Binswanger

Die Überläufer

Dereinst war das konservative Bürgertum stramm antikommunistisch. Heute dominieren die Putin-Versteher.

Von Daniel Binswanger, 10.03.2018

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Robert Muellers Russlanduntersuchung schreitet unerbittlich voran. Ein Berater nach dem anderen verlässt das Weisse Haus, als wäre es ein sinkender Dampfer. Die Korruptionsvorwürfe gegen Trump und seine erweiterte Familie werden täglich schwindelerregender. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, ist Klage eingereicht worden gegen den Präsidenten von Stormy Daniels, einer Pornodarstellerin, der Trump zwei Wochen vor den Wahlen 130’000 Dollar Schweigegeld zahlen liess – was ein Verstoss gegen die Wahlkampf-Finanzierungsgesetze darstellen dürfte. Kurzum: Die Einschläge kommen näher. Und Steve Bannon kam nach Zürich.

Es ist nicht so, als ob das eine mit dem anderen nichts zu tun hätte – und das nicht deshalb, weil sowohl in Trumps als auch in Bannons Fall obszöne Sexskandale sich wie ein roter Faden durch die politische Chronik ziehen. Ist Bannon nicht auch deshalb in Ungnade gefallen, weil er mit dem Versuch scheiterte, den mittlerweile wegen Kindesmissbrauchs juristisch verfolgten Roy Moore zum Senator von Alabama zu machen? Das ist schon beinahe ein vernachlässigbarer Nebenaspekt. Relevanter ist, dass Bannon nach Zürich via Rom gereist ist, wo er live und in Person den Triumph des Lega-Führers Matteo Salvini miterleben wollte. Und dann in Zürich vor seinem Auftritt die Gelegenheit nutzte, Alice Weidel, die Fraktionsvorsitzende der AfD, kennenzulernen. Was Bannon, Salvini und Weidel verbindet? Eine rückhaltlose Bewunderung für Wladimir Putin. Auch andere rechtsradikale Parteien in Europa, wie der Front National oder die FPÖ, halten Putin für den Mann, der die Christenheit vor dem Islam und den Nationalstaat vor der Europäischen Union retten wird. Was uns zurückführt zu Robert Mueller.

Denn obwohl weiterhin offen ist, ob das Trump-Team tatsächlich aktiv mit den Russen konspirierte oder sich die extrem engagierte Hilfe aus Moskau eher passiv gefallen liess, besteht nicht mehr der geringste Zweifel daran, dass die russischen Sicherheitsapparate eine Destabilisierungs- und Sabotagekampagne nicht nur gegen die USA durchführen, sondern gegen weitere westliche Demokratien. Eine Kampagne, die aggressiver ist als alles, was man seit dem Ende des Kalten Krieges beobachten konnte. Die britische Öffentlichkeit ist gerade in hellem Aufruhr, weil Col. Skripal, ein ehemaliger russischer Geheimdienstmann, der in London im Exil lebt, gemeinsam mit seiner Tochter zum Opfer eines Giftanschlags geworden ist – und weil nun an den Tag kommt, dass in den letzten Jahren zahlreiche russische Exilanten in England plötzlich und überraschend zu Tode gekommen sind. Es hat beinahe den Anschein, als würde das nächste Kapitel des Kalten Krieges geschrieben.

Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Die neue Internationale der Alt-Right-Bewegung steht fest im Putin-Lager. Teilweise – so etwa im Fall des Front National – wird sie ja auch aus Moskau finanziert. Und eine zuverlässige Drehscheibe dieser autoritären, gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gerichteten Internationalen befindet sich offensichtlich in Zürich, wo Putin-Bewunderer Steve Bannon von Putin-Bewunderer Roger Köppel der rote Teppich ausgerollt wird. Offenbar scheint es keinen Grad der antiwestlichen Aggressivität der russischen Regierung zu geben, der die Rechtspopulisten in ihrer Bewunderung für Moskau ein wenig bremsen könnte. Wozu auch? Der Hass gegen die EU triumphiert scheinbar über alle Vorbehalte.

Erstaunlich an der Sache ist, mit welcher Leichtigkeit ein Teil der bürgerlichen Eliten tief verankerte Grundwerte praktisch über Nacht hat preisgeben können. Die fanatischsten der Kalten Krieger haben die Seiten gewechselt. Wer hätte geglaubt, dass die Republikanische Partei – die Partei von Ronald Reagan, die im Kampf gegen das Sowjetreich quasi ihre Raison d’Etre erblickte – eines Tages dazu übergehen würde, Geheimdienstermittlungen zur Aufklärung von russischen Sabotage-Akten gegen die amerikanische Demokratie nicht lauthals zu fordern – sondern zu behindern. Wer hätte es für möglich gehalten, dass die amerikanischen Dienste eindringlich vor einer Manipulation der Mid-Term-Wahlen warnen und der republikanische Präsident es unterlässt, Abwehraktionen anzuordnen? Geschweige denn mit Gegenmassnahmen zu drohen?

Ähnliches lässt sich mittlerweile auch von Teilen des Schweizer Bürgertums sagen. Schliesslich wurde Steve Bannon nicht nur vom notorischen Putin-Versteher Roger Köppel hofiert. Die Bannon-Einladung wurde von der «Weltwoche» in Kollaboration mit dem Zürcher Efficiency Club organisiert, einem honorigen Business-Club, der Vorträge, Betriebsbesichtigungen, Get-togethers im Hotel Savoy und Ähnliches organisiert. Welches Motiv haben die Schweizer Wirtschaftseliten, den Protektionisten und Globalisierungsgegner Steve Bannon einzufliegen? Es gibt nur zwei Hypothesen: ideologische Verblendung oder intellektuelle Überforderung. Was um Gottes willen geht in diesen Köpfen vor? Es bleibt ein tiefes Rätsel.

Über Motive wird nämlich auch in England spekuliert – und zwar über die Motive der Mörder von Skripal, der als Agent im Ruhestand ja eigentlich kein interessantes Ziel mehr gewesen sein sollte. Der «Telegraph» hat nun allerdings in Erfahrung gebracht, dass Skripal für Christopher Steele gearbeitet haben soll, den Ex-MI6-Agenten, der in einem Spionagebericht behauptet, die Russen könnten Trump sowohl finanziell als auch mit Bildern von eher ausgefallenen Orgien erpressen. Wurde deshalb ein Mordanschlag auf den Ex-Spion verübt? Auch das ist schon beinahe ein vernachlässigbarer Nebenaspekt. Fest steht, dass sich die Demokratien verteidigen müssen. Dass die Abwehrreflexe stark beeinträchtigt sind. Und dass ein erstaunlich grosser Teil der bürgerlichen Eliten an dieser Verteidigung offenbar schlicht kein Interesse mehr hat.

Illustration Alex Solman