Pokerface

Maureen Blöchlinger ist die beste Pokerspielerin der Schweiz. Sie sagt: Wer Leute auf nationale Online-Spielseiten zwingen will, hat den Markt nicht verstanden.

Von Olivia Kühni (Text) und Flórián Kalotay (Bilder), 04.06.2018

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Pokerface
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Smart, taktisch, wachsam: Maureen Blöchlinger, die beste Pokerspielerin der Schweiz. Flórián Kalotay

Maureen sitzt am Bistrotisch, aufmerksam, nüchtern, sie trinkt Wasser. Sie hat etwas Wachsames an sich, etwas Unbeugsames – die präzise Intelligenz guter Kaufleute.

«Wenn man zu sehr am Geld hängt», sagt sie später, «wird man nie eine gute Pokerspielerin.» Das sei das eigentlich Anspruchsvolle am Spiel: Loslassen. Cool bleiben.

Maureen Blöchlinger ist die beste Pokerspielerin der Schweiz. Nummer 1 unter den Frauen, Nummer 17 von insgesamt 351 Turnierspielern im Land. Weltweit ist sie Nummer 8658 von rund 560’000 – unter den besten zwei Prozent also. Und ich habe sie um ein Treffen gebeten, weil ich ihre Meinung zum Geldspielgesetz hören will.

Oder überhaupt zu diesem Markt, diesem wilden, grausamen Biest, das pulsiert wie verrückt und wächst, wie man es von Europas Wirtschaft kaum mehr kennt.

37 Milliarden US-Dollar Umsatz fuhren Online-Spiele 2015 weltweit ein, 2020 sollen es schon 60 Milliarden werden. Das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt von Luxemburg. Aber es ist noch nichts gegen die Offline-Branche, die «Beton-Casinos», wie vor allem jüngere Spielerinnen sie gerne nennen: Sie nahmen 2015 rund 146 Milliarden Dollar ein, hinzu kommen Lotterien mit 121 Milliarden Dollar – Glücksspiele sind laut Bloomberg die zwölftgrösste Industrie der Welt. Direkt vor Chemie, Kohlenminen und Computer-Hardware, nur wenig hinter Biotech.

Hungrig nach dem Rampenlicht

Wie in vielen anderen Branchen auch sind virtuelles und physisches Business längst verschmolzen. Maureen ist hauptsächlich Turnierspielerin. Sie ist hungrig nach den Punkten, dem Rampenlicht, «dem Buzz», wie sie sagt.

Um die Qualifikation aber spielt sie oft online. «Hier», sagt sie, öffnet auf ihrem Laptop eines der grossen internationalen Spielportale, klickt sich in die Rubrik «Poker» und fährt einer langen Liste von Spieloptionen entlang. Eines davon ist beispielsweise ein Angebot zur Poker-EM im österreichischen Velden. «Das ist, was ich online tue: Ich spiele um die Turnierteilnahme.»

Das Prinzip ist einfach. An vielen weltweiten Pokerturnieren kann mitspielen, wer will. Aber es kostet – Flugtickets, Spielgebühr, Essen, Hotel. «In the money», in die Gewinnzone, kommt jeweils nur etwa ein Zehntel aller Teilnehmenden. Der Rest macht mit dem kurzen Trip tausende Dollar Verlust.

Das ist nicht nur ein lukratives Geschäft für die Casinos. Es führt auch dazu, dass die Pokerszene über Jahrzehnte eine geschlossene Gruppe von Privilegierten blieb: mehrheitlich Männer, aus wohlhabenden Ländern, mit den nötigen Ressourcen und der entsprechenden materiellen Nonchalance. «Eine junge Frau aus der Provinz gibt nicht einfach schnell tausende Dollar für eine Pokerreise aus», sagt Maureen. «Die Hürde ist einfach zu hoch.»

Die Online-Portale allerdings krempeln nicht nur den Markt um, sie verändern auch die Spielerszene. Für den Preis eines Kaffees kann sich eine Spielerin gegen Konkurrenten aus der ganzen Welt das Eintrittsticket für ein Spitzenturnier, den Flugschein und die Hotelkosten erpokern.

Schamlose, gefährliche Fliegenfischerei, sagen Kritiker.

Zugang zur weiten Welt, sagen Spieler.

Recht haben, wie so oft, beide. Und wie so oft geht es um Geld, sehr viel Geld.

«Das regt die Leute auf»

Maureen kennt Poker seit ihrer Kindheit im amerikanischen New Jersey. Schon ihre Grossmutter pokerte, und das Mädchen spielte mit, wie manche Schweizer Kinder bei ihren Grosseltern eben mitjassen.

Als junge Frau studierte Maureen Business – «ich mag strategisches Denken, ich mag es, Entscheide zu fällen» –, folgte erst ihrer Schwester nach München, dann einem spannenden Jobangebot nach Shanghai und schliesslich ihrem Mann in die Schweiz. Wo sie im Casino Baden bei einer lockeren Runde Blackjack Leuten beim Pokern zusah und sich erinnerte an die Spiele der Kindheit. Sich neu verliebte.

