Risikodeal im Ständerat, Cassis streitet mit der Uno – und ein heikler Prozess am Bundesstrafgericht
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (13).
Von Elia Blülle, 24.05.2018
Liebe Leserinnen und Leser
Die Wirtschaftskommission des Ständerats biegt die Steuervorlage des Bundesrates zurecht. Letzte Woche hat sie mit einem neuen Vorschlag überrascht. Die Idee: Ausfälle durch die Steuervorlage 17 sollen mit zusätzlichen Geldern für die AHV ausgeglichen werden. Auf diese Weise würden jährlich 2 Milliarden Franken mehr in die Altersvorsorge fliessen.
Die Verknüpfung der beiden Reformen scheint ein genialer Einfall zu sein. Denn müsste die Regierung eine Prioritätenliste erstellen, belegten die Steuervorlage und die AHV-Reform die obersten zwei Plätze. Beide Anliegen sind überfällig. Die Schweiz muss die Steuerprivilegien für Unternehmen beseitigen, ansonsten drohen bald schwarze Listen und Sanktionen. Ähnlich gross ist der Reformdruck bei der Altersvorsorge. Nachdem das Volk letztes Jahr den ersten Vorschlag zur Sanierung der AHV abgelehnt hat, treibt der Bundesrat die nächste Revision mit Tempo voran. Er weiss: Jeder Tag ohne Reform ist ein schlechter Tag und vertieft das klaffende Finanzloch in der Altersvorsorge.
Der Haken am neuen Kommissionsvorschlag: Finanzieren sollen die AHV-Spritze nicht die Unternehmen, sondern Lohnabzüge, Mehrwertsteuer und der Bund. Das bei den Unternehmen verlorene Geld will die Kommission also mehrheitlich beim Volk reinholen – mit dem Versprechen, dass die Gelder in die AHV fliessen. Ein Beispiel für Realpolitik à la Suisse: Die Linken erhalten 2 Milliarden für die Altersvorsorge, die Bürgerlichen tiefere Besteuerung bei den Dividenden. Voilà. Der Kompromiss steht.
Die Kommission weiss, dass es für die Parteien schwierig sein wird, das Angebot abzulehnen. Für alle gibt es ein Geschenk – nur nicht für das Volk. Und das wird wohl am Ende entscheiden. Kommt ein Referendum zustande, droht ein Klumpenrisiko an der Urne: Die AHV-Reform und die Steuervorlage stehen bei einer Verknüpfung gemeinsam auf dem Spiel. Eine fatale Risikostrategie.
PS: In dieser Analyse fragt sich NZZ-Autor Hansueli Schöchli, ob die Verbindung zweier sachfremder Reformen überhaupt verfassungskonform sei, und der Politikwissenschaftler Michael Hermann nennt den Vorschlag aus der Kommission eine «grandiose Schnapsidee».
Und hier lesen Sie das Briefing aus Bern. Diese Woche überraschend kurz.
Bundesrat Ignazio Cassis kritisiert Uno-Hilfswerk
Das müssen Sie wissen: Das Uno-Hilfswerk UNRWA besteht seit 1949 und unterstützt Palästinenserinnen in den Autonomiegebieten sowie in Syrien, im Libanon und in Jordanien. Das Hilfswerk wird von der Schweiz mitfinanziert. Im laufenden Jahr ist laut dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) eine Zahlung von 21,2 Millionen Franken vorgesehen.
Das ist passiert: In einem Interview kritisierte Bundesrat Ignazio Cassis das Hilfswerk ungewöhnlich scharf. Es sei ein Hindernis für Frieden in Nahost. Es sei unrealistisch, dass sich der Traum der Flüchtlinge einer Rückkehr erfülle. Die UNRWA halte diese Hoffnung aber aufrecht und «liefert die Munition, den Konflikt weiterzuführen». Cassis will stattdessen die Integration der Flüchtlinge in ihren Aufenthaltsländern fördern.
So reagierte die Uno: UNRWA-Chef Pierre Krähenbühl sagte gegenüber Radio SRF: «Wir leisten möglicherweise einen der wichtigsten Beiträge zur menschlichen Entwicklung in der Region und einen Beitrag zur regionalen Stabilität.» Er habe den Bundesrat in Jordanien getroffen und sei überrascht von seinem Fazit. Bundespräsident Alain Berset liess verlauten, dass an der Nahostpolitik des Bundesrates nichts geändert habe – trotz der Kritik von Cassis.
Staatsanwaltschaft fordert zwei Jahre Gefängnis für Propagandavideo
Das müssen Sie wissen: Im Herbst 2015 filmte der Kulturverantwortliche des selbst ernannten Islamischen Zentralrats Schweiz (IZRS) in Syrien und verarbeitete die Aufnahmen zu einem einseitigen Werbefilm. Dafür wurden er und zwei weitere Vorstandsmitglieder des IZRS angeklagt. Ihnen wird der Verstoss gegen das IS-Gesetz vorgeworfen, welches die Verbreitung von Propaganda für die Terrorgruppe unter Strafe stellt. Letzte Woche ging der Prozess in Bellinzona zu Ende.
Das Urteil: Wird erst im Juni eröffnet. Die Staatsanwaltschaft fordert aber für die Verantwortlichen je zwei Jahre bedingte Freiheitsstrafe. Sie wirft den Angeklagten fehlende Einsicht und Reue vor.
Darum ist das heikel: Was ist Propaganda, was Journalismus? Unser Autor Carlos Hanimann hat sich in seiner Analyse gefragt, ob das Bundesstrafgericht mit einer zu erwartenden Verurteilung die Grenzen des Journalismus verschiebt. Hier lesen Sie seine Einschätzung.
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