Auf lange Sicht

Wettlauf in die Untiefe der Firmenbesteuerung

Kantone werden im Zuge der Steuervorlage 17 die Steuern für Unternehmen senken. Damit setzt sich ein langjähriger Trend fort, den die Schweiz an vorderster Stelle vorantreibt.

Von Simon Schmid, 26.03.2018

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«Bundesrat will Arbeitsplätze mit Steuervorlage 17 langfristig sichern»: So titelte der Bundesrat letzte Woche seine Medienmitteilung zur Reform der Unternehmenssteuern, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz als Firmenstandort sichern soll. Im Kern* geht es dabei um Folgendes:

  • Internationale Firmen (sogenannte Statusgesellschaften) geniessen in vielen Kantonen Privilegien: Sie werden zu einem tieferen Satz als lokale Firmen besteuert. Diese Praxis ist international in Verruf geraten.

  • Auf Druck der EU hin muss die Schweiz die Sonderbehandlung abschaffen. Internationale und lokale Firmen müssen gleich besteuert werden.

  • Deshalb werden die meisten Kantone bei den Firmensteuern über die Bücher gehen. Die Steuersätze für internationale Firmen werden steigen – die Steuersätze für lokale Firmen werden im Gegenzug sinken.

Die Veränderungen der Firmensteuersätze sind ökonomisch, aber auch historisch interessant. Welchen Anteil ihres jährlichen Gewinns müssen gewöhnliche Unternehmen der Allgemeinheit abgeben? Klar ist: Die Reform wird in den meisten Kantonen dazu führen, dass dieser Anteil sinkt.

Und zwar nicht zu knapp. Derzeit liegen die Unternehmenssteuersätze im Mittel der Kantone bei knapp 17,7 Prozent. Nach der Reform sollen sie noch bei 14,3 Prozent liegen. Dies geht aus den Zahlen hervor, welche die Kantone der Eidgenössischen Steuerverwaltung im Rahmen einer Umfrage gemeldet haben. Die Angaben beziehen sich jeweils auf die Kantonshauptorte.

Nivellierung auf tiefem Niveau

Gewinnsteuersätze in den Kantonen

Achse gekürzt2007201918 % AG13 % AI13 % AR16 % BE14 % BL13 % BS14 % FR13 % GE12 % GL14 % GR17 % JU12 % LU14 % NE13 % NW13 % OW15 % SG12 % SH16 % SO14 % SZ13 % TG17 % TI13 % UR14 % VD16 % VS12 % ZG18 % ZH102030 % Steuersatz

Quellen: KPMG Schweiz für das Jahr 2007: maximaler effektiver Vorsteuersatz Bund/
Kanton/Gemeinde für den jeweiligen Hauptort. ESTV für das Jahr 2019: Prognose nach
Umsetzung der Steuervorlage 17

Sinkende Gewinnsteuern sind allerdings nichts Neues. Seit Jahren fallen die Steuersätze auf Unternehmensgewinne.

Die Beratungsfirma KPMG führt Buch über die Entwicklung. Aus ihren Zahlen geht hervor: Der Gewinnsteuersatz lag 2007 im Durchschnitt aller Kantone noch bei 20,7 Prozent. Heute liegt er wie erwähnt bei 17,7 Prozent. Senkungen gab es unter anderem in Neuenburg, im Aargau, in Nidwalden, in Luzern und in der Waadt.

Stellt man die Steuersätze von 2007 jenen Sätzen gegenüber, die nach der Steuerreform beschlossen werden sollen, so zeigt sich: Es kommt zu einer Nivellierung der Sätze auf einem tiefen Niveau. Mit Ausnahme des Kantons Obwalden, der bereits vor zehn Jahren rekordtiefe Steuersätze aufwies, werden zwischen 2007 und 2019 sämtliche Kantone die Firmensteuersätze mehr oder weniger deutlich gesenkt haben. Unter ihnen auch der ehemalige Spitzenreiter Graubünden: Vor elf Jahren galt im Ostschweizer Bergkanton noch ein Steuersatz von 29 Prozent. Aktuell ist Graubünden mit 16 Prozent im Mittelfeld der Kantone. Nach der Reform sollen Firmen noch mit 14 Prozent besteuert werden.