Seit vier Jahren spielt sie jetzt Turniere. Und seit zwei Jahren so gut, dass sie international auffällt.

Pokerspieler bilden die Elite der Casinos. Sie sind smart, taktisch, wachsam. Ihr Geld machen Spielhäuser in der Regel nicht mit ihnen. (Die cleversten und skrupellosen unter ihnen können dem Geschäft gar gefährlich werden.) Sie machen es mit dem Blingbling drum herum: mit Glücksmaschinen, Roulette, Kartenspielchen, einarmigen Banditen, Würfeln, Wetten. Und mit der Masse.

«Das hier regt die Leute nicht auf», sagt Maureen, und zieht auf ihrem Bildschirm den Mauszeiger zur Auswahl «Poker». Von da wieder weg auf «Casino» und «Wetten»: «Das hier regt sie auf.»

Die Casinos regen sich auf, weil ihnen die Laufkundschaft wegbricht, die Masse und der Nachwuchs. Und die Standortstaaten, weil der entsprechende Umsatz an Orte fliesst, die erstens nicht das eigene Territorium sind und zweitens gerne mal Steuerparadiese: Isle of Man (Pokerstars), Gibraltar (888 Casino), Malta (Kindred Group). (Eine Übersicht zu den zehn grössten Online-Spielanbieter finden Sie hier.)

Manchmal schwingt in der öffentlichen Abneigung gegen Casinos noch ein Hauch Christentum mit. Nur schon so schnell so viel Geld zu verdienen, scheint vielen Menschen an sich verwerflich – es auch noch mit einem Laster zu tun, mit der Gier und der Angst der Menschen, ist deshalb nichts weniger als Sünde. Auch wenn wir es vergessen haben: Die traditionelle Verpflichtung von Casinos zur Gemeinnützigkeit hat auch damit zu tun. Sie ist ein unbewusster Ablasshandel. Und angesichts des Schadens, den das hungrige Biest anrichten kann, auch ein durchaus pragmatischer Deal.

Je grösser der Spielerpool, desto besser das Spiel

Die Schweiz, wie viele andere Länder auch, sucht einen Weg, es zu zähmen. Dafür zu sorgen, dass die Spielhäuser ihre Steuern zahlen, ans Gemeinwohl beitragen, Süchtige vor sich selber schützen. Die Idee, die nun vorliegt: Online-Spielportale zu erlauben und zu konzessionieren, aber nur für Anbieter mit Sitz in der Schweiz. Alles andere wird verboten und notfalls physisch im Netz gesperrt. (Einen kurzen Leitfaden mit dem Wichtigsten zum Geldspielgesetz finden Sie hier.)

«Ich finde das keine besonders gute Lösung», sagt Maureen in ihrer gewohnt nüchternen Art. «Ich werde Nein stimmen.»

Ihr Argument: Konzessionen und eine damit verbundene Steuer- und Abgabenpflicht sind kein schlechter Weg, doch selbstverständlich sollten sich auch ausländische Anbieter darum bewerben können. Alles andere sei lediglich ein Geschenk für die inländische Casinobranche – und für die Konsumentinnen «ein Witz».

Poker und Glücksspiele ziehen ihre Attraktivität – wie alle Sportarten – aus der Grösse des Spielerpools. Die Tennis-Welttournee hat nun mal ein anderes Niveau als nationale Turniere, die Super League bietet ganz andere Leistungen als die 1. Liga. Kurz: Je grösser der Spielerpool, desto besser das Spiel. Und desto höher die Belohnung.

Deshalb, sagt Maureen Blöchlinger, werde das Portal eines Schweizer Provinzcasinos niemals mithalten können mit den prestigeträchtigen internationalen Portalen. Eben – «ein Witz».

Bei allen Besonderheiten spiegelt die Glücksspielbranche doch, was viele Branchen heute kennen. Film und Medien, Musik, Kunst oder Wissenschaft, die Industrie schon viel länger: Digitalisierung und Globalisierung haben kleine, nationale Gewässer zu einem einzigen riesigen Meer verbunden. Sozialstaaten und Rechtsordnungen aber funktionieren noch immer national. Menschen haben Heimaten – ziehen aber doch in die Welt, sei es auch nur virtuell.

Es braucht ein ziemlich elegant gebautes Schiff, um solide in die Zukunft zu segeln.

PS: Für Damen, die nun neugierig aufs Pokern geworden sind: Maureen Blöchlinger ist die Schweizer Botschafterin einer Gruppe von Spielerinnen, die weltweit mehr Frauen für den Sport gewinnen will, die «Poker League of Nations».

Die Liga (aussergewöhnlicher Ladies) organisiert diesen Sommer ihr erstes Turnier in Las Vegas – und das weltweit zweite im Juli in Zürich. (Ausschreibung bislang nur auf Facebook, wer ebenjenes nicht scheut, findet hier mehr.)