Italienische Parallelaktion
Am EU-Gipfel Ende Juni soll der Europäische Währungsfonds beschlossen und die Bankenunion ausgebaut werden. Doch Merkel und Macron wahren nur noch den Schein. Und Italien könnte den Abgang vorbereiten.
Von Daniel Binswanger, 09.06.2018
Die Badesaison ist eröffnet, die Ferienzeit kündigt sich an. Ich fühl mich schon jetzt wie im Italienurlaub. Im Sommer 2012 war ich in Italien und las gleichzeitig die italienische und die deutsche Presse. Der «Spiegel» schrieb über faule Südländer, «Repubblica» über tyrannische Deutsche. Man hatte den Eindruck, die Medien der beiden Länder gehörten nicht zum selben Wirtschaftsraum, sondern zu verfeindeten Planeten.
Jetzt nähern wir uns wieder diesem Punkt. Die öffentlichen Meinungen der Eurozone werden von starken Fliehkräften erfasst. Nur verläuft der entscheidende Graben momentan zwischen Deutschland und Frankreich.
Angela Merkel hat am letzten Sonntag auf Emmanuel Macrons Sorbonne-Rede geantwortet – mit sieben Monaten Verspätung. Die Macron-Rede vom letzten Herbst war, wenn nicht ein Heirats-, so mindestens ein Verlobungsantrag. Der Bräutigam hatte sich herausgeputzt, seine Reformfähigkeit und Tugend unter Beweis gestellt. Aber wie sind die Chancen eines Lebensbundes, bei der die angebetete Angela sich sieben Monate Zeit lässt, bloss um eine Antwort zu geben? Und die nach Ablauf dieser endlosen Bedenkzeit zwar Ja sagt, aber so viele Vorbehalte und Bedingungen macht, dass es kaum zu unterscheiden ist von einem Nein?
Erneut scheinen die öffentlichen Meinungen der EU-Länder in unterschiedlichen Universen zu siedeln. Sicherlich: Ganz so aufgeheizt wie 2012 ist die Atmosphäre vorderhand nicht, weder an den Anleihemärkten noch in der öffentlichen Debatte. Doch der Sommer ist noch lang.
In Deutschland werden Befürchtungen laut, Merkel könne sich mit ihrer Antwort auf eine Schuldenunion zubewegen. Eine Gruppe von 154 deutschen Ökonomen hat in einem öffentlichen Manifest die Unantastbarkeit des «Haftungsprinzips» verteidigt. In Frankreich hingegen ist man über die Zögerlichkeit der Kanzlerin entsetzt. Wenn das die deutsche Annäherung sein soll, bleibt jenseits des Rheins nur eine Folgerung: «Wirtschaftliche Konvergenz» ist zwar das Losungswort der Kanzlerin. De facto aber bröckelt der gemeinsame Boden.
Macron möchte ein EU-Budget von mehreren hundert Milliarden Euro. Die Kanzlerin will ihm lediglich einen «tiefen zweistelligen Milliardenbetrag», also zehn Mal weniger, zugestehen. Macron möchte, dass Investitionen auch jenseits von drakonischen «Strukturreformen» möglich sind, auf Entscheid einer unabhängigen EU-Behörde. Für Deutschland ist das ein No-go. Macron möchte, dass die EU über autonome Fiskalkompetenz verfügt. Die Nordländer verweigern das kategorisch – und haben kommuniziert, dass eine Steigerung ihrer Beiträge zum EU-Budget nicht infrage komme. Macron gilt als der letzte Hoffnungsträger der EU – und wird auf ganzer Linie zurückgewiesen. Merkel bemüht sich, den Schein zu wahren. Gerade noch.
Aber das ist noch nicht einmal das Hauptproblem. Die Mutter aller Schlachten ist die Bankenunion. Deutschland zögert, taktiert, sagt, es sei noch zu früh. Doch das sind lediglich Ausflüchte. Das Allerletzte, was Nordeuropa heute will, sind gemeinschaftlich abgesicherte Banken. Dass am EU-Gipfel Ende Juni theoretisch die Bankenunion vollendet werden soll, ist von bitterer Ironie. Die Nordeuropäer werden den Teufel tun, die italienischen Banken zu sichern.
Denn die Banken sind die Achillesferse der bankrottgefährdeten Staaten. Als die Griechenlandkrise losging, sagten viele Kommentatoren: Die griechische Lage ist so verzweifelt, dass das Land zwangsläufig seine Schulden nicht mehr bedienen wird, sobald es wieder einen Primärüberschuss erwirtschaftet, das heisst, sobald es sich selber tragen kann, wenn es keine Schuldzinsen mehr bezahlt. Sie haben sich getäuscht, denn sie haben nicht bedacht, welche vernichtende Waffe die Europäische Zentralbank (EZB) gegen undisziplinierte Schuldner einsetzen kann: die Zerstörung des nationalen Bankensystems.
Als Griechenland 2015 über den Grexit abstimmte, legte die EZB die griechischen Banken lahm – und die Drohung wirkte sofort. Die Schuldnerstaaten sind den Gläubigern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Nicht weil sie immer frisches Geld brauchen würden. Sondern weil ihr Finanzsystem eine Staatspleite nicht überleben würde – mit dramatischen Folgen für die gesamte Volkswirtschaft.
Auch in Italien sind die Banken in Geiselhaft der EZB. Es mag ein Zufall sein, dass im Mai die EZB-Ankäufe von italienischen Staatsanleihen im Verhältnis zu anderen Euro-Bonds auf einen Tiefststand gefallen sind. Dass es dazu beigetragen hat, die Zinsunterschiede zwischen deutschen und italienischen Anleihen nach oben zu treiben, ist jedoch unbestreitbar. Italien ist gewarnt: Sollte es den Austeritätspakt nicht mehr respektieren, wird ihm die Zentralbank den Geldhahn zudrehen – und in Kauf nehmen, dass die italienischen Banken zusammenbrechen.
Was wird nun in Italien geschehen? Nicht unplausibel ist, dass die Regierung sich zügig an die Vorbereitung einer Parallelwährung macht, an die Einführung der sogenannten Mini-Bots, die im Koalitionsprogramm von Lega und Cinque Stelle figuriert. Es könnte der entscheidende Move werden im kommenden Pokerspiel zwischen der italienischen Regierung und den EU-Institutionen. Wenn die italienische Regierung bloss die Drohkulisse einer Staatspleite aufbaut, dürfte sie letztlich am kürzeren Hebel sitzen. Wenn sie aber ein glaubwürdiges Szenario entwickelt, wie sie ihre Schulden in einer nationalen Währung denominiert, hat das übrige Europa ein Problem.
Italien könnte sich dann aus der Schuldenfalle herausinflationieren und über eine Abwertung die Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen. Aber die ausländischen Gläubiger, die mit über 500 Milliarden in Italien investiert sind (allein die französischen Banken mit über 300 Milliarden), hätten massive Währungsverluste zu tragen. Zwar wäre auch für Italien ein Euroausstieg äusserst risikoreich. Aber wenn es gelingt, eine Parallelwährung einzuführen, wird er denkbar.
Die Ferienzeit ist angebrochen. Es dürfte ein heisser Sommer werden.
Illustration Alex Solman
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