Niggli

Suizid aus Angst vor dem Tod

Als kleines Land kommt die Schweiz nicht umhin, in harten «Steueroasen»-Verhandlungen Kompromisse zu machen. Ärgerlich ist: Sie gibt oft auf, bevor sie gekämpft hat.

Von Marcel Alexander Niggli, 28.02.2018

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Früher wurden die Schweizer Banker manchmal als «Gnomes of Zurich» bezeichnet. Das ist lange her. Heute würde man wohl eher von Gartenzwergen sprechen, die ihren eigenen Finanzplatz zerstören. Für diese Entwicklung werden meist die Finanzkrise und der grosse internationale Druck verantwortlich gemacht. Und das stimmt auch, zum Teil. Wenn etwa die EU Listen von «Steueroasen» erstellt (eine schwarze für uneinsichtige und eine graue für geständige, reuige Länder) und die Schweiz auf der grauen landet, dann ist das Ausübung von Macht. Auf der Liste stehen nämlich beispielsweise weder Malta noch Luxemburg. Herzerfrischend ehrlich wird das damit begründet, dass es bei der Liste ja um die Brandmarkung von Nicht-Mitgliedsstaaten gehe. Das stellt wenigstens klar, dass kein hehres Ziel verfolgt, sondern schlicht Wettbewerb betrieben wird. Damit kann man, damit muss man leben. Gerade wenn man klein ist. Was stört, ist, dass Einseitigkeit in diplomatischen Verhandlungen inzwischen völlig akzeptiert zu sein scheint.

Keine Nachrichtensendung, in der nicht einseitig aufgefordert, verlangt und appelliert wird. Und nicht nur von Idioten, sondern auch von Staatspräsidenten, internationalen Organisationen und honorablen Leuten. Die USA sind nicht auf den erwähnten Listen, weil sie – so die EU – mit Fatca das Transparenzkriterium erfüllen. Genaue Kenntnis dessen, was Fatca ist (ein US-amerikanisches Gesetz zum Informationsaustausch: Foreign Account Tax Compliance Act), ist an dieser Stelle nicht nötig. Es reicht zu wissen, dass die Schweiz 2013 Fatca akzeptiert hat und seither brav alle verlangten Informationen an die USA liefert und dafür im Gegenzug ... ähem ... nichts erhalten hat. Fatca funktioniert nur in eine Richtung – mehr muss man nicht wissen. Der für die Schweiz vollständig einseitige Fatca dient als Grund dafür, dass die USA nicht auf die EU-Listen kommen, obwohl die Schweiz – anders als die USA – ihre Daten liefert. Transparenz meint offenbar, Daten zu erhalten, nicht sie offenzulegen.

Vielleicht aber stört noch mehr als die akzeptierte Einseitigkeit die Unterwürfigkeit, der vorauseilende Gehorsam der Schweiz. Natürlich lassen sich Forderungen von Mächtigen nicht vermeiden. Warum aber ohne Not nachgeben? Warum sich auf einen verlogenen moralischen Diskurs einlassen, statt schlicht zu fordern, was essenzieller Kern jeder Gerechtigkeit ist: dass sich das Gegenüber an seine eigenen Regeln hält?

Zwei Beispiele für die Unterwürfigkeit: Warum sollte das Schweizer Recht verlangen, dass Finanzintermediäre in der Schweiz auch das ausländische Recht einhalten müssen, wenn dies umgekehrt nicht gilt? Und warum sollte die Schweiz Rechtshilfe leisten gegenüber Staaten, die dies umgekehrt nicht tun? Das sind selbstmörderische Strukturen (beide übrigens nicht im Gesetz so geregelt, sondern von der Finma beziehungsweise vom Bundesgericht beschlossen). Selbstzerstörung benötigt keinen mächtigen Gegner.

Man darf klein sein. Man darf schwach sein. Man darf verlieren. Aber man darf nicht präventiv aufgeben. Wer aufgibt, verliert nicht nur die Verhandlung, sondern auch sich selbst und damit den Respekt.

Illustration Alex Solman