Frisches Blut und falsche Gene
Die Frühlingssession läuft. Fünf Neue sitzen im Parlament und der Ständerat will mehr Transparenz: das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (1).
Von Ihrem Expeditionsteam, 01.03.2018
Liebe Leserinnen und Leser
An dieser Stelle lesen Sie ab sofort wöchentlich unser neues Format «Briefing aus Bern» – immer donnerstags, Punkt 5 Uhr.
Einmal pro Woche servieren wir alle relevanten Informationen aus dem Bundeshaus, stellen die nicht gestellten Fragen und erklären die Agenda.
Dieses Format steht im Aufbau. Wir wollen verbessern, streichen, justieren, und zwar jede Woche. Deshalb fragen wir Sie am Schluss dieses ersten Prototyps nach Ihren Wünschen, Anregungen und Fragen. Sparen Sie nicht mit Kritik, sie ist unser wichtigster Ratgeber.
Und los gehts!
Schengen/Dublin bringt Geld
Das müssen Sie wissen: Das Parlament hat den Bundesrat beauftragt, die volkswirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen des Schengen/Dublin-Abkommens untersuchen zu lassen. Das Abkommen regelt die Zusammenarbeit europäischer Staaten in den Bereichen Polizei, Visa, Justiz und Asyl.
Vor einer Woche hat die Regierung geliefert. Das Resultat: Die Schweiz profitiert finanziell und volkswirtschaftlich vom Abkommen. Gemäss dem Bericht hat die Schweiz durch Schengen/Dublin zwischen 2012 und 2016 rund 220 Millionen Franken pro Jahr eingespart.
Darum gehts wirklich: Im März wird der Bundesrat informieren, wie er die neue EU-Waffenrichtlinie umsetzen will. Die Regierung sieht Änderungen im Waffenrecht vor, wogegen die SVP bereits das Referendum angedroht hat. Wird das mögliche Referendum angenommen, wäre das ein Bruch der Verträge mit der EU.
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist brisant. Der Bericht soll auch aufzeigen, welche Folgen ein Austritt aus dem Abkommen hätte. Die Schweiz müsste pro Jahr mit bis zu 11 Milliarden Franken volkswirtschaftlichem Einkommensverlust rechnen. Viel Geld – und ein starkes Argument gegen ein Referendum der SVP. Deren Vertreter kritisieren den Bericht dementsprechend scharf.
Sie haben den Überblick verloren? Die Beziehungen zwischen Europa und der Schweiz sind ein Wirrwarr. Kollegin Heidi Gmür von der NZZ liefert eine knappe und gute Übersicht zu den Hintergründen, die wir Ihnen empfehlen können. Nach der Lektüre sind Sie auf dem aktuellen Stand.
Die fünf Neuen im Parlament
Wer ist gegangen? Der prominenteste Abgang ist der Walliser Yannick Buttet (CVP), dem ein Strafverfahren wegen Verdachts auf Nötigung zum Verhängnis wurde. Für Aufregung sorgte auch der Rücktritt des ehemaligen Berlin-Botschafters Tim Guldimann (SP), der sein Mandat zum Ende der Frühlingssession abgeben wird.
Ebenfalls das Parlament verlassen Jean-Christophe Schwaab (SP), Jakob Büchler (CVP) und Louis Schelbert (Grüne).
Wer ist neu dabei? Der Nationalratspräsident hat am Montag bereits Benjamin Roduit (CVP) und Brigitte Crottaz (SP) neu vereidigt. Die beiden Westschweizer politisieren das erste Mal auf nationaler Bühne. Bereits besser bekannt sind die bald neu antretenden Ersatzkandidaten Fabian Molina (SP) und Nicolo Paganini (CVP). Der 27-jährige Molina war von 2014 bis 2016 Präsident der Jungsozialisten und der Sankt Galler Paganini ist Direktor der Landwirtschaftsmesse Olma. Louis Schelbert (Grüne) wird durch Michael Töngi ersetzt, den Luzerner Generalsekretär des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbands (MV).
Gentests im Nationalrat
Das müssen Sie wissen: Der Nationalrat stimmte am Montag dagegen, Versicherungen Einblicke in die Resultate von Gentests zu gewähren. Ebenfalls dürfen zukünftig nur noch Fachexpertinnen nicht medizinische Tests durchführen, sofern schützenswerte Eigenschaften ermittelt werden. Ärzten soll mit dem neuen Gesetz verboten werden, den Eltern das Geschlecht sowie Gewebemerkmale ihres Kindes vor der zwölften Schwangerschaftswoche mitzuteilen.