Steuerwettbewerb mit ungewissem Ausgang

Der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen hat also zu einem Wettlauf nach unten geführt. Zoomt man zeitlich und räumlich von den Kantonen weg auf die internationale Ebene, so zeigt sich über die letzten Jahrzehnte ein ähnliches Bild: Mehr oder weniger im Gleichschritt wurden überall auf der Welt die Unternehmenssteuern gesenkt. Besonders aggressiv senkten etwa Grossbritannien und Irland ihre Steuern. Doch auch Länder wie Schweden oder Dänemark kennen heute viel niedrigere Steuern als früher.

Zu Beginn der 1980er-Jahre waren die Firmensteuern in den meisten OECD-Ländern rund 20 bis 25 Prozentpunkte höher als heute. Sätze über 50 Prozent waren keine Seltenheit. Heute weist kein einziger OECD-Staat mehr einen Satz über 40 Prozent auf. Ein Wettlauf nach unten fand also auch auf der internationalen Ebene statt. Die Schweiz ist dabei stets mitgezogen. 1981 mussten Unternehmen im Kanton Zürich etwa 33 Prozent ihres Jahresgewinns dem Fiskus abliefern. Heute sind es noch 21 Prozent.

Unternehmenssteuern sinken international

Gewinnsteuersätze nach Ländern

Achse gekürzt198119932005201716 % Anglo-Europa31 % Anglo-Übersee21 % Schweiz22 % Skandinavien27 % Südeuropa30 % Zentraleuropa102030405060 % Steuersatz

Quelle: OECD, Tax Foundation. Anglo-Europa = Grossbritannien, Irland. Anglo-Übersee = Australien, Kanada, Neuseeland, USA. Skandinavien = Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden. Südeuropa = Griechenland, Italien, Portugal, Spanien. Zentraleuropa = Belgien, Deutschland, Frankreich, Niederlande, Österreich. Daten der Schweiz beziehen sich auf Zürich.

Die Daten

Im Material der Bundesverwaltung zur Steuervorlage 17 findet sich eine Powerpoint-Präsentation zu den Umsetzungsplänen der Kantone. Darin sind die aktuellen und angedachten Gewinnsteuersätze in den Kantonen enthalten. KPMG publizierte vor einem Jahr den Swiss Tax Report mit Zahlen von 2007 und 2017. Ein Update erfolgt demnächst. Internationale Unternehmenssteuerdaten liefert die OECD in ihrer Tax Database. Erhältlich ist eine Excel-Tabelle mit historischen Daten von 1981 bis 1999 sowie ein Online-Interface zur Abfrage neuerer Daten. Die amerikanische Tax Foundation hat die diversen OECD-Tabellen zusammengefasst bis und mit 2013 respektive 2015. Dieses Material wurde für diesen Beitrag mit den Daten für 2016 und 2017 manuell ergänzt. Die bei der OECD wie auch bei der ESTV und KPMG ausgewiesenen Steuersätze beziehen sich jeweils auf die gesamte Steuerbelastung auf allen Staatsebenen. Das heisst, es werden die Gewinnsteuersätze auf kantonaler/regionaler und bundesstaatlicher Ebene zusammengezählt.

Wer von einem solchen Steuerwettbewerb profitiert, haben die Ökonominnen Aleksandra Riedl and Silvia Rocha-Akis 2008 in einer Studie beschrieben. Das Papier ist zwar schon einige Jahre alt, trotzdem ist es aufschlussreich. Die Autorinnen zeigen, dass die Grösse eines Landes entscheidend ist: Während grosse Länder nicht viel vom Steuerwettbewerb haben, profitieren kleine Länder enorm davon – und treiben den Steuerwettbewerb deshalb auch an.

Konkret haben die kleinen Länder ihre Steuersätze zwischen 1982 und 2005 im Schnitt um 41 Prozent gesenkt. Grosse Länder senkten ihre Steuern im selben Zeitraum nur um 26 Prozent. Derweil nahm das Steuersubstrat (die besteuerbaren Unternehmensgewinne) in den kleinen Ländern um 214 Prozent zu – es stieg also massiv an. Demgegenüber verbuchten die grossen Länder beim Steuersubstrat im Schnitt nur eine Zunahme von 63 Prozent.

