Sie werden die Demokratie aufgeben
Nach gut einem Jahr Trump-Herrschaft ist es Zeit für eine Bilanz. Am vernichtendsten urteilt der Republikaner David Frum.
Von Daniel Binswanger, 24.02.2018
Trump ist über ein Jahr im Amt, die Welt ist (noch) nicht untergegangen – und die Politikwissenschaft hat allmählich ausgelotet, welche fundamentale Veränderung für die Weltordnung, für den amerikanischen Verfassungsstaat und für die Zukunft der Demokratie das Trump-Regime bedeuten dürfte. In den letzten Wochen ist eine eigentliche Trilogie des Schreckens erschienen, die aktuell den Rahmen für die Diskussion absteckt: zunächst «How Democracies Die» von den Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, dann «Der Zerfall der Demokratie» von Harvard-Professor Yascha Mounk. Beide Bücher entwickeln albtraumartige Lageanalysen. Sie haben in dieser Kolumne bereits Erwähnung gefunden.
Das dritte Werk im Bund ist «Trumpocracy» von David Frum – und es ist wohl die bedrückendste der drei Standortbestimmungen. Frum ist kein Akademiker, sondern ein Washington-Insider und Politikberater. Er ist kein linker Idealist, sondern ein Konservativer vom rechten Flügel – jedenfalls solange dieser Flügel von Georg W. Bush, für den er als Redenschreiber amtierte, besetzt wurde. Er hat nicht nur die Grundsatzfragen, sondern die konkrete Washingtoner Machtmechanik im Fokus.
Frum gibt einen Überblick darüber, weshalb es der Republikanischen Partei nicht gelungen ist, die Trump-Kandidatur zu unterbinden, wie sich die verschiedenen Akteure mit den neuen Verhältnissen arrangieren und wie sich aus dem täglichen Wahnsinn von Provokationen, Leaks und Peinlichkeiten, die die Trump-Administration zu definieren scheinen, eine Regierungspraxis und eine Machtstrategie ergeben. Die Gesamtschau eines Polit-Profis könnte schwärzer nicht sein. Er legt nicht nur dar, wie systematisch die neue Administration mit sämtlichen ethischen und professionellen Standards des Regierungshandelns gebrochen hat. Er zeichnet nicht nur ein ätzendes Bild der geschäftlichen und politischen Ruchlosigkeit der Familie Trump, der Familie Kushner und zahlreicher Vertreter des neuen Kabinetts. Er zeigt auch, wie dekadent und korrupt ein republikanisches Establishment ist, das es vorzieht, Trump für seine Zwecke einzuspannen, statt ihn entschlossen in die Schranken zu weisen.
«Trump ist kein politischer Riese», sagt Frum. «Er und sein drittklassiges Kampagnenteam machten Fehler über Fehler, und das ist bis heute nicht anders. Es hätte kein Wunder gebraucht, um ihm den Weg zur Präsidentschaft zu versperren. Im Gegenteil: Es brauchte ein negatives Wunder, damit er tatsächlich Präsident hat werden können.» Und wer hat dieses Mirakel vollbracht? «Es ist nicht seine politische Intelligenz, die es Trump erlaubt, alle fest etablierten Standards der Regierungspraxis und der Anständigkeit ausser Kraft zu setzen. Es ist die Komplizenschaft seiner Verbündeten in der politischen, medialen und finanziellen Elite des konservativen Amerikas.»
Das ist die zentrale Botschaft von David Frum: Dass ein Reality-TV-Star die amerikanischen Institutionen herausfordert, ist an sich weder bedrohlich noch bemerkenswert. Es ist die demokratische Routine. Es gehört zum normalen politischen Prozess, dass narzisstische Selbstdarsteller, mafiöse Geschäftemacher mit eigener Agenda, kriminelle Bankrotteure auf der Suche nach einem Rettungsanker, grössenwahnsinnige Milliardäre, die glauben, vom lieben Gott persönlich einen Auftrag zu haben, fanatische Ideologen und sonstige Soziopathen konstant versuchen, Aufmerksamkeit zu erregen, Macht zu erobern, die Offenheit der demokratischen Entscheidungsfindung für ihre Zwecke auszunutzen. Aussergewöhnlich ist es, wenn das politische System nicht mehr über die Ressourcen verfügt, um diese Kräfte zu neutralisieren. Wenn das Establishment dem Irrtum aufsitzt, es könne zu seinem eigenen Nutzen einen faustischen Pakt eingehen. Wenn die gesellschaftlichen Eliten alle bewährten Standards in den Wind schlagen, weil sie glauben, es sei die beste Option, um die eigene Macht zu erhalten. Frum zeigt mit intimer Kenntnis der republikanischen Machtapparate, wie genau das in den USA geschehen ist. Es dürfte exemplarisch dafür sein, wie ein demokratisches Staatswesen ausgehöhlt wird, wenn das demokratische Immunsystem versagt.
