 10’000 sind in den letzten 10 Jahren dazugekommen.
Bis im Jahr 2035 will Basel deshalb Wohnraum für zusätzliche 20’000 Einwohnerinnen schaffen. Bezahlbar sollen sie obendrein sein, die Wohnungen. «Das Ziel ist sehr ambitioniert», sagt Ott. Doch Basel hat ein As im Ärmel.
Die grosse Chance
Dieses As präsentiert sich im Moment noch etwas unscheinbar. Stellenweise sogar richtig verlottert: versprayte Backsteinwände, eine verbarrikadierte Zufahrt, dahinter ein Strässchen, aus dessen Rissen das Unkraut wächst, ein eingeschlagenes Fenster. «Do something for the people!» steht in wütenden Buchstaben auf einer Wand. Für die «People» werden hier Wohnungen geplant.
«Transformationsareal» heisst das im Stadtplaner-Slang. Und das Areal Klybeck Plus im Norden der Stadt ist das grösste davon: 30 Hektaren misst es, was 42 Fussballfeldern entspricht. Einst war hier die Industrie daheim, doch die ist weg. Auch viele Büro- und Laborräume stehen leer. Die Grundeigentümerinnen Novartis und BASF haben sich deshalb mit dem Kanton Basel-Stadt zusammengetan, um die Zukunft des Areals zu planen. In den nächsten 30 Jahren soll hier ein komplett neuer Stadtteil entstehen.
Klybeck ist nicht das einzige Basler Industrieareal, das frei wird. Zählt man Walkeweg, Lysbüchel, Wolf, Dreispitz und das Hafenareal dazu, können in den nächsten Jahren mehr als 110 Hektaren neu bebaut werden. «Keine andere Schweizer Stadt verfügt derzeit gegen innen über ein solches Potenzial», sagt Stadtentwickler Ott.
Für ihn sind die Transformationsareale die grosse Chance für Basel. Über sie will der Kanton Einfluss nehmen: Drei davon sind ganz oder teilweise in seinem Besitz, auch bei den anderen ist er involviert. Ott erklärt, was der Vorteil ist: Während Zürich weitgehend gebaut ist, hat Basel Landreserven, auf denen etwas Neues entstehen kann. Das nimmt den Druck von bestehenden Wohngebieten, aus denen die Menschen nicht verdrängt werden. «So sorgen wir für gute Durchmischung und vermeiden Gentrifizierung», sagt Ott. Die angestrebte soziale Durchmischung, die laut Ott zentral ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, will Basel unter anderem mit Genossenschaftsbauten erzielen. Bereits in den letzten Jahren habe man diesen mehr Aufmerksamkeit geschenkt, sagt er: «Genossenschaften erleben im Moment einen zweiten Frühling.»
Das «grosse Missverständnis»
Doch reicht es, Genossenschaften ins Boot zu holen, um für soziale Durchmischung zu sorgen? Stefan Kurath warnt davor, das Thema des günstigen Wohnraums einfach an Genossenschaften zu delegieren. Der Architekt und Leiter des Instituts Urban Landscape an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften spricht in diesem Zusammenhang von einem «grossen Missverständnis»: Genossenschaften hätten nicht per se das Ziel, Wohnraum für Wenigerverdienende bereitzustellen – sondern für sich selber. «Daher wohnen dort oft auch Gutverdienende und eher Schweizer», sagt er.
Das Soziale an Genossenschaften sei vielmehr, dass das Wohnen gemeinschaftlich organisiert und selbstverwaltet werde. Die öffentliche Hand hingegen unterstütze Genossenschaften generell, weil sie günstigen Wohnraum schaffen wolle. «Dieser kommt dann aber nicht automatisch finanzschwachen Bürgern zugute, sondern den Genossenschaften.» Die öffentliche Hand sei hier teilweise etwas naiv.
Dass der Staat günstigen Wohnraum schaffe, sei aber auf jeden Fall wichtig: «Für hochpreisigen sorgt bereits der Markt.» Und um das zu erreichen, sei der erste Schritt, dass Gemeinden oder Kantone Land zu günstigen Konditionen abgeben. Aber als zweiten Schritt müssten sie zwingend rechtlich verbindliche Bedingungen stellen und diese vor allem auch kontrollieren. Denn: «Einfach günstigen Wohnraum fordern und die Umsetzung dann den Genossenschaften übertragen funktioniert nicht.»
