Das Leben spielt

Mikrofon aus!

Von Olivia Kühni, 18.04.2018

Aus, Schluss, es reicht. Seit meiner Jugend hab ich grosses Aufheben darum gemacht, dass ich wirklich mit jedem spreche, auch mit dem radikalsten Rüpel und dem dümmsten Sprücheklopfer; ich bin eine überzeugte Verfechterin der Meinungsfreiheit und grosse Freundin politisch inkorrekter Witze, et cetera, et cetera – und trotzdem, oder gerade deswegen: Es reicht.

Ich habe vor wenigen Monaten angefangen, eine Handvoll Leute auf Twitter stumm zu schalten. Ich halte mich von Facebook fern. Und ich nehme mir sogar heraus, auf das eine oder andere E-Mail nicht zu reagieren. Besten Dank, nein, adieu.

Das ist eine grosse Sache für mich. Aus zwei Gründen: erstens, weil ich eine Frau bin. Zweitens, weil ich Journalistin bin. Ich bin inzwischen überzeugt, dass es für Frauen besonders wichtig ist, sich hie und da die Ohren zuzuhalten. Und ich bin auch überzeugt, dass ich eine bessere Journalistin bin, wenn ich das tue – und eine bessere Staatsbürgerin.

Fuck You

Warum behaupte ich, es sei für Frauen besonders wichtig? Nun, Frauen ernten nicht nur deutlich mehr Häme und Angriffe, wenn sie sich öffentlich äussern. Ich habe hier darüber geschrieben. Es fühlt sich oft an, als würde einem bei jedem Schritt im Freien eine Horde kläffender Pitbulls um die Beine wedeln. (Die sich gegenseitig ein High Five geben, wenn einem ein besonders drohendes Knurren gelungen ist.)

Als zusätzliches Übel haben viele von uns auch gelernt, dass es unsere verdammte Pflicht ist zu antworten, wenn man mit uns spricht – alles andere wäre zickig, arrogant, überempfindlich, tussig. Man sagt als rücksichtsvolle Dame nicht einfach «Nein» ohne guten Grund. Auch bei einem Gespräch nicht.

Well, fuck you. Nicht Sie, liebe Verlegerin, lieber Verleger. Die meisten von Ihnen sind unglaublich wissbegierige, offene, konstruktiv kritische Geister, wie ich in den Debatten immer wieder feststelle. Also: nicht Sie.

Wohl aber jene Herrschaften, die aggressiv-dümmliche Sprüche ihrerseits erstens für sportlich gelungen halten («Was sagst du jetzt, he?!») und zweitens für einen pompösen Debattenbeitrag, dessen Nichtbeachtung Sie als Angesprochene zur überheblichen Kuh macht. Solche Herrschaften: Fuck you. Ja, ich bin eine Verfechterin der Meinungsfreiheit, und Sie können sagen, wonach immer Ihnen auch der Sinn steht. Lassen Sie’s raus!

Aber ich bin nicht verpflichtet, Ihnen zuzuhören.

Gegen den Tunnelblick

Das ist keine triviale Haltung für eine Journalistin. Ein Kollege antwortete mir denn auch auf meine Frage, wie er mit ständigem Kläffen zurechtkomme, Journalisten dürften «das Gespräch nicht verweigern». Das stimmt. Grundsätzlich.

Nur bin ich inzwischen überzeugt, dass ich keine schlechtere Journalistin bin, wenn ich dem einen oder anderen einfach nicht mehr zuhöre. Sondern im Gegenteil eine bessere. Dass das nicht «Gesprächsverweigerung» ist. Sondern eine essenziell wichtige Überlebensstrategie im Informationszeitalter. (Gerade für Frauen, aus obigen Gründen.)

Ich glaube nämlich inzwischen, dass viele mediale Analysen der letzten Jahre falsch liegen. Wir radikalisieren und polarisieren uns nicht, weil wir wegen Facebook, Twitter und Co. nur noch in Filterblasen verharren, wie ständig behauptet wird. Sondern ganz im Gegenteil: weil wir heute so intensiv und ungefiltert wie nie zuvor in der Geschichte mit Anderstickenden konfrontiert sind.

Ein gewisses Mass an Irritation tut gut und hält beweglich. Wenn Menschen sich aber nur noch von Andersdenkenden umzingelt sehen, insbesondere von solchen, die aggressiv und herablassend auftreten (was immer mehr mit der Zeit tun werden, da sie sich demselben Problem gegenübersehen), werden sie nicht offener und klüger. Sondern panisch, stur, intoleranter, radikaler.

Menschen, die sich bedroht fühlen, bekommen einen Tunnelblick.

Sich in sozialen Medien zu bewegen, oder überhaupt in der Öffentlichkeit, braucht darum Strategie und Erfahrung. Wer öffentliche Verantwortung und eine Rolle zu erfüllen hat, und das hat eine Journalistin, muss dafür sorgen, dass sie keinen Tunnelblick bekommt. Sie muss dafür sorgen, dass sie weiter lernen und ihren Job erledigen kann. Nicht zuletzt muss sie als Moderatorin einer öffentlichen Debatte – und das sehe ich als wichtigen Teil unserer Aufgabe – dafür sorgen, dass auch andere dies können. Selbst jene, die vielleicht nicht in der vordersten Reihe sitzen.

Darum heisst es bei mir jetzt für ein paar Menschen: Adieu. Mikrofon aus, Schluss, es reicht. Im Hyde Park hat es noch Platz.

Und es fühlt sich verdammt gut an.

PS: Ein Knicks und ein Dankeschön an Noah Smith, einen Ökonomen und hoch geschätzten Autor. Als ich stark zweifelte, ob ich mit dieser neuen Haltung richtig liege, kam von ihm ein Twitter-Thread, der mir grad den richtigen Schubs gab.

1/One of the most wrongheaded and persistent ideas floating around on social media is the idea of an "intellectual bubble".

Sehr ähnliche Gedanken, sehr ähnliches Fazit, wie immer bei Noah sauber belegt.

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