Die zwei Gesichter der Betsy DeVos

Trumps umstrittene Bildungsministerin sprach in Winterthur – und überraschte.

Von Mona Fahmy, 08.06.2018

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Theater Winterthur, 7. Juni 2018. Es ist bewölkt. Zwei Security-Mitarbeiterinnen stehen am Eingang, weitere scannen die Ausweise der Teilnehmenden des 3. Internationalen Berufsbildungskongresses. Typisch schweizerisch unaufgeregt, trotz hohen Besuchs aus den USA. Auf Einladung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation tritt US-Bildungsministerin Betsy DeVos als Rednerin auf.

Ausgerechnet DeVos – die wohl umstrittenste Ministerin im Kabinett des wohl umstrittensten US-Präsidenten seit Jahrzehnten, eine überzeugte Befürworterin privater Schulen. «Ein Affront» sei die Einladung, protestierte die lokale SP im Vorfeld. DeVos verkörpere «eine Politik, die den Grundwerten der Schweiz diametral entgegensteht». Eine Politik der «gesellschaftlichen Spaltung».

Besuch aus den USA: Bildungsministerin Betsy DeVos links neben Bundesrat Johann Schneider-Ammann. Peter Würmli

DeVos hingegen liess in einer Medienmitteilung verlauten, sie freue sich auf «diese wichtige Gelegenheit, von europäischen Bildungsleadern zu lernen und Ideen auszutauschen», damit amerikanische Schülerinnen erfolgreicher würden. Die Schweiz, die Niederlande und Grossbritannien würden bei Pisa-Tests stets besser abschneiden als amerikanische Schüler. «Es gibt von unseren europäischen Kollegen viel zu lernen.»

Also ist DeVos nach Winterthur gereist (später geht es weiter in die Niederlande und nach Grossbritannien), um vor 500 Bildungspolitikerinnen, Entscheidungsträger und vor Bundesrat Johann Schneider-Ammann zu treten, der in seiner Eröffnungsrede betont, man könne bei den heutigen Bildungssystemen angesichts der Digitalisierung «nicht einfach einen Knopf drücken und sie an die aktuellen Umstände anpassen».

DeVos, in einem schlichten lavendelfarbenen Kleid, Goldketten um den Hals, passende Ohrringe, dezent geschminkt, tritt auf die Bühne, spricht – und überrascht. Mit erstaunlich offenen, progressiven, konstruktiven Worten.

Die Milliardärin

Elisabeth «Betsy» DeVos ist devote Christin, Mutter von vier Kindern, Grossmutter von fünf Enkelkindern und Multimilliardärin. Sie stammt aus reichem Haus. Ihr Bruder Erik Prince ist der Gründer der Söldnerfirma Blackwater USA, die wegen ihrer Aktionen im Irak mehrmals negativ in den Schlagzeilen war. Ihr Mann Richard DeVos ist der Sohn des gleichnamigen Mitbegründers von Amway, der grössten Direktvertriebsgesellschaft der Welt. Betsy DeVos und ihr Mann sollen 5,2 Milliarden Dollar besitzen.

Die Republikanerin aus Michigan und ihre Familie setzten ihr Geld schon immer ein, um politischen Einfluss zu gewinnen. DeVos soll 200 Millionen Dollar an Republikaner gespendet haben.

Seit Februar 2017 ist DeVos nun Bildungsministerin. Da sogar zwei Republikanerinnen im republikanisch dominierten Senat gegen sie stimmten, brauchte sie die Stimme des Senatsvorsitzenden, Vizepräsident Mike Pence, um ins Amt gewählt zu werden. Ein Novum in der Geschichte der USA.

Sie ist nicht nur die reichste und eine der kontroversesten Personen in Trumps Kabinett. Manche betrachten die Bildungsministerin sogar als die «gefährlichste und destruktivste, seit der Posten 1979 von Jimmy Carter geschaffen wurde», wie der britische «Guardian» schreibt.

Von staatlicher Regulierung hält DeVos nichts. Öffentliche Schulen sieht sie als «Sackgasse». Sie befürwortet «Vouchers»: Eltern sollen Staatsgutscheine bekommen und damit ihre Kinder auf eine Schule ihrer Wahl schicken. Am ehesten auf eine sogenannte Charterschule, eine Privatschule, die öffentliche Gelder erhält – aus dem Budget öffentlicher Schulen.

In den USA hat dieses Programm eine leidvolle Geschichte. Als 1954 das Oberste Gericht Rassentrennung in Schulen für illegal erklärte, schickten Weisse ihre Kinder mit Staatsgutscheinen an Privatschulen, während die dunkelhäutigen Schüler in öffentlichen Schulen blieben, denen die nötigen Ressourcen fehlten.

Die Kontroversen

Schlecht weg kam Betsy DeVos nach der Ausstrahlung eines CBS-Interviews im März. Interviewerin Lesley Stahl sprach DeVos unter anderem auf die Schulsituation in Michigan an, wo DeVos massgeblich dazu beigetragen hatte, dass Kinder mit Staatsgutscheinen Charterschulen besuchen können. Mit verheerenden Folgen. Waren die Kinder zuvor im Vergleich mit den anderen Bundesstaaten beim Lesen auf Platz 28 und beim Rechnen auf Platz 27 gelegen, belegten sie 2015 beim Lesen Platz 43 und beim Rechnen Platz 42.