Warum ist das wichtig? Mit der Totalrevision des Gesetzes über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG) reagiert der Nationalrat auf neuste Entwicklungen. Immer öfter werden Gentests im Internet bezogen, die es zum Beispiel ermöglichen, die Ethnie oder die Herkunft einer Person zu bestimmen. Das ist problematisch, weil solche Informationen missbräuchlich verwendet werden können und bisher Regeln fehlten. Ebenfalls will der Nationalrat mit dem neuen Gesetz die vorgeburtlichen Genuntersuchungen regeln und damit Abtreibungen aufgrund des Geschlechts oder Äusserlichkeiten verhindern. Das Geschäft geht nun an den Ständerat.
Wer ist dagegen? Praktisch niemand. Der Nationalrat akzeptierte die Gesetzesänderung mit 175 zu 3 Stimmen bei 10 Enthaltungen und ist damit dem Bundesrat gefolgt. Eine seltene Einstimmigkeit.
Der einzige streitbare Punkt: Ein Artikel verbietet es Versicherungen, die Ergebnisse von Gentests einzufordern, die bereits früher durchgeführt wurden. Diesen Artikel wollte die Kommission ursprünglich streichen. Die wenigen Befürworter dieses Antrages meinten, dass man den Versicherungen relevante Informationen nicht vorenthalten dürfe, da dies zu einer unfairen «Informationssymmetrie» führe. Der Antrag wurde abgelehnt.
Ständerat für mehr Transparenz im Parlament
Das müssen Sie wissen: Der Ständerat hat am Dienstag beschlossen, dass Parlamentarier im Register der Interessenbindungen zukünftig auch ihre Arbeitgeberinnen angeben müssen und vermerken sollen, ob die jeweiligen Engagements gegen Bezahlung oder ehrenamtlich erfolgen.
Zudem sollen in Zukunft Kommissionsunterlagen offengelegt werden, sofern keine schützenswerten Interessen dagegensprechen.
Was passiert als Nächstes? Der Ständerat geht damit einen weiteren Schritt hin zu mehr Transparenz im Parlament und widerspricht dem Nationalrat, der dieselbe Vorlage in der letzten Wintersession versenkt hatte. Das heisst, das Geschäft geht jetzt nach der Annahme im Ständerat wieder zurück in den Nationalrat, wo die Vorlage erneut behandelt wird.
Ebenfalls bald ins Parlament kommt ein Vorschlag der Staatspolitischen Kommission (SPK), die Regelungen für ein «transparenteres Lobbying» im Bundeshaus fordert. Der Gesetzesentwurf sieht unter anderem vor, dass die Bundeshaus-Zutrittsberechtigung von Interessenvertretern beschränkt wird. Dieses Geschäft befindet sich zurzeit noch in der Vernehmlassung, in der sich Kantone, Parteien und diverse Organisationen zum Entwurf äussern dürfen.
Sie wollen mehr wissen? Im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA oder Österreich kennt die Schweiz kein Lobbyregister, in dem Parlamentarier die Interessenbindungen und Kennzahlen ihrer Lobbyingtätigkeit offenlegen müssen. Der von Journalistinnen und Journalisten geführte Verein Lobbywatch betreibt deshalb ein Webtool, mit welchem Interessenbindungen von Parlamentarierinnen und deren Zutrittsberechtigten recherchiert werden können.
Die aufgeschobene Gleichstellung
Das müssen Sie wissen: In der Bundesverfassung steht: «Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.» In der Realität verdienen Frauen aber immer noch weniger als ihre männlichen Kollegen. Deshalb hat der Bundesrat gefordert: Grosse Unternehmen sollen die Lohngleichheit analysieren und ihre Mitarbeiter und Aktionärinnen über das Resultat informieren, damit das Problem sichtbar wird. Der Ständerat findet das keine gute Idee und hat die Vorlage am Mittwoch wieder an die beratenden Kommissionen zurückgewiesen.
Warum hat es wieder nicht geklappt? Seit 1981 steht die Lohngleichheit in der Verfassung. Und seither streitet sich die Politik darüber, wie diese Lohngleichheit erreicht werden kann. Der Ständerat hat einer Revision des Gleichstellungsgesetzes zwar zugestimmt, die vorgeschlagenen Massnahmen gegen Lohndiskriminierung aber abgelehnt. Grund dafür: Der Vorschlag führe zu mehr Bürokratie, ein solches Gesetz bringe nichts und es sei der falsche Weg. Die mehrheitlich linken Befürworter und Befürworterinnen befürchten hinter der Zurückweisung eine Strategie, die eine Verwässerung des Gesetzes erreichen will.
Wie geht es weiter? Die Kommission muss nach der Zurückweisung neue Vorschläge ausarbeiten und vor allem Modelle der Selbstdeklaration prüfen. Die Revision des Gleichstellungsgesetzes wird also vertagt.
Und jetzt sind Sie dran!
Wie gefällt Ihnen das Format «Briefing aus Bern»? Was gefällt Ihnen nicht? Wie können wir das Format für Sie möglichst nützlich weiterentwickeln? Ihre Kritik und Ihre Anregungen interessieren uns: Lassen Sie uns reden!