Von Zeus bis Oscar
Warum uns Ruhm und Glamour so anziehen – und warum Teenager andere Idole haben als Erwachsene.
Von Rob Evans (Text) und Olivia Kühni (Übersetzung), 16.03.2018
Im Januar war es das WEF, vor wenigen Tagen die Oscarverleihung, im Frühling wird es die Hochzeit des britischen Prinzen Harry und der amerikanischen Schauspielerin Meghan Markle sein. Sie sorgt schon jetzt täglich für Schlagzeilen – von Markles angeblichem Junggesellinnenabschied bis zu fünf hartnäckigen Gerüchten um das bevorstehende Fest. Kurz: Menschen lieben Berühmtheiten. Wir verfolgen ihre Auftritte und Dramen, ihr Familienglück und ihr Scheitern.
Sie nicht? Vielleicht sind Prinz Harry und Meghan Markle nicht ihr Cup of Tea. Vielleicht interessieren Sie überhaupt keine Schauspieler, Prinzessinnen oder pompöse Unternehmer. Dann aber verfolgen Sie vielleicht aufmerksam, was Roger Federer oder Tomas Sedlacek zu sagen haben, Malala Yousafzai, Angela Merkel, Abdullah Öcalan oder Chimamanda Ngozi Adichie. Das kann gut sein. Jedenfalls werden Sie, sofern Sie nicht zu einer völlig anderen Spezies gehören, Ihre ganz persönliche Liste von Menschen im Kopf haben, die Sie faszinieren, Sie anziehen und Ihre Aufmerksamkeit wecken. Menschen scheinen gebaut dafür, sich für Berühmtheiten zu interessieren. Warum?
Das Jennifer-Aniston-Neuron
Die Erklärung beginnt mit Jennifer Aniston. Ich weiss, als US-Amerikaner, dass die Schauspielerin auch vielen Menschen in Europa bekannt ist. Lassen Sie mich dennoch kurz ein bisschen ausholen, zur Sicherheit. In den 1990ern war Ms Aniston eine der Darstellerinnen in der erfolgreichen Sitcom «Friends». Seither hat sie in mehreren Filmen mitgespielt und gehört heute zu den bestbezahlten Frauen in der Geschichte Hollywoods. Die Chancen stehen gut, dass Sie ihr Gesicht schon gesehen haben, selbst wenn Sie nicht sofort wissen, wer Jennifer Aniston ist. Es ist sogar gut möglich, dass in Ihrem Gehirn ein extra für Aniston zuständiges Neuron in der Region des mittleren Schläfenlappens sitzt.
2005 führte ein Neurowissenschaftler namens Itzhak Fried eine Reihe von Tests mit von Epilepsie betroffenen Menschen durch. Er und seine Kollegen wollten versuchen, die Gehirnregionen zu identifizieren, die bei den Probanden ihre Anfälle auslösten. Ein Teil der Untersuchung bestand darin, den Teilnehmerinnen eine Reihe von Bildern zu zeigen und die entsprechenden Reaktionen im Gehirn zu verfolgen. Eines der Bilder zeigte, wieso auch immer, Jennifer Aniston. Und Fried und sein Team stellten erstaunt fest, dass beim Anblick der Schauspielerin jeweils ein einziges Neuron im mittleren Schläfenlappen des Patienten ausschlug. Mit der Zeit erkannten sie, dass immer wieder andere Neuronen auf alles Mögliche – von Bildern von Halle Berry (auch sie eine Schauspielerin) bis zu Kurzclips von den «Simpsons» – reagierten. Mit anderen Worten: Was Fried und seine Kollegen hier beobachteten, war das menschliche Gedächtnis in Aktion.
