Das grosse BaZ-Erfolgsgeheimnis
Man könnte ja glauben, Christoph Blocher verkaufe die BaZ, weil er mit dem Blatt gescheitert ist. Aber weit gefehlt!
Von Daniel Binswanger, 21.04.2018
Ein neues Propagandamittel hält Einzug in die Schweizer Medienpolitik: die Niederlage, die zum Triumph erklärt wird. Niemals einen Fehler eingestehen, niemals sich entschuldigen. Stattdessen präventiv Beleidigungen austeilen, den «rot-grünen Mainstream» beschimpfen, sich selber zum Verteidiger des demokratischen «Pluralismus» stilisieren. Trump hat es ja vorgemacht: Mit dieser Strategie kann man in der postfaktischen Welt mindestens einen Teil des Publikums vom groteskesten Unsinn überzeugen. Wer könnte es unseren Trump-Bewunderern verübeln, dass sie es ihm nachzutun versuchen?
Eigentlich ist der Verkauf der «Basler Zeitung» an die Tamedia ja eine erfreuliche Nachricht, auch wenn damit ein weiterer Regionaltitel seine Eigenständigkeit verliert. Ein hässliches Kapitel Schweizer Mediengeschichte kommt zu einem quälend späten, aber doch noch gütlichen Ende. Es begann mit einer der schamlosesten Lügen, mit denen je ein Politiker die Schweizer Bürger hinters Licht zu führen versuchte (Blochers Behauptung, er sei «weder direkt noch indirekt bei der BaZ beteiligt»), und es endet im selben Stil. «Das Erfolgsgeheimnis der BaZ war es, dass sie Themen gebracht hat, die viele Leute beschäftigten», meinte der scheidende BaZ-Chefredaktor Markus Somm, der an falscher Bescheidenheit noch nie gelitten hat.
Erfolgsgeheimnis? Halten wir uns ein letztes Mal die Nase zu, und blicken wir flüchtig zurück, zum Beispiel auf den 2012 erschienenen Artikel «Eva Herzog, Annäherung an eine Unnahbare». Gleich zum Einstieg heisst es dort über die Basler SP-Regierungsrätin: «Sie tanzte wohl unten am Breite-Fest, Discomusik, zusammen mit Christoph Brutschin. Die beiden verstehen sich gut (…) Vielleicht deshalb dichtet man den beiden immer wieder einmal eine Affäre an. In einer Bar sollen sie sich mal voller Verlangen geküsst haben. Ich glaube, das ist ein Gerücht.» Themen halt, die viele Leute beschäftigen …
Oder jenes abstruse Monument des Pennäler-Humors, welches fordert, dass als Ausgleich für das Recht von Müttern, während der Arbeitszeit zu stillen, eine Kompensation für die diskriminierten Männer geschaffen werden müsse. Es waren verschiedene Punkte aufgeführt, etwa unter 10. «lebenslangen Zugang zu Playboy.tv und das Recht, täglich während der Dauer einer Still- oder Abpumpfrist die Seite zu besuchen»; oder auch Punkt 14: «High-Heels-Pflicht für Lehrtöchter und Praktikantinnen». Natürlich schreibt Somm nicht selber solchen Stuss. Für so etwas hat man untere Chargen. Er verantwortet ihn bloss.
Allerdings ist das Mysteriöseste am «Erfolgsgeheimnis» der BaZ noch immer, wo denn nun der Erfolg sein soll. BaZ-Mitbesitzer Rolf Bollmann hat wohl vorausgeahnt, dass dieses Rätsel bei Bekanntgabe von Blochers Abtritt noch einmal in voller Unergründlichkeit im Raum stehen würde. Mit präventivem Ausfälligkeitsfuror «gegen linkslastige Angehörige der Journalistengilde», das «Kommunistenblatt WOZ», «linken Einheitsbrei der Journalistenszene», den «linken ‹Tages-Anzeiger›» und das «noch linkere ‹Magazin›» hat er deshalb heroisch versucht, die Fakten zurechtzubiegen. Der kindliche Fetischglaube, mit dem Bollmann meint, man könne einen Sachdisput für sich entscheiden, wenn man seinen Gegnern nur häufig genug das Schandwort «links» entgegenschleudert, hat geradezu etwas Rührendes, macht ihn aber nicht unbedingt jünger. Die archaische Moskau-einfach-Rhetorik wirkt wie ein Eau de Cologne aus den Achtzigerjahren.
Um die BaZ-Performance schönzurechnen, nimmt Bollmann Zuflucht zu abenteuerlicher Zahlenakrobatik. Abgesehen davon, dass er mit zahlreichen «kleinen» Ungenauigkeiten arbeitet (alle hier säuberlich aufgelistet vom Medienexperten Markus Knöpfli), behilft er sich in der Verzweiflung damit, dass er sich einen möglichst günstigen Beobachtungszeitraum zurechtdefiniert. Weil die Wemf zwischen 2012 und 2013 die Umfragemethode zur Erhebung der Medienreichweiten geändert hat, so Bollmann, könne man erst die Zahlen ab 2013 in Betracht ziehen, um die Leserentwicklung der Blocher/Somm-BaZ zu bewerten. Im Zeitraum 2013 bis 2018 hätten sich aber zahlreiche Titel noch schlechter entwickelt als die BaZ, so etwa der «linke ‹Sonntags-Blick›» oder der «linke ‹Tages-Anzeiger›». Diese Beobachtung ist auf den ersten Blick nicht falsch – aber zur Ehrenrettung der Blocher-BaZ leider völlig untauglich.
