Die E-Mail, die Sie nie erhalten werden

Nach tagelangem Abtauchen veröffentlichte Facebook-CEO Mark Zuckerberg ein Statement. Er möchte missbräuchliche Apps entfernen. Und Transparenz schaffen. Doch was heisst schon missbräuchlich? Eine fiktive E-Mail.

Von Adrienne Fichter, 23.03.2018

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Betreff: Auch Sie sind betroffen

Datum: 23.3.2018 11:00

Lieber Facebook-Nutzer

Ich melde mich erst jetzt bei Ihnen, weil ich mich in den vergangenen Tagen zuerst einmal sammeln musste (und mich zuerst mit den traumhaften Winterbildern meines Kollegen, des Spotify-Chefs Daniel Ek, von meinem Schock ablenken musste).

Ich bin wie Sie konsterniert über den publik gewordenen Missbrauch unserer Plattform. Facebook ist mit der Mission angetreten, Vertrauen zu schaffen. Stattdessen haben kriminelle Akteure dieses Vertrauen missbraucht. Mir ist bewusst, dass ich diesen Schaden nicht wieder gutmachen kann.

Vorgestern Mittwoch habe ich zum Cambridge-Analytica-Skandal ausführlich Stellung genommen. Es ist unsere Pflicht, Ihre Daten zu schützen. Dafür habe ich einen Massnahmenplan präsentiert.

Wir schaffen damit Transparenz über die Vergehen in der Vergangenheit (über die wir zwar in der Theorie Bescheid wussten, aber niemals dachten, dass sie effektiv eintreffen).

Facebook informiert persönlich jeden User, dessen Daten widerrechtlich entwendet worden sind. Und dessen Daten in Apps integriert worden sind ohne seine Kenntnisnahme.

Nach eingehender Prüfung haben wir festgestellt, dass alle unsere 2,1 Milliarden User in irgendeiner Form von Datendiebstahl oder einer unautorisierten Weitergabe persönlicher Informationen betroffen sind.

Deswegen erhalten Sie heute diese Nachricht.

Denn auch Ihre Bilder werden derzeit in einer der Tausenden von grossartigen Anwendungen und Spielen angezeigt. Dieser Integration haben Sie niemals zugestimmt, weil Sie vermutlich nie darüber informiert worden sind.

Wie beispielsweise bei der populären Dating-App Tinder.

Zahlreiche Ihrer Facebook-Freunde haben diese App sicherlich installiert und sich dabei mit ihrem Facebook-Benutzerkonto angemeldet. Mit der Anmeldung hat Ihr Singlefreund auch eingewilligt, Ihre Fotos an Tinder mitzuliefern. Seien Sie ihm nicht böse, wenn Sie davon erst jetzt erfahren, denn er hatte keine Chance, diese Option abzulehnen.

Diese Bilder erscheinen jedes Mal, wenn zwei Ihrer Facebook-Freunde gemäss des Tinder-Algorithmus einander vorgeschlagen werden. Also in dem Moment, bevor sie sich entscheiden, nach links oder rechts zu wischen.

Warum macht Tinder das? Ihre Singlefreunde erfahren dadurch, dass Sie theoretisch als Kuppler fungieren könnten. Wir gehen davon aus, dass Sie dem Liebesglück Ihres Bekannten nicht im Wege stehen wollten.

Doch auch wenn Sie sicherlich bisher nichts dagegen gehabt haben, in die potenzielle Rolle des vermittelnden Amor zu schlüpfen, möchten wir auf Nummer sicher gehen. Ab heute, dem 23. März wissen Sie nun offiziell über diese Praxis Bescheid (und dürfen sich nun nicht mehr ärgern, wenn weitere Medienberichte darüber erscheinen).

Leider können wir Ihnen nicht sagen, wer Ihre Bilder für Tinder autorisiert hat. Denn damit würden wir verraten, welcher Ihrer Facebook-Freunde Tinder nutzt und Single ist. Sie können aber diese unfreiwillige Integration Ihrer persönlichen Informationen ausschalten in Ihren Einstellungen (wir hätten Ihnen das früher sagen sollen, aber wir dachten, Sie wollen Ihren Singlefreunden nach Möglichkeit bestimmt helfen).

Sollten Ihre Singlefreunde eine kostenpflichtige Version von Tinder installiert haben, können sie ihre Bilder eigenhändig aus der App entfernen. Aber diesen Service gibt es nur, wenn sie dafür bezahlt haben. Privatsphäre ist schliesslich etwas Kostbares und hat ihren Preis.

Es ist kompliziert. Wir werden jetzt aufräumen. Und Vertrauen schaffen.

Ihr Mark Zuckerberg