Könige, Häuptlinge, Bollywoodstars
Jedes Mal, wenn einer Patientin das Bild von Aniston gezeigt wurde, schlug das gleiche Neuron an. Dasselbe galt für Bilder eines bestimmten Nahrungsmittels, einer Ortschaft, von anderen bekannten Menschen – jede Erinnerung hatte ihr eigenes Neuron. Das Jennifer-Aniston-Neuron reagierte nur auf sie oder auf Dinge, die der betreffende Mensch mit ihr verbunden hatte (beispielsweise Bilder ihres Co-Stars bei «Friends», Lisa Kudrow). In unseren Gehirnen sitzen Tausende oder gar Hunderttausende Neuronen, die nur der Erinnerung an Leute gewidmet sind, die wir kennen. Und «kennen» bedeutet eben nicht nur wirklich kennen. Wenn wir ein Gesicht immer und immer wieder zu sehen bekommen, beginnen unsere Gehirne, dieses als bedeutend abzuspeichern. Aniston, Lionel Messi oder der Dalai Lama werden für uns zu Menschen, die wir als Teil unseres Lebens begreifen. Unsere Gehirne machen in vielerlei Hinsicht keinen Unterschied, ob wir eine Person tatsächlich kennen oder nur aus Magazinen.
Besonders gut, das haben zahlreiche Studien gezeigt, merken sich Menschen die Gesichter von Persönlichkeiten, die sie als erfolgreicher als sich selbst wahrnehmen. Als «jemanden», wie das in manchen Sprachen traditionell ausgedrückt wird – «jemand» von Bedeutung. Je nach Ort und Zeit mag das ein König gewesen sein, der beste Jäger des Dorfes, eine Priesterin. Oder heute eben eine Darstellerin aus einem Hollywood- oder einem Bollywoodfilm, ein erfolgreicher Unternehmer oder eine Star-Intellektuelle.
Bei Primaten übrigens ist das ähnlich – auch sie schätzen offenbar Bilder von erfolgreichen Artgenossen. Wissenschaftler der Duke University etwa stellten 2005 fest, dass von ihnen beobachtete Makaken (eine Affenart) bereit waren, schmackhaften Saft herzugeben im Austausch für Bilder von statushohen Affen in ihrer Gruppe. Auch manche Affenarten kennen also Celebritys. Die Frage aber bleibt, und hier braucht es andere Disziplinen als die Hirnforschung: Warum reagieren wir auf die beschriebene Weise auf Ruhm und Glamour? Was bringt uns das?
Rihanna als Lehrerin
Eine der Wissenschaftlerinnen, die sich weltweit am meisten mit dem Thema befasst haben, ist Charlotte De Backer von der Universität Antwerpen. Seit über einem Jahrzehnt untersucht De Backer die Ursachen für die menschliche Neugier auf Berühmtheiten und unsere Freude am Klatsch. De Backer vertritt die sogenannte Lern-Hypothese: Menschen verfolgen Berühmtheiten deshalb so aufmerksam, weil wir sie als Lehrerinnen wahrnehmen, als Vorbilder, an denen wir uns orientieren können. Darum sind Stars und ihre Kleiderwahl auch so wichtig für die Modeindustrie. Was Rihanna trägt, ahmen Tausende junge Frauen nach.
2007 beobachteten De Backer und ihre Kollegen in einer gross angelegten Studie mit 103 belgischen Teenagern deren Umgang mit Prominenten. Die Jugendlichen gaben an, sich viel stärker an Hollywoodcelebritys und international erfolgreichen Sportlerinnen zu orientieren als an Lokalprominenz. Als Gründe gaben sie an, die amerikanischen Stars seien nun einmal wohlhabender; sie besässen coolere Autos und grössere Häuser. Mit anderen Worten: Sie verdienten ihre Aufmerksamkeit mehr, weil sie wirtschaftlich erfolgreicher waren.
Den Wissenschaftlern fiel ausserdem auf, dass die Teenager wörtlich davon sprachen, sie könnten «von dem Verhalten der Celebritys etwas lernen». Was die Stars taten, war für die jungen Menschen von Bedeutung, weil es ihnen Anhaltspunkte dafür gab, wie man in einer noch fremden, grossen Welt Erfolg haben könnte. 2012 gewannen De Backer und ihr Team weitere Erkenntnisse, die in eine ähnliche Richtung deuteten. Sechs Wochen lang analysierten sie den Inhalt von drei beliebten Klatschmagazinen und stellten fest, dass die meisten Promiberichte den Fokus auf Themen legten, die in unserer «evolutionären Vergangenheit» ein Zeichen für Fitness waren – insbesondere materieller Reichtum.
