Binswanger

Demokratie mit scharf

In den meisten westlichen Ländern scheint die Stil- zur Schicksalsfrage zu werden. Wie viel Ausfälligkeit verträgt die Demokratie?

Von Daniel Binswanger, 24.03.2018

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«Wenn das volle Ausmass Ihrer Käuflichkeit, moralischen Verkommenheit und politischen Korruption bekannt wird, werden Sie Ihren verdienten Platz als entehrter Demagoge im Mülleimer der Geschichte finden. Sie mögen Andy McCabe zum Sündenbock machen, aber Amerika werden Sie nicht zerstören … Amerika wird über Sie triumphieren.»

Wir leben in erstaunlichen Zeiten: Dieser Tweet wurde am letzten Samstag ins Gesicht von Donald Trump geschleudert. Bemerkenswert ist nicht nur die Aggressivität und Verächtlichkeit, die wohl kaum mehr zu steigern sind. Bemerkenswert ist auch der Absender: John O. Brennan, der bis zum Amtsantritt von Trump der Direktor der CIA gewesen ist. Der vor einem Jahr zurückgetretene CIA-Chef attackiert auf diese Weise den amtierenden US-Präsidenten? Es hat etwas Surreales. Wie soll die amerikanische Demokratie funktionieren, wenn die obersten Staatsorgane sich gegenseitig mit Hass-Tweets eindecken, als gehörten sie zu verfeindeten Mafia-Clans? Wie weit kann die Polarisierung, die Aufgabe von Respekt und Zivilisiertheitsnormen gehen, bevor die demokratische Konfliktbewältigung definitiv unmöglich wird?

Natürlich kann man es erfreulich oder zumindest verständlich finden, dass Brennan dem Präsidenten in die Parade fährt. Seine Attacke war schliesslich nur die Antwort auf einen Tweet von Trump, in dem dieser die vorzeitige Entlassung des FBI-Vizedirektors Andrew McCabe hämisch abfeiert und behauptet, im FBI hätten auf höchster Führungsebene «Lügen und Korruption» stattgefunden.

Hinzu kommt, dass Brennan bessere Gründe für seine moralische Verdammung des Präsidenten haben könnte, als die Öffentlichkeit heute weiss. Er war noch CIA-Direktor, als erste Untersuchungen zu Trumps Russlandbeziehungen und zum Hacking der Mails von Clintons Wahlkampf-Chef gemacht wurden. Brennan dürfte recht gut einschätzen können, was dran sein könnte an den Korruptionsvorwürfen gegen den Präsidenten.

Das macht die rhetorische Eskalation jedoch nicht unproblematischer. Dass Trumps Twitter-Ausfälle jenseits von Gut und Böse sind, hat die Welt inzwischen lernen müssen. Nun aber zeigt sich, dass unweigerlich das ganze politische System von der Hassrhetorik infiziert wird. Brennan wollte nicht schweigen – was nachvollziehbar ist. Aber indem er antwortete, begab er sich auf dasselbe Niveau. Er machte sich unweigerlich zum Komplizen beim Drehen an der Verschärfungsspirale.

Im Zentrum der Debatten um den Niedergang der demokratischen Auseinandersetzung in den USA stehen gerade Facebook und Cambridge Analytica, aus gutem Grund. Aber die Zerstörung der amerikanischen Öffentlichkeit durch die Hyperpolarisierung und einen immer fanatischeren Politikstil ist einiges älter als die Kommunikations-Revolution der Social Media. Schon im Jahr 2012 publizierten die beiden Politologen und Washington-Insider Thomas E. Mann und Norman J. Ornstein den Bestseller «It’s Even Worse Than It Looks: How the American Constitutional System Collided With the New Politics of Extremism» (Es ist noch schlimmer, als es aussieht: Wie der amerikanische Verfassungsstaat mit der neuen Politik des Extremismus kollidierte). Sie zeigen mit deprimierender Präzision und Beispielfülle, dass die Republikanische Partei mittlerweile so extremistische Positionen einnimmt und ihre Bereitschaft, mit absolut allen Mitteln die Demokraten zu bekämpfen, so weit geht, dass Amerika eigentlich unregierbar geworden ist. Die amerikanische Demokratie befindet sich in einer existenzbedrohenden Dauerkrise, schrieben zwei ihrer besten Kenner – und zwar fünf Jahre bevor Trump an die Macht kam.

Zwei Elemente ihrer Analyse sind besonders wichtig. Erstens: Die Polarisierungsspirale erfasst zwangsläufig alle Mitspieler, aber die treibende Kraft waren die Republikaner. Die Polarisierung erfolgte asymmetrisch – aber das Mediensystem ist unfähig, diese Tatsache adäquat zu reflektieren, weil es unbedingt als unparteiisch gelten will und deshalb zwanghaft versucht, beiden Seiten gleichermassen die Schuld zu geben.

Zweitens: Die überbordende Hassrhetorik ist älter als Social Media, aber Medieneffekte sind tatsächlich wichtig. Ornstein und Mann datieren die Einführung eines neuen, hyperaggressiven Politikstils auf den parlamentarischen Aufstieg von Newt Gingrich zurück, der Ende der Siebzigerjahre begann. Entscheidend dafür war, dass ab März 1979 die Debatten im Repräsentantenhaus vollständig vom Kabelfernsehen übertragen wurden. Gingrich war der Erste, der erkannte, dass Parlamentsarbeit künftig nicht mehr auf Vermittlung, sondern auf Spektakel ausgerichtet sein musste. Und die effektivste Form des Spektakels war die Beschimpfung. Der Abgeordnete Gingrich stieg auf zum Politikstar und schliesslich zum Architekten der «konservativen Revolution» – mit Hasstiraden in Live-Übertragung.

Auch in anderen westlichen Demokratien dreht sich die Verschärfungsspirale. So extrem wie in den USA ist die Lage in Europa zwar nicht, aber wir sollten uns nicht zu sehr in Sicherheit wiegen. Auch drakonische Facebook-User-Bestimmungen werden an diesem Problem nichts lösen: Wo die Polarisierung zu stark wird, verlieren demokratische Systeme ihre Funktionstüchtigkeit. Trump zeigt, wohin die Reise des Populismus führen kann. Wenn ein bestimmter Punkt überschritten ist, wird es unmöglich, eine Auseinandersetzung zu führen, die mehr ist als eine gegenseitige Beschimpfung. Die Demonstration könnte noch sehr viel eindrücklicher werden – bevor Trump seinen Platz im Mülleimer der Geschichte findet.

Illustration Alex Solman