Was Frum, der die Policy-Debatten in den republikanischen Machtzirkeln in- und auswendig kennt, ebenfalls präzise darlegt, sind die Gründe, weshalb es Trump gelungen ist, die Establishment-Kandidaten für die republikanische Präsidentschaftskandidatur aus dem Feld zu räumen – ohne Unterstützung des Parteiapparates, ohne Geldgeber, ohne qualifizierte Mitarbeiter. Der alles entscheidende Grund war die Migrationspolitik. Die Forderung nach einer Mauer an der mexikanischen Grenze, die Ausfälle gegen Vergewaltiger und «bad hombres»: Es war der einzige Punkt, in dem sich Trump vom fliessend spanisch sprechenden Jeb Bush und von Marco Rubio diametral unterschieden hat. Die Republikanische Partei hatte die Rechnung gemacht, dass sie der zunehmenden Diversität der amerikanischen Bevölkerung Rechnung tragen und besonders für die amerikanischen Latinos attraktiver werden müsse, um die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden zu können. Sie hatte die Rechnung ohne die Basis gemacht.
Das zweite matchentscheidende Plus von Trump war seine Vulgarität, seine Rüpelhaftigkeit, die permanente Polemik gegen «political correctness», der «Grab them by the pussy»-Machismo. Frum belegt mit zahlreichen Wählererhebungen, dass Trump von einer «Koalition der Loser» gewählt wurde. Sie besteht nicht zwingend aus den Amerikanern, denen es objektiv besonders schlecht geht, aber aus all denjenigen, die an Status verloren haben, die glauben, dass sie verächtlich behandelt werden, dass man sie im Namen der political correctness herabsetzt und drangsaliert. Im Wesentlichen sind das weisse Männer ohne College-Abschluss. Ihr Ressentiment hat Trump ins Weisse Haus getragen.
Letztlich ist die Trump-Präsidentschaft gemäss Frum das Ergebnis einer profunden Krise des amerikanischen Konservatismus. Das Problem liegt darin, dass die republikanischen Eliten eine Politik verfolgen, die ihrer eigenen Basis nichts mehr bietet. «Die Republikanische Partei gründet auf einer Koalition zwischen den grössten Globalisierungsgewinnern und den grössten Globalisierungsverlierern. Die Gewinner legen die Politik fest. Die Verlierer liefern die Stimmen.» Dass Trump die Verlierer abholen konnte, macht ihn stark.
Es führt dazu, dass die Partei-Eliten letztlich zu allem bereit sind, um sich mit ihm zu arrangieren. Sie wissen, dass sie ihren Wählern nichts zu bieten haben. Sie wissen, dass ihre Macht auf Manipulation gründet. Trump ist eine unappetitliche, aber effiziente Lösung für ihr Problem. Er wird sich selber schamlos bereichern, die Staatsapparate korrumpieren, die politische Kultur verwüsten und Amerikas Position in der Welt nachhaltig schwächen – und das ist noch das optimistischste Szenario. Aber er wird es den Financiers der Republikanischen Partei erlauben, ihre Agenda durchzuziehen. Dafür sind sie bereit, fast jeden Preis zu zahlen.
Frum ist jedoch zuversichtlich, dass der Konservatismus sich neu erfinden kann. Aus seiner Perspektive ist diese Neuerfindung überlebenswichtig für die amerikanische Demokratie. Denn an der Alternative lässt er keinen Zweifel: «Wenn die Konservativen zum Schluss kommen, dass sie auf demokratische Weise nicht gewinnen können, werden sie nicht den Konservatismus aufgeben. Sie werden die Demokratie aufgeben.»
Illustration Alex Solman