Ob das wirklich das Rezept sei, das man national anwenden sollte? Und ob sie denn Schulen besucht habe, die schlecht abschnitten, fragte Stahl. Nein, sie habe nicht «absichtlich» Schulen besucht, die schlecht abschnitten, so DeVos. «Vielleicht sollten Sie das», forderte Stahl sie auf. DeVos: «Vielleicht sollte ich, ja.»

Zu jeder Kontroverse, die im öffentlichen amerikanischen Diskurs aufkommt, sagt Betsy DeVos zuverlässig etwas, mit dem sie sich Feinde schafft.

  • Zu Waffen tragenden Lehrpersonen: Sie könne sich zwar ihre Primarlehrerin nicht mit einer Waffe vorstellen, so DeVos. «Aber für die, die fähig sind, ist das eine Option.» Zuvor hat sie gesagt, Schulen in Wyoming könnten Waffen brauchen, um sich vor Grizzlybären zu verteidigen. Eine Schule in Wyoming richtete darauf via Medien aus, eine Umzäunung und Bärenabwehrspray täten den Job, während andere Schulen sich den Vorschlag zu Herzen nahmen und Waffen beantragten.

  • Zu Waffen an den Schulen: Beim Besuch der Schule in Parkland, Florida, wo ein Schulmassaker stattgefunden hatte, wich sie den Fragen der Schülerinnen aus. Vor dem Senat sagte sie, sie würde nicht untersuchen lassen, welche Rolle Waffen bei Gewalt an Schulen spielten.

  • Zu Richtlinien im Umgang mit sexuellen Übergriffen an Colleges: Klägerinnen sollten mehr Beweise vorlegen müssen, fand DeVos und machte Barack Obamas Verschärfungen rückgängig.

  • Zu Kindern illegaler Einwanderer: Sie kann keine klare Antwort geben, ob Schulen diese melden sollten. Obwohl ein Gesetz besagt, dass alle Kinder geschult werden müssen. Und die Einwanderungsbehörde es für falsch hält, in Schulen, Spitälern oder Kirchen durchzugreifen.

Und dennoch: Dass sie eine der meistgehassten Politikerinnen der USA ist, kann DeVos nicht nachvollziehen. Sie werde missverstanden. «Ich bin nicht sicher, wie das passiert ist. Aber ich denke, es gibt viele wirklich starke Kräfte, die gegen Wandel vereint sind», sagte sie im CBS-Interview.

Diese polarisierende Figur also tritt in Winterthur vor europäische Bildungspolitiker.

Die Überraschung

«10 vor 10»-Moderator Arthur Honegger begrüsst den Stargast mit einer Lobrede: Drei Jahrzehnte lang habe DeVos sich für bessere Bildung eingesetzt, «mit Leidenschaft und Entschlossenheit». Dankbar sei sie, hier sein zu dürfen, erwidert diese, man könne voneinander lernen.

Und dann sagt sie sehr vieles, was man von ihr nie erwartet hätte.

Etwa, dass zu viele Klassen nach veralteten Mustern unterrichtet würden und dem Wandel nicht Rechnung getragen werde. Kommunikation, Transport, viele Branchen hätten sich massiv verändert, das Unvorstellbare sei heute normal. Man müsse dafür sorgen, dass es weniger Armut gebe, bessere Bildung. «Kein Schüler ist Durchschnitt», sagt sie. Und: «Schüler müssen lernen, sich anzupassen, kritisch zu denken, kreativ zu sein. Sie müssen besser vorbereitet sein auf Berufe, die es noch nicht gibt.»

Sie redet von der Freiheit, anders zu lernen, zu versagen, Neues zu lernen. Sie erwähnt Malala Yousafzai, die ihr Recht auf Bildung in Pakistan vor den Taliban verteidigte und dafür schwer verletzt wurde. «Freiheit, zu lernen, ist das Recht jedes Menschen», so DeVos. Und endet mit: «Schüler sind hundert Prozent unserer Zukunft, wir sollten ihnen hundert Prozent unserer Bemühungen geben.»

Betsy DeVos – die Missverstandene? Oder lag es bloss am Skript einer guten Redenschreiberin, die weiss, was man in Europa hören will?

Bundesrat Schneider-Ammann gibt sich diplomatisch. Wenn die Schweiz einen Beitrag zu einer stabilisierten Welt leisten könne, dann gehe dieser Beitrag über die Bildung, die Beschäftigung und die damit einhergehende Stabilisierung von Gesellschaftskreisen. «Mit dieser Überzeugung habe ich überhaupt keine Mühe, eine amerikanische Administration, sei sie republikanisch oder demokratisch, zu unterstützen», sagt der Wirtschafts- und Bildungsminister.

Die Regierung Obama habe sich damals mit der Schweiz in Verbindung gesetzt und wollte mit Firmenchefs darüber sprechen, was es bringe, wenn man den Nachwuchs selber aufziehe – im berühmten Schweizer Lehrlingswesen. Obamas Leute hätten erste Massnahmen ergriffen. «Mit der Regierung Trump hat es nun angefangen», sagt Schneider-Amman, «und es sieht aus, als ob es eine Kontinuität geben könnte.»

Das Ziel der Schweiz ist klar: das duale Schweizer Bildungssystem, von dem Schneider-Ammann gern sagt, es sei «das Beste der Welt», in die Welt hinauszutragen.