In der zweiten Reihe steigen die CEO-Löhne
Die Lohnspirale in der Teppichetage der grössten Schweizer Konzerne wurde gebremst. Dafür wachsen die Saläre der Chefs von kleinen und mittelgrossen Firmen rasant.
Von Simon Schmid, 18.06.2018
Am 3. März 2013 hat das Schweizer Stimmvolk die Abzocker-Initiative angenommen. Zwei Drittel aller Stimmenden legten damals ein Ja in die Urne, um ein Zeichen gegen die ausufernden Managergehälter und die Selbstbedienungsmentalität in den grössten Unternehmen zu setzen.
Es war die Zeit, als der Chef der Credit Suisse, Brady Dougan, mit einem Lohnpaket über 70 Millionen Franken Schlagzeilen schrieb und der abtretende Novartis-Chef Daniel Vasella eine Abgangsentschädigung in ebensolcher Höhe erhielt.
Haben die Firmen die Botschaft gehört und ihre Praktiken angepasst?
Daten, die das Beratungsunternehmen HCM International ausgewertet hat, zeigen eine gespaltene Entwicklung.
Die grössten Firmen haben die Lohnspirale tatsächlich gebremst. Die bestbezahlten Chief Executive Officers (CEO) verdienen heute typischerweise etwas weniger als vor der Abzocker-Initiative.
Dafür sind die Saläre der CEOs von Firmen aus der zweiten und dritten Reihe umso stärker gewachsen – sie sind heute höher als vor der Initiative.
Wie unterschiedlich die Lohntrends in der ersten, zweiten und dritten Garde der an der Schweizer Börse kotierten Firmen sind, wird in einer Grafik deutlich. Sie zeigt den Medianlohn der Chefs von drei verschiedenen Firmengruppen: den 20 grössten, im Marktindex SMI vereinigten Firmen; von 28 mittelgrossen, im SMIM-Index versammelten Firmen; sowie einer Auswahl von 50 weiteren im SPI-Index vertretenen «Small- und Mid-Caps».
Während die Saläre in der ersten, grössten Firmengruppe zwischen 2011 und 2017 gemessen am Medianwert um rund 10 Prozent fielen, stiegen die Saläre in den beiden anderen, kleineren Gruppen jeweils um über 20 Prozent an.
Gemäss den Daten von HCM werden die Topshots der Schweizer Wirtschaft bei Credit Suisse & Co. also typischerweise nicht mehr ganz so fürstlich bezahlt wie früher. Im Gegenzug streichen die Chefs von mittelgrossen Firmen mehr Lohn ein. Wie erklären sich diese Trends?
Mehrere Faktoren dürften dafür verantwortlich sein.
Erstens gibt es in der zweiten und dritten Reihe viele Unternehmen, die stark wachsen – also an Umsatz oder Gewinn zulegen. Mit der Firmengrösse nimmt typischerweise auch die Vergütung der CEOs zu. Dieser Effekt erklärt zu einem gewissen Teil, warum die Chefs der kleinen und mittelgrossen Firmen im Mittel mehr verdienen als vor sechs Jahren, während bei den grössten Unternehmen die Cheflöhne nicht weiter gestiegen sind. Etwas nach oben verzerrt werden die Zahlen bei den Small- und Mid-Caps auch dadurch, dass die Firmenauswahl in den Jahren 2011 und 2017 nicht identisch ist.
Zweitens hat nach Ansicht von Experten die Volksinitiative «Gegen die Abzockerei» eine Rolle gespielt. Das Vergütungswesen ist transparenter geworden: Verwaltungsräte vergleichen ihre Salärpolitik eher mit anderen Firmen – mit der Folge, dass sich die grössten Firmen stärker am Durchschnitt orientieren und ihre Saläre etwas nach unten korrigieren, während die mittelgrossen Unternehmen öfter die grössten Firmen zum Vorbild nehmen.