Kurath glaubt aber auch, dass Politiker vor allem dann nach sozialer Durchmischung rufen, wenn es zum Zeitgeist passt. So habe auch Winterthur vor ein paar Jahren auf die guten Steuerzahlerinnen gesetzt und sei nun auf die Familien umgeschwenkt, um den sozialen Ausgleich zu wahren.
Eine träge Angelegenheit
Bleibt die Frage, ob es überhaupt funktionierende Ansätze gibt, um zu steuern, wer in eine Stadt zieht. Ein Mann, der sich mit dem Thema auseinandergesetzt hat und zudem die Situation in Basel gut kennt, ist Stefan Meier von der Immobilienberatungs-Firma Wüest & Partner. Seine Meinung dazu: Man kann steuern. Aber es ist schwierig. Und es dauert.
«Eine Stadt kann die Bevölkerungsdurchmischung nur beschränkt beeinflussen», sagt Meier. Am besten funktioniere das über stadteigene Liegenschaften: Hier seien die frei werdenden Industrieareale eine grosse Chance für Basel. Auch die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus hält Meier für ein taugliches Mittel. Oder privatrechtliche Sonder-Bauvorschriften: Investoren dürfen dabei auf einem Areal mehr Wohnungen bauen als vorgesehen. Als Gegenleistung müssen sie preiswerten Wohnraum bieten. «Insgesamt ist das alles aber eine relativ träge Angelegenheit, die meist erst über mehrere Amtsperioden hinweg die gewünschte Wirkung entfaltet», sagt er.
Einer, der gar nicht glaubt, dass die Pläne des Kantons den Baslerinnen etwas bringen werden, ist Beat Leuthardt. Der Co-Geschäftsleiter des Mieterverbands Basel spricht von «offizieller Propaganda der Regierung». Er räumt zwar ein, dass der Kurs in den letzten Jahren tatsächlich etwas korrigiert worden sei: Man habe die reine Unterstützung der guten Steuerzahler ausgeweitet auf die Genossenschaften. Doch geschehe das vor allem auf Druck von aussen: «Wer glaubt, mit einer hauptsächlich auf den Markt ausgerichteten Strategie für Durchmischung zu sorgen, verkennt die Situation.»
Rückenwind bekommt Leuthardt vom Stimmvolk. Es hat überraschenderweise alle vier Mietvorlagen angenommen, über die der Stadtkanton diesen Monat abgestimmt hat. Drei davon stammten aus der Feder des Mieterverbands. Für Beat Leuthardt ist damit klar: «Die Wohnpolitik der Basler Regierung ist am Ende, es braucht nun einen Richtungswechsel.»
Wie die einzelnen Initiativen umgesetzt werden, ist allerdings zumindest teilweise noch unklar. So fordert eine, «dass der Staat den Erhalt von bestehendem bezahlbarem Wohnraum fördert». Das heisst: Wenn eine Wohnung renoviert, umgebaut oder abgebrochen wird, muss bei der Bewilligung auch der neue Mietzins kontrolliert werden.
Vertrackt dürfte aber vor allem die Umsetzung der Initiative «Recht auf Wohnen» werden. Sie verlangt, dass alle Personen, die in Basel angemeldet sind, eine Wohnung finden, die ihrem Bedarf entspricht und die sie sich leisten können. Wie das geschehen soll, darüber herrscht noch allgemeine Ratlosigkeit. Die Annahme der Initiative zeigt aber: Das Thema «bezahlbarer Wohnraum» ist in der Basler Mittelschicht angekommen.
Die Basler Regierung steht nun vor einer Herkulesaufgabe. Sie muss für bezahlbare Wohnungen sorgen, und das nicht zu knapp. Dabei hat sie zwar etwas, von dem andere Schweizer Städte nur träumen können: die vielen frei werdenden Flächen. Doch wenn es ihr wirklich ernst ist mit dem Ruf nach sozialer Durchmischung, reicht guter Wille nicht. Sonst sind die heutigen Enkel im Tommy-Hilfiger-Gwändli morgen die Einzigen, die noch unbeschwert an den Blumen schnuppern mögen. Während die C&A-Einkommensklasse auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung längst im Speckgürtel gelandet ist. Oder drüben, im Elsass oder in Lörrach. Wo heute schon Pendlerinnen wohnen, denen Basel viel zu teuer ist.