Tischrunde unter freiem Himmel mit Politikern und Republikautoren
Die Sonne scheint auf die Republik: Diskussionen beim Tag der offenen Tür im Progr in Bern.Republik

Aus der Redaktion

Der erste Tag der offenen Redaktionstüre

Genau ein Jahr nach der Namenstaufe verlegte das Team der Republik seine Redaktionsräume nach Bern – und bat für einmal Politikerinnen um Kritik.

Von Ihrem Expeditionsteam, 17.04.2018

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Genau ein Jahr ist es her, liebe Leserinnen und Leser, dass die Republik in der Hauptstadt ihre Namenstaufe feierte. Das ist eine gefühlte Ewigkeit voll schlafloser Nächte für das Team – und eine Nichtigkeit im Angesicht der Dinge. Wir haben viel zu lernen. Was alles, haben wir soeben im ersten Quartalsbericht an die Verlegerinnen und Verleger der Republik dargelegt.

Also ehrten wir das Jubiläum nicht mit öffentlichem Feiern, sondern mit öffentlichem Arbeiten: Wir verlegten die ganze Redaktion für einen Tag ins Berner Kulturzentrum Progr und öffneten unsere Türen. Ausserdem baten wir für einmal jene um Kritik, die wir sonst gern kritisieren: Politiker.

Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP), Balthasar Glättli (Grüne), Mattea Meyer (SP), Martin Candinas (CVP), Regine Sauter (FDP), Cédric Wermuth (SP), Peter Schilliger (FDP) und Regula Rytz (Grüne) sassen mit Republik-Journalisten und Bürgerinnen an vier Tischen und teilten ihre Einschätzung zum Verhältnis von Medien und Politik. (Vertreter der SVP wären übrigens auch willkommen gewesen: Der Zufall wollte es, dass keiner der Geladenen es einrichten konnte. Wir freuen uns, wenn es nächstes Mal klappt.)

Wir wollten von unseren Gästen also wissen: Wie schätzen Sie die Arbeit von Journalisten in diesem Land ein? Wo fallen die wichtigen Entscheide wirklich? Und, Hand aufs Herz: Wie stark lassen Sie sich in Ihrer Haltung von Schlagzeilen beeinflussen?

Entwickelt haben sich vier überraschend offene, konstruktive Tischrunden. Wir teilen hiermit gern die wichtigsten Erkenntnisse daraus, weil die Kritik der Politprofis nicht nur für Journalistinnen interessant ist – sie sagt auch einiges aus über das Medienzeitalter, in dem wir leben. Hier also einige Ansichten der Politikerinnen:

Peter Schilliger  am diskutieren mit Lesern und Leserinnen
Peter Schilliger (FDP) nahm sich ebenso Zeit für die Leserinnen und Leser der Republik …
Elisabeth Schneider-Schneiter
… wie seine Kollegin Elisabeth Schneider-Schneiter von der CVP.

Zeitdruck und Skandalisierung

  • Die Medienrealität hat sich nach Aussagen aller unserer Gäste deutlich verändert. Journalisten stehen unter stärkerem Zeitdruck und haben weniger Möglichkeiten, sich zu spezialisieren und zu informieren. Expertinnen, die sich jahrelang mit einem Thema befassen, gibt es kaum mehr. Das war früher anders, sagen die Parlamentarier: Man habe vor einer Generation von manch langjährigen Journalistinnen sogar lernen können.

  • Zeitdruck und Wissensabbau wirkt sich nach Ansicht der Politikerinnen stark auf die Berichterstattung aus: Oft geht es empfunden nur noch um eine schnelle Schlagzeile. Journalisten melden sich nur noch rasch für ein Zitat, das eine bereits niedergeschriebene These stützen soll. Fast alle der Parlamentarier haben schon erlebt, dass ihnen eine Journalistin eine fixfertige Aussage vorschlug, die sie nur noch abnicken sollten.

  • Es gibt allerdings Unterschiede, finden mehrere Gäste: etwa zwischen der NZZ, die sich noch immer Spezialisten leiste, und manchen Lokalradios. Bei diesen haben einige der Politikerinnen schon Beiträge selber geschrieben – dem Journalisten fehlte es ihrer Ansicht nach an Wissen und handwerklichem Können.

  • Der Zeitdruck wirkt sich jedoch nicht nur formal aus, finden alle Politgäste, sondern vor allem auch inhaltlich. Angebliche Skandale hätten extrem an Bedeutung gewonnen, weil sie schneller eine Story liefern als Sachfragen. Es interessieren: Streit in der Fraktion, angebliches Abweichlertum, knackige Sätze, die irgendwo gefallen sind.