Kleinere Unternehmen zahlen grössere Boni
Die kleinen und mittelgrossen Unternehmen wollen also bei der Vergütung vermehrt in der obersten Liga mitspielen. Das bestätigt sich, wenn man nebst der Gesamthöhe auch die Zusammensetzung der CEO-Vergütung betrachtet. Diese umfasst meist ein Basissalär sowie einen kurzfristigen (sofort ausbezahlt) und einen langfristigen Bonus (mehrere Jahre gesperrt).
Wie die Zahlen von HCM International zeigen, setzen die kleineren und mittelgrossen börsenkotierten Firmen heute stärker auf Boni als früher. Besonders die langfristige, variable Vergütung hat einen grösseren Stellenwert erhalten: Small- und Mid-Cap-Firmen richten ihren CEO heute typischerweise 80 Prozent höhere Langfrist-Boni aus als noch vor sechs Jahren. Auch unter den Firmen im SMIM-Index weisen die langfristigen Boni das grösste Wachstum aller Lohnkomponenten auf.
Das Beratungsunternehmen HCM International hat Daten für diesen Beitrag ausgewertet. Ausgewiesen wird die in einem Jahr zugeteilte Höhe der Gesamtdirektvergütung. Pensionszahlungen und Nebenleistungen sind nicht inbegriffen. Die berechneten Zahlen beziehen sich auf den Medianwert innerhalb einer Firmengruppe (ein Median von 5 Millionen Franken unter den 20 Firmen im SMI bedeutet, dass 10 Firmen einen höheren Lohn und 10 Firmen einen niedrigeren Lohn bezahlen). Der Durchschnitt ist als Indikator ungeeignet, weil er anfällig auf Ausreisser ist. Die Marktkapitalisierung der SMI-Firmen reicht von 12 bis 261 Milliarden Franken. Die SMIM-Firmen weisen eine Marktkapitalisierung zwischen 2,5 und 24 Milliarden Franken und die Small- und Mid-Caps eine Marktkapitalisierung von knapp 1 bis 6,5 Milliarden Franken auf.
Dass auch die mittelgrossen und kleinen Konzerne heute mehr mit variablen Vergütungsbestandteilen operieren als früher, kann man grundsätzlich positiv bewerten. Damit wird das Salär, das ein Unternehmenschef nach Ablauf seiner Bonus-Sperrfrist effektiv erhält, stärker an dessen tatsächliche Leistung im betreffenden Jahr geknüpft.
Etwas kontraintuitiv erscheint dagegen das starke Wachstum der kurzfristigen Boni bei den grössten Firmen im SMI: Diese Lohnkomponente müsste gemäss den Regeln bei guter Unternehmensführung eigentlich sinken zugunsten von eher langfristigen Vergütungsbestandteilen.
So ergibt sich fünf Jahre nach der Abzocker-Initiative ein durchzogenes Fazit. Darben muss wohl kein CEO in der Schweiz, wie der Vergleich mit der Gesamtbevölkerung zeigt. Gemäss dem Bundesamt für Statistik sind die Nominallöhne in der Schweiz zwischen 2011 und 2017 um knapp 4 Prozent gewachsen. Das ist deutlich weniger als das 22-prozentige Lohnwachstum der CEO von kleinen und mittelgrossen Firmen – selbst wenn man annimmt, dass ein gewisser Teil davon auf Verzerrungen in der Datenauswahl von HCM zurückgeht.
Fast unbemerkt von der öffentlichen Wahrnehmung hat sich die Salärspirale unter den CEO also weitergedreht – nur nicht bei den ganz grossen, sondern bei den mittleren und den kleineren Unternehmen in der Schweizer Wirtschaftslandschaft.
Was verändert sich auf die lange Sicht?
Hat die Abzocker-Initiative die gewünschte Wirkung erzielt? Oder herrscht unter den Chefs der Schweizer Firmen weiterhin eine Selbstbedienungsmentalität? Diskutieren Sie im Forum der Rubrik «Auf lange Sicht».