Jugendlichen geht es also wie den Makaken der Duke University: Sie sind gierig nach Bildern von denen, die es (scheinbar) geschafft haben. Der mit Abstand wichtigste Kanal dafür sind längst nicht mehr Klatschmagazine, sondern Youtube. 7 von 10 Teenagern in Deutschland schauen sich dort täglich Filmchen an, praktisch alle zumindest einmal in der Woche. In den USA gucken 13- bis 24-Jährige wöchentlich rund 12 Stunden Youtube-Clips, und auch in der Schweiz ist Youtube die beliebteste Website unter Jugendlichen.
Wissenschaftlerinnen statt Sänger
Wen diese Statusgier und Geldfixierung jetzt trostlos stimmt: Der menschliche Umgang mit Berühmtheiten ist natürlich komplexer als die Youtube-Gewohnheiten westlicher Teenager im 21. Jahrhundert. Wie stark Menschen Berühmtheiten nacheifern und welche Idole sie verehren, ist immer auch ein Spiegel ihrer individuellen Neigungen, der Zeit, (Sub-)Kultur und Tradition, in der sie leben. Nicht immer ist und war es kalifornischer Glamour, der Menschen als bewundernswert gilt.
De Backer und ihr Team stellten fest, dass Menschen mit zunehmendem Lebensalter tendenziell eine gelassenere Beziehung zu Prominenten entwickeln. «Im Laufe unseres Lebens werden Celebritys von Lehrern zu Freunden», schreibt De Backer. Auch die Art der bewunderten Persönlichkeiten ändert sich, wie der bekannte Sozialpsychologe Lynn McCutcheon und sein Team in jahrelanger Forschung beobachteten: In den USA verehren junge Menschen Schauspieler, Sängerinnen und Athleten, in dieser Reihenfolge, ältere Menschen eher Autorinnen, Wissenschaftler und Künstlerinnen. (Einen guten Überblicksartikel zu seinen gerade vorgestellten Erkenntnissen finden Sie hier.)
McCutcheon und seine Kolleginnen stellten ausserdem fest, dass sich afroamerikanische Studierende eher für Celebritys interessieren als weisse (auch korrigiert nach sozioökonomischem Status), dass Menschen mit geringerem Selbstwertgefühl in Bezug auf ihren Körper anfälliger für Prominentenkult sind – Männer übrigens genauso wie Frauen –, oder dass intelligentere Menschen tendenziell weniger stark dem Fantum erliegen. Die Leidenschaft der Japanerinnen für Sumokämpfer ist legendär, Mexikaner und Brasilianerinnen verfolgen Telenovela-Stars, und Jugendliche im Deutschland des 18. Jahrhunderts erlagen nach der Publikation von Goethes Roman dem «Werther-Fieber». Kurz: Die menschliche Bewunderung für Berühmtheiten ist äusserst vielfältig. Interessant ist, dass viele Forscher und generell viele Menschen von «anbeten» sprechen, wenn sie die Beziehung von Fans zu ihren Stars beschreiben. Und das ist kein Zufall.
Zwischen religiösen Kulten und dem Nachfolgen von Celebritys gibt es erstaunliche Parallelen. Auch Religionen arbeiten üblicherweise mit zahlreichen Fabeln und Mythen über Götter, Prophetinnen oder Heilige, zwischen deren Zeilen Botschaften über ein erstrebenswertes Leben gepackt sind. Manchmal wird die Verwandtschaft sehr offensichtlich. Etwa im Projekt dreier italienischer Studenten: Sie stellten alle bekannten Affären des griechischen Gottes Zeus in einer Infografik nach – und sämtliche Protagonistinnen hätten wohl genauso gut in einer Reality-TV-Show des 21. Jahrhunderts auftauchen können.
Neue Götter am Himmel
Tatsächlich gehen manche Sozialwissenschaftler davon aus, dass religiöser Glaube und Prominentenkult für Einzelne und in der Gesellschaft ähnliche Funktionen erfüllen: Die jeweiligen Ikonen dienen als Vorbilder, das gemeinsame Anhängertum stiftet Identität und Gemeinschaftsgefühl, die Erzählungen und Dramen bieten Orientierung, Unterhaltung und Trost. Der Ethnologe und Religionswissenschaftler Pete Ward etwa schrieb unter vielem anderem einen Essay darüber, wie das Verehren des Sängers Justin Bieber (er ist inzwischen wieder etwas aus der Mode geraten) einer «Parareligion» gleicht – Biebers Anhängerinnen nannten sich gar öffentlich «Beliebers», in Anspielung auf «believers», Gläubige.