  • Die ständige Skandalisierung sorge auch für eine immer stärker werdende Polarisierung, finden mehrere Parlamentarierinnen. Es sei schwieriger geworden, abzuweichen, seine Meinung zu ändern, Kompromisse zu schliessen.

Cédric Wermuth
SP-Politiker Cédric Wermuth (2. v. r.) hält dem kritischen Blick von Autor Mark Dittli (Mitte) stand.
Regula Rytz
Regula Rytz, Nationalrätin der Grünen, erzählt vom Leben im Parlament.

Die Macht im Land

  • Mehrere Politiker mahnen: Die verschlechterten Verhältnisse seien teilweise politisch gewollt. Die oberflächliche Berichterstattung nütze den Mächtigen im Land, die so mit viel Geld und Lobbying ihre Interessen durchsetzen könnten. Sie hätten ein Interesse an einer zunehmenden Medienkonzentration und schlechteren Arbeitsbedingungen für Journalistinnen.

  • Dazu passt: Mehrere der Politgäste geben an, Journalisten verstünden heute nicht mehr, wie Politik wirklich funktioniere. Symptomatisch dafür: die ständigen Parlamentarierinnen-Rankings in Sonntagszeitungen. Sie spiegelten selten den tatsächlichen Status der Politiker, weil sie oft einfach die Anzahl Vorstösse im Parlament zählten. Darauf komme es aber nicht an – die wirklichen Entscheide fallen hinter den Kulissen.

  • Mehrere der Parlamentarierinnen haben darum einen klaren Wunsch an die Republik: Kümmert euch wirklich um die Sachthemen – um die Auswirkungen der Globalisierung etwa –, schaut genau hin, was passiert, statt nur über die Inszenierung von Politik zu berichten.

  • Und: «Bezieht auch selber ab und zu klar politisch Position!»

Martin Candinas und Mattea Meyer
Martin Candinas (CVP) im angeregten Dialog mit Mattea Meyer (SP).
Mattea Meyer und Balthasar Glättli
Vereint auf einer Bank im Progr: Regine Sauter (FDP), Balthasar Glättli (Grüne).

Inszenieren und twittern

  • Die Politprofis wissen die neue Medienrealität allerdings durchaus auch zu nutzen. Mehrere geben zu: Ab und zu inszenieren sie in der Fraktion einen internen Streit, um über die darauf folgende Aufmerksamkeit Themen zu platzieren.

  • Auch Twitter ist offenbar beliebt, um sich Gehör zu verschaffen – schliesslich nutzten es fast alle Journalisten, wie mehrere Politiker sagen. Also setzen sie dort bewusst Themen, versuchen, ihr öffentliches Profil zu schärfen und sich auch mal von der Parteilinie abzuheben.

  • Wenn sie ein Thema wirklich über längere Zeit und auch differenziert bearbeiten wollen, seien Gesprächssendungen immer noch am besten, sagen mehrere Gäste. «Da bleibt noch Zeit, etwas auch mal auszuführen.»

  • Natürlich passe man seine Themen manchmal dem Medieninteresse an, geben verschiedene Parlamentarierinnen zu. Gerade am Anfang einer Karriere spreche man «in jedes Mikrofon». Etablierte Politiker jedoch spezialisierten sich und leisteten sich mehr Eigenständigkeit.

Hat Spass gemacht, wir kommen wieder: Die Republik in der Hauptstadt.

Dies nur die wichtigsten Erkenntnisse, liebe Leserin, lieber Leser, aus den Tischrunden. (Beeindruckend und erfreulich übrigens: Politgäste wie Bürgerinnen blieben trotz dem ersten gleissenden Sonnenschein des Jahres weit über die Zeit an den Tischen sitzen.) Wir werden noch viele weitere Tage der offenen Redaktionstüre in unterschiedlichen Konstellationen abhalten – und hoffen, dabei auch Sie einmal persönlich kennenzulernen.

Tag der offenen Tür der Republik

Am 12. April 2018 lud Project R zum Tag der offenen Tür der Republik nach Bern ins Kulturzentrum Progr ein. Rund 200 Verlegerinnen und Interessierte besuchten von 10 bis 18 Uhr den temporären Arbeitsplatz der Crew in der Hauptstadt. Die vier Tischrunden mit Bundeshaus-Politikerinnen, Journalisten und Gästen bildeten den Höhepunkt des Tages.