Ökonomen sind sich weitgehend einig, dass die Schweiz als kleines Land mit niedrigen Steuern und vielen Firmensitzen den Steuerwettbewerb massgeblich angeheizt und auch stark davon profitiert hat. Doch zu welchem Preis?

Steuersenkungen als Nullsummenspiel

Ein Papier, das diese Frage prospektiv beantwortet, stammt von der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Es gehört zu den Begleitdokumenten, die letzte Woche zusammen mit der Steuervorlage 17 publiziert wurden.

Die Autoren versuchen darin abzuschätzen, welche Effekte die Reform auf die Steuereinnahmen von Bund und Kantonen haben wird. Klar ist: Es kommt kurzfristig zu einem Rückgang. Bei den inländischen Firmen nimmt der Fiskus 4,5 Milliarden Franken weniger ein (weil die Steuersätze für sie sinken), bei den internationalen Firmen nimmt er 2,3 Milliarden mehr ein (weil die Steuersätze für sie steigen). Macht unter dem Strich ein Minus von 2,2 Milliarden Franken. Das ist allerdings nur die kurzfristige, statische Sicht.

Langfristig soll aus dem Minus nach den Berechnungen der Autoren aber ein Plus werden. Denn: In der dynamischen Sicht erhöhen Steuersenkungen das Steuersubstrat. Firmen investieren mehr, die Beschäftigung steigt, und die Lohnsumme nimmt zu. Der dynamische Effekt wird im Papier auf 3,6 Milliarden Franken beziffert. Verrechnet man diese Zahl mit dem kurzfristigen Verlust, bleibt ein Gewinn von 1,4 Milliarden Franken.

Das Resultat ist mit gewisser Vorsicht zu geniessen. Es basiert auf einigen ökonomischen Parametern, die in der Forschung nur annäherungsweise bekannt sind, sowie auf bestimmten Annahmen über die Steuerentwicklung im Ausland, die zutreffen können oder auch nicht.**

Trotzdem ist es bemerkenswert. Stimmen die Berechnungen, so würde sich die Steuervorlage 17 am Ende nämlich als gutes Geschäft für die Schweiz erweisen – und dies, obwohl das Projekt ursprünglich auf Druck des Auslands aufgegleist wurde.

Einen wirtschaftlichen Schaden hätten allerdings die anderen Länder. Wie gross dieser wäre, geht aus der Studie zwar nicht genau hervor. Doch die Autoren machen klar, dass Steuersenkungen der Schweiz aus zwei Gründen nützen: erstens wegen der realen, ökonomischen Wachstumseffekte, die sie auslösen; und zweitens wegen der Mobilitätseffekte, mit denen sie verbunden sind – also wegen des Abzugs von Steuersubstrat aus anderen Ländern. Die beiden Effekte tragen gemäss der Studie etwa zu gleichen Teilen dazu bei, dass die Schweiz unter dem Strich Geld verdient, wenn sie die Sätze bei der ordentlichen Besteuerung von Unternehmen senkt.

Die Studie macht somit auch eine Aussage zum Steuerwettbewerb. Dieser wäre, wenn die Schätzungen denn zutreffen, zu 50 Prozent eine sinnvolle Sache. Und zu 50 Prozent ein blosses Nullsummenspiel – bei dem die Steuersenkungen der Schweiz auf Kosten der anderen Länder gehen. So hilft das Ausland also mit, die «Arbeitsplätze der Schweiz zu sichern».

* Teil des Pakets sind auch mehrere Begleitmassnahmen: zur Besteuerung von Dividenden, zur Nichtbesteuerung von Firmenausgaben für die Forschung und Entwicklung, zu Finanztransfers vom Bund an die Kantone und vom Staat an die Familien (eine Übersicht dazu findet sich bei der NZZ).

** Zu den nur schätzungsweise bekannten Parametern zählen etwa die beiden folgenden Kennzahlen: Die eine gibt an, um wie viele Prozent sich das Steuersubstrat erhöht, wenn die Gewinnsteuern von lokalen beziehungsweise von internationalen Firmen um einen Prozentpunkt gesenkt werden. Die andere Kennzahl gibt an, wie stark die Lohnsumme in der gesamten Wirtschaft steigt, wenn das Steuersubstrat bei Unternehmen um einen bestimmten Prozentsatz steigt.