Atemberaubend für viele, ob Fans oder nicht, war der Auftritt von Sängerin Beyoncé – einer Meisterin der Inszenierung – an der Grammy-Preisverleihung 2017: Sie erschien als Venus, als Madonna, als afrikanische Göttin Mami Wata, mitsamt dem Bauch einer Hochschwangeren. So auffällig waren die Referenzen, dass das sonst eher an Politik und Wirtschaft interessierte Onlinemagazin «Vox» der «Ikonografie» von Beyoncés Show eine eigene Analyse widmete. Auch Präsidenten und Firmenchefinnen stellen sich gerne in ikonischer Manier dar: mit breit ausgestreckten Armen, Händen auf den Köpfen von Kleinkindern, vor Lampenlicht, das wirkt wie ein Heiligenschein.
Möglicherweise kann der Prominentenkult – der im Zeitalter von Social Media zumindest gefühlt zunimmt – auch ein Ersatz sein für den Verlust traditioneller Religiosität in Westeuropa und den USA. In den 1950ern stellte sich der inzwischen verstorbene Antikenforscher aus Oxford, Eric Robertson Dodds, eine ähnliche Frage in Bezug auf die alten Griechen. Er untersuchte Grabstätten aus dem antiken Griechenland auf religiöse Referenzen und Tribute und stellte zumindest in Bezug auf erhaltene Artefakte fest, dass die Grabmale im Laufe des Hellenismus immer säkularer wurden.
Parallel dazu nahm dafür der Persönlichkeitskult gegenüber den weltlichen Herrschern jener Zeit zu, wie Dodds in seinem Buch «The Greeks and the Irrational» festhielt. Er zitiert einen Anhänger des Feldherrn Demetrius I.: «Andere Götter weilen in der Ferne, sie haben keine Ohren, sie existieren nicht oder ignorieren uns; dich aber sehen wir leibhaftig vor uns, nicht aus Holz oder Stein, sondern ganz und gar wirklich.» Dodds sah darin eine dringliche menschliche Sehnsucht verwirklicht. «Wenn sich die alten Götter zurückziehen, rufen die leeren Throne nach einem Nachfolger, und mit geschicktem Management, oder sogar ohne dieses, lässt sich eigentlich ein lumpiger Sack voller Knochen auf den verwaisten Platz hieven.»
Der Gedanke trieb Dodds um angesichts der aufblühenden Celebrity-Kultur der westlichen 1950er-Jahre. Er ist wohl heute noch relevanter geworden. Das Internet bietet uns zahlreiche Gelegenheiten, Knochensäcke auf Throne zu hieven, immer und immer wieder. Im Stundentakt ist ein Demetrius im Angebot, sollten wir uns nach einem neuen sehnen.
Rob Evans ist freier Journalist und Buchautor. Er schreibt über die wilderen Seiten des Lebens: Drogen (und der staatliche Krieg dagegen), Sucht, Sex, Waffen. Evans ist im Süden der USA aufgewachsen und lebt heute in Los Angeles. Von ihm erschienen: «A Brief History of Vice – How Bad Behaviour Built Civilization». Er hat den vorliegenden Text exklusiv für die Republik verfasst.
Debatte: Wer war mit 18 Ihr Idol – und wer ist es heute?
Der Prominentenkult sagt viel über unser Weltbild und unsere Prägung aus, wen wir verehren – und über unser Alter. Teenager, das bestätigen zahlreiche Studien, sind nicht nur am anfälligsten für das Celebritys-Fieber; sie haben auch andere Idole. Darum würden wir gerne von Ihnen wissen: Wie hat sich der Umgang mit Idolen bei Ihnen konkret verändert? Wer war mit 18 Ihr Vorbild, und wer ist es heute? Hier gehts zur Debatte.