Markus Somm wurde am 30. August 2010 zum Chefredaktor der «Basler Zeitung» ernannt. Im November 2010 flog auf, dass Christoph Blocher bei der BaZ ein «Beratungsmandat» versah. Es folgte der überstürzte «Verkauf» an Moritz Suter für den lächerlichen «Verkaufspreis» von etwas über einer Million und schliesslich im Dezember 2011 der «Rückkauf» der Holding durch Rahel Blocher, der klarmachte, dass von Anfang an die Blochers bei der neuen BaZ das Sagen hatten.
Die Somm-Ernennung, der neue SVP-Kurs der Publikation und das groteske Versteckspiel um die Eigentümerschaft führten zu massiven Abonnement-Kündigungen, zur Gründung von Rettet-Basel und der «TagesWoche» und zu einem Einbruch der BaZ-Reichweite. Dass sich nach der ersten Kündigungswelle die Lage etwas konsolidierte und der Leserschwund sich etwas verlangsamte, ist sonnenklar und wäre auch nicht anders zu erwarten gewesen. Aber es ist einigermassen bizarr, die Jahre des scharfen Absturzes aus der Somm-Bilanz einfach ausklammern zu wollen. Gemäss dieser Logik könnte man auch behaupten, die Deutsche Wehrmacht sei im zweiten Weltkrieg die erfolgreichste Armee gewesen, man dürfe einfach nicht die Jahre 1939 bis 1945 betrachten, sondern müsse sich auf 1939 bis 1942 beschränken.
Aber Bollmanns Unredlichkeit beschränkt sich nicht auf die Gefälligkeits-Periodisierung. Dass er das Referenzjahr 2013 zum Ausgangspunkt nehmen will, liegt auch darin begründet, dass die in diesem Jahr für die BaZ ausgewiesene Reichweitenzahl der Wemf nachweislich viel zu tief ist – was den schönen Effekt hat, dass der nachfolgende Abfall weniger dramatisch erscheint.
Warum ist die BaZ-Reichweite 2013 falsch beziehungsweise irreführend? Nicht wegen der in dem Jahr eingeführten neuen Erhebungsmethode. Für viele Publikationen ergaben die sogenannten Mach3-Umfragen Ergebnisse, die nicht sehr stark von den älteren Zahlen abwichen. Auch für die BaZ wäre die Abweichung gegenüber den alten Zahlen weniger gross gewesen, wenn in den Erhebungszeitraum der Wemf-Studie 2013 nicht das BaZ-Experiment mit einer Sonntagsausgabe gefallen wäre, die mangels Leserinteresse rasch wieder eingestellt wurde, zeitweilig aber die durchschnittliche Reichweite der BaZ nach unten drückte. Die Wemf kam 2013 für die BaZ auf eine Reichweite von 123’000 Lesern. Wenn man jedoch die Sonntags-BaZ herausfaktoriert, dürfte die reale durchschnittliche Leserschaft bei rund 135’000 gelegen haben, wie onlinereports.ch vorrechnet. In der Wemf-Umfrage 2014-1, die nach der Einstellung der Sonntagsausgabe durchgeführt wurde, liegt die BaZ-Leserschaft folgerichtig auch wieder bei 134’000 Lesern.
Das heisst, Markus Somm hat in den fünf Jahren von 2013 bis 2018 die Reichweite nicht von 123’000 auf 99’000 Leser reduziert, sondern von 135’000 auf 99’000. Der Verlust betrug de facto nicht 19 Prozent, wie Bollmann vorrechnet, sondern 26,7 Prozent. Das ist deutlich schlechter als die Bilanz des «Tages-Anzeigers» oder der NZZ für dieselbe Periode, von anderen Regionalzeitungen ganz zu schweigen. Selbst wenn man sich an die Gefälligkeits-Periodisierung hält, ist die Somm-Bilanz ein Desaster.
Muss man davon ausgehen, dass Rolf Bollmann diese relativ einfachen Zusammenhänge tatsächlich intellektuell nicht beherrscht, oder arbeitet er einfach schon so lange mit Christoph Blocher zusammen, dass er die Gewohnheit angenommen hat, in der Medienpolitik die Lüge als das natürliche Mittel der Wahl zu betrachten? Wir wollen nicht spekulieren.
Aber kehren wir zurück zu Somms «Erfolgsgeheimnis». Nach eigener Aussage liegt es begründet in seinem Engagement für «Pluralismus», das er künftig auch bei der Tamedia einbringen will. Somm ist weder ein Mann für die zweite Geige noch für halbe Sachen. Seiner Einbringung des «Pluralismus» im Tamedia-Konzern darf man mit Spannung entgegenblicken.
Wird es künftig in Zürich Kampagnen geben wie gegen Baschi Dürr, Hans-Peter Wessels, Sibel Arslan, Franziska Schutzbach? Wird sich das Zürcher Publikum schon bald mit der «Unnahbarkeit» von Corine Mauch auseinandersetzen müssen? Ist man an der Werdstrasse bereits damit beschäftigt, die Rechtsabteilung aufzustocken, damit auch in Zukunft der Schriftwechsel mit dem Presserat bewältigt werden kann?
Es kommen interessante Zeiten auf die Tamedia zu. Wird sich der «liberale Pluralismus» des Hauses tatsächlich darin manifestieren, dass man dem Mann, der die letzten acht Jahre BaZ-Publizistik zu verantworten hat, eine Plattform bietet? Wird die Redaktion Tamedia mit Superchefredaktor Arthur Rutishauser dafür geradestehen?
Am Rheinknie dürften die Dinge in gemächlichere Bahnen kommen. Am Stauffacherquai aber werden sich ein paar unangenehme Fragen stellen.
Illustration Alex Solman
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